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11. Der Weg zum Goldsee

Am Turon ging es wild zu. Nicht weit von der Mündung des Oak Creek hatte sich ein kleines Lager gebildet, das in nur wenigen Tagen auf vierzehn Zelte und zwei Rindenhütten angewachsen war. Wenn die Polizei auch den Alkoholausschank in Trinkzelten verboten hatte, so konnte und wollte sie nicht verhindern, daß die Miner ihre eigenen Vorräte mitbrachten. Manchmal wurden sie dann auch für »Gold und gute Worte« untereinander getauscht.

Dadurch bildeten sich aber auch abends um die Lagerfeuer bestimmte kleine Gruppen, gewissermaßen »Goldfamilien«, die vielleicht tagsüber ganz verschiedene Interessen verfolgt und an verschiedenen Stellen gearbeitet hatten. Da aber ihre Zelte dicht beieinander lagen und nicht jedes auch einen passenden Feuerplatz haben konnte, bildeten sich nach stillschweigender Übereinkunft schon nach wenigen Abenden kleine, abgeschlossene Gruppen. Bei loderndem Feuer erzählte man sich die verschiedensten Gerüchte von gewaltigen Goldklumpen, die da und dort gefunden sein sollten, besprach Anekdoten oder Begebenheiten des eigenen Lebens bis in die späte Nacht hinein. Nur von dem, was jedem hier am meisten am Herzen lag, sprach niemand von dem Erfolg des Tages. Niemand erkundigte sich auch bei dem anderen danach, denn er wußte, daß er doch nur eine ausweichende Antwort erhalten würde. Der Ertrag der eigenen Arbeit war eben ein Geheimnis und wurde auch von allen anerkannt. Unmittelbar in dem jetzt vollkommen trockenen Oak Creek und unter der Nordwand des hier ziemlich steil aufsteigenden Uferbettes hatte sich ein kleines Lager mit Deutschen gebildet. Ohne sich feindlich gegenüberzustehen, hielten die Nationen doch gern zusammen. Während ein großer Kessel mit Hammelrippen und Kartoffeln über dem Feuer brodelte, lagerten die verschiedenen, oft malerischen Gestalten auf ihren Decken am Feuer. Heute bildete ein fabelhafter Goldsee das Gesprächsthema, der irgendwo in den Bergen liegen sollte und nur einmal von einem Schäfer entdeckt worden sei.

Die Sage ging, daß der Mann damals ein Stück gelbes Metall, das dort in Unmassen lag, mitgenommen und erst Jahre später erfahren habe, daß es sich um Gold handelte. Vergeblich hätte er sich von da an die größte Mühe gegeben, diesen Platz wiederzufinden. Es war wie bei unseren deutschen Zauberbergen, die auch nur dann und wann einmal irgendeinem Glücklichen ihr Tor öffnen und ihm gestatten, sich einen Hut voll Diamanten, Perlen und alter Goldmünzen mitzunehmen. Von dem Zeitpunkt aber sind sie wieder verschlossen, und alles Suchen und Anklopfen nützt nichts, sie zeigen nur die nackten, harten Felswände. So schien auch dieser Goldsee in die Tiefe versunken zu sein oder aber der Weg zu ihm verschlossen. Nur neuerdings sollte ein Mann den Platz doch wiedergefunden und davon mitgenommen haben, was er tragen konnte. Tatsächlich waren wegen diesem Gerücht eine Menge Leute aufgebrochen, um die unermeßlichen Schätze zu entdecken und zu heben.

Schon in unserem ruhigen Leben daheim, wo alles seinen stillen, geregelten Gang geht, gibt es nichts, was nicht eine Anzahl Menschen findet, die es wirklich glauben, und sei es noch so abenteuerlich und widersinnig. Wie anders waren die Verhältnisse in den neuentdeckten Goldminen dieser fernen Weltteile, wo die Phantasie der Goldgräber ihnen schon in jedem frisch gegrabenen Loch goldene Schätze vorspiegelte und keiner von allen erstaunt gewesen wäre, wenn er das gediegene Metall bergeweise darin gefunden hätte. Er erwartete es eigentlich.

