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8. In den Bergen

Wie lange war es her, als noch das Kängeruh in diesen Bergen umhersprang und scheu aufhorchte, wenn ein dürres Blatt raschelte? Es mußte sich doch nach seinem fast ebenso schlauen Feind, dem Eingeborenen, umsehen, der irgendeinen nahen Gumbaum oder Wattebusch als Deckung benutzen konnte, um sich an seine Beute zu schleichen. Wie lange war es her, daß der listige Dingo oder wilde Hund noch durch diese Schluchten zog, manchmal stehenblieb und erstaunt die Nase in den Wind hob, wenn ihm der leichte Wind die Witterung eines Menschen herüberwehte? Dann kamen einzelne Herdenbesitzer, die ihre Schafe in die Berge trieben. Kängeruhs und Dingos zogen sich vor den scharfen, ausdauernden schottischen Windhunden zurück, die sie mitbrachten und mit ihnen den Wald durchstreiften.

Dann kam das Gold, und wo waren jetzt selbst die Schafherden geblieben, die sonst hier monatelang weideten, ehe sie jemand störte? In den Bergen gab es Gold, und von allen Seiten strömten die Menschen herbei, von allen Seiten drangen sie in Schluchten und Täler, über Hochebenen und breite Bergrücken mit Schaufel und Axt, mit Flinten und Revolvern, und schrien und knallten und schüttelten das Geröll in ihren Waschmaschinen, daß der Urwald davon widerhallte. Selbst die Schwärme der kreischenden Kakadus hielten in ihrer ohrenzerreißenden Melodie inne und sahen erstaunt dem Toben zu.

»In den Bergen lag Gold« – das war das Zauberwort, das diese steinige Wildnis so plötzlich belebte, die klaren Bergbäche aufwühlte und Steine, die Jahrtausenden getrotzt hatten, aus ihren Haltungen brachen und ins Tal rollten. In den Bergen lag Gold, und in öden, trostlosen Schluchten, wo sonst an dürftigen Gräsern noch nicht einmal ein einziges Schaf seinen Hunger stillen konnte, stiegen jetzt Rindenhütten und Blockhäuser empor. Lebensmittel und Delikatessen waren zu verkaufen, die Tausende von Meilen über die See hierher geschafft wurden. Wo noch nicht einmal ein Lasttier seine Spuren eingedrückt hatte, trieben jetzt schwerbeladene Karren ihre Spuren über Quarzblock und Gumwurzel. Steile Bergwände wurden mit Werkzeugen abgeklopft und abgesucht, wo sonst die Kängeruhratte und der lichtscheue Wombat allein im Sonnenlicht oder Mondschein ihre Siesta hielten und ihre Felsenwohnungen bislang für unzugänglich gehalten hatten.

Was war das für ein seltsames Treiben dieser Schar? Sie wühlte den Talboden auf, hämmerte und pochte und fluchte und lachte und versäumte keine Stunde, als müßte das Mark der Erde herausgeholt werden. Und nicht nur an den Bergbächen drängten, dämmten und schöpften viele, nein, auch in Felsenschluchten und Ritzen hingen sie mit Messern und spitzen Eisen und schleppten unverdrossen Erde ins Tal, um sie da zu waschen und zu prüfen.

Wo sich ein nur halbwegs reicher Platz zeigte, wo ein glückliches Menschenkind ein großes Stück edles Metall zutage gefördert hatte, da wuchsen über Nacht ganze Städte aus Zelten, Rindenhütten und Reisiglauben aus dem Boden. Läden, Fleischer und Bäcker etablierten sich, ein Postbüro wurde eingerichtet, und nicht innerhalb von Tagen, sondern von Stunden war der Platz mit allem Nötigen eingerichtet und mit den Arbeitsplätzen so eingeteilt, als ob hier eine Kolonie schon ganz normal mehrere Monate oder sogar Jahre gehaust und gearbeitet hätte.

