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6. Die Familie Sutton

Wir müssen noch einmal zu dem Abend zurückkehren, an dem die Royal Mail unweit vom Gipfel des Razorhacks in den blauen Bergen überfallen und ausgeplündert wurde.

Wie sich der Leser erinnert, war der von den Bushrangern verwundete Passagier durch vier Leute von der Wegschenke auf die nicht weit entfernte Station eines englischen Gentleman, eines Mr. Sutton, gebracht worden. Dort wurde er herzlich und liebevoll behandelt. Mr. Sutton war schon ein älterer Herr, der erst spät geheiratet und zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte. In dem dafür gut geeigneten Tal konnte er ständig mehr Land urbar machen und seine Station vergrößern. Jetzt betrieb er neben seinen zahlreichen Schafherden und einer einträglichen Pferdezucht auch viel Landwirtschaft. Zu seiner Unterstützung hatte er gut zwanzig Leute auf seiner Station beschäftigt.

Seine etwas kränkliche Frau konnte den Haushalt nicht allein bewältigen. Seine Tochter Rebecca war erst achtzehn Jahre alt, und deshalb hatte er zur Unterstützung seiner Frau eine Wirtschafterin eingestellt. Sie war trotz ihrer Jugend für diese Aufgabe hervorragend geeignet.

Miß Gertrud, wie die Wirtschafterin genannt wurde, mochte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein. Sie war sehr jung durch die Vermittlung der Mrs. Chisholm nach Australien gekommen, die damals die Vermittlung von Dienstboten nach Australien kräftig unterstützte. Nach ihrer Erzählung hatte sie eine gute Anstellung in Adelaide gefunden, wo sie mehrere Jahre als Gouvernante in einer Familie lebte. Aber dann starb die Frau, und sie kehrte zu Freunden nach Sydney zurück, als Mr. Sutton jemand für seine Familie suchte.

Alles andere interessierte hier niemand, denn man ist in Australien vorsichtig, nicht zu sehr nach den früheren Lebensverhältnissen zu fragen. Man befürchtet nämlich, selbst in den angesehensten Familien oft sehr unangenehme Rückerinnerungen zu wecken. Man nimmt die Leute eben, wie sie sind. Wenn sie jetzt ihre Pflicht tun und ihren Platz ausfüllen, fragt selten jemand danach, was früher war. In Australien wollte eben niemand gern an die Vergangenheit der Sträflinge erinnert werden.

Gertrud war übrigens eine hübsche Erscheinung. Ihr Gesicht wirkte echt englisch, die Nase etwas stumpf, aber sie hatte wundervolles, kastanienbraunes Haar, nußfarbene Augen und eine schlanke Gestalt. Nur um den Mund lag ein ernster, fast strenger Zug, der aber oft durch ein liebes Lächeln gemildert oder sogar völlig verwischt wurde. Sie trat fest und entschieden auf, gegenüber dem Ehepaar Sutton sehr taktvoll. Aber vielleicht verscheuchte sie damit auch jede Vertraulichkeit. Es war fast so, als wollte sie in der Familie nur als Angestellte behandelt werden und sich nur so wohl fühlte.

Rebecca war dagegen fast zu zart für den wilden Busch. Sie schien sowohl äußerlich wie auch vom ganzen Wesen her das genaue Gegenteil von Gertrud zu sein. Genauso schön wie sie, verliehen ihr schon das blonde Haar und die verträumten, blauen Augen etwas Weiches. Als an diesem Abend der Schwerverwundete in das Haus gebracht wurde, übernahm Gertrud auch gleich seine Pflege. Sie richtete das Zimmer für ihn her, sah nach seinem Verband und stillte, so gut es ging, die Blutung, bis der Arzt die Wunde richtig behandeln konnte. Alles ging so still und selbstbewußt vor sich, daß die übrigen Hausbewohner den neuen Gast kaum wahrnahmen oder sich durch ihn belästigt fühlen konnten.

Durch den Eifer des alten Mitpassagiers angetrieben, kam der Arzt noch in derselben Nacht zur Station »English Bottom«. Als er die Wunde untersucht hatte, schüttelt er bedenklich den Kopf. Die Kugel hatte eine sehr gefährliche Bahn genommen. Es ließ sich keineswegs mit Sicherheit voraussagen, ob der Patient den Schuß überleben würde. Jetzt atmete er noch, aber jeder Atemzug konnte sein letzter sein. Nachdem die Wunde versorgt war, mußte alles andere seiner gesunden Natur und der aufopfernden Pflege überlassen bleiben.