Es läßt sich denken, daß unter solchen Umständen die ohnehin stark erregte Phantasie der Deutschen bei diesem Gerücht ihren Höhepunkt erreichte. Das Für und Wider einer solchen Möglichkeit wurde nicht mehr ruhig besprochen, sondern bereits hitzig verfochten. Besonders Feuer und Flamme dafür war ein alter Bekannter von Suttons Station, der kleine dicke Malchus. Endlich hier oben angelangt, war das Hacken und Graben in dem harten Erdboden gar nicht nach seinem Geschmack. Mit Gier griff er jede Neuigkeit auf, die ihm einen Sack Gold mit weiter keiner Mühe in Aussicht stellte als eben das nötige Einsammeln und Hineinwerfen. Auch von Hafften hatte sich dieser Gruppe heute angeschlossen. Nach einem kurzen Ausflug in die Minen sah er jetzt das Goldsuchen mit anderen Augen als früher. Hier traf er zufällig seinen alten Bekannten von der Straße wieder. Es war der merkwürdige Fremde, den er damals überholte und der von den Deutschen den Spitznamen »Professor« erhalten hatte.

Der »Professor« schien sich aber wenig daraus zu machen. Er hatte sich, ganz unabhängig von Zelt oder Rindenhütte, ein kleines Reisighaus wie eine Laube gebaut. Den Mittelpunkt bildete sein aufgespannter Regenschirm. Darunter lagen einige Rindenstreifen wie Schindeln. Sie bildeten ein vollkommen regenfestes Dach. Ein paar Nächte lagerte er darunter, dann war er plötzlich verschwunden. Erst heute nachmittag war er nach mehrtägiger Abwesenheit zurückgekehrt.

Malchus hätte nun gern aus ihm herausbekommen, wo er war und was er gefunden habe, denn er hatte jeden im Verdacht, irgendwo auf einen Schatz gestoßen zu sein und nichts sagen zu wollen. Der »Professor« aber hatte ihn nur starr angesehen, nichts geantwortet und den kleinen dicken Bergmann in sehr schlechte Laune versetzt.

Als von Hafften an diesem Abend zum Feuer kam, fand er die kleine Gesellschaft schon in einem lebhaften Gespräch vor. Dabei zogen sie den wortkargen Fremden auf und neckten ihn. Anlaß dazu gab er ihnen auch mehrfach. Einmal durch seine nicht berggerechte Kleidung, dann durch sein ganzes verschlossenes Verhalten, mit dem er sich stets von der Masse fernhielt. Selbst an solchen Abenden gestattete er niemandem, ihm zu nahe oder zu vertraulich zu kommen. Die Leute nannten das natürlich Stolz. Gestern hatte er doch sogar ausgeschlagen, sich mit Malchus zu duzen – was sich solche Menschen einbilden!

Malchus hatte überhaupt an diesem Abend entsetzlich schlechte Laune. Tagsüber wollte er sich dem Bezahlen der Lizenz entziehen, und der Kommissär hatte ihm dafür seine Maschine zerbrochen. In seinem Ärger war er an die Rumflasche geraten, und deshalb ging ihm jetzt die Zunge durch.

Sonderbar, daß so viele Menschen erst dann Courage zeigen, wenn ihnen der Alkohol in den Kopf gestiegen ist und ihr eigenes Denkvermögen vernichtet hat.

Der junge Fremde lag ausgestreckt am Feuer neben dem Fotografen, und Malchus hatte ihm gegenüber Platz genommen. Das erschwerte die Unterhaltung etwas, denn das Feuer loderte zwischen den beiden oft ziemlich hell auf. Der kleine Mann mußte ständig seine Hand vor die Augen halten, um einen Blick auf die andere Seite zu gewinnen.

Der junge Fremde war aber schon längst müde und antwortete nicht mehr, was den kleinen angetrunkenen Mann nur noch mehr reizte.

»Sie da – haben Sie mich verstanden?« rief er nach ein oder zwei unbeantworteten hämischen Fragen durch die Flamme hinüber. So weit es ging, reckte er seinen Hals empor und versuchte, sein Gesicht zu beschatten.

»Malchus, hören Sie doch endlich auf, wir wollen hier keinen Streit«, rief der Fotograf beschwichtigend.

»Lassen Sie ihn reden«, sagte der junge Fremde gleichgültig. »Bis morgen wird er seinen Rausch ausgeschlafen haben.«

»Sie aufgeblasener Schwarzkittel, Sie!« schrie der Bergmann und sprang von seinem Sitz auf. Gleichzeitig ergriff er einen der Brände aus dem Feuer. »Wenn Sie mir noch einmal eine so unverschämte Antwort geben, klopfe ich Ihnen die Asche auf dem Schädel ab, Sie – Sie Professor Sie, und jetzt machen Sie, daß Sie hier vom Feuer wegkommen oder, Gott straf mich, ich knicke Ihre Spinnenfigur wie ein Taschenmesser zusammen!«

Er wollte dabei mit dem Brand um das Feuer herumkommen, als ihm ein eiserner Griff das Holz aus der Hand wand, ihn selber am Kragen faßte und ihn so unsanft auf seinen Sitz zurückdrückte, daß er dort kaum sein Gleichgewicht halten konnte.

