Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Erstes Kapitel

Ich hab mich müde gegrübelt, all das zu begreifen, was ich in ein paar kurzen Jahren erlebt habe. Es war ja so wenig, was ich verlangte, und so viel, was ich geben wollte . . . Eigentlich verlangte ich bloß, geben zu dürfen . . .

Und dennoch . . .

Müde wandre ich in meinem Zimmer auf und ab; wenn die Lampe heruntergebrannt ist, werf' ich mich aufs Bett und sinke in Schlummer – – aber nicht in Schlaf. Noch hat die Zeit, die verflossen ist, mich nicht geheilt. Und doch müßten die Jahre längst das ihrige getan haben. Niemand weiß, daß ich so lebe. Niemand ahnt, daß dann und wann, wenn ich's am mindesten glaube, das Alte wieder aufbricht in mir, die alten Wunden, die sich nicht heilen lassen wollen. Züge gehen und kommen auf dem kleinen Bahnhof. Der Winter kommt früh hier oben im Norden, und der Schnee liegt schon hoch über Hecken und Feld. Dunkel heben sich um mich die Berge gegen den Nachthimmel mit seinen Sternen. Niemals hab ich sie leuchten sehen damals, als die große Stadt mich gefangen hielt. Die Winternacht ist nah. Bald wird die Sonne ganz verschwinden, und Monate werden vergehen, eh ich sie wieder emporgleiten sehe über die Berge, die mein Tal umgrenzen. Vielen Menschen begegne ich nicht hier. Und die Züge gehen nicht so oft im Winter.

Hier müßte alles in mir sich klären. Aber auch das geht langsam. Es ist wie ein Genesen nach einer langen Krankheit, die in mir kämpft, mich nicht loslassen will . . .

Neulich fuhr ich nach der Stadt, um meinen Jungen zu besuchen. Wir schlossen uns auf seiner Stube ein und saßen da bis spät am Abend. Manchmal sah der Junge mich an, als wollte er meine Gedanken erraten, und sagte:

»Haben wir's nicht gemütlich jetzt?«

»Doch!« antwortete ich. »Gemütlicher haben wir's gar nie gehabt . . .«

Er strahlte und kam zu mir her und streichelte mir den Bart, wie ein Mädchen oder ein Kind. Oder eigentlich wie ein älterer Freund, den um des Jüngeren willen eine Unruhe quält . . . Ich verstand ihn ja so gut. Er ängstigt sich, was ich in meiner Einsamkeit anfange, seit er mich allein auf dem Land draußen gelassen und das Gymnasium bezogen hat. Ich wiederum kann die Furcht nicht los werden, er könnte Schaden gelitten, könnte eine Art seelischen Knax davongetragen haben von allem, was er durchgemacht hat. Er ist auch ein bißchen blaß und klein, als wär er im Wachstum stehen geblieben.

Aufs neue erwachen die Gedanken, während ich im Zug sitze, der mich dampfend durch Wald und schneeverhülltes Land nach Hause zurückführt.

Aber ich habe den Entschluß gefaßt, gesund zu werden, und um mich selber darin zu bestärken, schreib' ich dies hier nieder. Ich bin kein Schriftsteller. Was ich schreibe, weist auch die Spuren davon auf. Ich bin nichts als ein Mensch, der nah daran war, sich am Leben zu verheben . . .

Aus der ersten Zeit meiner Ehe möchte ich am liebsten gar nichts erzählen. Zu jener Zeit war ich schlechtweg glücklich, das heißt, so glücklich, wie ein Mensch meiner Art überhaupt sein kann. Und glückliche Menschen haben bekanntlich keine Geschichte. Ich will auch nicht erzählen, wie Maud und ich ursprünglich auseinanderkamen. Das heißt, das kann ich nicht erzählen. Denn eben hierin liegt das ganze Rätsel, das mich krank gemacht hat. Maud hat es mir gesagt und ich hab es ihr gesagt. Sie hat auf ihre Weise geredet und ich auf meine. Aber in all dem, was zwischen uns geredet worden ist, ist nichts, was ich festhalten und worin ich eine Erklärung finden kann die mir Ruhe gibt.