Der umsichtige Gouverneur Australiens, Sir Charles Fitz Roy hatte einige Anordnungen getroffen, die sich jetzt als sehr gut herausstellten – und das nicht nur zum Besten der Arbeiter, sondern für den Staat, der dadurch ein sicheres Einkommen erhielt. Polizisten wurden, als sich der Reichtum der Minen erst einmal erwiesen hatte, an die Hauptarbeitsplätze nach Macquaire River und Summerhill Creek gesandt, um von jedem Arbeiter eine monatliche Lizenzgebühr von dreißig Schilling zu erheben. Gleichzeitig wurden alle Trink- und Spielzelte in den Bergen streng verboten. Dabei war man der Gutwilligkeit der meisten australischen Arbeiter sicher, und die wenigen Aufmüpfigen konnte man mit einer verhältnismäßig kleinen Macht im Zaum halten, solange sie nüchtern blieben. Aber nicht die fünfzigfache Anzahl hätte ausgereicht, wenn das Volk mit Alkohol versorgt wäre. Es ließ sich natürlich nicht verhindern, daß hier oder da in einzelnen Zelten doch heimlich Schnaps ausgeschenkt oder auch gespielt wurde. Wer hätte das auch überwachen können? Das schafft ja noch nicht einmal unsere Polizei trotz geregelter Verhältnisse! Aber der eigentlichen Gefahr war damit die Schärfe genommen, und die einzelnen Übertretungen blieben ohne Folgen.

Am Anfang liefen die meisten Goldgräber einzeln herum, weil jeder hoffte, einen reichen Fund zu machen, den er dann mit keinem zu teilen brauchte. Bald stellten sich aber die Nachteile dieses Verfahrens heraus. Wenn die Leute drei oder vier Tage zwischen den Steinen herumgestochert und nichts gefunden hatten und dann auf die Erdarbeiten angewiesen waren, fanden sie rasch, daß sie da allein nur wenig ausrichten konnten. Von da an arbeiteten sie zu zweit oder sogar in ganzen Gruppen, die hier und da den Bergstrom dämmten und in seinem Bett den reichen Goldsegen zu finden hofften.

Eine buntgemischte Gesellschaft fand sich da oben. Im zivilisierten Land waren die verschiedenen Schichten ängstlich voneinander getrennt. Aber hier hatte das Gold alle Stände und Kluften überwunden und jeden Rangunterschied fast zerstört und aufgehoben. Hier grub der sonnengebräunte Arbeiter mit rauher Hand, der alte Konvikt, der ein Verbrechen und seine Strafen hinter sich hatte und der seit seiner Jugend schwere Mühen gewohnt war, nicht eifriger in dem harten Boden als neben ihm der zierliche Städter, der selbst jetzt noch seine Glacéhandschuhe in der Reisetasche trug. Er hatte das rauhe Gestein vorher ängstlich durch die Brille sorgfältig untersucht. Anwälte und Kaufleute standen neben Schäfern und Hutkeepern, der Matrose des einen Schiffes neben Kapitän und Steuermann eines anderen. Nur wer den reichsten Fund mache, wurde beneidet und war angesehen. Die anderen schlichen scheu und still umher, gleichgültig, welche Stellung sie im bürgerlichen Leben hatten.

Hier und da saß auch ein Goldwäscher vor seiner Pfanne und der Spitzhacke und hatte den Kopf mißmutig in die Hand gestützt. Er überlegte wohl mit grollendem Herzen, daß er viel Geld für seine Ausrüstung gebraucht hatte, jetzt aber schon vier oder fünf Tage ohne den geringsten Erfolg der ungewohnten Arbeit nachging. Doch neben ihm zogen zwanzig oder dreißig frische Herzen mit geduldigen Hoffnungen in die Berge, richteten ihr einfaches Lager her und gingen jubelnd an die Arbeit. Was kümmerte sie der einzelne Mann, der mürrisch und verzagt zwischen ihnen saß. Er hatte eben kein Glück, und was er nicht gefunden hatte, war vielleicht für sie aufgehoben.

Kaum waren die ersten von dem Entdecker genannten Stellen in Angriff genommen, zerstreuten sich bereits die Leute, die nicht nach den ersten zwei Tagen schon einen guten Erfolg hatten, bis über die benachbarten Taleinschnitte. Fast unmittelbar nach dem Summerhill Creek und dem Marquaire River wurden die Ophir-Diggins und der Turon in Angriff genommen und als sehr reich befunden. Sowie aber ein neuer Name genannt wurde, steuerten immer gleich ganze Züge frisch Eintreffender dorthin. Nicht nur mit Lasttieren und Karren zogen die Miner in das neue Eldorado, sondern man sah auch oft Paare, die ihre wenigen Habseligkeiten auf einer rohgezimmerten Trage schleppten und gleich den nächsten Weg über die Hügelrücken einschlugen. Oder sie kauerten sich in öden Felsspalten nieder, um hier allein den Boden zu sondieren und vielleicht im stillen selbst irgendwo eingestreute Schätze zu finden.