»Wollen Sie wohl Frieden halten?« sagte von Hafften dabei und warf den Brand wieder in das Feuer, daß die Funken hoch aufloderten. Seine Stimme war ruhig, aber auch so entschieden und drohend, daß Malchus fast erschrocken zu ihm aufsah.

»Was gehen Sie meine Streitigkeiten an?« versetzte der Betrunkene mit einem letzten Versuch, seine Tapferkeit aufrechtzuerhalten.

»Ihre nichts, aber unsere hier alles. Der Fremde da hat sich still und anständig verhalten, lassen Sie ihn ein für allemal in Frieden, oder es könnte sein, daß Sie sich um meine Streitigkeiten kümmern müssen.«

»Recht hat er!« riefen jetzt die anderen dazwischen. »Wir wollen Ruhe und Frieden hier am Feuer haben. Wenn dir das nicht paßt, Malchus, geh ins Bett. Es wäre überhaupt das Beste, was du heute abend tun könntest.«

Malchus knurrte nur, aber er fand bald, daß er von keiner Seite unterstützt wurde. Beleidigt und gereizt warf er sich wieder am Feuer nieder und drehte der Gesellschaft verächtlich seinen breiten Rücken zu.

Selbst als der kleine gereizte Bursche drohend auf ihn zukam, war der Fremde regungslos in seiner ruhenden Lage geblieben. Kein Muskel hatte an ihm gezuckt, und nur sein dunkles Auge hatte mit wilder Glut zu dem Feind gesehen. Sowie aber die Gefahr durch Hafftens Einschreiten für ihn beseitigt war, starrte er wieder gedankenvoll in die Flammen und schien seine Umgebung völlig vergessen zu haben.

Etwa gegen zehn Uhr abends trennte sich die Gesellschaft. Jeder suchte sein Lager auf, der Nachtwind zog kalt und fröstelnd durch das Tal. Sie wollten auch alle wieder am nächsten Morgen früh an die Arbeit gehen. Viele konnten doch kaum das Tageslicht abwarten, das ihnen vielleicht die höchsten Erwartungen erfüllte – oder sie nicht etwa enttäuschen, sondern nur wieder auf den nächsten Tag vertrösten sollte.

Von Hafften hatte ein kleines englisches Zelt mit in die Minen gebracht, dazu eine Seegrasmatratze und ein paar Wolldecken. Das war für die Berge ein wirklich luxuriöses Lager, auf dem er auch prächtig schlief. Überhaupt gehörte er auch nicht zu denen, die der erste Sonnenstrahl schon bei der Arbeit traf. Er stand allerdings gewöhnlich mit dem anbrechenden Tag auf, bereitete sich dann aber erst in aller Bequemlichkeit sein Frühstück und schlenderte dann behaglich zu seiner Beschäftigung. Er arbeitete auch allein und wurde deshalb von keinem eifrigen Kameraden gedrängt.

Am nächsten Morgen sollte er aber doch auf ganz ungewöhnliche Weise gestört werden. Es war noch völlig Nacht, als er sich an der Schulter gefaßt und leicht geschüttelt fühlte. Was war das? In den Minen galt ein strenges, stillschweigend von allen anerkanntes Gesetz: Niemals in ein fremdes Zelt ohne Erlaubnis zu treten – und ganz besonders nicht bei Nacht. Niemand fürchtete hier zwar inmitten der anderen Zelte einen Überfall, aber die Miner trugen doch ihre Revolver, um am Tag gegen umherstreifendes Gesindel sicher zu sein. Nachts lag die Waffe griffbereit beim Lager. Wenn man sie auch nicht gebrauchte, gab es doch ein Gefühl der Sicherheit.

