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Zehntes Kapitel

Soames macht Zukunftspläne

Es war reichlich spät für den Fluß, aber das Wetter war herrlich und der Sommer zögerte unter den gilbenden Blättern. Soames schaute an diesem Sonntagmorgen oft nach dem Wetter aus von seinem Garten am Flußufer in der Nähe von Mapledurham. Er schmückte sein kleines Hausboot eigenhändig mit Blumen und traf alle Vorbereitungen, um nach dem Frühstück mit ihnen auf dem Fluß zu rudern. Als er die chinesischen Kissen ins Boot legte, wußte er nicht recht, ob er wünschte, Annette allein mitzunehmen. Sie war so sehr hübsch – konnte er sicher sein, nicht unwiderrufliche Worte zu sagen, die alle Besonnenheit über den Haufen warfen? Die Rosen an der Veranda standen noch in Blüte, und die Hecken waren immergrün, so daß fast nichts von herbstlichem Altern zu merken war, das abkühlend wirken konnte, und doch war er nervös, unruhig, sonderbar mißtrauisch gegen seine Kraft, den rechten Kurs zu steuern. Dieser Besuch war geplant, um Annette und ihrer Mutter einen bestimmten Eindruck von seinem Besitztum zu verschaffen, so daß sie eine Eröffnung, die er später vielleicht zu machen geneigt sein würde, mit Respekt entgegennehmen konnten. Er kleidete sich mit großer Sorgfalt an, machte sich weder zu alt noch zu jung, dankbar, daß sein Haar noch dicht und weich war und noch kein Grau darin. Dreimal ging er in seine Bildergalerie hinauf. Wenn sie überhaupt etwas davon verstanden, mußten sie sofort sehen, daß seine Sammlung mindestens ihre dreißigtausend Pfund wert war. Er prüfte auch eingehend das hübsche Schlafzimmer nach dem Fluß hinaus, wo sie ihre Sachen ablegen würden. Es sollte ihr Schlafzimmer sein, wenn – wenn etwas aus der Sache würde und sie seine Frau war. Er ging an den Toilettentisch und strich über das lilafarbene Nadelkissen, in dem alle Arten von Nadeln steckten; einer Parfümschale entstieg ein Duft, der ihn ein wenig benommen machte. Seine Frau! Wenn die ganze Sache nur abgemacht werden könnte, ohne erst diesen Alp der Scheidung erdulden zu müssen; und mit finster gerunzelter Stirn blickte er auf den Fluß hinaus, der hinter den Rosen auf dem Rasenplatz hervorschimmerte. Madame Lamotte würde dieser Aussicht für ihr Kind nie widerstehen können; Annette nie ihrer Mutter Widerstand leisten. Wenn er nur frei wäre! Er fuhr zum Bahnhof, um sie abzuholen. Welch einen Geschmack diese Französinnen doch hatten! Madame Lamotte war in Schwarz mit einer Spur von Lila hier und dort, Annette in graulila Leinen mit cremefarbenen Handschuhen und Hut. Sie sah ziemlich blaß und nach Londoner Luft aus, und ihre blauen Augen blickten ernst. Von jener sinnlichen Freude an Blumen, Sonnenschein und Bäumen bewegt, die nur vollkommen ist, wenn Jugend und Schönheit daran teilnehmen, stand Soames in der offenen Verandatür des Speisezimmers und wartete auf ihr Herunterkommen zum Lunch. Er hatte es mit größter Überlegung zusammengestellt; der Wein war ein ganz besonderer Sauterne, die ganze Anordnung der Speisen vollkommen, und der Kaffee, auf der Veranda serviert, vorzüglich. Madame Lamotte nahm einen Crême de Menthe; Annette lehnte ab. Ihr Benehmen, das ein ganz leises Bewußtsein ihrer Schönheit verriet, war bestrickend. ›Ja,‹ dachte Soames, ›noch ein Jahr London und diese Art von Leben, und sie ist verdorben.‹

Madame erging sich in französischen Entzückensäußerungen. »Adorable! Le soleil est si bon! Wie ›chic‹ alles ist, nicht wahr, Annette? Monsieur ist ein wahrer Monte Christo!« Annette murmelte zustimmend und warf dabei einen Blick auf Soames, den er nicht enträtseln konnte. Er schlug eine Fahrt auf dem Fluß vor. Aber mit zwei Personen im Boot, von denen eine auf den chinesischen Kissen so hinreißend aussah, litt man nur unter dem Gefühl, eine Gelegenheit zu versäumen; sie fuhren daher nur eine kurze Strecke bis Pangbourne und trieben langsam zurück, während ab und zu ein Herbstblatt auf Annette oder die schwarze Fülle ihrer Mutter fiel. Und Soames war nicht glücklich, denn der Gedanke ›Wie – wann – wo – kann ich – was sagen?‹ quälte ihn. Sie wußten noch nicht einmal, daß er verheiratet war. Sagte er es ihnen, so konnte das jede Chance aufs Spiel setzen; allein, gab er ihnen nicht entschieden zu verstehen, daß er Annettens Hand begehrte, würde ein anderer zugreifen, bevor er frei war sie zu fordern.

Beim Tee, den beide mit Zitrone tranken, sprach Soames über Transvaal.

»Es gibt Krieg,« sagte er.

Madame Lamotte fand das bedauerlich.

»Ces pauvres gens bergers! Kann man sie nicht in Ruhe lassen?«

Soames lächelte – die Frage schien ihm so abgeschmackt.

Als Geschäftsfrau müßte sie doch verstehen, daß die Briten ihre legitimen Handelsinteressen nicht im Stich lassen konnten.