Das taten übrigens auch viele, um der lästigen Lizenzgebühr zu entgehen, gegen die sie sich nicht offen wehren konnten. Viele, ja, fast alle hätten den geringen Betrag ohne Mühe zahlen können. Aber es war eine Steuer, und es liegt den Menschen nun einmal im Blut, derartigen Auflagen auszuweichen, wo es möglich ist. Die Polizei war auch nicht übermäßig streng und hatte auch nicht genügend Leute, um den zahlreichen verstreuten Trupps folgen zu können. Nur wo sich eine kleine Niederlassung aus zehn oder zwölf Zelten bildete, da erschien auch der Beamte zwischen den überraschten Goldgräbern und erhob die Taxe. Nach Bezahlung erhielten sie einen Schein, der die Miner erst berechtigte, das etwa gewonnene Gold auch als ihr Eigentum zu betrachten.

An einem dieser Hänge wand sich ein Trupp zum gerade erst in Angriff genommenen Turon. Mit ihren brennendroten Hemden, den neuen Wasserstiefeln und Hüten waren sie als eben erst in Sydney ausgerüstete Gruppe erkennbar. Langsam folgte ihnen das etwas schwerfällige und hoch beladene Fuhrwerk. Die Leute schienen sich nicht nur für kurze Zeit hier einrichten zu wollen, wenn man sah, was sie alles aufgeladen hatten. Oder wollten sie vielleicht sogar einen Laden einrichten? Zwei der Begleiter sahen wirklich so aus, als ob sie zu der Beschäftigung besser passen würden als zu dem schweren Handwerkszeug, das sie mit heraufgebracht hatten. Die Wollhemden waren sehr zierlich gemacht und vorn mit gelber Seide verziert. Ihre Wasserstiefel waren aus feinstem und weichstem Kalbsleder. Ihre erhitzten Stirnen trockneten sie sich mit Batisttaschentüchern.

Viel besser paßte der dritte des kleinen Zuges in den Mineranzug. Sein wetterbraunes Gesicht drehte er forschend nach allen Seiten, während er hinter dem Wagen herschlenderte.

Er gehörte zweifellos zu den Australiern, die »keine Passage gezahlt hatten«, wie man sagte. Er schien ein erfahrungsreiches Leben hinter sich zu haben und jetzt die Welt an sich herankommen zu lassen.

Merkwürdig stach gegen ihn der vierte Wanderer ab. Er war gut einen Kopf kleiner als er und so dünn und schmächtig, daß er aussah, als wäre er versehentlich in die Wasserstiefel gefallen und würde jetzt vergebliche Sprünge machen, um wieder herauszukommen. Er hinkte dabei etwas, das hinderte ihn aber nicht, in seiner höchst ungewohnten Fußbekleidung ständig um den beladenen Wagen zu hüpfen. Dabei protestierte er in sehr mittelmäßigem Englisch einmal beim Ochsentreiber, dann bei seinem »Kameraden hinter dem Wagen« gegen die rauhe Behandlung der durcheinandergeschüttelten Ladung. Weder von dem einen noch von dem anderen bekam er eine Antwort. Nach fünf Tagen waren beide müde geworden, auf die unverständlichen Ermahnungen noch zu reagieren. Der Mann hinter dem Wagen war unser alter Bekannter aus dem Gefängnis, Smith. Wenn der kleine Zachäus vor den Stieren herumhüpfte, tauschte er manchmal mit dem Ochsentreiber seine Bemerkungen aus. Die beiden schienen überhaupt alte Bekannte von früher zu sein, wenn auch keiner von ihnen eine Silbe ihrer Vergangenheit erwähnte. Das war eben vorbei, und die neue Zeit nahm ihre Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch.

Im breiten Slang sagte der Ochsentreiber zu dem alten Schäfer:

»Was der hier wohl in Australien will? Und daß sie ihn noch nicht gerupft haben?«

»Er ist eben den richtigen noch nicht in die Hände geraten, Mate«, erwiderte sein Kamerad und sah den Begleiter mit einem so trocken-drolligen Blick von der Seite her an, daß der laut auflachte.