Auch Hafften hatte die sechsschüssige Waffe stets neben sich liegen. Sein erster Griff war auch danach, kaum daß er etwas Bewußtsein erlangte. Aber er fühlte noch immer die Hand auf seiner Schulter, und eine leise Stimme sagte:

»Keine Sorge, Herr von Hafften, ich bin es, Ihr Reisegefährte von der Straße, der Ihnen seinen Dank für Ihr gestriges Eingreifen abstatten möchte.«

»Aber, lieber Mann«, lachte Hafften, der ihn jetzt auch an der Stimme erkannte. »Sie haben sich dazu eine merkwürdige Stunde ausgesucht. Es muß etwa Mitternacht sein.«

»Im Osten dämmert schon der Tag«, sagte der Fremde ruhig. »Ich bin nur deshalb so früh gekommen, weil ich Sie einladen wollte, mich zu begleiten. Niemand darf uns aber weggehen sehen, damit keiner die Richtung verfolgen kann.«

»Niemand darf uns weggehen sehen?« wiederholte Hafften, der erst jetzt den Schlaf vollständig abschüttelte. »Lieber Freund, was zum Henker fällt Ihnen denn ein? Wir wollen doch nicht etwa durchbrennen?«

»Nein«, sagte der junge Mann leise, »aber wir wollen zum Goldsee.«

»Zum Goldsee?«

»Pst! Rufen Sie das Wort nicht so laut«, warnte ihn der Fremde. »Die Zeltwände sind nur dünn!«

»Aber ich begreife Sie nicht!«

»Herr von Hafften, Sie waren immer freundlich zu mir. ich hoffe, daß ich das heute gutmachen kann«, sagte der Fremde ernst. »Ich kenne den Platz, der jetzt das Ziel Tausender ist, den aber alle vergeblich suchen werden.«

»Sie wissen, wo der Goldsee liegt?« entgegnete Hafften. Er fuhr erstaunt von seinem Lager auf. Die Gerüchte waren an ihm nicht spurlos vorübergegangen.

»Ich kenne ihn, aber beeilen Sie sich. Wir könnten beobachtet werden, und ich möchte uns nicht einer solchen Gefahr aussetzen«, drängte der Fremde.

Hafften war ganz durcheinander. Er hatte den Fremden bis jetzt immer nur für einen harmlosen und unpraktischen Träumer gehalten und ihn deshalb in Schutz genommen. Aber der Mann sprach in diesem Augenblick so zuversichtlich, daß er nicht wußte, was er von der Einladung halten sollte. Trotzdem sprang er von seinem Lager auf und war in wenigen Minuten angezogen.

»Und was nehmen wir mit?« forschte er ungläubig. »Unser Handwerkszeug?«

»Alles, was wir brauchen, habe ich bereits vor dem Zelt liegen«, lautete die Antwort.

»Bleiben wir über Nacht?«

»Wahrscheinlich.«

»Dann muß ich meine Decken mitnehmen.«

»Wenn Sie wollen, aber es ist nicht nötig. Wir können uns durch ein gutes Feuer wärmen.«

»Zum Henker, die Nächte sind jetzt verwünscht kalt.«

»An den Decken haben Sie zu schwer zu tragen.«

»Und Lebensmittel?«

»Nahrung müssen wir mitnehmen. Aber wir haben keinen Augenblick Zeit mehr zu verlieren.«

Hafften war sehr ordentlich. Er konnte alles in seinem Zelt im Dunkeln finden, und in wenigen Minuten hatte er zusammengerafft, was er selbst für eine kurze Expedition für dringend erforderlich hielt. Einen kleinen Taschenkompaß und seinen Revolver steckte er ebenfalls zu sich. Dann erklärte er seinem kauzigen Freund, daß er bereit wäre, ihm zu folgen. Alles war so rasch gegangen, der junge Fremde hatte ihn aus einem so tiefen Schlaf aufgerüttelt, daß von Hafften eigentlich erst zur Besinnung kam, als er die frische Morgenluft im Gesicht fühlte. Im ungewissen Dämmerlicht stolperte er über die großen Kieselblöcke im Oak Creek, um von seinem Gefährten in die Berge geführt zu werden.

Solange sie noch Zelte um sich hatten, sprach er selbst kein Wort. Als sie aber das letzte hinter sich hatten und eben eine kleine Schlucht aufwärts stiegen, blieb er plötzlich stehen und sagte lachend:

»Also, jetzt sagen Sie mir aber auch, wohin wir eigentlich wollen. Ich muß aufrichtig sagen, daß ich noch nicht richtig begriffen habe, was wir heute vorhaben.«

»Glauben Sie, daß ich es gut mit Ihnen meine?« erwiderte der junge Mann und sah dabei Hafften fest an. Ob es am ungewissen Licht des Morgens lag, aber Hafften hatte seinen Gefährten noch nie so bleich, so totenartig gesehen wie jetzt. Seine dunklen Augen leuchteten dabei ganz ungewöhnlich. Aber die Stimme klang herzlich, fast bittend, und deshalb antwortete er:

»Ja, das glaube ich bestimmt.«

»Dann vertrauen Sie mir auch«, fuhr der junge Fremde leise fort und drückte Hafftens Arm.

