Gustaf af Geijerstam
Das ewige Rätsel
Gustaf af Geijerstam

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Dreizehntes Kapitel

Nicht um einander näher zu kommen, begannen wir unser Gespräch. Sondern es war, als wolle der Kampf, der zwischen uns getobt hatte, sich bis zuletzt sein Recht nehmen. Es war, als wollten wir einander – oder uns selbst – erklären, was doch im innersten nicht erklärt werden kann. Oder auch war es vielleicht nichts von alledem. Vielleicht trieb uns nur, ohne daß wir es wußten, das unaussprechliche Verlangen des Menschen, sich selbst und andere zu quälen. Ich weiß es nicht. Ich weiß bloß, daß plötzlich – während wir ganz ruhig und klar miteinander redeten – Vorwürfe auftauchten – Anschuldigungen, die in der dumpfen Ruhe der ersten Tage geschlummert hatten. Alles, was in unseren Temperamenten unvereinbar war, alles, womit ich sie gequält hatte und sie mich, alles, was heimlich fortgewuchert hatte, alles, worüber wir früher – ach, nur allzu oft – gesprochen hatten – – alles lebte wieder auf und drängte sich über unsere Lippen.

Maud ging in ihrem Zimmer auf und ab, das ich seit der Entdeckung nicht mehr betreten hatte. Ich saß im Lehnstuhl unter der Lampe, und wieder begann ich etwas von der entsetzlichen Spannung zu fühlen, die die beiden letzten grauenhaften Jahre erfüllt hatten. Schwer atmend erhob ich mich. Es war ja alles zwischen uns gesagt. Was war noch hinzuzufügen?

Da hielt mich Maud zurück.

»Geh nicht!« sagte sie.

Mechanisch blieb ich in der Türöffnung stehen. Ich wollte nichts hören, und doch konnte ich nicht gehen. Mit zorniger Stimme rief ich:

»Haben wir einander denn noch mehr zu sagen?«

»Vielleicht,« antwortete sie.

Und nach einer Pause – kurz, scharf, fast gehässig:

»Du weißt ja nichts von mir.«

Der Ton, in dem sie diese Worte aussprach, machte mich stutzig. Es kam mir plötzlich, daß eine Wahrheit lag in dem, was sie da sagte, und daß diese Wahrheit vielleicht wertvoller für mich war, als ich selbst wußte. Maud muß etwas gemerkt haben von dem Eindruck, den sie auf mich machte; denn in fast heftigem Ton fuhr sie fort:

»Setz dich! Ich kann nicht reden, wenn ich dich stehen sehe.«

»Du hast mir in all diesen Tagen nichts gesagt,« begann sie. »Du hast es vermieden, von dir zu sprechen. Du hast es vermieden, von mir zu sprechen. Du hast das Ganze behandelt, als wäre jetzt alles in Ordnung. Ich bin ein verbrecherisches Weib. Ich habe dich betrogen. Du wartest darauf, daß ich gehe, und wenn ich erst fort bin, wirst du ein neues Leben beginnen.«

»Ich wollte dich und mich schonen,« sagte ich . . .

»Schonen!« rief sie. »Schonen! Was brauchen wir einander zu schonen!«

Sie fuhr sich mit den Händen ins Haar – eine Gebärde, die ich so gut kannte von all den Augenblicken her, in denen sie erregt war . . .

»Du darfst mir glauben, Karsten,« fuhr sie fort. »Wenn einer dich schonen will, so bin ich's. Und ich weiß wohl, daß das, was ich dir jetzt sagen will, dich mehr quälen wird als irgend etwas auf der Welt.«

Sie hielt plötzlich inne und es war, als schlucke sie die Tränen hinunter. Doch als sie weiterredete, zitterte ihre Stimme nicht.

»Aber vielleicht möchtest du doch gern etwas von mir wissen. Du hast ja noch ein langes Leben vor dir – wie ich auch.«

Darauf fuhr sie ruhig und überlegt fort:

»Du hast mich die ganze Zeit über verurteilt, Karsten. Und hast mich sehr hart verurteilt. Widersprich mir nicht. Wozu? Du möchtest jetzt gern barmherzig sein, weil du weißt, mein Anblick wird dich bald nicht mehr quälen. Aber all das Barmherzigsein nützt dich nichts. Glaubst du, ich weiß nicht doch, was ich weiß? Glaubst du, ich kann vergessen, was du mir alles in diesen langen Jahren gesagt hast? Wie oft hab ich dich nicht angesehen, wenn du grübelnd, verstimmt hier umhergegangen bist! Du saßest neben mir, oder auch du gingst in deinem Zimmer auf und ab. Und beständig, hast du über mich nachgegrübelt – – wie ich war. Und damit verurteiltest du mich, Karsten. Du hast das Bild zerschlagen, das du einmal im Herzen trugst. Und so gründlich hast du das getan, daß du es nie wieder ganz machen konntest. Nie wieder. Auch wenn das, was jetzt geschehen ist, nie geschehen wäre.«

»Und das wagst du mir vorzuwerfen,« unterbrach ich sie. »Du, die . . .«

Ich konnte nicht weiterreden. Die Erbitterung erstickte meine Stimme.