Mr. Sutton hatte inzwischen versucht, einen Ausweis bei dem Kranken zu finden, um seinen Namen und seine Anschrift zu erfahren. Aber sein Taschenbuch hatten die Bushranger behalten, Briefe trug er auch nicht bei sich, und auch seine Wäsche trug keine Namensschilder, denn in den Kolonien kaufte man alles, was man brauchte, fertig in den Läden. Wie sollte man also seine Angehörigen finden, noch dazu, wo in ganz New South Wales in den nächsten Tagen keiner mehr einen anderen Gedanken hatte als Gold und alle anderen Verbindungen abgebrochen schienen.

So mußte man also abwarten, bis der Verletzte selbst kräftig genug war, um über sich Auskunft geben zu können. Sollte er aber an der Wunde sterben, würde er zu den Tausenden gehören, die in fremden Weltteilen unbeachtet und ungekannt sterben und spurlos von der Erde verschwinden. Wie viele einsame Gräber liegen im stillen Wald, und nur ein Steinkranz oder ein Kreuz, im nächsten Baum mit der Axt eingeschlagen, zeigen die Stelle an.

Aber der junge Fremde starb nicht. Sieben Tage lag er regungslos auf seinem Bett. Er war nur hin und wieder in der Lage, ein paar Löffel stärkender Suppe zu schlucken, die ihm Gertrud einflößte. Erst am achten Tag schlug er seine Augen auf und sah seine Wärterin über sich gebeugt. Dann schloß er sie wieder und gab durch kein Zeichen zu erkennen, ob er die Frage an ihn verstanden habe.

Erst jetzt machte der Arzt, der schon einigemal wieder herübergekommen war, Mr. Sutton Hoffnung, daß er seinen Patienten durchbringen könne. In der gleichen Nacht klopfte der Wärter, der ständig bei ihm bleiben mußte, an Gertruds Tür und meldete ihr, daß der Verwundete zur Besinnung gekommen war. Gertrud zog sich schnell an und ging zu ihm hinüber. Es war drei Uhr morgens, und sie wollte Mr. Sutton nicht wecken. Als sie den Patienten fragte, ob er sich etwas wünsche, streckte er ihr lächelnd die blasse, abgemagerte Hand entgegen, sprach aber kein Wort.

Sie nahm die Hand und legte sie auf die Decke zurück. Er nickte ihr dankbar zu und schlief dann wieder ruhig ein bis zum nächsten Morgen.

Damit schien er aber die schlimmste Krise überstanden zu haben. Schon mit Tagesanbruch wachte er wieder auf und blickte sich suchend im leeren Zimmer um. Der Wärter war auf dem Stuhl neben seinem Bett eingeschlafen, und der Verwundete konnte ihn nicht wecken.

Da ging die Tür auf, und als Gertrud das Zimmer betrat, sah sie der Leidende mit großen, eingefallenen Augen an und sagte leise:

»Oha, das ist gut – das ist gut.«

»Gott sei Dank, daß Sie wiederhergestellt sind!« rief Gertrud und eilte fröhlich zu ihm. »Jetzt wird alles bald besser werden. Aber Sie müssen sich noch sehr schonen und kein Wort weiter reden, bis es Ihnen der Arzt erlaubt!«

Wieder streckte ihr der Kranke die Hand entgegen und sagte mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

»Was ist mit mir geschehen?«

Der Wärter war jetzt auch wach geworden und sprang erschrocken von seinem Stuhl auf, als er das Tageslicht und das junge Mädchen im Zimmer sah. Aber Gertrud schickte ihn zu Mr. Sutton hinüber, um ihm die freudige Nachricht mitzuteilen. Zu dem Kranken sagte sie:

»Keine Frage jetzt, die Sie nur aufregen würde. Sie müssen ganz still liegen, bis der Arzt wieder bei Ihnen gewesen ist. Ich werde inzwischen hinausgehen und Ihnen etwas zu essen bereiten. Sie haben in der letzten Woche nicht viel mehr Nahrung über die Lippen gebracht, als einen Sperling am Leben halten würde.«

Der Kranke wollte sie durch eine Bewegung seines Armes zurückhalten, aber sie hob warnend den Finger und ließ ihn dann allein.