Ich hab einmal ein Märchen gehört. Hier draußen, wo ich jetzt lebe, kommen die Märchen zu mir. Der Bahnhof liegt am Fuß des Gebirgs, und viele Stunden können vergehen, ohne daß ein Zug kommt. Und in der Stille beginnen die alten Märchen zu reden. Besonders an eines erinnerte ich mich an einem solchen Abend. Es war das von der Waldfrau. Viele Sagen gibt es von ihr. Und sie sind alle ganz verschieden. Aber in einem Punkt stimmen sie alle überein. Die Waldfrau schenkt dem Manne höheres Glück, als Erdenfrauen ihm schenken können. Aber im Wald hat die Waldfrau einen Fuchsschwanz, oder auch ist sie hohl wie ein Backtrog oder ein morscher Baumstumpf. Das sieht man erst, wenn sie einem den Rücken wendet. Der Sage nach ist sie grausam, böse, hohl. Es gibt, wie gesagt, viele solche Sagen von Rittern und von Königen.

Aber an keine von denen denke ich. Die, an die ich denke, handelt von einem Mann, der einsam im Wald lebte.

Seine Hütte war niedrig, und er nährte sich von Jagd und Fischfang. Aber die Tage wurden ihm lang. Denn er war ein warmherziger Mensch. Und er sehnte sich nach einem Weib.

Schwermütig lag er eines Morgens und sah die Sonne durch ein Astloch an der Wand über seinem Bett spielen. Es war zeitig im Frühling; die Regenwasser rauschten durch den Wald, daß man sie weithin hörte. Das vermehrte seine Schwermut, und er seufzte vor Sehnsucht.

Da sah er, wie die Sonnenstrahlen im Astloch sich gleichsam verdichteten, und etwas rann durch die Wand zu ihm herein. Zuerst erbebte er vor Schreck. Denn er kannte jedes Getier im Wald und wußte, wo Gefahren drohen. Aber als er sich umblickte, stand ein Weib am Herd und machte Feuer. Nie hatte er Schöneres gesehen.

Da stand er von seinem Lager auf, und schnitzte, ohne ein Wort zu dem Weibe zu reden, mit seinem Taschenmesser einen Keil, den er in das Loch trieb.

Die Waldfrau blieb bei ihm und schenkte ihm ihre Liebe. Sie bettete sein Lager und kochte sein Essen. Sie ward ihm ein demütiges, williges Weib. Ein Kind gebar sie ihm auch. Tag und Nacht beglückte sie ihn.

Viele Jahre lebten sie so, und der Mann fing schon fast an, zu vergessen, wie er zu seiner Frau gekommen war. Aber eines Nachts, als er in ihren Armen ruhte, fragte sie ihn kosend, wie er zu ihr gekommen wäre. Und der Mann begriff, weshalb sie in den letzten Wochen so schwermütig gewesen war, wie dereinst er, zu der Zeit, da er einsam war. Erst wollte er nicht antworten; aber berauscht vom Kuß der Waldfrau gab er nach. Er nahm den Holzkeil heraus, der noch im Astloch saß. Und siehe! Da spielte der Mondschein übers Lager herein. Denn draußen im Wald war es Nacht.

Und er sah, wie sein Weib vor seinen Augen gleichsam durchsichtig ward und eins mit dem Mondlicht. Und auf demselben Weg, wie sie gekommen war, glitt sie wieder hinaus. Durch die Wand vernahm er einen klagenden Laut, wie wenn im Fels der Uhu ruft.

Er ging zum Bett, wo das Kind lag. Es war kalt und tot. Da verstand er, weshalb die Waldfrau geklagt hatte, als sie entschwand.

Denn ihm ward jetzt klar, daß er mit der Waldfrau verheiratet gewesen war. Und nie ward er wieder wie zuvor. Sein ganzes Leben lang wartete er auf sie. Aber im Wald begegnete er ihr nimmer.

 


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