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19. In Paramatta

Wie vereinbart, waren Leutnant Beatty und der Kapitän nach Sydney aufgebrochen. Ganz gegen seine Gewohnheit war Kapitän Becker unterwegs sehr wortkarg. Ihm ging seine neue Mannschaft und die damit verbundenen Gefahren im Kopf umher. Aber er sah kein Mittel, sich dieser Verpflichtung zu entziehen, denn er hatte freiwillig sein Wort gegeben. Das war für ihn genauso heilig wie ein Schwur. Wie sollte er sonst überhaupt hoffen, Australien zu verlassen? Mit den eingefangenen drei Matrosen konnte er es nicht wagen, und andere Leute waren selbst für hohe Löhne nicht zu bekommen. Schließlich konnte er es für einen glücklichen Zufall halten, daß er eine seetüchtige Mannschaft gerade im richtigen Moment gefunden hatte.

Und die Polizei? Wenn sie dahinterkam und ihn verantwortlich machen wollte? Aber was mußte er von den Lebensschicksalen derer wissen, die bei ihm anheuern wollten? Er war Schiffskapitän und brauchte Matrosen, weiter ging ihn die Sache nichts an. Wenn die dabei der Polizei durch die Finger schlüpften, so war das Sache der Polizei und brauchte ihn nicht zu kümmern. Er hatte genug mit seinem Schiff zu tun und konnte kaum die Zeit erwarten, wo er wieder hinaus in sein offenes, freies Wasser kam.

Beatty überließ ihn seinen Grübeleien, denn er hielt sein schweigsames Wesen noch für eine Folge der ausgestandenen Mühseligkeiten. Er hoffte, ihn in Sydney um so fröhlicher anzutreffen.

So erreichten sie Paramatta, wo der Leutnant zu tun hatte und der Kapitän seinen Weg in die Hauptstadt allein fortsetzte. Morgen abend wollten sie sich bei Mr. Pitt treffen.

Beatty hatte mit Mühe und Not im Victoria-Hotel ein Zimmer für sich bekommen. Das Städtchen bildete die erste Station zu den Minen, und der Fremdenverkehr hatte deshalb deutlich zugenommen. Selbst drei neuerrichtete Gasthöfe konnten den Bedarf von Tausenden, die in die Berge strömten, nicht befriedigen. Der junge Mann war ein abenteuerliches Leben gewöhnt und stellte keine großen Ansprüche. Er bestellte sich nur etwas zu essen und ein Glas Sherry, um dann seine Aufträge zu erledigen.

Aber das Essen blieb lange aus, und ungeduldig ging Beatty in seinem kleinen Zimmer auf und ab. Nur dann und wann blieb er am Fenster stehen, um auf das Menschengewühl hinabzugehen. Wo kamen all diese Menschen her? Noch vor wenigen Wochen war Paramatta ein kleines ödes Binnenstädtchen gewesen, eine Art Vorstadt von Sydney. Es gab kaum Verkehr auf dem Landweg nach Bathurst und Melbourne, aber eine tägliche Postverbindung. Und jetzt? Es verging keine Viertelstunde, wo nicht ein Trupp Goldsucher mit beladenen Karren oder Pferden oder auch schwerbeladenen Fußgängern vorüberzog. Reiter sprengten durch die Straßen, Kabrioletts und andere leichte Fuhrwerke rasselten darauf hin, und Paramatta war in der kurzen Zeit wirklich das Tor geworden, durch das die vielen Goldsucher zogen. Pflichtschuldig ließen sie ihren Torgroschen hier.

Die Straße vom Gebirge her kam ein Reiter auf einem lahmen Pferd. Den Schimmel hatte doch der Polizist schon einmal irgendwo gesehen. Aber er kannte den Eigentümer nicht, dessen Gesicht er auch vom Fenster nicht deutlich erkennen konnte. Nur eine Fülle braunes Haar sah er, das unter einem alten, vom Wetter mitgenommenen Filzhut quoll, und ein paar trotzig aufgeworfene, vom krausen Bart umgebene Lippen. Der Reiter ritt vorbei, aber das Pferd konnte kaum noch von der Stelle. Jetzt lenkte er über die Straße zu einem Wirtshaus. Auf dem Schild hing eine Harfe über der Tür, es gehörte einem Irländer. Der Reiter stieg vom Pferd und ging ins Haus, ohne sich die Mühe zu geben, das erschöpfte Tier auch nur anzuhängen. Er war sicher, daß es den Stall witterte und nicht freiwillig von der Stelle ging.

