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9. Die »English Bottom« Station

Fast vollkommen unberührt von dem wilden Treiben um sie her lag indessen Mr. Suttons Station. Die Wegschenke hatte sich rasch in einen kleinen Kram- und Proviantladen verwandelt, in dem die Wanderer alles, was sie auf dem Weg brauchten, bekommen konnten. Und die waren viel zu sehr in Eile, um einen Abstecher zu dem abseits liegenden Punkt zu machen.

Allerdings hatte Mr. Sutton auch mit der allgemeinen Not zu kämpfen, denn auch von seinen Leuten ging ein großer Teil in die Minen. Und das, obwohl sie hier vielleicht besser behandelt und ernährt wurden als auf vielen anderen Stationen des Landes. Aber die Leute konnten nun einmal der Versuchung, da oben in kurzer Zeit reich zu werden, nicht widerstehen. Mr. Sutton schien darauf schon gefaßt zu sein, schränkte sich weitgehend ein und verkaufte an Schlachtvieh, was er verkaufen konnte. So entfiel auch die Viehbewachung. Er wußte recht gut, daß genügend Leute zurückkommen würden, wenn der erste Rausch verflogen war. Dann würden die liegengebliebenen Arbeiten eben fortgesetzt werden.

Der Verwundete brauchte jetzt nur noch Ruhe, um in einigen Wochen wieder völlig hergestellt zu sein. Seine Mutter und seine Schwester wachten abwechselnd an seinem Lager, und die Familie selbst war oft stundenlang bei ihm drüben, um ihm die Zeit zu vertreiben.

Aber gerade die, die ihn bislang aufopfernd und freundlich gepflegt hatte, Gertrud, ließ sich nicht mehr bei ihm sehen, seit seine Mutter eingetroffen war und der Arzt jede Gefahr für beseitigt erklärte. Sie achtete natürlich darauf, daß ihm nichts fehlte, bereitete wie früher sein Essen, aber andere brachten es ihm. Es schien fast so, als würde sie seine Nähe ängstlich vermeiden.

Aber der Verletzte suchte sie ständig. Nie öffnete sich die Tür, ohne daß sein Blick rasch dorthin flog, immer in der Hoffnung, sie endlich wiederzusehen. Aber immer wieder wurde er enttäuscht.

Dann kam sein Vater, um Mutter und Tochter wieder abzuholen, denn er wollte nicht, daß sie der Familie Sutton zu lange zur Last fielen, auch wenn das Ehepaar gegen ihre Abreise protestierte. Über Charles' Befinden konnten sie ohne Sorge sein, auch wenn der Arzt noch keinen Transport zuließ. Er gab ihnen aber das feste Versprechen, daß er in spätestens acht bis zehn Tagen mit einem bequemen Wagen recht gut nach Sydney geschafft werden konnte. Damit mußten sie sich begnügen, und am anderen Morgen kehrten die Pitts nach dem Frühstück in die Hauptstadt zurück. Sie überließen ihren Sohn noch für eine Woche der Gastfreundlichkeit dieser guten Menschen.

Charles wurde als Rekonvaleszent angesehen und seine Betreuung einem jungen Mann überlassen, den Mr. Sutton als Waise aufgenommen hatte. Tagsüber hielt er sich meistens bei der Familie auf. Mrs. Sutton und auch Rebecca, die den jungen Pitt wegen seines freundlichen Wesens liebgewonnen hatten, suchten dann alles hervor, um ihm die Zeit so angenehm wie möglich zu vertreiben. Besonders Rebecca saß oft stundenlang bei ihm und las ihm vor. Er saß dann neben ihr in dem bequemen Polsterstuhl und schaute träumend auf die fernen Berge hinaus, in denen das gierige Menschenvolk nach Gold wühlte.

Gertrud hatte er schon öfter wiedergesehen, aber immer nur beim Essen, in Gegenwart der Familie. Selbst abends kam sie nie herüber, sondern blieb immer nur in ihrem eigenen Zimmer, wo sie auch mit den Wirtschaftsbüchern beschäftigt war.

