Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Zweites Kapitel

So unerwartet kam dereinst auch Maud in meinen Weg. Ich fühlte mich einsam, wie kaum einer in der Hauptstadt. In meinem Blut lebte die Erinnerung an meine Jugend im Wald. Mein Vater war nämlich Förster gewesen. Er hatte mich zum Studieren gezwungen, um mir das harte Leben zu ersparen, das er selbst hatte. Während ich noch Student war, starb er. Ich habe ihn nie gekannt.

Ich erhielt eine bescheidene Anstellung beim Eisenbahndienst. Aber ich war ein Fremdling in meiner Umgebung. Die Menschen waren mir so fremd, daß ich mich ihnen kaum zu nähern wagte. Vielleicht war etwas Krankhaftes in mir. Maud hat es immer behauptet. Und sie hatte wohl recht. Aber wird nicht das Gemüt krank, wenn man in eine Umgebung kommt, in der man nicht daheim ist? Gibt es nicht viele solcher Kranken?

Ich weiß nur, daß, weil ich mich fremd fühlte unter den Menschen, ich mir meine eigene Welt aufbaute, eine Welt, die ich in mir selbst trug. Schwermütig lebte ich dahin; es war mir unheimlich, einsam auf einem Zimmer mit der Aussicht auf Telephongalgen und Dächer zu sitzen. Da kam Maud in mein Leben. Wie ich mich ihr zu nähern wagte, ist mir ein Rätsel. Was hatte ich ihr zu bieten? Aber sie nahm mich so, wie ich war. Und was kein anderer in mir sah, das sah sie. Von dem Tag an wich meine Schwermut. Glücklicher konnte kein Mann sein, als ich.

Dennoch wich die Schwermut nicht auf immer. Später kehrte sie zurück, tauchte ganz plötzlich mitten aus meinem Glück auf und ängstigte mich. Da suchte ich Trost bei Maud, und als ich nicht fand, was ich suchte, begann mein Übel wieder Macht über meine Seele zu gewinnen.

Nun ist es im allgemeinen gefährlich, eine bürgerliche Stellung innezuhaben, wenn man sich so ganz und gar nicht auf die Kunst versteht, bürgerlich zu leben. Andere merken das nämlich. Und die Solidität, die die Gesellschaft von einem derartigen Hausstand erwartet, fehlt. Es ist immer gefährlich, seinem Leben ein Gepräge zu geben, das dem der andern nicht gleicht. Ich muß es selbst gestehen – unser Haushalt machte nie den Eindruck, als wär es ein Haushalt wie der der andern. Er machte den Eindruck, daß da ein Mann mit seiner Geliebten hauste, und sogar der Knabe, der in den Zimmern umhersprang und spielte, hatte in seinem ganzen Wesen etwas Zwangloses, als sei er die Frucht einer ungesetzlichen Verbindung. Unser Haushalt war nicht so, wie der eines Beamten sein soll und muß. Ihm fehlte vollständig die Art Ernst, die Gewicht verleiht. Maud und ich gehörten außerdem zu denen, die gern Freunde bei sich sehen, und so lang alles in unserem Haus eitel Freude war, fehlten diese auch nie. Aber wenn sie von uns sprachen, schüttelten die Freunde die Köpfe und sagten: »Das geht nicht auf die Dauer. Frau Maud ist zu apart, und er ist viel zu verliebt in seine Frau.« Eine eigentümliche Figur müssen wir gemacht haben in der Welt – so als Mann und Frau betrachtet. Immerhin – unser Leben ging weiter, wie das der andern auch. Auch ökonomisch schlugen wir uns durch, und nach vielem Wenn und Aber erhielt ich schließlich sogar eine Beförderung. Und die Freunde sagten: »Wird sich zeigen, wie lang das so weitergeht.« Im übrigen, das weiß Gott, lebten wir bürgerlich genug. Unsere Wünsche gingen nicht über das hinaus, was Menschen erreichbar ist. Und dennoch hatten unsere Freunde recht. Lange währte unsere Freude nicht. Nicht einmal, daß ich befördert und daß unsere Lage eine recht gute wurde, konnte uns retten. Immerhin – befördert wurde ich. Ah, der Tag, an dem ich auf meine Visitenkarte drucken lassen konnte: Karsten Bloch, Kontrolleur in der Eisenbahnverwaltung! Nie vergeß ich den. Damals schien mir, als wär ich nun über das Schlimmste weg. Und doch begann damals, oder gleich darauf, das Unheil.