Beatty hatte gleichgültig zugesehen. Es lag ihm nur daran, sich irgendwie zu beschäftigen, bis sein bestelltes Essen kam. Jetzt ging die Tür auf, und das Hausmädchen brachte es herein. Als er sich aber vom Fenster abdrehte, um sich an den Tisch zu setzen, fiel sein Blick auf eine Gestalt, die ihn an seine Stelle bannte. Es war unser alter schwarzer Freund mit Frack und Hut. Seine Kleidung befand sich in noch traurigerem Zustand. Der linke Frackärmel war aufgerissen, das eine Hosenbein geschlitzt, der Hut zerdrückt und schmutzig. Aber den Waddie trug er noch immer in der Hand, als er über die Straße glitt und sich wie scheu an der gegenüberliegenden Seite der Häuser hielt.

Wie kam der Bursche jetzt nach Paramatta, und was wollte er hier? Daß es etwas ganz Besonderes sein müßte, bewies schon sein Verhalten. Wenn die Eingeborenen zum Bettel in die Städte kamen, gingen sie gewöhnlich steif und ehrbar umher, schauten sich überall um und wußten dann ziemlich genau, wo sie etwas erhalten konnten und wo nicht. Dieser Bursche schien sich aber um keinen Menschen auf der Straße zu kümmern. Er glitt an der Tür des Wirtshauses vorbei, warf einen raschen, vorsichtigen Blick hinein und verschwand in einer der kleinen Seitenstraßen, ohne wieder zum Vorschein zu kommen.

»Hier ist Ihr Essen, Sir«, sagte jetzt das Mädchen, das die Speisen auf den Tisch gestellt hatte.

»Ist gut«, erwiderte der junge Mann, ohne den Blick von der Straße zu wenden. Er erwartete die Rückkehr des Schwarzen.

»Lassen Sie es aber nicht zu lange stehen, es ist nicht mehr sehr heiß. Lieber Gott, man weiß ja jetzt gar nicht mehr, wie man die vielen Gäste bedienen soll.«

»Ich esse gleich.«

»Hatten Sie Port oder Sherry bestellt?«

»Sherry, bitte. Sie könnten mir die Flasche heraufgeben, ich bin unterwegs durstig geworden.«

»Kommt sofort«, sagte das Mädchen etwas pikiert, weil sich der junge Offizier noch nicht einmal um sie kümmerte. Sie verschwand wieder. Beatty achtete nicht auf sie und hätte sogar sein Essen vergessen, wenn das Mädchen nicht bald darauf mit dem verlangten Wein zurückgekommen wäre. Aber der Schwarze kam nicht wieder, und er beschloß jetzt, sein ohnehin spätes Mittagessen so rasch wie möglich zu beenden. Dann wollte er hinabgehen und sehen, ob er den Eingeborenen nicht irgendwo in der Stadt treffen würde. Irgend etwas mußte vorgefallen sein, das den Burschen so rasch aus den Bergen hierher gebracht hatte. Wenn er ihn nur wieder traf, würde er es auch herausbekommen.

Mit seinem frugalen Mahl war er schnell fertig, stürzte noch ein paar Gläser Wein hinunter und verließ das Haus.

Er hatte keine Ruhe, bis er herausbekam, wem der schwarze Bursche hier nachspionierte.

Er war schon den ganzen Distrikt abgegangen, ohne auch nur die Spur von ihm zu finden. Hatte der Wilde vielleicht Paramatta wieder verlassen? Denn in den Straßen hätte er ihm begegnen müssen, da die Weißen keinem Eingeborenen erlaubten, ihre Häuser zu betreten.