»Aber darf ich noch nicht einmal wissen, wohin wir gehen?«

»Allerdings dürfen Sie das. Es soll und kann für Sie kein Geheimnis bleiben. Sowie wir diesen Hügelrücken erreichen, der sich nach links mit einer scharfen Kante zum Turon hinabzieht, während er nach rechts hinauf auf ein kleines Plateau ausläuft, sehen wir ein ausgezacktes Gebirge. Es liegt rauh und zerklüftet zwischen den anderen mit Wald bewachsenen Hügeln. Wir können es, wenn wir gut marschieren, in etwa drei Stunden erreichen. Das ist unser Ziel.«

»Und da soll dieser Goldsee liegen?« sagte Hafften, noch immer ungläubig den Kopf schüttelnd. »Lieber Freund, sind Sie Ihrer Sache auch ganz sicher? Denn einem Phantasiegebilde ein paar Tage in diesen traurigen Bergen nachzuklettern, dazu – muß ich Ihnen aufrichtig gestehen – habe ich wirklich keine große Lust.«

»Sehe ich aus wie ein Zweifler?« fragte der Fremde. Seine Augen funkelten Hafften an.

»Das allerdings nicht. Sie scheinen Ihrer Sache ganz sicher zu sein«, sagte er lächelnd.

»Also, kommen Sie«, drängte der junge Mann. »Ich will für mich kein Gold, mich zieht anderes dahin. Aber was Sie von den Schätzen haben wollen, können Sie mitnehmen, soviel Sie tragen können. Wir dürfen jetzt aber nicht unsere Zeit versäumen, denn die Miner sind mißtrauisch, und wenn uns ein anderer folgt...«

»Aber, lieber Freund, wenn Sie ein solches Goldnest kennen und wenn da so viel ist, weshalb den anderen nicht auch die Freude gönnen?«

»Kommen Sie, das verstehen Sie nicht«, sagte der Fremde mit hartem Ton. Er warf einen scheuen Blick um sich, ob sie niemand sah, und ging dann den Hang hinauf.

Hafften war ein ganz guter Fußgänger, aber er mußte kräftig ausschreiten, um seinem merkwürdigen Freund folgen zu können. Und der Goldsee? Die Sache wirbelte ihm im Kopf herum. Wie alle Menschen in den Minen war auch er durch die ständigen neuen Gerüchte von ausgefallenen Goldfunden dermaßen aufgeregt, daß der Goldsee oder vielleicht ein Steinbecken, in dem sich das Alluvialgold durch günstige Bodenverhältnisse angeschwemmt hatte, nur der höchste Gipfel der phantastischen Hoffnungen war. Unmöglich war es auf keinen Fall, denn wie goldhaltig diese Berge waren, hatten die letzten Wochen zur Genüge gezeigt. Wenn nun das edle Metall, das vielleicht seit Jahrtausenden nach allen Richtungen hin verstreut wurde, durch eine einzige, passend gelegene Steinwand in einer großen Ader aufgehalten worden war, dann konnten sich allerdings in einem Becken Schätze angehäuft haben, die den glücklichen Entdecker zum reichsten Mann der Erde machten.

Wie von Hafften durch den Fremden erfahren hatte, hielt der sich schon seit mehreren Jahren in diesen Bergen auf und hatte ihre Hänge nach allen Richtungen durchwandert. Er wußte auch, daß er nach der ganzen Art, wie er hier oben gelebt hatte, wohlhabend und nicht auf den Erwerb des Goldes angewiesen sein mußte. Daß er keinem anderen den Platz verraten wollte, konnte seine Ursache darin haben, daß er von den anderen Minern wegen seines verschlossenen Wesens nicht freundlich behandelt und oft verspottet wurde. Nur Hafften war immer gleich freundlich und nachsichtig zu ihm gewesen. Alles sprach dafür, daß er ihm jetzt seine Dankbarkeit beweisen wollte.