Illusionen! Illusionen!

Als ich glaubte, der beste Teil unsres Lebens würde jetzt erst kommen, war schon alles zu Ende.

Wir nahmen zu jener Zeit eine andere Wohnung. Mein Wunsch war das nicht. Ich hing an den beiden kleinen Zimmern ganz am Ende der Regierungsstraße, wo wir anfänglich gewohnt hatten. Als ich sah, wie Maud unsern Hausrat zusammenpackte und von den Wänden die kleinen Zieraten nahm, die wir, eins ums andere, dort aufgehängt hatten, schnitt es mir ins Herz. Leer und öde schauten die Zimmer uns nach, als wir sie verließen. Und in mir klang es, als ob unheimliche Dissonanzen in meinen Ohren schrillten. Mir traten die Tränen in die Augen. Als ich ein letztes Mal die Treppen hinabging, war ich allein. Maud war so glücklich, daß sie diese Räume, die für mich alles enthielten, verlassen durfte, daß ich nicht das Herz hatte, ihre Freude zu stören. Wie von einer Last befreit verließ sie die Räume, die unser Glück umschlossen hatten.

Dennoch war ich froh, daß Maud sich nicht mehr abarbeiten mußte, wie bisher, daß wir nun die Mittel hatten, ein Dienstmädchen zu halten. Wie eine Königin kam sie mir vor, und eine Königin soll nicht unter der groben Arbeit des Lebens leiden. Zudem sagte sie, sie hätte die Gegend, in der wir zuerst wohnten, nie ausstehen können. Die obere Regierungsstraße war zu jener Zeit ein trübseliger Stadtteil. Nur arme und kleine Leute wohnten da. Maud liebte es, unter die Menschen zu gehen, die ganz Stockholm kennt. Sie wollte im Sonnenschein leben. Ihr Stockholm war nicht das meine. Aber ich zog um, weil ich wußte, daß sie es wünschte.

Ja, ich war sogar der erste, der auf eine Veränderung drang. Unsere neue Wohnung war bald zu unserem Empfang bereit. Sie lag ganz hinten in der Kardellstraße, der kleinen, schmalen Gasse, die von der Sturestraße abgeht. Dicht bei der großen Pulsader, auf der Stockholms beau monde zu flanieren pflegte, lag sie. Mir war fast ängstlich zumut, so oft ich nach Hause ging. Die Wohnung war nicht groß, aber bequem. Mir war sie groß genug, so groß, daß es mir schien, als wären Maud und ich wer weiß wie weit auseinandergekommen. Maud hatte ihr Zimmer, Harry seines und ich meines. Das Traumland war verschwunden.

Es war verschwunden. Aber das sah ich nicht, wollte es nicht sehen. Äußerlich lebten Maud und ich wie zuvor. Stark, wie zuvor, glühte in mir die Illusion. Jahre vergingen, in denen ich mir einbildete, das Glück sei mit uns gezogen. Meine Kollegen hatte ich nie zu mir eingeladen. Sie hätten sich bei uns nicht wohl gefühlt. Weder der Ton noch der Verkehr würde ihnen gepaßt haben. Ich hielt meinen Beruf und mein Familienleben so ängstlich getrennt, wie zwei Welten, die nichts miteinander zu schaffen haben. In der ersten Zeit hatte meine Frau den Haushalt allein geführt. Und es wäre im Amt eine schlechte Empfehlung für mich gewesen, wenn meine Kollegen damals einen Einblick in unsere ungeschickte Wirtschaft bekommen hätten. Und auch, als ich es hätte machen können, lebte ich auf dieselbe Art weiter. Ich wollte meine Welt für mich haben. Ich sah ja mehr als genug von diesen Menschen, die ich nicht verstand. Tüchtige Menschen, arbeitsame, ehrenwerte Menschen. Aber so ganz anders als ich, daß ich lachen mußte, wenn ich daran dachte, was für Gesichter sie machen würden, wenn ich ihnen eines schönen Tags erzählte, welches meine Gedanken, meine Freuden und Liebhabereien waren! Aber ich hütete mich wohl! Ich war nie eine Rebellennatur gewesen, und Proselyten machen – das konnte und wollte ich nicht. Ich war ganz einfach ein Mensch, der, so gut er konnte, sein eigenes Ich zu wahren versuchte. Im Innersten ein unbedeutender Mensch, ein Spießbürger.

