Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Sechzehntes Kapitel

Jedes Wort, das jetzt kam, war mir ein Schmerz. Nie werde ich ihre Worte jetzt und unsern seltsamen Abschied vergessen.

Als ich mich wieder gesetzt hatte, begann Maud:

»Gerade an jenen Abenden, die deine Hilfe waren, habe ich mich geistig verhoben. Wenn ich an sie denke, ist es wie ein Wasserfall von Worten, die über mich strömten. Menschen, Geschehnisse, Lebensschicksale – alles strömte über mich hin. Ich fühlte nur noch, wie müde es mich machte. Und doch hatte ich Mitleid mit dir. Doch liebte ich dich. Aber während du dich frei redetest, sehnte ich mich hinaus ins Leben. Das hast du vergessen, Karsten. Dahin hast du mich nie geführt. Ich nahm all das deine auf mich; aber ich vermochte es nicht zu tragen. Und was ich dir zu geben hatte – dafür hattest du nicht Raum.

Verstehst du mich? Oder fängst du wenigstens an, zu verstehen? Ich liebte dich, und ich wußte, ich mußte versuchen, es zu tragen. Abend für Abend kamst du, und kein Tag verging, ohne daß du mir irgend etwas Neues erzähltest. Erinnerst du dich noch an unsere Verlobungszeit? Du kamst zu mir auf mein kleines Zimmer, oder du holtest mich ab und wir gingen aus. Schon da fingst du an. Und mein Mitleid mit dir war so groß, daß ich die Tage bis zu unserer Hochzeit zählte, nur damit ich das Recht hätte, dich nie mehr allein zu lassen. Du brauchtest mir gar nichts zu erklären, Karsten. Ich begriff schon damals, daß du mir all das zum Teil sagtest um mich zu warnen. Du hast mich auch in klaren, unverblümten Worten gewarnt. Du sagtest mir gerade heraus, ich würde bei dir nie das Glück finden, und du warst meinethalben verzweifelt, daß wir uns überhaupt begegnet waren.

Aber alles das band mich nur immer fester an dein Geschick. Und gleichzeitig machte es mich müde. Geradezu lebensmüde. Ich war naiv genug, zu glauben, ich hätte die Macht, dich zu ändern. Er braucht nur Glück, dachte ich. Ja, ich war so kindisch oder so dumm oder so voll Selbstvertrauen – wie du willst – daß ich dachte: Keine kann ihm das Glück geben, als ich.

Es war ein Traum. Nur zu gut lernte ich verstehen, daß es ein Traum war. Aber ich brauchte Zeit, um aus dem Traum zu erwachen. Zuletzt sah ich doch ein, daß ich dir das Glück, das du brauchtest, nicht geben konnte. Ich so wenig wie irgend eine andere. Als ich endlich wach war, fand ich, daß ich in meiner alten Einsamkeit lebte. Was ich dir geholfen hatte, zu tragen, Karsten, das hatte meine Kraft gestohlen. Es hatte aufs neue mein ganzes Innere zugeschlossen. Und als ich mich mit offenen Augen umsah, da saß ich da in meiner alten Einsamkeit, ärmer als in der Zeit, eh ich dich getroffen hatte. Und damit glitt ich von dir fort und gab den Kampf auf. Glaub' mir, es hat lang gedauert, eh ich es tat.

Etwas über ein Jahr nach jener Zeit traf ich Rolf. Nein, bleib sitzen, Karsten. Hör mich an, wie ich Jahr um Jahr dich angehört habe. Es ist lange her – aber es war doch einmal. Und einmal kannst wohl auch du der sein, der zuhört. Das bist du mir fast schuldig.

Es war nur eins, das Rolf mir gab. Aber das war auch alles. Er verstand mich ganz und gar, Karsten, ohne daß ich ihm etwas zu sagen brauchte. Er kennt auch dich, besser als du glaubst, und er hat dich lieb, wenn du es auch jetzt nicht glaubst. Unser Verhältnis fing damit an, daß er von dir sprach, wenn wir allein waren. Du darfst nicht glauben, ich hätte ihm irgend etwas von dem verraten, was du mir anvertraut hattest. Er wußte es auch so, Karsten. All das Komplizierte, scheinbar sich Widersprechende, Gewaltsame und Milde, Lichte und Dunkle, Leidvolle und Ausgelassene in deiner Natur verstand er. Und er ahnte mehr von der Ursache, als du je ahnen kannst. Wenn du deine bösen Tage hattest, war er meine Zuflucht. Er kam ja oft, und nicht selten hast du uns allein gelassen.

Jedenfalls warst du es, der uns zusammenführte. Und dann das, daß ich müde war. Du hattest mich müde gemacht, Karsten. Du verlangtest so unendlich viel mehr, als du selber weißt.

Und du mißtrautest mir immer. Du quältest auch ihn. Deine Freundschaft und deine Liebe – beides ist grausam. Du quälst andere damit, und du bist so empfindlich, daß man dir in dem Augenblick, in dem man es am wenigsten ahnt, weh getan hat. Dann schweigst du. Und man läuft herum und kommt sich vor wie ein Verbrecher. Oder auch du sprichst. Und aus jedem Wort klingt der kranke Zweifel an mir, an ihm, an allem . . .

Er hatte die Fähigkeit, mich so zu nehmen, wie ich war; und er stellte niemals Fragen an mich.«

Maud verstummte plötzlich. Ich begriff, daß sie jetzt etwas sagen wollte, was sie ganz besonders quälte. Darum ermutigte ich sie ein bißchen. Und da sagte sie:

»Er verlangte nie, ich solle so ganz in ihm aufgehen, wie du das verlangt hast. Ich kann das nicht, Karsten. Vielleicht ist etwas in mir, das erstarrt ist, oder auch, das immer so – wie soll ich sagen – unzugänglich war. Auch ich habe Bedürfnisse, die nicht immer befriedigt werden. Auch ich bin ein Mensch für mich, Karsten. Ein Weib, das deine Frau, nichts anderes als deine Frau gewesen wäre, das sich mit dir eingeschlossen, dich umsorgt, mit dir gelebt, keinen andern Gedanken als dich und das Deine gehabt hätte – ein solches Weib hätte dich glücklich gemacht, Karsten, so wie ich es nie gekonnt habe.«

 


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