So vergingen wieder fünf Tage, und die Familie Sutton hatte eine Einladung zur Hochzeit auf eine andere Station erhalten. Charles war inzwischen so weit hergestellt, daß Mrs. Sutton sogar den Vorschlag gemacht hatte, ihn mitzunehmen, denn sie mußten kaum eine halbe Stunde fahren. Mr. Sutton erlaubte das aber nicht, denn eine solche Anstrengung könnte üble Folgen haben. Da seine Rückkehr nach Sydney für die nächsten Tage festgesetzt war, durften sie nichts tun, was sie verzögern könnte. Mrs. Pitt hätte sich dann nur wieder geängstigt und gesorgt.

Um drei Uhr nachmittags fuhren sie fort, und Charles blieb allein im Wohnzimmer der Familie zurück.

Nachmittags um vier Uhr kam gewöhnlich der jetzt regelmäßig fahrende Postwagen von Sydney vorbei, und Henry, Charles' kleiner Wärter, ging dann jedesmal zur Wegschenke, um die Briefe für Englisch Bottom zu holen. Er hatte auch heute seine Zeit eingehalten und die Station etwa zehn Minuten verlassen, als die Tür aufging und Gertrud hereinkam, um einen Schlüssel zu holen. Sie schreckte zurück, als sie Charles allein sah. Aber jetzt konnte sie nicht mehr zurück, zog die Tür hinter sich zu und grüßte den jungen Mann freundlich. Dann ging sie zu dem Schlüsselbrett.

»Gertrud«, sagte Charles, der rot geworden war und dem die Bewegung des Mädchens nicht entgangen war, als sie eintrat. »Was habe ich Ihnen getan, daß Sie mich jetzt so ängstlich meiden, wo sie mich vorher so treu gepflegt haben? Sie haben jetzt kaum mal einen Blick oder einen Gruß für mich übrig. Habe ich Sie durch etwas gekränkt? Guter Gott, es ist nicht absichtlich geschehen. Ich bin wohl keinem mehr zu Dank verpflichtet als gerade Ihnen. Und trotzdem haben Sie mir noch nicht einmal Gelegenheit gegeben, ihn auch nur auszusprechen.«

»Sie haben mich durch nichts gekränkt, Mr. Pitt«, lautete die leise, fast scheue Antwort des Mädchens. »Aber da ich Ihre Pflege jetzt in besseren Händen wußte...«

»In besseren Händen, Gertrud?«

»So konnte ich Sie denen in Ruhe überlassen. Sie... wissen außerdem, daß ich in diesem Haus nur angestellt bin.«

»Weichen Sie mir nicht aus, Gertrud«, sagte Charles, indem er aufstand, auf sie zuging und ihre Hand griff, die sie aber zurückzog. »Es hat sich etwas zwischen uns gestellt, und ich habe die ganze Zeit das bedrückende Gefühl mit herumgetragen, daß ich Ihnen irgendwie weh getan habe. Sie glauben nicht, wie schmerzlich das für mich war.«

»Durch nichts, Mr. Pitt, durch nichts«, sagte das Mädchen ängstlich. Charles entging es nicht, daß sie das Gespräch abkürzen wollte. »Ich versichere Ihnen, daß ich Ihnen nicht aus dem Weg gegangen bin. Nur meine Stellung brachte es mit sich, daß wir uns nicht so oft begegnet sind wie früher. Es wäre auch nicht richtig von mir gewesen, wenn ich Ihnen irgendeinen Groll nachtragen würde, denn Sie... haben mich stets... freundlich behandelt.«

»Dann lassen Sie uns aber auch Freunde sein, Gertrud, und weichen Sie mir nicht länger so sorgfältig aus«, sagte Charles herzlich und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie dadurch meine Genesung eher aufgehalten als gefördert haben. In vielen langen Stunden hatte ich den Wunsch gehabt, Ihnen einmal direkt zu sagen, wie sehr ich Ihnen dankbar bin für die Sorgfalt, die Sie einem kranken Fremden gegenüber gezeigt haben. Gern würde ich Ihnen das beweisen, wenn Sie... mir nur Gelegenheit dazu gäben.«