Gerade hier machte der Hang eine Biegung, die durch ein vorspringendes Felsstück verursacht wurde. Die Wagen mußten sich, so gut es ging, ihren Weg drum herum suchen. Aber auch dieser Felsen war nicht unbelebt. Oben drauf saß ein Mann in grauer Jacke und Hose, ließ die Beine herabhängen und hatte einen alten, stark mitgenommenen Filzhut halb ins Gesicht gezogen.

Der Mann mochte vielleicht Mitte Dreißig sein, aber der krause, schwarze Bart und der schattenspendende Hut darüber gaben seiner ganzen Gestalt etwas Finsteres, ja Drohendes. Er sah aus wie ein Panther, der da oben auf Vorbeigehende lauerte und ihnen bei günstiger Gelegenheit auf den Nacken springen wollte.

Sein Blick musterte auch scharf die Gruppe und haftete dann einen Moment auf dem alten Schäfer. Als der ihn aber flüchtig angesehen hatte, drehte er den Kopf halb von ihm weg, hob dann den Finger und rieb sich den rechten Nasenflügel.

Der Ochsentreiber mußte nach vorne springen, um seine Tiere in der richtigen Bahn zu halten. Jetzt kam er wieder zurück und sagte halblaut zu Smith:

»Kanntest du den?«

»Wen?«

»Den auf dem Stein.«

Der alte Schäfer schüttelte den Kopf. »Kennst du ihn?« sagte er nach einer Pause.

»Gott bewahre«, erwiderte der Treiber mit einem forschenden Blick auf seinen Begleiter. Damit war das Gespräch zwischen den beiden abgebrochen, denn jeder hatte zuviel mit seinen eigenen Gedanken zu tun. Es dauerte jetzt nicht mehr lange, und sie erreichten den letzten Hügelrücken. Von hier aus führte der Weg direkt zum Turon River hinunter. Schon konnten sie unten im Tal dem Lauf des gewundenen Flusses mit den Augen folgen und die dunklen Kasuarinen erkennen, die an seinem Ufer standen.

Das Geschirr wurde gehemmt, Zachäus war wieder außer sich vor Angst, daß seiner Maschine etwas passieren könnte, der Treiber stieß gotteslästerliche Flüche aus, um seine Tiere in Respekt und Gehorsam zu halten, und etwa zehn Minuten später hielt der Wagen unweit der Mündung des Oak Creek auf einer kleinen offenen Fläche. Man beschloß, hier für die Nacht zu lagern und die weiteren Schritte zu beraten.

Ein paar Stunden vergingen damit, die Zelte aufzubauen, ein Feuer anzuzünden und das Abendbrot zu bereiten. Dabei arbeiteten Smith und der Ochsentreiber eigentlich allein. Die anderen drei Miner waren im Buschleben so unpraktisch, daß sie nur störten. Zachäus kümmerte sich um seine Maschine, die mit ihren vielen feinen Schrauben und Rädern nach dem rauhen Weg tatsächlich so aussah, als könnte sie eine gründliche Reparatur vertragen. Da half kein Klagen und Jammern, sie mußte wieder ausgebessert werden. Wollte er etwas essen, mußte der Ochsentreiber Kochdienste verrichten. Inzwischen stieg Smith, die Hände in den Taschen, wieder langsam den Hang hinauf, von dem sie vor kurzem gekommen waren.

Auf dem Stein saß immer noch der Mann. Es war fast, als warte er auf jemand. Erst als er den Schäfer auf sich zukommen und kein anderes menschliches Wesen in der Nähe sah, stieg er von seinem erhöhten Sitz herab und blieb unten am Felsblock stehen, bis der andere herankam.

»Hallo, Jack, auch in den Minen?« sagte Smith.

Der Fremde lächelte eigenartig. »Das könnte ich dich wohl noch eher fragen, Mate. Als ich zuletzt in der Stadt war, hatten sie dich hinter einer Verzierung aus Eisenstäben und brachten dir dein Futter in einem Tonnapf.«

»Hm«, sagte Smith und schob die Hände noch tiefer in die Taschen. »Das ist besseren Leuten auch schon so gegangen.«

»Bitte um Entschuldigung, Mate, wenn dir die Erinnerung unangenehm ist«, lächelte der Fremde. »Aber wen bringst du da in die Minen?«

»Eine Ladung Grüner«, sagte Smith trocken.

