Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Zwölftes Kapitel

Es war schrecklich, Maud in diesen Tagen zu sehen. Nichts von allem, was sie sagte oder tat, vermochte ich zu verstehen. Es schien, als wäre ihre Energie erschöpft, und es gab Augenblicke, in denen ich Mitleid mit ihr hatte. Es war, als würde sie sogar körperlich weniger. So hilflos sah sie manchmal aus. Oft gemahnte sie mich an die Maud, die ich so lange schon entbehrte. Und doch hatte sie mich kaltblütig und mit Überlegung betrogen. Über mein und Harrys Leben war sie hingegangen wie ein vernichtender Brand. Mit Lügen hatte sie ihn und mich hinters Licht geführt, und welche Energie sie auf diese Lügen verwandt hatte, das begriff ich von Tag zu Tag mehr.

Ruhig und ohne alle großen Worte hatten Maud und ich besprochen, wie wir unsere Zukunft einrichten wollten. Wir kamen einander entgegen soweit es nur möglich war. Nichts schien äußerlich verändert, abgesehen davon, daß wir einander nicht mehr aus dem Wege gingen. Harry kam und ging zwischen uns, als wäre nichts geschehen. Und sogar an ihm war zu merken, daß das, was geschehen war, für ihn eine Erleichterung bedeutete. Er war ja wohl wortkarg, wie das so in seiner Natur lag. Aber von der Unruhe, die vorher jede seiner Bewegungen gekennzeichnet hatte, war jetzt keine Spur mehr vorhanden. Am meisten wunderte mich in dieser Zeit, daß der Unwille, den ich bisher gegen meine Frau gehegt hatte, mehr und mehr einem Gefühl Platz machte, dem ich keinen Namen zu geben vermag. Interesse lag darin, und sogar Zärtlichkeit. Eine gute Portion Bitterkeit war freilich auch dabei. Aber die Bitterkeit war nicht von der Art, daß sie meine übrige Gefühlswelt gestört oder getrübt hätte. Sie hatte eher den Charakter eines notwendigen und natürlichen Zubehörs, das dereinst mit all dem andern, was die Erinnerung an unsere verflossene Ehe bildete, zusammenfließen würde. Ich wußte auch nichts von Mauds Plänen. Fragen wollte ich sie nicht, und sie selbst erzählte mir nichts von sich.

Mehr und mehr fing ich an, Maud nicht in ihrem Verhältnis zu mir und unserer Ehe, sondern so, wie sie an sich war, zu sehen. Sie wurde für mich dadurch fast zu einem neuen Menschen, einer neuen Frau. Einmal hatte ich diese Frau geliebt – und sie mich. So fest war ich an sie gebunden gewesen, daß ich nicht im Traum daran gedacht hatte, es könnte einst der Tag kommen, an dem sie und ich unsere eigenen Wege gehen würden. Hatten wir nicht noch in den Tagen unseres Glücks davon gesprochen? Natürlich hatten wir das! Natürlich hatten wir davon gesprochen, daß der Tag kommen könnte, an dem die Liebe versiegt wäre. Wir hatten davon gesprochen, daß keins dem andern dann im Weg stehen wollte. Welcher moderne Mann hat nicht mit seiner Frau von derartigem gesprochen? So fest, so frei von Zweifel ist in unsern Tagen keiner.

Aber nie hatte ich im Ernst geglaubt, daß die Trennung kommen könnte. Darin lag der große Unterschied zwischen ihr und mir. Sie hatte mit diesem Gedanken gerechnet als mit einer Möglichkeit. Ich nicht. Darum hatte ich sie auch gehaßt in der Zeit, als ich im Nebel herumlief und nichts sah. Darum war ich auch blind gewesen und hatte nichts gesehen oder nichts sehen wollen.

Und doch hatte ich vielleicht gesehen. Natürlich hatte ich gesehen. Es gibt ja wohl keinen Menschen, der in einem solchen Fall nichts sieht. Hatte ich Harry, als die Wahrheit sich ihm über die Lippen drängte, auch nur nach einem Namen gefragt? Stieg dieser Name nicht sogleich in mir auf, ohne daß ich zu fragen brauchte? Es war nicht nur das Schamgefühl dem Kind gegenüber, das mir die Zunge band. Auch nicht allein das unglaubliche Feingefühl, das, sogar wenn alles zu Ende ist, einem Mann die Zunge bindet – zu allererst dem Kind gegenüber, an dem doch beide teilhaben. Der Name, die Person war mir ganz einfach Nebensache. Nicht einmal zwischen Maud und mir wurde in den ersten Tagen der Name ihres Liebhabers genannt. Wir vermieden es beide, weil wir wußten, es bedurfte dessen nicht. Unendlich gleichgültig schien mir alles, was dereinst zwischen uns beiden gewesen war; und doch konnte ich nicht anders als glauben, daß Maud und ich doch noch einmal ein Gespräch miteinander haben würden. Mich verlangte nicht nach einem solchen Gespräch. Ich fürchtete es eher. Ich fühlte nur, es war eine Notwendigkeit – so, wie ich war und wie sie war.

Es überraschte mich darum auch nicht, als Maud sich eines Abends zu mir wandte und sagte:

»Du bist verändert, Karsten. Ich kenne dich gar nicht mehr.«

Ich stutzte und antwortete:

»Wieso?«

»Du bist ruhiger,« sagte sie. »Du bist so, wie ich dich aus unserer ersten Zeit kenne.«

Eine Röte huscht über ihr Gesicht und ich begreife – sie glaubt, ich könne ihre Worte so deuten, als wolle sie mich zurückerobern. Ruhig, als spräche sie zu einem Fremden, fährt sie jedoch fort:

»Du siehst zufrieden aus – und tatkräftig. So unglücklich hab' ich dich also gemacht! So ganz und gar war ich daran, dich zugrunde zu richten!«

Ich kann ihr nichts erwidern. Ich weiß ja nur zu gut, daß sie recht hat. Und an dem neuen Leben, das in mir erwacht ist, hat sie kein Teil.

 


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