Gertrud hatte ihm nur widerstrebend die Hand gegeben und wurde dabei um einen Schatten blasser. Sie sah ihn nicht an, und als sie die Hand langsam zurückzog, sagte sie:

»Ich danke Ihnen für die freundlichen Worte. Glauben Sie mir, daß ich alles, was ich für Sie tun konnte, gern getan habe. Es verdient kaum eine weitere Erwähnung. Und jetzt erlauben Sie bitte, daß ich wieder meiner Arbeit nachgehe. Ich muß etwas für den Stockkeeper herausgeben.«

»Nicht so, Gertrud«, drängte Charles. Er trat ihr bittend in den Weg, als sie das Zimmer wieder verlassen wollte. »Gehen Sie nicht so von mir. Wir sind in diesem Augenblick allein, und wer weiß, wann sich je wieder eine solche Gelegenheit bietet, Ihnen das zu sagen, was ich Ihnen sagen muß.«

»Mr. Pitt.«

»Ich liebe Sie, Gertrud – seit ich Sie bei Ihrer stillen Arbeit beobachten konnte, seit ich Ihr freundliches Wesen kennengelernt habe, seit ich das Glück hatte, von Ihrer Hand gepflegt zu werden. Ich habe die Kugel gesegnet, die mich getroffen hat, nur um in Ihrer Nähe wieder zu erwachen. Stoßen Sie mich nicht zurück, ich meine es ehrlich, jedes Wort ist so gemeint, wie Sie es hören. Werden Sie meine Frau, geben Sie mir die Möglichkeit, Ihnen alles in vielen Jahren zu vergelten, was Sie für mich getan haben, und Sie sollen es nie bereuen.«

Gertrud war einen Schritt zurückgetreten, und sie fühlte, wie sie rot wurde. Als er die letzten Worte sprach, verdeckte sie wie krampfhaft die Augen mit ihrer Hand und wurde leichenblaß.

»Ich habe Sie überrumpelt, Gertrud«, sagte Charles leise und bewegt. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber glauben Sie mir, ich habe alles reiflich überlegt. Ich bleibe nur noch kurze Zeit in Australien. Meine Abreise nach Neuseeland wäre schon erfolgt, wenn die Entdeckung des Goldes, die entlaufenen Schiffsmannschaften und meine Verwundung nicht alles verzögert hätte. In dem wilden Land brauche ich eine treue Frau. Sie wissen ja selbst, wie schwer es hier in Australien ist, jemand zu finden, der zu einem paßt. Da fand ich Sie, Gertrud, und in mir stieg ein Gefühl neben der Sehnsucht nach Ihnen auf, das mir sagte, daß Sie sich hier nicht glücklich fühlen können, auch wenn Sie bei lieben Menschen sind. Ich kann mich geirrt haben...«, setzte er beruhigend hinzu, als er sah, daß Gertrud eine heftige, abwehrende Bewegung machte. »Aber in meinem Gefühl zu Ihnen irre ich mich nicht. Wollen Sie meine Frau werden?«

»Nein«, sagte Gertrud leise. Als sie die Hand von ihrem Gesicht nahm, glich es einem schönen Marmorbild, so starr und steinern sah es aus. »Ich kann... ich darf nicht.«

»Gertrud!« rief Charles mit bitterem Ton.

»Glauben Sie nicht, Mr. Pitt«, setzte das junge Mädchen rascher und fast ängstlich hinzu, »daß ich Ihre Liebe nicht achte, daß ich nicht selbst fühle, wie ehrlich Sie es meinen. Dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar, aber – fragen Sie bitte nicht weiter, machen Sie mich nicht dadurch noch unglücklicher, als ich es schon bin. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß es nicht sein kann. Gott schütze Sie auf allen Wegen, und der Gedanke an mich soll Ihnen nie eine trübe Stunde bereiten. Leben Sie wohl.« Damit ging sie an seiner Seite vorbei und verließ rasch das Zimmer.