Ein anderes war für mich das Amt – ein anderes die Familie. Ich lebte in zwei vollständig getrennten Welten, und befand mich wohl dabei. Daraus baute ich mir meine Traumwelt. Eine ganze Traumwelt baute ich auf um Maud und mich; und es war meine Lust, wenn ich auf dem Bureau saß, die Augen manchmal zu schließen und mich an dem Gedanken zu laben, daß ich einen Winkel in der Welt hatte, der mein eigen war. Ich lachte vor mich hin. Ich fand das lustig. Zu denken, daß ich einen heimlichen Glückswinkel hatte, von dem keiner etwas ahnte! Was tat es, ob die Vorgesetzten mich überlegen behandelten und der Bureaudiener ein bißchen herablassend war? Ich war nicht wie die andern. Ich paßte nicht zu ihnen. Was tat's? Mein Traumland hatte ich, das konnte keiner mir nehmen. Und dort wartete ein Weib auf mich, das ich liebte. Ein Weib und ein Kind, das mein war! Es war mir eine Wonne, zu wissen, daß hier, auf meinem Bureau, keiner sie kannte. Keiner kannte sie oder mich. Sie und ich – wir waren wie zwei große Kinder, die einander an der Hand halten, um sich nicht einsam zu fühlen in der großen, wilden Welt. Darum ward mein Heim zu einem Wunderland, wie Dichter es sich errichten, um aus der Welt dorthin zu fliehen. Kein Unbefugter hat Zutritt. Makellos, unberührt ist für sie das Wunderland, und ein solches besaß auch ich in meinem Heim.

Der große Bienenkorb, in dem ich eine Stellung einnahm, lag im großen Zentralbahnhofsgebäude, und von meinem Fenster aus hatte ich die Aussicht auf das schmutzige Glasdach, unter dem die Züge aus und einrollten. Ich war nun einmal bei der Eisenbahn angestellt, und seit ich Maud gefunden hatte, dachte ich auch gar nicht daran, daß ich mich überhaupt zu etwas anderem eignen könnte. Den ganzen Tag lang hörte ich die Züge pfeifen und schnauben und die Wagen rasseln. Eigentlich war mir nichts unangenehmer; denn ich hasse den Lärm. All das Geräusch, das eine große Stadt erfüllt, ist mir eine ganz besondere Qual. Und wenn ich mich vor den Stoß von Papieren setzte, der mich jeden Morgen erwartete, wünschte ich mir oft den Tod – nur damit ich nicht mehr zu hören brauchte. Ich bin nämlich mitten im großen Wald geboren, und nach ihm hab' ich immer Heimweh gehabt. Darum brauchte ich auch inmitten dieser Werkstatt des Lärms das Bewußtsein, daß ein Traumleben auf mich wartete. Mit seiner Hilfe gelang es mir auch oft, zu vergessen, daß ich ein eingesperrter Waldmensch war, der sich an den unrechten Platz verirrt hatte, und der Lärm störte mich fast gar nicht mehr. Ich trug in mir den festen Punkt, von dem Archimedes sprach, und um den ein Mann zum mindesten seine eigene kleine Welt drehen kann.

Im übrigen hatte ich nicht nur ein Traumland, sondern ich hatte deren zwei. Das zweite lag auf einer Insel weit draußen in den Schären. Es lag einer Bucht gegenüber, und man mußte von der Dampferlandestelle mit dem Boot hinüber rudern. War ich nicht reich? Dort wohnte ich, wenn der Urlaubsmonat kam, mit den Meinen, und nie dachte ich dann daran, daß ich wieder in die Stadt zurück mußte. Kein Baum wuchs da, dessen Gestalt ich nicht noch jetzt deutlich vor mir sehe. Keine Bucht, keine Untiefe im Wasser, die ich nicht gekannt hätte. Früh morgens saß ich im Kahn und ruderte: die Angel wirbelte hinter dem Boot her; im Schilf schlug der Hecht. Und spät abends, wenn das lichte Sommerdämmer sank, wanderten Maud und ich durch den Wald.

Aber wozu von all dem reden? Ich sehe noch die Sonnenuntergänge da draußen . . . Und das Wasser, das klare Wasser! Die Insel lag nah am offenen Meer. Die Haselwälder seh ich noch, die Eiche, die sich über das große Rondell breitete, wo im Herbst die Champignons aufschossen, den Landungssteg mit dem grauen Bootshaus – – – alles seh ich noch. Und ich glaubte, daß Maud das ebenso liebte, wie ich. Zu einer Zeit tat sie das gewiß. Nur daß ich und alles, was zu mir gehörte, zu gering war für sie.

