Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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XXVI
Gauner und Abenteurer

Einfluß der Reformation. Polizei. – Räuber und Mordbrenner. Fremde Gaukler. – Schilderung der Vagierenden nach Garzoni. – Komödianten und Einfluß der Abenteurer auf die Literatur. – Vornehme Gauner. Goldmacher

Das alte Geschlecht der Fahrenden wurde durch die Reformation zum großen Teil beseitigt. Nächst dem Herrn Papst und den habgierigen Gastwirten in Rom hatte niemand größeren Grund, mißvergnügt in die neue Zeit zu blicken als die ungeheure Familie der Bettler, welche auf den Kirchhöfen lagen oder heischend durch die Länder zogen. Denn das Almosengeben hatte für den größten Teil Deutschlands aufgehört im Sinne der Kirche »ein gutes Werk« zu sein, welches dem Spendenden den Pfad zum Himmel ebnete. Wer jetzt einem andern spenden wollte, der hatte sich zu fragen, ob er dadurch auch in Wahrheit etwas Gutes erweise. Aber der neue Glaube nahm nicht nur den Almosen die alte Heilkraft, er brachte auch eine andere Ordnung in Städte und Dörfer, er hob die Macht der Landesherren und förderte eine Landespolizei, welche bedächtig über die Mauern der Städte und Dörfer hinaus auf die Landstraße wandelte und im Namen landesherrlichen Statuts dem Wanderer lästige Fragen stellte. Auch die fahrenden Schüler hatten aufgehört, seit die lateinischen Schulen bessere Disziplin, einen Lektionsplan und theologische Lehrer erhalten hatten, denen nicht mehr not tat, gestohlene Gänse mit den Bacchanten zu verzehren.

Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wird der neue Polizeisinn mächtig. Die Schulen, welche Luther und seine Mitarbeiter überall eingerichtet haben, tragen ihre Frucht. Auch in den Dörfern des protestantischen Deutschlands werden etwa seit 1530 die Kirchenbücher regelmäßig geführt und Flurbücher neu angefertigt, der Schullehrer ist auch Gemeindeschreiber, und man sieht aus der sorgfältigen Handschrift und sachverständigen Behandlung lateinischer Redeschnörkel, welche in den Dorfakten häufig werden, daß der Schreiber die lateinische Schule durchgemacht hat. In dem mittleren Deutschland sind diese Schriftstücke der Dörfer bis zum Dreißigjährigen Krieg in der Regel weit sorgfältiger als von da ab bis zur Zeit unserer Väter. Auch der kleine Mann, der sein Dorf verläßt, erhält einen Heimatsschein, seinen Ausweis, welcher ihn der Gunst der andern Gemeinden empfiehlt.

Freilich wurden die Landstraßen dadurch noch nicht sicher. Die Wegelagerer, welche auf Grund eines Fehdebriefes Bürger und Bauern belauerten, waren nicht sofort auszurotten, und es fehlte nicht an Verzweifelten, welche ohne Fehdebrief ihre Waffe gegen jedermann erhoben.

Durch das ganze Mittelalter waren die Räuber eine unvertilgbare Plage gewesen. Sie zogen sich zuweilen in Heerhaufen von vielen hundert Köpfen zusammen oder saßen in Banden auf der Schloßmauer räuberischer Edelleute. Von Luther ab ist ein zeitweiliger Wechsel in ihrer Haupttätigkeit zu erkennen, wie bei herrschenden Krankheiten. Sie werden vorzugsweise Mordbrenner. In längeren Zwischenräumen erscheinen ganze Banden von Brandstiftern, Drohbriefe werden gefunden, einem geheimen Zusammenhang der Banden wird eifrig nachgespürt. Am merkwürdigsten ist die Mordbrennerzeit von 1540-1542. Im mittleren Deutschland, besonders in dem Gebiet der protestantischen Häupter, des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen von Hessen, erschien plötzlich fremdes Gesindel. Kassel, Nordheim, Göttingen, Goslar, Braunschweig (damals im Streit mit dem Herzog), Magdeburg wurden angesengt, Nordhausen zum Teil, Einbeck bis auf den Grund verbrannt, dabei dreihundertundfünfzig Menschen; Dörfer und Scheunen wurden überall angezündet, freche Brandbriefe regten die Bevölkerung auf, endlich auch die Fürsten. Allgemein wurde das Geschrei, die katholische Partei habe mehr als dreihundert Mordbrenner gedungen, Papst Paul III. sollte den Rat gegeben, Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig sollte das Gesindel nach Sachsen und Hessen gesandt haben. Allerdings war dem gewissenlosen Herzog vieles Arge zuzutrauen, Papst Paul III. aber hatte gerade damals kaum ein näheres Interesse als das, die Protestanten schonend zu behandeln. Denn ernsthaft wurde von beiden Seiten an einer großen Aussöhnung gearbeitet und in Rom die Sendung des Kardinals Contarini zum großen Religionsgespräch in Regensburg vorbereitet. Doch Angst und Zorn der Deutschen war anhaltend und groß. Überall spürte man nach den Brennern, überall sah man ihre Spuren, viele Haufen Gesindel wurden gefangen, peinlich verhört und gerichtet. Luther beschuldigte den Herzog Heinrich öffentlich des ruchlosen Frevels, der Kurfürst und der Landgraf verklagten ihn wegen Mordbrennens auf dem Reichstag vor dem Kaiser, und umsonst verteidigte er sich mit seinen Getreuen in seiner heftigen Weise. Zwar dem Kaiser, der damals vor allem inneren Frieden und Hilfe gegen die Türken suchte, galt die Schuld für unerwiesen, aber in der öffentlichen Meinung blieb dem Fürsten der Makel. Es ist möglich, aus diesen Streitschriften das Wogen und Wandern der damaligen Fahrenden zu erkennen. Die Aussagen der Verhafteten sind ungenau mitgeteilt, und es ist nicht zu entscheiden, wieviel die Folter in diese hineingedichtet hat. Aber einiges ist sehr deutlich, die Menge des Gesindels, ferner daß sie – zum Teil – mit ihren Genossen in festem Zusammenhang stehen, daß sie keine stetigen Banden bilden, sondern für die einzelnen Unternehmungen geworben werden, und zwar, wie sie mehrfach aussagen, von nicht erkennbaren Unbekannten um Geld, endlich daß ihr geheimer Verkehr durch Zeichen vermittelt wird, welche sie an auffallenden Orten, Wirtshäusern, Wänden, Türen usw. einkratzen oder einschneiden. Diese Zeichen sind zum Teil uralte deutsche Personenbezeichnungen, welche als »Hausmarken« noch jetzt auf den Giebeln alter Gebäude zu finden sind, zum Teil aber auch besondere Spitzbubenzinken. Darunter das charakteristische Zeichen der Fahrenden, der Pfeil, einst das ankündigende Symbol der Feindschaft; die Richtung seiner Spitze zeigt den Weg, den der Zeichner genommen, kleine Striche senkrecht auf ihm, oft mit Nullen darüber, geben wahrscheinlich die Personenzahl an.