Außerdem war er ungemein neugierig auf den Platz selbst. Wenn er sich nicht als so reich erwies, wie er fest glaubte, was tat's, dann war es eben ein Spaziergang in die Berge. Die wildesten Partien sollte er jetzt kennenlernen. Wie sich die Deutschen im Lager den Kopf zerbrechen würden, wohin sie beide so bei Nacht und Nebel verschwunden wären! Der erste Gedanke wäre sicher, daß sie einen reichen Platz gefunden hätten, den sie jetzt gemeinsam ausbeuten wollten. Bestimmt würde sich Malchus am meisten darüber ärgern, denn gerade er als Bergmann hatte sich immer etwas auf seine Kenntnisse eingebildet. Er hatte an zwei Stellen seine Arbeit begonnen, die noch nicht einmal drei Schilling am Tag abwarfen. Wenn sie jetzt, nach nur kurzer Abwesenheit, mit Gold beladen zurückkehrten!

Alle diese Gedanken zuckten ihm durch den Kopf, während er seinem geheimnisvollen Freund folgte. Nur mechanisch sah er dabei hin und wieder nach seinem Kompaß, um gleich zu Anfang die Richtung bestimmen zu können. Mit Recht fürchtete er nichts mehr, als sich in diesen Bergen zu verirren. Wer hier seinen Weg verfehlte und auf das angewiesen war, was ihm der Gumwald bot, mußte rettungslos verschmachten, auch wenn er sich eine kurze Zeit vielleicht mit Wattelharz am Leben erhalten konnte. Und wie viele Menschen hatten schon ein ähnliches furchtbares Ende in dieser Wildnis gefunden!

Sein Begleiter schien aber nicht zuviel versprochen zu haben, wenn er behauptete, daß er diese Berge kenne. Er behielt nicht nur seine gerade Richtung bei, sondern benutzte auch jede Erleichterung, die ihnen das Gebirge hier und da bot. Nach kaum einer halben Stunde angestrengten Steigens hatten sie den Hügelkamm erreicht, von dem aus sie einen freien Blick nach Osten hatten.

In dem Augenblick stieg dort drüben, über dem ausgezackten Grat der nächsten Bergreihe, die glühende Sonnenscheibe empor. Durch die dünnen Morgenschwaden warf sie einen fast unheimlich fahlen Schein über die weite Berglandschaft, die von hier oben einem Meer mit riesigen Wogen glich.

»Ist das der Gebirgszug, den wir erreichen wollen?« erkundigte sich Hafften, als er sah, daß der Blick seines Begleiters wie ängstlich forschend an der Kette hing. »Sie haben doch den richtigen Weg nicht verfehlt?«

Sein Begleiter antwortete ihm nicht, noch immer starrte er zu den fernen Bergen hinüber. Hafften fing an, sich unbehaglich zu fühlen, denn wenn der den Weg von hier an suchen mußte, war das Auffinden eines bestimmten Platzes in dieser Bergwildnis eine ungewisse Sache. Aber er schien sich da umsonst Gedanken zu machen.

»Dort!« rief der junge Mann plötzlich und streckte seinen Arm genau gegen die sich eben vom Horizont ablösende Sonne. »Dort – das Licht hatte mich geblendet. Und jetzt los, damit wir unsere Zeit hier nicht länger versäumen.« Ohne eine weitere Zustimmung abzuwarten, lief er mehr, als er ging, den Hang hinab, so daß Hafften wirklich Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. War doch der Boden sehr uneben, und überall lagen verstreute Quarzstücke im Weg. Es sah aus, als wären sie über den Hang geworfen worden, als ob es einmal eine ganze Woche lang solche Steinbrocken geregnet hätte.

So ging es hinunter, bis sie den nächsten Taleinschnitt erreichten, durch den in der Regenzeit ein Bergbach strömte, der jetzt völlig ausgetrocknet war. Erst hier wurde der Fremde langsamer, ja, er schien nur noch sehr vorsichtig weiterzugehen. Es bestand allerdings auch die Möglichkeit, daß sie hier einzelne Goldwäscher treffen konnten. Es gab immer noch eine Menge Neuankömmlinge, die annahmen, daß sie aus jeder Steinspalte oder Felsritze ein Vermögen mit dem Taschenmesser herauskratzen konnten. Erst wenn solche Leute wochenlang in den Bergen herumgestiegen waren und meistens auf diese Weise gar nichts gefunden hatten, gaben sie es auf und begannen die viel mühsamere, aber doch aussichtsreichere Arbeit mit Schaufel, Spitzhacke und Waschmaschine.