Aber alles war vergeblich, er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Beatty ging noch einmal die Hauptstraße hinunter. Der Schimmel stand noch immer auf der Straße und kaute an ein paar dürftigen Strohhalmen, die er dort auflas. Dann wandte sich der Leutnant in eine Seitengasse, als er plötzlich eine Berührung an seinem Arm spürte. Rasch drehte er sich um und erschrak beinah, als er die unheimliche Gestalt des Schwarzen dicht neben sich sah. Mit leiser, scheuer Stimme flüsterte er ihm zu:

»Er ist hier!«

»Er? Wer denn?«

»Der Zauberer!«

»Alle Wetter!« rief der junge Mann überrascht aus. Er hatte kaum gehofft, hier die Spuren der Verbrecher zu finden. »Bist du da sicher?«

»Auf dem Schimmel gekommen, Pferd lahm.«

»Das war er?«

Der Wilde nickte mit dem Kopf und blickte über die Schulter zurück, als ob er befürchtete, hier gesehen zu werden.

»Du bist ihm gefolgt?«

»Den ganzen Weg, wie sein Schatten. Tomjang muß sein Blut haben, ich habe es geschworen.«

»Das überlaß uns, Bursche«, sagte der Offizier. »Wir werden schon Sorge tragen, daß er seiner Strafe nicht entgeht. Aber wo ist er jetzt?«

»In dem Haus, wo das Pferd steht.«

»Sicher?«

»Trinkt. Tomjang hat hineingesehen, wartet hier, bis es dunkel wird. Viele Leute in Stadt, viele, viele Leute. Am Abend geht er fort.«

Diese Vermutung hatte viel Wahrscheinliches. In dieser Menge von Fremden, über die eine Kontrolle gar nicht mehr möglich war, konnte sich ein einzelner viel besser verstecken als in einem heimlichen Versteck. Wer erkundigte sich hier nach Namen oder Beruf? Die Leute kamen und gingen, wie es ihnen gerade gefiel. Außerdem war das Pferd vom Ritt lahm geworden. Aber weshalb setzte er seinen Weg nicht zu Fuß fort? Wollte er sich vielleicht hier erst ein anderes Tier verschaffen?

Diese Gedanken zuckten dem jungen Offizier durch den Kopf. Die Hauptsache blieb aber, den Verbrecher so schnell wie möglich zu fassen. Das konnte nirgendwo leichter gehen, als in dem kleinen Haus, in dem er sich gerade befand.

»Geh zurück zum Wirtshaus«, sagte er deshalb zu seinem schwarzen Verbündeten. »Wir dürfen den Mann nicht aus den Augen verlieren. Ich hole inzwischen Hilfe, denn er wird nicht freiwillig in Gefangenschaft gehen. Wir müssen ihn lebendig haben, um seinen Gefährten auch auf die Spur zu kommen.«

»Lebendig!« zischte der Eingeborene zwischen den Zähnen durch. Ein dämonisches Feuer glühte in seinen Augen.

»Lebendig!« wiederholte der Offizier. »Hast du mich verstanden? Es soll dein Schade nicht sein, du wirst reichlich belohnt, wenn wir ihn fassen können.«

Tomjang sah eine Weile schweigend zum Boden. Dann nickte er mit dem Kopf, drehte sich um und eilte die kleine Straße hinauf. Um die Ecke bog er wieder in den Hauptweg ein, während Beatty zum Polizeigebäude eilte, um an Mannschaft aufzutreiben, was er dort gerade im Dienst fand.

Es waren fünf Mann, denen er mit kurzen Worten den Gesuchten beschrieb und ihnen einschärfte, wie sie sich zu verhalten hatten. Jetzt hatte er mit ihnen die irische Schänke erreicht. Zwei der Leute, die sich hier gut auskannten, bogen links ab, um eine Hintertür zu verstellen. Leutnant Beatty ging mit seinen drei anderen Begleitern direkt auf die Tür zu, ließ zwei als Wache zurück und betrat mit dem anderen den Raum.

Der Eingeborene, der ihn kommen sah, stand nicht weit davon auf der Lauer und drängte sich jetzt hinter Beatty mit in das Lokal. Er schien entschlossen, dabei zu sein, wenn sein Todfeind von den weißen Männern gefangengenommen wurde.