Charles hielt sie nicht mehr zurück. Ein eisiges Gefühl erfaßte sein Herz. Die kaum geheilte Wunde schmerzte wieder, er sank blaß und erschöpft in den Lehnstuhl zurück, in dem er liegenblieb, bis Henry von der Wegschenke mit den Briefen und Zeitungen zurückkehrte.

Draußen im Hof ging es inzwischen sehr lebendig zu. Ein kleiner Trupp Goldwäscher, die einen näheren Weg in die Berge einschlagen wollten, war vom Weg abgekommen. Sie hatten sich so verirrt, daß sie kaum die Hauptstraße wiederfanden. Glücklicherweise trafen sie einen von Mr. Suttons Schäfern in den Bergen, der ihnen wenigstens die Richtung angab. Erschöpft und halb verhungert und vor Durst fast verschmachtet erreichten sie endlich die Station. Sie wurden an die Wirtschafterin verwiesen, um von ihr etwas zu essen zu erbitten. Sie konnten im wahrsten Sinne des Wortes keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Es waren vier Deutsche und der Führer der kleinen Schar, dem sich die anderen angeschlossen hatten, weil er zu Hause schon Bergbau betrieben hatte und deshalb hier natürlich auch gleich die reichsten goldhaltigen Stellen finden mußte. Er war eine besonders auffällige Persönlichkeit.

Seine Gestalt war klein, aber sehr korpulent. Er trug einen dünnen rötlichen Bart in seinem sehr dicken gutmütigen Gesicht. Mit seinen großen hellbraunen Augen bot der Bergmann Malchus allen Schicksalen seines Lebens eine so ruhige Stirn und setzte ihnen einen so fabelhaftes Phlegma entgegen, daß jeder in dieser grenzenlosen Ruhe einen eisernen Charakter vermutete. Dabei war Malchus gerade das Gegenteil davon. Er wollte nur aus Bequemlichkeit nicht gestört werden. Der heutige Marsch, der ihn zum erstenmal in seinem Leben mitten in das wilde, trostlose Treiben der Berge, in Mühen und Gefahren hineinriß, hatte ihn so gebrochen und zerknirscht, daß er sich mitten im Hof auf einen Baumstumpf in die Sonne setzte und keuchend und stöhnend den Schweiß an sich heruntertropfen ließ.

Einer der anderen, ein junger Fotograf aus Sydney, hatte gerade Gertrud angesprochen, die aus dem Haus kam. Er schilderte ihr mit wenigen Worten, wie sie hergekommen waren, und Gertrud ging zurück, um ihnen Erfrischungen zu holen. Trotz der Goldfunde war noch kein Wanderer von Mr. Suttons Station abgewiesen worden.

Als die Deutschen noch im Hof lagerten und sich mit Ausnahme von Malchus schattige Plätze zum Ausruhen suchten, traf ein anderer Trupp auf dem Hof ein. Eine so merkwürdig aussehende Gruppe konnte man aber auch nur in Australien antreffen.

Sie bestand aus einer Gruppe der herumziehenden Eingeborenen. Ihre früheren Wohngebiete waren von Weißen besiedelt worden, die sie vertrieben hatten. Jetzt zogen sie unstet herum. Die Bäume, die ihnen früher Harz geliefert hatten, waren gefällt. Das Wild, das sie für ihren Lebensunterhalt erbeuteten, war erlegt oder vertrieben, und den Nachbarstämmen durften sie nicht zu nahe kommen. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich ihren Unterhalt von den weißen Eindringlingen zu erbetteln. Wie sie sich früher vielleicht auf der Jagd oder bei ihren wilden Kriegszügen ausgezeichnet hatten, so entwickelten sie jetzt ein besonderes Talent für ihre neue Beschäftigung. Zäher im Betteln als diese einfachen Naturkinder konnte man sich niemand auf der Welt denken. Dabei stahlen sie auch, wo sich ihnen eine günstige Gelegenheit bot. Mal war es ein Schaf aus einer Herde mitten im Busch, mal ein Brot aus einer Rindenhütte, ein Huhn oder selbst ein Kalb von einer Station. Es mußte nur genießbar sein, anderes konnten sie nicht gebrauchen. Es war der Hunger, mit dem sie lebenslang einen erbitterten Kampf führen mußten.