Dazu brauchten sie natürlich Wasser und hätten hier in der vollkommen trockenen Rille nichts anfangen können. Deshalb konnten sie nur einzelnen Abenteurern begegnen. Wie Hafften wußte, mußten sie gerade denen ausweichen, denn die hatten ja keinen bestimmten Arbeitsplatz, keine begonnene Arbeit. Sie waren jeden Augenblick bereit, einer Goldspur zu folgen.

Eine Anzahl mit schweren Hämmern oder Brechstangen zerschlagener Quarzstücke wies auch auf die Anwesenheit einzelner hin. Aber sie mußten doch nachts zum Turon ziehen, denn hier oben gab es keinen Tropfen Wasser. Jetzt war es wohl noch zu früh, ihnen schon zu begegnen. Als sich die beiden Männer endlich überzeugt hatten, daß kein menschliches Wesen sich hier aufhielt und ihnen vielleicht folgen würde, kreuzten sie den Einschnitt und kletterten auf der anderen Seite erst wieder eine Strecke steil hinauf, bis sie von den Büschen verdeckt wurden. Dann hielten sie sich schräg den Hang hinauf, um in dieser Richtung allmählich zum Gipfel zu gelangen.

Aber wie zog sich das in die Länge, und wie öde war der Wald, dem der Engländer zu Recht den Namen »Nimmergrün« gegeben hat. Nicht einmal Schatten werfen die grauen, in der leichten Morgenluft nur klappernden, nicht rauschenden Blätter, die mit den Stengeln senkrecht am Zweig sitzen. Sie sehen aus, als wollten sie dem ausgetrockneten Boden auch nicht einen Tropfen kostbaren Regenwassers entziehen.

Hafften war müde. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, und seine Glieder wurden schwer wie Blei. Wie ihm ging es vielen Menschen, wenn sie in die höheren Berge stiegen. Sein Begleiter schien das Wort Müdigkeit gar nicht zu kennen. Er war immer voraus, sprang einmal halb rechts, einmal halb links ab, um hier auf einen Felsblock, da auf einen umgestürzten Gumriesen zu klettern und sich einen Überblick zu verschaffen. Sein früheres stilles, fast schwermütiges Wesen war verschwunden, sein Auge nicht mehr so dunkel, die blassen Wangen gefärbt. Lächelnd blieb er endlich stehen und rief seinem mühsam hinterher keuchenden Begleiter zu:

»Nur noch wenige Minuten Geduld, lieber Freund, und ich führe Sie zur Belohnung an meine Zisterne. Da können wir ganz bequem rasten und frühstücken.«

»Das ist gut«, sagte Hafften. Er blieb stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Donnerwetter, ist mir warm geworden. Sie haben hier oben eine Zisterne angelegt?«

»Ich nicht, sondern Mutter Natur«, lachte sein Begleiter. »Sehen Sie den großen Stein da vor uns? Gleich zwischen den beiden Stringybarkbäumen hindurch?«

»Er hat Ähnlichkeit mit einem Sarg.«

»Genau der. Kommen Sie noch bis dahin, dann zeige ich Ihnen ein Wunder, das allein schon die Mühe des Heraufkletterns lohnt.«

Hafften hätte sich am liebsten gleich hier ausgeruht. Da aber die Entfernung bis zu dem Stein nur noch gering war, raffte er sich noch einmal auf, und nach kaum zehn Minuten hatten sie ihn auch erreicht.

»So, aber jetzt keinen Schritt weiter«, sagte der Deutsche, nahm sein Bündel ab und warf sich in den kühlen Schatten des Steines. »Erst müssen wir uns erholen und stärken. Die Kletterei kann wirklich der Böse holen!«

»Aber wir sind noch nicht oben«, lächelte sein Begleiter. »Und haben das schlimmste Stück eigentlich noch vor uns.«

»Das sind ja heitere Aussichten«, stöhnte von Hafften. »Wenn ich aber eine Weile gerastet habe, stehe ich wieder zur Verfügung. Jetzt zapfen Sie aber auch Ihre Zisterne an. Wenn das Wasser da oben in dem Stein sein sollte, sieht's böse damit aus. Dort hinauf können wir nicht ohne Leiter, und mir vertrocknen die Lippen.«

Der junge Mann erwiderte nichts, nahm aus seiner Tasche einen kleinen, ledernen Jagdbecher und hielt ihn in eine der Spalten, die der Felsblock hatte. Gleich darauf zog er ihn gefüllt zurück und sagte:

»Jetzt trinken Sie, aber vorsichtig, das Wasser ist eiskalt und könnte schädlich wirken.«

»Eiskalt in der Sonnenglut?«

»Probieren Sie nur.«

»Donnerwetter, wie Nektar«, rief Hafften, kaum daß er einen Schluck probiert hatte. »Wie ist das denn möglich?«

Der Fremde sah ihm lächelnd zu, wie er durstig das Wasser hineinschlürfte, und sagte dann:

»Ich sehe, Sie sind mit der Zisterne zufrieden. Aber die Sache ist ganz einfach, und ich bin nur durch einen Zufall darauf gestoßen. Dieser ganze riesige Stein muß wohl hohl sein oder zumindest eine Höhlung haben. Dadurch sickert das Wasser in einen unteren Behälter und bleibt hier herrlich kühl und frisch wie in einem Eiskeller.«

»Aber wie in aller Welt haben Sie den Platz gefunden? Neben diesem Stein könnte ein Mensch verschmachten, ohne zu ahnen, daß hier Rettung wäre.«

»Ich kam einmal hier an dem Hang entlang«, sagte der Fremde, »als ich einen Emu sah, der den Kopf dort hineingesteckt hatte. Als er mich auf den Steinen kommen hörte, lief er den Berg hinab. Ich konnte mir nicht denken, weshalb der scheue Vogel seinen Kopf in den Stein steckte, und untersuchte ihn deshalb. Dabei entdeckte ich ein paar frische Wassertropfen auf dem Fels. Erst fühlte ich mit dem Arm vorsichtig hinein und entdeckte diese Zisterne, die bestimmt mehrere Eimer Wasser enthält.«

Während er sprach, hatte er sich selbst auch etwas geholt. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatten, holten die beiden Wanderer auch ihre Lebensmittel hervor und stärkten sich vor dem Weitermarsch. Hafftens Führer versicherte ihm, daß der Weg sehr rauh werden würde, aber kaum noch eine Stunde dauere.

Hafften hatte seinen Begleiter noch nie so heiter, so auf fast wilde Art lustig gesehen, wie er jetzt aus seinem Leben erzählte. Gleichzeitig sprach er von einem wunderbar schönen Frauenbild, daß er merkwürdigerweise immer wieder mit ihrem heutigen Marsch in Verbindung brachte. Ihre Hand, meinte er, würde sie ihrem Ziel entgegenführen.

Hafften sagte lächelnd: »Eine so liebenswürdige Schöne würde sich bestimmt ungemütlich zwischen dem Felsgeröll fühlen. So gern ich in Damengesellschaft bin, so bedaure ich gar nicht, dieses Wunder heute nicht bei uns zu haben. Wir müßten sie wahrscheinlich abwechselnd tragen.«

»Die tragen?« rief der Fremde, und ein eigenartiger, fieberartiger Blick schoß zu seinem Begleiter hinüber. »Sie sollten sie über diese Steine tanzen sehen!«

»Na, das wäre ein Kunststück«, schmunzelte Hafften vor sich hin. »Aber wie ist es, Kamerad, ich denke, wir haben lange genug geruht. Wenn es Ihnen recht ist, setzen wir unseren Marsch lieber fort. Je länger wir an Ort und Stelle Tageslicht haben, desto besser. Nachdem Sie diese Quelle so gut gefunden haben, fange ich auch an, an Ihren Goldsee zu glauben.«

»Fangen Sie an?« wiederholte der Fremde mit einem sonderbaren, spöttischen Lächeln. »Und Sie sind doch schon den ganzen Berg heraufgestiegen! Aber wir haben noch Zeit, wir dürfen den Platz nicht vor der Abenddämmerung erreichen.«

»Was? Früher nicht?«

»Nein, sie erlaubt es nicht«, sagte sein Begleiter leise.

»Sie? Wer?«

»Pst – kommen Sie. Wir können von hier aus nur noch langsam vorwärts kommen, denn der Weg ist rauh und Sie sind an die Felspartien noch nicht gewöhnt.«

»Aber hier geht es gut!«

»Sind Sie schwindelfrei?«

»Es geht, aber ich habe es auch noch nie richtig ausprobiert. Müssen wir schlechte Stellen passieren?«

»Vielleicht finden Sie heute Gelegenheit, Ihre Schwindelfreiheit zu erproben«, sagte sein merkwürdiger Führer, griff sein Bündel auf und stieg wieder in das wüste Felsenchaos hinein, in dem von hier aus ihr Weg lag.


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