Aber er war nicht in dem Raum.

»Können Sie mir sagen, Freund, wo ich wohl den Herrn des Schimmels finde?« sprach der Leutnant den irischen Barkeeper an.

»Und wenn ich's könnte?« erwiderte der Mann mit einem halb pfiffigen, halb boshaften Blick über die Schulter. Bislang hatte Patrick noch keine Gelegenheit gefunden, sich mit der Polizei auf freundschaftlichen Fuß zu stellen. Er haßte alles, was eine Uniform trug.

»Dann würde ich Sie bitten, mir zu sagen, wo ich ihn treffen kann«, antwortete der junge Offizier immer noch höflich. Er wußte aus Erfahrung, daß man manchmal nur damit bei diesen Burschen etwas ausrichten konnte. »Ich muß ihm etwas Wichtiges mitteilen.«

»So?« sagte Patrick. »Unter vier Augen?«

»Es ist kein Geheimnis.«

»Na, wissen Sie was, dann richten Sie es doch an mich aus«, sagte der Ire trocken, und die Umstehenden lachten. »Wenn er zurückkommt, will ich es ihm bestellen.«

»Danke«, erwiderte Beatty kalt. Er wußte, daß er keine Auskunft erhalten würde und keine Hilfe erwarten konnte. »Ich werde mir dann erlauben, selbst nachzusehen. Sie haben sich dann die Folgen zuzuschreiben, wenn Sie einen Verbrecher versteckt haben.«

»Das war die wichtige Mitteilung?« lachte Patrick. »Dachte mir doch gleich, daß es darauf hinausläuft. Bitte, langen Sie zu, Herr Major oder Herr General oder was Sie sonst sind, ich kenne die Uniformen nicht. Tun Sie so, als ob Sie zu Hause wären.«

Beatty kümmerte sich nicht mehr um den Burschen. Ein Wink von ihm rief einen der Leute von der Tür herein, und sie durchsuchten jetzt jeden Winkel des kleinen Gebäudes, ohne den Mann jedoch zu entdecken. Daß sich der Eingeborene nicht geirrt hatte, davon war der junge Mann überzeugt. Der haßte den Weißen viel zu sehr, um sich in der Person zu irren. Von ihrem Kommen konnte Jack aber auch keine Ahnung gehabt haben, denn alles war zu rasch und heimlich geschehen, um ihn warnen zu können.

Die einzige Möglichkeit blieb, daß er gerade zufälligerweise das Haus verlassen hatte, als ihn Tomjang in der Seitengasse überholte. Entweder befand er sich jetzt zu Fuß auf den Weg nach Sydney oder, was wahrscheinlicher war, noch irgendwo in Paramatta, um erst bei einbrechender Dunkelheit seinen Weg aufzunehmen.

Eine andere Möglichkeit blieb, daß er mit dem kleinen, in etwa einer Stunde ablegenden Dampfer den Strom hinunterfahren wollte. Das erschien jetzt Beatty sogar am wahrscheinlichsten. Er wollte auf alle Fälle den Landungsplatz im Auge behalten.

Das alles ging ihm durch den Kopf, als er wieder zur Tür ging und seine Befehle gab.

»Wenn Sie wieder etwas brauchen, Herr General«, grinste der Ire an seiner Seite, »dann kommen Sie doch bitte auf jeden Fall wieder zu mir.«

Beatty antwortete ihm gar nicht, trat hinaus und schickte jetzt einen Berittenen die Straße nach Sydney entlang. Er hatte ihm den Verbrecher genau beschrieben, und der Mann sollte nach ihm Ausschau halten. Er selbst verteilte dann seine Leute auf genau bestimmte Plätze. Erst kurz vor Abfahrt des Dampfers sollten sich dann alle bei der Landungsstelle einfinden, um vor der Abfahrt das Boot zu untersuchen.

Als er sich aber nach seinem eingeborenen Führer umsah, war der verschwunden. Er hatte gesehen, daß ihm seine Beute entschlüpft war, und die Fährte wieder wie ein Bluthund aufgenommen.


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