Etwa eine halbe Stunde später kehrte sie mit Mr. Sutton zurück. Der alte Herr setzte sich ans Bett, legte seine Hand auf den Arm des Kranken und sagte herzlich:

»Mein lieber junger Freund, ich kann mir wohl denken, daß Sie nicht genau wissen, wo Sie sind und wie Sie hierher gekommen sind. Ich will Ihnen deshalb die wichtigsten Dinge mitteilen. Sie befinden sich auf der Station, die überall ›Englisch Bottom‹ genannt wird. Kennen Sie den Ort? Bitte, Sie müssen nicht antworten. Wenn Sie ja sagen wollen, schließen Sie nur kurz die Augen.«

Der Kranke lächelte und tat es.

»Schön«, sagte der alte Herr. »Sie kennen also die Gegend hier. Wohnen Sie in Sydney? Bitte, antworten Sie nur mit den Augen!«

Der Kranke tat es.

»Also, das hätten wir ebenfalls heraus. Haben Sie Verwandte dort? Ja? Gut. Auch die werden wir später erfahren. Sie haben eine sehr häßliche Schußwunde in der Brust und sind vielleicht noch nicht außer Gefahr. Transportiert werden können Sie auch nicht, und deshalb müssen Sie es noch eine Weile bei uns aushalten. Ich möchte aber Ihren Freunden oder Verwandten Nachricht von Ihnen geben, denn sie werden sich sicherlich schon ängstigen. Halt, Sie dürfen nicht sprechen. Wenn es ohne besondere Anstrengung geht, dann schreiben Sie mit dem Bleistift auf dieses Stück Pappe Ihren Namen – weiter nichts.«

Der junge Mann nahm den Bleistift in seine noch zitternde Hand und versuchte zu schreiben. Als er aber ansetzte, sah er den alten Herrn plötzlich starr an. Es war, als ob ihn ein plötzlicher Gedanke durchzuckte, und ohnmächtig sank er auf das Kissen zurück.

»Da haben wir es«, murmelte Mr. Sutton ärgerlich vor sich hin. »Da komme ich her, nehme mir vor, ganz behutsam und sorgfältig vorzugehen, und stelle es so ungeschickt wie möglich an. Was jetzt? Ich muß Gertrud rufen, damit sie den unglücklichen Menschen wieder zu sich bringt.«

Gertrud erreichte, daß der Verwundete das Bewußtsein wiedererlangte. Aber er blieb den ganzen Tag zu schwach, um einen erneuten Versuch wagen zu können, mit ihm zu sprechen. Als der Arzt am Nachmittag kam, schimpfte er auch den alten Herrn aus, weil er so mit der Tür ins Haus gefallen wäre und gleich alles im ersten Moment erzwingen wollte.

An diesem Tag war nichts weiter zu tun, aber am nächsten Morgen schien sich der Kranke bedeutend besser zu fühlen, denn er verlangte von sich aus Papier und Bleistift und schrieb den Namen Charles Pitt auf.

»Pitt?« rief der alte Herr, der wieder an seinem Bett saß. »Sind Sie ein Sohn von Charley Pitt in der George Street?«

Der Kranke nickte.

»Potz Blitz, dann freut es mich doppelt, daß wir Sie wieder auf die Beine bringen, lieber Freund. Aber welche Angst müssen Ihre Eltern ausgestanden haben! Denen müssen wir gleich mit der nächsten Post Nachricht geben.«

Wieder wurde der Kranke totenblaß. Er schloß die Augen und blieb still liegen. Der alte Herr glaubte schon an eine neue Ohnmacht, aber es war nur Schwäche. Mr. Sutton ging in sein Zimmer und schrieb ein paar Zeilen an Mr. Pitt in Sydney und teilte ihm das Wichtigste mit. Den Brief schickte er mit einem seiner Leute zum Gasthaus hinüber, damit er von dort mit der nächsten vorbeikommenden Post befördert werden konnte.

Die nächste Postkutsche ging aber nach Bathurst hinauf, und der halb betrunkene Barkeeper, der gleichzeitig die Post besorgte, gab sich nicht die Mühe, die Adresse zu lesen. Er sandte den Brief nicht nach Sydney, sondern in die Minen hinauf.