»Festes Engagement?«

Der alte Schäfer warf dem anderen wieder einen seiner drolligen und verschmitzten Seitenblicke zu und sagte dann:

»Ganz fest, für dreißig Tage als Goldsucher gebunden.«

»Schade, ich hätte dich wahrscheinlich in diesen Tagen zu einem kleinen Spaziergang eingeladen.«

»Da müßtest du aber bald kommen«, meinte Smith trocken. »Sonst könntest du mich am Ende nicht zu Hause antreffen.«

»Ach so, na, dann ist es gut. Bleibt ihr jetzt hier?«

»Zunächst ja, kommt ganz auf dich an, wo bist du jetzt zu finden?«

»An der Fork.«

»Schön, good bye, Jack«, sagte der Schäfer, drehte sich um und ging wieder in das Tal hinunter.

Von Hafften war inzwischen mit seinem neuen Bekannten bis Bathurst marschiert. Dort kehrten sie gemeinsam in Mrs. Blacks Gasthaus ein, verloren sich aber hier aus den Augen, denn ein großer Menschenschwarm wogte durch die Räume und die ganze Stadt, und jeder wollte neue Goldgerüchte hören. Da benötigte man schon ein festeres Band, um zwei Personen in Verbindung zu halten, als nur eine flüchtige Bekanntschaft auf der Straße.

Hafften hörte hier von den erst entdeckten reichen Minen am Turon. Am selben Abend fand er eine Gelegenheit, sein Gepäck dorthin zu schicken. Deshalb nutzte er sie und wanderte mit neuen Begleitern neben dem Wagen her. Es war ohnehin nur Glückssache, welchen Ort man für seine Arbeit wählte. Und Hafften lag auch viel daran, das Leben und Treiben in diesen Minen kennenzulernen und nicht unbedingt selbst ausdauernd nach Gold zu graben.

Eine bunter gemischte Gesellschaft hätte er auch in Kalifornien kaum finden können. Engländer, Deutsche und Franzosen schwatzten und lachten wild durcheinander, und alle waren bester Laune. Und trotzdem war es völlig anders als in Kalifornien, wo viele aus dem spanischen Raum abstammten, aber nur der Amerikaner allein regierte.

Spanische Abkömmlinge hatten sich hierher noch wenig oder gar nicht verirrt. Aber hier würde man ihnen auch keine Hindernisse in den Weg legen, genauso wenig wie den Deutschen oder Franzosen. Wenn das Gespräch auf dieses Thema kam, herrschte eine bittere Stimmung gegen die Amerikaner. Die Vigilance committees, die Bürgerwehren, hatten gerade in Kalifornien ihre Tätigkeit aufgenommen und einigen von Australien herübergekommenen Engländern übel mitgespielt. Wo sich deshalb Amerikaner unter dem englischsprechenden Teil der Bevölkerung befanden, machten sie wegen ihrer Nationalität kein Aufhebens und vermieden alles, was darauf schließen ließ.

Am Turon nahm die Sorge für ein Nachtlager gleich alle in Anspruch. Vor allen Dingen mußten die verschiedenen Zelte aufgeschlagen und eine Feuerstelle eingerichtet werden. Holz gab es damals bei der ersten Besiedlung des Platzes noch genug, Proviant war reichlich vorhanden, und als sich die Sonne hinter die ziemlich hohen Hügelrücken senkte, lagen die Männer schon um ihre Feuer ausgestreckt lachend und plaudernd zusammen. Sie träumten und phantasierten von goldenen Schätzen, die vielleicht ihre Adern selbst unter ihrem Lager ausstreckten und nur auf Spitzhacke. und Schaufel warteten, um geduldig in der Pfanne ausgewaschen zu werden.

Ein reges Leben herrschte jetzt an dem sonst stillen, ja öden Bergstrom. Die dunklen Kasuarinen mochten staunen, als Schwarm nach Schwarm des gierigen Menschenvolkes in das Tal strömte und die klare Mut in flüssigen Lehm verwandelte. Die Schätze des Turon waren verraten, und immer neue Massen drängten herbei, um noch irgendwo am Ufer einen kleinen freien Platz zu finden, wo sie hacken konnten.