Auffallend war ein Teil dieser kleinen Gruppe ausstaffiert. Oder hatte sie ein Ansiedler aus Spaß derart geschmückt? Denn kein wilder Volksstamm der Welt haßt jedes Kleidungsstück mehr als der Australier. Die Weißen erließen schließlich sogar Gesetze für die Stämme, die ihnen verboten, die Städte zu betreten, wenn sie nicht zumindest ein Hemd bis zum halben Schenkel trugen. Sonderbarerweise sträubten sich gerade die Frauen am längsten gegen den ungewohnten Zwang.

Hier im Landesinneren, wo sie draußen im Busch in ihren Gunyos kampierten, erkannten sie kein Gesetz an. Sieben von dem Schwarm, Männer, Frauen und Mädchen, kamen in der Tracht des Urwaldes in den Hof. Die Männer waren nur mit ihren Waffen, einer kurzen, leichten Keule und dem Bumerang geschmückt, die Frauen trugen ein kleines Netz über der Schulter, um eventuell Lebensmittel zu transportieren, sonst waren alle vollkommen nackt.

Nur zwei von ihnen, ein junger Bursche und eine ältere Frau waren mit europäischer Kleidung geschmückt. Der lange junge Mann trug alte schwarze Hosen und einen Frack in vorsintflutlichem Schnitt. Damit hatte er wohl schon seit langer Zeit in Regen und Sonnenschein im Busch gelegen, ohne daß eine Bürste an die Kleidung gekommen war. Natürlich ging er barfuß. Um den Nacken hatte er ein früher einmal hellblaues Seidentuch geschlagen und auf dem Kopf einen richtigen, wenn auch entsetzlich mitgenommenen Zylinder. Als er den Hof betrat, schwenkte er ihn elegant in alle Richtungen.

Die Frau, ein abschreckend häßliches Weib, hatte ihren dürren Körper in ein geblümtes Wollkleid gehüllt. Es hatte wohl auch einmal bessere Zeiten erlebt und unterstrich nur das Groteske der Erscheinung. Auf dem Kopf trug sie einen alten Seidenhut, mit einer Unmasse schmutziger, künstlicher Blumen, dazu eine rote Wollschärpe als Gürtel. Auch sie ging barfuß und trug wie die anderen Frauen ein altes Bastnetz mit einem Stück Harz und einem Rest halbgerösteter Hammelrippen.

Die nackten Eingeborenen wirkten neben ihr richtig elegant, weil sie sich natürlich bewegten und sie ihre Blöße nicht fühlten. Nur zu Anfang zeigten sie sich etwas schüchtern, weil sie nicht wußten, wie sie empfangen würden.

Der Stockkeeper kam gerade über den Hof und begrüßte sie auch mit kräftigen Flüchen. Er wußte ganz gut, wie sie ihm draußen im Busch alles stehlen würden, was sie in die Finger bekamen. Gertrud hatte sich aber stets freundlich gegen die Eingeborenen gezeigt. Sie winkte die jungen Mädchen heran und zeigte ihnen die Küche, wo sie zu essen bekommen sollten. Die Bewohner der Stationen waren zu sehr an die Erscheinung dieser Menschen gewöhnt, um an ihnen Anstoß zu nehmen.

Die Eingeborenen wurden von sieben oder acht Hundegerippen begleitet, die scheu neben ihren Herren standen. Zwei große langhaarige Kängeruhhunde, die auf dem Hof in der Sonne lagen, standen auf und umstreiften mit gesträubten Haaren und hochgehobenen Schwänzen die ruppige Schar. Genauso unsicher fühlten sich wahrscheinlich auch die Eingeborenen selbst mit ihren nackten Beinen in dieser Nachbarschaft. Sie griffen ihre »Waddies« fester, um sich im Notfall verteidigen zu können. Aber die Stimme des Stockkeepers hielt die Hunde zurück. Vielleicht waren sie auch zu stolz, über solche Köter herzufallen, und leisteten dem Ruf langsam Folge. Jetzt legten sie sich vor das Herrenhaus, als ob sie den fremden Eindringlingen dort den Zutritt verweigern wollten.