Inzwischen hatte Mrs. Pitt in Sydney schwere, trübe Tage verlebt. Zwar sagte sie sich, daß die neuen Goldfunde alle gewohnten, ruhigen Verhältnisse umwerfen würden und ihr Charles dadurch noch in Bathurst aufgehalten werden konnte. Auch ein Brief von ihm, wenn er überhaupt Zeit zum Schreiben hatte, konnte verlorengegangen sein. Aber damit beruhigte sich das Mutterherz nicht. Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken immer wieder an die überfallene Mail und die damit verbundenen Gerüchte zurück.

Und nirgends ließ sich Genaues darüber erfahren. Selbst auf der Post wurden noch nicht einmal die Namen der Passagiere eingeschrieben. Was kümmerte die Leute der Name eines Reisenden, wenn sie nur das Geld für den Platz bekamen? Einen bestimmten Platz konnte man nicht bestellen. Wer seinen Körper leichtsinnig der Royal Mail auslieferte, mußte auch sehen, wie er einen Platz darauf fand und damit fortkam. Das war allein seine Sache.

Schließlich wurde auch Mr. Pitt unruhig, denn sein Geschäftsführer in Bathurst erwähnte Charles nicht einmal. Als er endlich bei ihm anfragte, erhielt er die Nachricht, daß er die Absicht gehabt hatte, nach Sydney an dem Tag zurückzukehren, an dem die Post überfallen wurde. Er sei aber noch bis zuletzt unschlüssig gewesen und habe vorher einen kleinen Abstecher in die Berge gemacht. Möglich, daß er dort geblieben war und vielleicht jetzt noch oben in einer von den Schluchten stecke.

Das ständig wachsende Geschäft nahm aber Mr. Pitts Tätigkeit so in Anspruch, daß er wirklich kaum zur Besinnung kam. Er wurde jetzt nur böse auf seinen Sohn, der seinem Vergnügen nachging und sich in den Bergen zwischen den Goldsuchern herumtrieb. Daß ihm ein Unfall zugestoßen sein könnte, wollte er nicht einmal entfernt annehmen.

Um diese Zeit war es, daß William Holleck aus den Bergen zurückkehrte und sofort die Familie Pitt besuchte.

Hier hatte sich gerade ein kleiner Kreis zum Tee versammelt. Außer Kapitän Becker war auch der Polizeileutnant Beatty anwesend, als Holleck eintrat. Diesmal trug er nicht seinen Minenanzug und wurde von allen, besonders aber von der kleinen Therese, freundlich begrüßt. Das Kind lief auf ihn zu, schlang seine Arme um seinen Nacken, und als er es zu sich hochhob, rief es laut und fröhlich:

»Na, Onkel William, hast du mir auch viel Gold aus den Minen mitgebracht?«

»Einen ganzen Sack voll, mein Schatz«, lachte der junge Mann und griff in die Westentasche. Er holte ein Stück in der Größe einer Haselnuß heraus und gab es ihr. »Da, hier hast du eine Probe davon, mit der du spielen kannst. Aber paß auf, daß du es nicht verlierst.«

»Richtiges Gold?« rief die Kleine erfreut aus. »Oh, wie das blitzt und glänzt, und wie schwer es ist!«

»Wo haben Sie Charles gesehen?« rief ihm die Mutter entgegen, kaum daß die Begrüßung vorbei war. »Warum schreibt er nicht wenigstens, damit man hier nicht Sorgen und Angst um ihn haben muß?«

»Gesehen habe ich ihn nicht«, sagte Holleck und setzte die Kleine wieder auf den Boden. »In Bathurst war er nicht zu finden, aber er soll in den Minen am Macquaire oder dort in der Nähe stecken. Das haben mir Leute erzählt, die ihn bei der Arbeit getroffen haben wollen. Die ganze Welt ist ja verrückt nach Gold da oben. Alle entwickeln einen Eifer mit Schaufeln und Spitzhacken, der ganz New South Wales in das erste Ackerbauland der Welt verwandeln würde, wenn sie nicht gerade da hacken und graben würden, wo nicht anderes als Quarzblöcke und Porphyr wachsen wollen.«

»Und haben sie auch im Geschäft in Bathurst noch immer keine Nachricht von ihm?« erkundigte sich Mr. Pitt ärgerlich.