Wie das unten am Wasser an den Maschinen rasselte! Vor drei Tagen waren noch keine zehn Menschen am ganzen Wasserlauf gewesen, jetzt standen schon fünfzig Zelte, und kaum zehn Schritte auseinander wühlten sich die verschiedenen Gruppen und Partner in den Lehmboden.

Brillante Geschäfte machten die Verkaufszelte. Zwischen den Händlern befanden sich zahlreiche deutschstämmige Juden, die ihre Warenballen auspackten und zeigten. Dabei verkauften sie lustig gegen Goldstaub statt klingender Münze.

Auch hier zeigte sich ein gewaltiger Unterschied zu Kalifornien. Die Menschen schienen hier schlauer und gieriger zu sein als dort. In Kalifornien wurde nämlich das gesamte Gold im vollen Wert und Gewicht angenommen, ob es Quarzstücke enthielt oder nicht. Einige hübsche Stücke, die mit Quarz durchwachsen waren und »Specimens« genannt wurden, handelte man sogar noch höher als zum Gewichtspreis. Hier in Australien war das nicht der Fall. Die meisten Händler brachten sich einen kleinen Amboß mit in die Minen. Wo sie den nicht hatten, genügte auch ein großer Stein. Darauf wurde jedes Stück, das die kleinste Quarzspur zeigte, erbarmungslos geklopft und gehämmert, bis alles Unedle heraus war und damit auch eine Menge Goldsplitter mit weggespritzt waren. Erst dann legte es der Händler auf die Waage.

Zwischen all den arbeitenden Menschen ritt oft allein, oft von Polizeisoldaten begleitet, der Kommissär, der den Preis für die Lizenz einkassieren mußte. Langsam suchte er das ganze Flußufer ab, bald auf dieser, bald an jener Seite. Mann für Mann mußte seine dreißig Schilling bezahlen und bekam dafür von ihm einen meist nur sehr begrenzten Raum garantiert, auf dem er ungehindert arbeiten konnte. Offener Widerstand gegen ihn fand nirgendwo statt. Mr. Green, wie der Kommissär hieß, erfüllte seine Pflicht so taktvoll und, wo es erforderlich war, auch mit Energie, daß er sich immer freundlich mit den Minern stellte.

So wenig Leute er aber auch zu brauchen schien, so wurde doch allmählich die Polizeitruppe da oben verstärkt. Es war noch alles zu neu, und man konnte nicht wissen, wie eine Masse früherer Sträflinge, die hier zusammenströmte, sich verhalten würde. Dann brauchte man auch einige Polizeisoldaten, um die Gouvernementskasse und das Postzelt zu überwachen, ebenso die abgehenden Sendungen und auch den Postwagen nach Sydney zu begleiten. Der letzte Überfall war zu frech und erfolgreich ausgeführt worden. Die Versuchung wurde jetzt, wo viele Händler stets eine größere Summe von Waschgold zur Hauptstadt brachten, mit jedem Tage stärker.

Außerdem hatte aber auch die Regierung bekannt gegeben, daß sie für eine bestimmte Summe die Garantie für Goldsendungen nach Sydney übernähme. Eine solche Eskorte sollte demnächst zur Hauptstadt abgehen. Natürlich mußte sie gerade besonders stark bewacht werden, denn bei einem solchen Goldtransport wäre die Verlockung für viele doch etwas zu stark gewesen. Eine Anzahl Bewaffneter brauchte man aber nicht zu fürchten, wenn man ihr die Spitze bieten würde.

Dadurch war eine gewisse Sicherheit in die Minen gekommen, mochten sie so entfernt vom gewöhnlichen Verkehr liegen, wie sie wollten. Die zahlreichen lockeren Charaktere, die es genügend in den Minen gab, trauten sich noch nicht, ihren alten »Beruf« auszuüben. Vielleicht waren sie auch neugierig, wieviel Glück sie beim ehrlichen Goldwaschen haben würden, ein Versuch erschien immer lohnenswert. Tatsache ist, daß gerade in den ersten Wochen in dem großen Gebiet kein einziger Raubüberfall oder selbst nur ein Diebstahl der Polizei angezeigt wurde. Fast schien es, als wollten die australischen Konvikts den Yankees in Kalifornien beweisen, daß sie den Namen nicht verdienten, den die ihnen gaben und unter dem sich die Amerikaner auch die Freiheit genommen hatten, eine Anzahl Australier aufzuhängen.


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