Aber es befanden sich noch ein paar Eingeborene auf dem Hof, die bis jetzt von niemand beachtet wurden. Sie standen in einer Ecke und kamen jetzt langsam hervor, um den neuen Besuch zu betrachten. Es waren zwei Emus oder australische Kasuare, die schon seit mehreren Jahren zahm auf der Station lebten und oft auch kleine Streifzüge in die Nachbarschaft unternahmen, aber immer wieder zurückkamen. Sie nahmen von den schwarzen Männern und Frauen nicht die geringste Notiz und schienen es nur auf die fremden Hunde abgesehen zu haben, nach denen sie mit ihren langen, harten Schnäbeln hackten. Sie trieben die unglücklichen Kreaturen winselnd und knurrend noch dichter zwischen die Füße ihrer Herren.

Malchus, der der ganzen Gruppe den Rücken zudrehte, hatte wohl den Lärm der Neuankömmlinge gehört, war aber zu müde und zu gleichgültig gewesen, auch nur den Kopf nach ihnen umzudrehen. Er saß noch immer auf seinem Baumstumpf und wedelte sich mit seinem schon ganz durchnäßten Taschentuch Luft zu.

Für die Eingeborenen war niemand unwichtig, denn unter Umständen erhielten sie von jedem ein Stück Brot oder sogar Geld. Da Malchus hier gerade den Mittelpunkt der ganzen Szene einnahm, konnte es auch sein, daß sie ihn für eine besondere Persönlichkeit hielten. Wahrscheinlich hielten sie die beiden Bekleideten für die beste Abordnung, um mit den Weißen zu verhandeln. Sie sprachen auch etwas Englisch und kamen deshalb direkt auf Malchus zu. Sie überraschten den kleinen Mann, der noch keine acht Tage in Australien war und in Sydney noch keinen Wilden gesehen hatte, sehr.

Von beiden Seiten traten sie auf ihn zu. Der junge Mann nahm seinen Hut ab, schwenkte ihn bis auf den Boden und machte eine ehrfurchtsvolle Verbeugung. Dabei berührte er mit seinem fettglänzenden Haar fast das Gesicht des kleinen Deutschen. Die alte Frau knickste ständig und hielt dabei die Hand ausgestreckt. Sie rief dazu:

»Ein klein wenig weiß Geld, Sir – ein klein wenig weiß Geld.«

»Gott straf mich!« sagte Malchus und ließ sein Taschentuch auf den Schoß sinken. Dabei riß er die Augenbrauen hoch hinauf. »Wo kommt ihr schwarzen Deuwels denn auf einmal her?«

»Ein klein wenig weiß Geld, Sir, ein klein wenig weiß Geld«, drängte die Frau und hielt ihm die ausgestreckte Hand mit den spitzen, dürren Fingern immer näher. Er verstand kein Wort Englisch, aber deutete die Bewegung der Hand doch richtig. Als er aber in die Tasche griff, hörte er ein Geräusch hinter sich. Als er den Kopf umdrehte, sah er sich plötzlich von einer ganzen Gruppe dicht eingeschlossen.

»Donnerwetter«, schrie er jetzt wirklich erschrocken auffahrend. »Ist denn die Hölle los?« Dabei trat er der Frau mit seinen schweren Schuhen auf den Fuß. Sie kreischte laut auf und sprang zurück, die Hunde fingen an zu bellen, die beiden Kängeruhhunde kamen wieder knurrend angesprungen, und für einen Moment herrschte völlige Verwirrung auf dem Hof. Sie wurde aber von dem Stockkeeper mit seiner langen Peitsche sofort gelegt. Schon die Bewegung der Peitsche scheuchte die Känguruhhunde wieder auf ihren alten Platz zurück und die räudigen Kläffer der Eingeborenen zwischen ihre Füße. Dann befahl er ihnen, in einer Ecke des Hofes zu warten, bis sie ihre Geschenke bekommen würden, und befreite damit Malchus von der unangenehm werdenden Gesellschaft.