»Keine Silbe«, lachte Holleck. »Wo soll er da oben auch Feder und Tinte herbekommen! In den Minen geht es drunter und drüber!«

»Schön«, sagte Becker. »Hier haben wir wenigstens jemand, der einen genauen, authentischen Bericht über die fabelhaften Goldminen geben kann. Also, junger Mann, setzen Sie sich doch auf den Stuhl da und packen Sie Ihre Neuigkeiten aus, denn wir brennen alle darauf, Einzelheiten zu hören. Was man in der Stadt darüber erfährt, ist gerade genug, um einen sonst ganz vernünftigen Menschen verrückt zu machen. Ich möchte nun auch einmal jemand sprechen, der mit der Sprache herausrückt und die Flunkereien aufdeckt.«

»Flunkereien?« rief Holleck lachend. »Lieber Kapitän, da sind Sie an den Falschen geraten. Wenn ich Ihnen nur das erzähle, was ich selbst gesehen habe, packen Sie morgen und machen, daß Sie so schnell wie möglich in die Minen kommen.«

»Das wäre mir aber lieb«, rief der Kapitän, ganz verblüfft von der unerwarteten Bemerkung. Holleck hatte die kleine Gesellschaft jetzt neugierig gemacht. Da jetzt doch nicht mehr an ein anderes Gespräch zu denken war, bat ihn sogar Mrs. Pitt, ihnen mitzuteilen, was er da oben erfahren habe.

Mit einem eigenen, treffenden Humor schilderte Holleck jetzt seinen Weg in die Berge und das Leben da oben, beschrieb die kauzigen Charaktere, die da zusammenströmen, die Arbeit und die Erfolge. Dabei bestätigte er auch die ausgefallensten Gerüchte, so daß Kapitän Becker wie erstarrt saß und kaum wußte, ob er seinen eigenen Ohren trauen sollte.

In der einen Woche waren schon enorme Mengen Gold ausgegraben und zahlreiche Nuggets, also größere Goldklumpen, von einem bis zu zwölf Pfund reinem Gold von glücklichen Goldsuchern zutage gefördert worden.

Noch während er erzählte, brachte die Magd einen Brief herein, der eben im Haus abgegeben worden war.

»Von Bathurst?« fragte Mr. Pitt, der den Stempel betrachtete.

»Endlich von Charles!« rief Mrs. Pitt und sprang von ihrem Stuhl auf.

»Nein, es ist eine fremde Handschrift, die ich nicht kenne«, sagte ihr Mann. Er trat zum Licht, um den Brief zu öffnen.

»Aber doch vielleicht Nachricht von ihm?« sagte die Mutter.

»Wohl kaum. J. Sutton?« las Mr. Pitt die Unterschrift.

»Etwas von Charles?« wiederholte seine Frau, deren Blick ängstlich an ihm haftete. Mr. Pitt stand mit dem Gesicht zur Lampe und kehrte seiner Frau den Rücken zu. Er schüttelte nur langsam den Kopf und verharrte in seiner Stellung.

Holleck hatte einen Augenblick mit Erzählen innegehalten, er wollte die Frage nicht stören. Als aber Mr. Pitt jetzt ruhig weiterlas und seine Frau wieder mit einer getäuschten Hoffnung auf ihren Stuhl zurücksank, fuhr er fort. Er gab ihnen eine so komische Schilderung eines Deutschen, der da oben eine komplizierte Maschine an Plätzen aufstellen wollte, wo er gar nicht arbeiten konnte, daß alle laut lachten. Selbst Mrs. Pitt vergaß für den Augenblick die Sorge um den Sohn, die sie sonst nur selten verließ.

Mr. Pitt hörte von der ganzen Erzählung kein Wort, denn er hielt Mr. Suttons Zeilen in den Händen, der ihm in kurzen Worten den Unfall seines Sohnes berichtete und ihn bat, so rasch er könne selbst hinaufzukommen. Der Brief war nach dem Datum schon fünf Tage alt und, wie das Postzeichen ergab, über Bathurst gegangen. Was sollte er jetzt tun? Seiner Frau den Inhalt mitteilen? Sie wäre vor Angst selbst krank geworden, und jetzt konnte sie ihm direkt auch nichts nützen. Da war es viel besser, sie blieb noch einige Tage in ihrer Ungewißheit, bis sie wenigstens sichere Nachricht von der Besserung des Verwundeten hatten. Ganz in Gedanken vergaß Mr. Pitt die Anwesenheit der anderen und ging mit dem Brief in der Hand im Zimmer auf und ab.