Um sie sammelte sich alles, was ich mein nannte. Kein Mensch kann ohne Ansporn leben. Mögen auch blasse Kirchenmänner das Gegenteil predigen. Ich glaub es nicht. Meine Stimulanz, die mich zur Arbeit, Entbehrung und Freude antrieb, hieß Maud.

Damals war sie noch der Schmetterling, der in der Puppe lag. Aber in meinen Augen schimmerten ihre Flügel wie eitel Sonnenglanz. Eines Tages sollte sie selbst sich vollentwickelt nennen – – das war der Tag, an dem sie nicht länger mein war. Ein Leben des Genusses lebten wir miteinander. Alles, was die Dichter besingen, was die Kunst in ihren Werken preist, erlebten wir miteinander. Unsere Tage wurden zu Festen, und jeden Tag eroberten wir eine neue Freude, die wir am vorhergehenden noch nicht entdeckt hatten. Auch dunkle Stunden erlebten wir. Ach ja – – später denkt man nur noch an das Gute und vergißt alles andere. Aber sie vertrieb das Dunkel, um sie flimmerte die Luft im Sonnenglanz. So steht mir diese unsere erste Zeit im Gedächtnis, und so wird sie mir immer im Gedächtnis stehen. Blond war Maud. Wie Goldschaum stand ihr das Haar um das Gesicht mit den seltsamen Augen und dem roten Lächeln. Schöne Kleider liebte sie, Wein und Blumen mochte sie genießen und schauen, ausgeschnittene Kleider trug sie; denn ihre Büste war üppig und ihre Schultern fest und weiß. Bei den Frauen ringsum erregte sie Neid, und bei den Männern Freude.

Wäre ich nicht selbst so ganz gefangen gewesen in meinem stummen Glück, so wär ich auch nicht so blind gewesen. Vielleicht hätte ich dann Maud nicht verloren. Aber was tut's? Gerade meine Blindheit schenkte mir ein Glück, wie nichts sonst auf Erden es vermocht hätte.

Aber ich will mit dem Anfang beginnen. Brennend wie Feuer ziehen die Erinnerungen durch meine Seele.

Man muß bedenken, daß die Geschichte meiner Ehe in der ersten Hälfte der achtziger Jahre beginnt. Ein Sohn des jetzigen Schwedens wird sich vergeblich eine Vorstellung von der Generation zu machen versuchen, die damals aufwuchs. Alle die schönen Worte, die jetzt die Sprache schmücken, waren damals noch nicht erfunden. Eine ganz andere Terminologie beherrschte die Gemüter. Aber man täuscht sich sehr, wenn man glaubt, daß die Lebenslust darum schwächer gewesen wäre, weil sie in selbstbewußter Kraft nach scheueren Ausdrücken suchte. Die Lebenslust war sogar so stark, daß sie die Menschen nicht selten zu Opfern trieb. Ich lebte in Upsala in Berührung mit dieser Generation, die davon träumte, ihrer Zeit eine Wiedergeburt zu schenken. Und alles das war nur Lebenslust. Auch ich hatte Zeiten, in denen mich der Gedanke, einzugreifen, zu verbessern, auch meinen Strohhalm herbeizuschleppen zum Haufen in dem großen Neugestaltungskampf, der noch immer vor sich geht, nicht losließ. Sogar nachdem ich schon im Beamtenrock steckte, träumte ich noch immer, daß ich im Dienst der Ideen lebe, die meine Jugend erfüllt hatten. Alle Arbeit, sagte ich mir, ist eine Arbeit für die Menschheit. Alles läßt sich in den Dienst der Ideen stellen, die durch das Licht einiger weniger, einfacher Lebensmaximen die Welt erleuchten. Viele Jahre lang hielt ich diese Augentäuschung für Wirklichkeit.

Man sagt, die Weisen Indiens verlangen vor ihren Jüngern, daß sie sich des Weibes enthalten. Ein Abgrund liegt zwischen dieser Lehre und der Philosophie des Abendlands.

Das Weib trat in meinen Weg, und ich machte es zu meiner Frau, damit die Welt uns nicht in unserem Glück stören möchte. Aber das Weib nahm mir meine Gedanken und mein Ziel, meine Vorsätze und meine Philosophie. Und dennoch dank ich ihr. Sie gab mir mehr, als je eine Philosophie erträumt hat. Vielleicht hätte sie weniger gegeben, hätte sie nicht die Macht der Täuschung besessen.

 


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