»Ich, die ich einen andern liebe,« fuhr sie fort. »Ich werfe es dir auch nicht vor. Aber geliebt habe ich dich doch, Karsten.«

Ein niedriger Argwohn erwachte in mir. »Sie will dich halten!« dachte ich. »All das ist Weiberlist. Sie will dich wiedergewinnen. Aber es soll ihr nicht gelingen.« Ich fühlte, wie sich mein Herz verhärtete, und ich freute mich, daß es so war.

Maud fuhr mit leiserer Stimme fort:

»Was ich dir jetzt sage, ist die Wahrheit. Ich habe dich weniger betrogen, als du glaubst. Jaja, ich habe dich ja freilich betrogen. Aber das sollst du doch wissen. Es hat mich keiner dir genommen. Meine Liebe zu dir war tot, als ich – – ihn traf.«

»Ist das wahr?«

»Weshalb sollte ich lügen jetzt? Hab' ich nicht genug gelogen? Dir gegenüber – Harry gegenüber – allen gegenüber. Das war mein größter Fehler, daß ich es dir nicht sagte, als die Wahrheit mir klar wurde. Da schwieg ich. Und ich bildete mir ein, ich täte das aus Rücksicht auf dich. Weil ich wußte, daß deine Liebe noch lebte. Aber so war es nicht, Karsten. Ich schwieg aus Feigheit. Ich schwieg, weil ich nicht wußte, was aus mir werden sollte, wenn ich von dir ginge. Ich kann ja nichts. Was hätte aus mir werden sollen? Darum schwieg ich. Und ich sagte mir: Ein zweites Mal begegnest du der Liebe nicht. Dazu bist du zu alt. Aber die Liebe begegnete mir. Und ich war nicht zu alt. Das wurde meine Strafe. – – Quäle ich dich sehr jetzt?«

»Nein,« antwortete ich kurz.

»Ich versteh' es,« fuhr sie fort. »Ach, ihr Männer! Ihr sagt, ihr liebt uns, und ihr verlangt, wir sollen euch verstehen. Aber wenn ihr in einer Frau etwas findet, das euch fremd ist – was tut ihr da? Ihr wollt es ganz einfach nicht glauben.«

Sie blickte jetzt zur Seite, während sie sprach, und etwas, das stärker und gleichsam härter war als Scheu, lag über ihrer ganzen Gestalt, während sie fortfuhr:

»Du weißt nicht, was es mich gekostet hat, dir meine Liebe zu schenken – oder das, was du so nanntest. Du hast mich auch gequält.«

Ich holte tief Atem. Jedes Wort, was sie sagte, glaubte ich ihr; trotzdem sagte ich:

»Meine Ahnung hat mich also nicht betrogen, als ich seinerzeit das Gefühl hatte, daß das Unglück kam.«

»Nein,« erwiderte sie. »Das war auch für mich das Schlimmste.« Sie blickte auf mit einem Lächeln, das ich nicht zu deuten wußte. »Glaubst du,« sagte sie, »ich sage das, weil ich bei dir bleiben möchte?«

»Vielleicht möchtest du schließlich doch um Harrys willen bleiben?« sagte ich.

Ein langes Schweigen folgte diesen Worten.

Zuletzt brach Maud in Tränen aus. Über den Tisch gebeugt, barg sie das Gesicht in den Händen.

Ich blieb noch lange sitzen. Und das Ticken der kleinen Uhr auf Mauds Schreibtisch war der einzige Laut, den ich hörte. Ich weiß noch, daß ich die Schläge zählte, mich verrechnete, die Zahl vergaß und wieder von vorn anfing . . .

Mauds Weinen war zu aufrichtig. Ich konnte nicht länger zweifeln. Alles, was sie an mir und an sich selbst verbrochen hatte, weinte sie jetzt vor meinen Augen aus.

»Vergiß, was ich gesagt habe, Maud,« sagte ich milder. »Vergiß alles, wenn du kannst. Ich will versuchen, dir zu glauben.«

 


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