Mr. Beatty saß ihm am nächsten und sah, wie er die Stirn in düstere Falten zog. Er sagte deshalb:

»Doch keine unangenehmen Nachrichten, Mr. Pitt?«

»Ach ja«, erwiderte der Mann und sammelte sich gewaltsam. »Es scheint da oben in Bathurst ganz schlimm gewirtschaftet zu werden. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als selbst hinaufzugehen und die Sache in Ordnung zu bringen.«

»Ja, Charles, das ist richtig«, rief Mrs. Pitt erfreut. »Ich habe dich schon lange darum gebeten, früher erfahren wir doch nichts von Charley.«

»Und wann wollen Sie los?« erkundigte sich Kapitän Becker. Noch während er sprach, bekam er einen roten Kopf.

»Wenn ich wüßte, wie, noch heute abend«, sagte Mr. Pitt. »Da das aber unmöglich ist, morgen mit Tagesanbruch.«

»Donnerwetter, das ist früh«, brummte der Kapitän. »Wissen Sie, Mr. Pitt, daß ich höllische Lust hätte, Sie zu begleiten?«

»Aha!« lachte Pauline. »Bei Ihnen haben Mr. Hollecks Berichte schon gezündet. Ich sehe Sie da oben noch im Schweiße Ihres Angesichts Ihr Gold ausgraben.«

»Ach nee, Miß«, sagte der Kapitän verlegen. »Wegen des albernen Goldes wahrhaftig nicht. Aber, zum Wetter auch, man muß die Geschichte, wenn man sie so dicht vor der Nase hat, doch wenigstens mit ansehen. Sonst wird man später noch ausgelacht, daß man in Australien war und noch nicht einmal die Minen gesehen hat.«

»Kapitän, Kapitän!« drohte Mr. Beatty lachend mit dem Finger. »Ich werde demnächst selbst hinaufgeschickt werden, um die Minen zu inspizieren. Wenn ich Sie dann aber oben mit Schaufel und Waschschüssel erwische, dann nehmen Sie sich in acht!«

»Haben Sie keine Angst! Ich werde den Teufel tun und in dem harten Boden nach Gold scharren. Aber was soll ich hier? Ihre Polizei in Sydney ist so ausgezeichnet, daß jetzt ganze Schiffsmannschaften spurlos verschwinden, ohne daß man einer einzigen Seele wieder auf die Spur kommt. Allein kann ich mein Schiff nicht fahren, Geld verbrauche ich hier wie da, und ein bißchen Bewegung kann mir nicht schaden. Aber bis Tagesanbruch komme ich nicht klar, Mr. Pitt. Können Sie nicht wenigstens bis morgen abend warten?«

»Das ist ganz unmöglich, lieber Kapitän«, lautete die Antwort. »Einen Platz auf der Postkutsche finden wir nicht so schnell, und ich muß deshalb die Reise zu Pferd machen.«

»Zu Pferd? Schockschwerenot«, sagte Kapitän Becker. Er dachte an einige Ausritte in Valparaiso und auf den Sandwichinseln. »Den ganzen Weg zu Pferd – das ist eine große Anstrengung.«

»Und noch dazu in einem scharfen Trab.«

»Danke Ihnen«, sagte der Kapitän. »Da wäre mir schon bis Paramatta die Seele aus dem Leib geschüttelt. Nee, dann lieber nicht.«

»Wenn Sie bis übermorgen früh warten wollen, Kapitän«, sagte der Polizeileutnant, »dann verschaffe ich Ihnen eine sichere und bequeme Fahrt in einem Einspänner. Ich muß jemand nach Bathurst schicken. Der kleine Wagen, den er mitnimmt, ist dorthin verkauft.«

»Das wäre famos. Und könnte ich da meinen Steuermann gleich mitnehmen?«

»Wenn Sie wollen, warum nicht?«

»Bravo, dann habe ich weiter keine Sorgen. Mein Steward kann inzwischen das Schiff bemuttern, damit es nicht den Anker zwischen die Zähne nimmt und durchgeht.«

»Sie entschuldigen mich bitte«, sagte Mr. Pitt und ging zur Tür. »Ich muß heute abend so viel besorgen und auch noch einmal in mein Büro.«

»Aber ich sehe dich doch noch, Papa?« rief Pauline ihm nach.

»Gewiß, mein Kind. Ich laufe euch ja nicht davon«, sagte der Vater, grüßte lächelnd und verließ dann das Zimmer. Die kleine Gesellschaft blieb in bester Laune noch bis elf Uhr zusammen. Selbst Mrs. Pitt machte sich heute keine Sorgen mehr, denn morgen früh ging ihr Mann ja selbst in die Minen hinauf.


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