»Ah! das war es!« Aber Madame Lamotte fand, daß die Engländer ein wenig heuchelten. Sie sprachen von Gerechtigkeit und den ›Uitländern‹, nicht von Geschäft. Monsieur sei der erste, der ihr davon gesprochen habe.

»Die Buren sind nur halbzivilisiert,« bemerkte Soames, »sie hindern jeden Fortschritt. Es ginge niemals an, unsere Oberhoheit aufzugeben.«

»Was bedeutet das? Oberhoheit? Was für ein seltsames Wort!« Diese Bedrohung des Besitzprinzips und Annettens Augen, die auf ihn gerichtet waren, regten Soames an, seine Beredsamkeit zu entfalten und er freute sich, als sie dann sagte:

»Ich glaube, Monsieur hat recht. Es muß eine Lehre für sie sein.« Sie hatte vernünftige Ansichten!

»Natürlich,« sagte er, »müssen wir mit Mäßigung handeln. Ich bin kein Chauvinist. Wir müssen fest sein, ohne sie zu mißhandeln. Wollen Sie heraufkommen, meine Bilder zu sehen?« Als er sie von einem zum andern seiner Schätze führte, bemerkte er bald, daß sie nichts kannten. Sie gingen an seinem letzten Mauve, der vortrefflichen Studie eines ›Heuwagens auf dem Heimweg‹ vorüber, als wäre es eine Lithographie. Er wartete beinahe mit Schrecken darauf zu sehen, was sie zu dem Juwel seiner Sammlung – einem Israels, sagen würden, dessen Preis, wie er beobachtet hatte, stets stieg, bis er jetzt fast gewiß war, daß er den Gipfelpunkt erreicht hatte und daher lieber auf den Markt geworfen werden müßte. Sie sahen ihn überhaupt nicht an. Das war ein Schlag für ihn; und doch war es vielleicht besser, in Annette einen unvoreingenommenen Geschmack zu bilden, als mit dem albernen, unreifen Vorurteil des englischen Mittelstandes zu tun zu haben. Am Ende der Galerie hing ein Meissonier, dessen er sich eigentlich schämte – Meissonier ging so sehr herunter im Preis. Madame Lamotte blieb davor stehen:

»Meissonier! Ah! Welch ein Juwel!« Sie hatte den Namen gehört, Soames benutzte diesen Moment. Er berührte leise Annettens Arm und sagte:

»Wie gefällt Ihnen mein Haus, Annette?«

Sie schreckte nicht zurück, antwortete nicht, sie blickte ihn voll an, sah dann vor sich nieder und murmelte:

»Wem würde es nicht gefallen? Es ist so schön.«

»Eines Tages vielleicht –« sagte Soames und hielt inne.

So hübsch sie war, so beherrscht – fürchtete er sich doch. Diese kornblauen Augen, die Wendung ihres weißen Halses, ihre zarten Formen – waren eine beständige Versuchung zu Unbesonnenheiten! Nein! Nein! Man mußte sichern Grund unter sich fühlen – viel sichereren! ›Wenn ich mich fernhalte,‹ dachte er, ›wird es sie quälen.‹ Und er ging hinüber zu Madame Lamotte, die noch vor dem Meissonier stand.

»Ja, das ist ein ganz gutes Exemplar seiner späteren Werke. Sie müssen wiederkommen, Madame, und sie bei Beleuchtung sehen. Sie müssen beide kommen und hier übernachten.«

»Entzückend, es wäre ja wundervoll, sie bei Licht zu sehen. Auch bei Mondschein, der Fluß muß bezaubernd sein!«

Annette murmelte:

»Du bist sentimental, Maman!«

Sentimental! Diese schwarzgekleidete, biedere, kräftige Französin von Welt! Und plötzlich fühlte er mit voller Sicherheit, daß keine von beiden Sentiments hatte. Um so besser. Was nützen Sentiments? Und doch –!

Er fuhr zur Bahn mit ihnen und half ihnen in den Zug. Es kam ihm vor, als erwiderten Annettens Finger ganz leise den festen Druck seiner Hand, ihr Gesicht lächelte ihm durch die Dunkelheit zu.

Nachdenklich ging er zum Wagen zurück. »Fahren Sie nach Haus, Jordan,« sagte er zum Kutscher, »ich werde gehen.« Und in innerem Widerstreit zwischen Vorsicht und dem Verlangen nach ihrem Besitz schritt er langsam durch die dunkelnden Heckenwege. ›Bon soir, monsieur!‹ Wie sanft sie das gesagt hatte. Wenn er nur wüßte, wie es in ihr aussah! Die Französinnen sind – wie die Katzen. – Man wußte nie, woran man war! Aber – wie schön! Dies vollendete junge Ding in den Armen zu halten! Was für eine Mutter für seine Erben! Und mit einem Lächeln dachte er an seine Familie und ihr Erstaunen über eine Französin als seine Frau, an ihre Neugierde und die Art, wie er sie hinhalten würde – der Teufel hole sie! Die Pappeln ächzten in der Dunkelheit, eine Eule krächzte. Schatten vertieften das Wasser. ›Ich will und muß frei sein!‹ dachte er. ›Ich will es nicht länger hinausschieben. Ich werde hingehen und Irene aufsuchen. Soll etwas geschehen, so muß man es selbst tun. Ich muß wieder leben – leben und mich bewegen und wieder ich selbst sein.‹ Und als Widerhall dieses sonderbaren Ausbruchs rief das Geläute der Kirchenglocken zum Abendgebet.


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