Inzwischen hatte Gertrud den Mädchen Brot, Fleisch und etwas Salz gegeben, um es unter den anderen zu verteilen. Damit zogen die Eingeborenen weiter – der im Frack mit tiefen Verbeugungen, die Frau im Kleid mit tiefen Knicksen.

Auch für die Deutschen war eine Mahlzeit zubereitet worden. Sie wurden in die Wohnung des Stockkeepers eingeladen, wo sie sich setzen und in Ruhe essen konnten. Das kleine Haus war ebenerdig wie die meisten Häuser dieser Art. Als Malchus sein Essen bekam, setzte er sich mit seinem Teller dicht an das offene Fenster an einen kleinen Tisch. Neben jedem stand ein Blechnapf mit heißem Tee, der besten Labsal, die man nach großen Anstrengungen genießen kann. Die Hammelrippen mit dem harten Brot, das Damper genannt wurde, dufteten verlockend genug nach dem langen Fasten.

Trotzdem stellte sich Malchus hier ein Hindernis entgegen. Im selben Moment, wo er Messer und Gabel ansetzte, sah er plötzlich einen Kopf mit zwei großen, glänzenden Augen an einem Schlangenhals. Ehe er sich besinnen konnte, hatte der Kopf mit einem riesigen Schnabel das Fleisch von seinem Teller gepackt und war damit verschwunden.

Mit einer Geschwindigkeit, die der kleine Mann noch nie in seinem Leben entwickelt hatte, fuhr er auf, über den Tisch hinüber und mit dem Kopf aus dem Fenster – aber zu spät. Er sah nur noch, wie der eine Emu mit Riesenschritten über den Hof lief und im Laufen sein Mittagessen hinunterwürgte. Der Stockkeeper stand in der Tür und war Zeuge der Szene gewesen. Er schrie laut auf vor Lachen. Dem armen hungrigen Teufel kam die Sache aber gar nicht so komisch vor, und er beruhigte sich erst wieder, als ihm der gutmütige Engländer eine neue Portion bestellte. Damit setzte er sich vom Fenster weg mitten in das Zimmer. Er hatte Australien schon herzlich satt bekommen.

Gertrud hatte alle Arbeiten erledigt und sich in ihr eigenes kleines Zimmer zurückgezogen. Still setzte sie sich auf einen der Rohrstühle und sah vor sich nieder. Sie regte sich dabei nicht, kein Zucken ihres Gesichtes oder nur einer Wimper verriet, was in ihr vorging und arbeitete. Aber aus den weitgeöffneten Augen flossen die großen hellen Tränen und liefen ihr die Wangen herunter.

So saß sie wohl eine ganze Stunde lang, die Zeit flog vorüber und wilde, verworrene Bilder verschwammen vor ihrem Auge.

Da wurde leise an ihre Tür geklopft, und der schwache Ton rief sie wieder in die Wirklichkeit zurück.

Sie schrak empor und horchte. Noch einmal klopfte es. »Herein!« Die Tür öffnete sich langsam, und Gertrud hielt den Atem an. Charles Pitt stand auf der Schwelle, und er sah sie mit traurigem Blick an.

»Mr. Pitt!« flüsterte sie bestürzt und sprang von ihrem Sitz auf. Der junge Mann trat ruhig in das Zimmer, drückte die Tür hinter sich ins Schloß und sagte dann freundlich:

»Seien Sie mir nicht böse, Gertrud, daß ich Sie nach unserem Gespräch noch einmal aufsuche. Ehen aber bekomme ich Post von zu Haus und erfahre, daß morgen der Wagen hier eintreffen wird, der mich abholen soll. Keine Sorge, ich will Sie nicht erneut bestürmen. Nicht deshalb habe ich Sie gestört. Aber als Sie vorhin gingen, hatte ich den Eindruck, daß eine schwere Last auf Ihrer Seele liegt, vielleicht so schwer wie die, die Sie bei mir zurückgelassen haben. Da hielt ich es drüben nicht länger aus. Morgen werde ich Sie wohl kaum noch allein sprechen können, deshalb mußte ich Ihnen noch heute meine Hilfe anbieten, wenn Sie nicht auch...« Seine Stimme wurde leiser. »Wenn Sie nicht auch meine Freundschaft ausschlagen wollen wie meine Liebe.«

»Mr. Pitt«, sagte Gertrud, und ihre Stimme zitterte vor innerer Bewegung. Ihre ganze Gestalt bebte. Alles, was ihr starker und vielleicht starrer Charakter bis jetzt unerschüttert ertragen hatte, schmolz bei dem freundlichen Klang seiner Stimme.

»Kann ich Ihnen denn gar nicht helfen, Gertrud? Gibt es nichts, bei dem Sie wenigsten den Rat eines Freundes gebrauchen können?« fuhr Charles fort. »Aber ich will Sie nicht drängen«, sagte er traurig hinzu. »Vertrauen läßt sich nicht erzwingen, und ich kann es nicht erzwingen, wo es nicht von allein entsteht. Aber hier, Gertrud, nehmen Sie meine Karte und Adresse. Sollte jemals der Fall eintreten, daß Sie einen Freund benötigen, dann wenden Sie sich an mich. Sie können sicher sein, daß es niemand auf der Welt ehrlicher mit Ihnen meint.«

Gertrud focht einen inneren Kampf aus, als sie ihm zuhörte. Jetzt hielt sie sich nicht länger, und in fast fieberhafter Aufregung sagte sie:

»Haben Sie herzlichen Dank für die guten und lieben Worte, die Sie mir gesagt haben. Sie wissen gar nicht, Sie können es nicht ahnen, wie wohl sie mir tun.«

»Sie sind nicht glücklich, Gertrud«, sagte Charles bewegt.

»Glücklich? Nein, dafür ist Gott mein Zeuge«, lautete die bittere Antwort des Mädchens. Sie drehte wieder den Kopf zur Seite und sah ins Leere.

»Und weshalb weisen Sie dann meine Hilfe zurück? Haben Sie allen Lebensmut verloren, daß Sie sich unter Ihrem Schmerz nur beugen und ihm nicht die Stirn bieten wollen?«

Gertruds Hand ballte sich fast unwillkürlich, und fragend sah sie ihn an.

»Ist es Ihnen nicht möglich«, fuhr Charles fort, dem ihre Bewegung nicht entgangen war, »jeden Gedanken an die Vergangenheit abzuschütteln und in einem neuen, fremden Land ein neues Leben zu beginnen? Sie sind noch so jung, Gertrud, soll der Schmerz einer einzigen Enttäuschung Ihre ganze Zukunft verbittern? Könnten Sie das in späteren Jahren vor sich selbst verantworten?«

»Mr. Pitt!«

»Ich bin kein großer Redner, Gertrud, und wenn ich bei Ihnen keinen Widerhall finde, dann muß ich gleich von vornherein den Versuch aufgeben, Sie für mich zu gewinnen. Ich will auch den jetzigen Moment der Überraschung nicht ausnutzen. Aber in acht oder zehn Tagen, wenn ich mich vollkommen wieder erholt habe, komme ich noch einmal hierher. Bis dahin überlegen Sie sich meinen Antrag gründlich. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich Sie von Herzen liebe, und würde unglücklich in die Ferne ziehen, wenn ich allein... wenn ich ohne Sie gehen müßte. Bis dahin leben Sie wohl, Gertrud, ich habe bis dahin nur einen Gedanken – Sie.«

Noch einmal ergriff er ihre Hand, die er herzlich drückte. Ohne ihr Zeit für eine Antwort zu lassen, verließ er rasch das Zimmer.


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