Der Krieg hatte das Gefüge der bürgerlichen Gesellschaft fürchterlich gelockert. Die alte Ordnung und Zucht der Deutschen schien beinahe geschwunden. Übergroß war die Zahl der Unglücklichen, welche Haus und Hof, Nahrung und Familie verloren hatten und heimatlos in ungastlicher Fremde umherirrten; nicht weniger zahlreich die Schar der Verdorbenen, die sich gewöhnt hatten, von Betrug, Erpressung und Raub zu leben. Dem ganzen lebenden Geschlecht war Aufregung zum Bedürfnis geworden, durch dreißig Jahre hatte das fahrende Gesindel von ganz Europa Deutschland zum Tummelplatz gewählt; viele seßhafte Leute, gelehrte protestantische Geistliche und angesehene Bürger waren mit Bettelbriefen in der Fremde umhergezogen und hungrig um die Lagerfeuer der Soldaten geschlichen, überall hat der Krieg Armseligkeit zurückgelassen und stille Mißachtung der heimischen Verhältnisse; nur in der Fremde war, so meinte man, noch stattliches Leben und Glück zu gewinnen; was nicht weit her war, galt nichts, und was aus der Fremde kam, wurde angestaunt. So geschah es, daß nach dem Frieden das Treiben der Glücksritter, Abenteurer und Betrüger eine merkwürdige Ausdehnung erhielt. Es ist besonders charakteristisch für die folgenden hundert Jahre der Schwäche und Roheit, ein Gegensatz zu dem dürftigen verkümmerten Familienleben, in welchem sich das Gemüt des deutschen Bürgers zusammenzog.

Während des Krieges hatte das Einströmen der Gauner in die Heerhaufen beigetragen, den Soldaten zu verderben. Jetzt nach dem Krieg ballte sich das Gesindel wieder in Banden zusammen. Am Rhein, im Spessart, in Böhmen, in den Niederlanden bestanden große Genossenschaften der schändlichsten Bösewichter, ganze Dörfer waren von ihnen besetzt. Die Namen von Hannickel, Nickel-List, Lips Tullian wurden das Entsetzen zweier Generationen. Ihre Grausamkeit, ihre kühnen Wagnisse, ihre Kunst zu verschwinden sträubten das Haar der Furchtsamen am Kachelofen des adligen Schlosses wie am Küchenfeuer der Dorfhütte. Eifrig wurde jeder Einbruch, jeder greuliche Mord besprochen, zuletzt barbarische Berichte über die Hinrichtung nebst den angehängten Warnungsversen mit Andacht gelesen.

Zu den einheimischen Umhertreibern kamen aber auch fremde. Wieder zog wie im Mittelalter der Strom italienischer Abenteurer durch Deutschland. Neben dem deutschen Spielmann schrie der welsche Theriakverkäufer, und bei dem Bären aus Böhmen trotteten die Kamele aus Afrika. Venezianische Wundermittel, die Lappenjacke, Larve und Filzmütze der italienischen Narren wanderten über die Alpen und wurden als neues Torenwerk zu unserem alten Vorrat gefügt.

Von dem Treiben solcher fahrenden Leute hat der Italiener Garzom in seinem Buch »Piazza universale«, einer Beschreibung aller Künste und Handwerke seiner Zeit (Venedig 1610. 4.), ein ergötzliches Bild gegeben. Sein Werk wurde im Jahre 1641 von Matthäus Merian unter dem Titel: »Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerker« ins Deutsche übertragen. Die Schilderung des Italieners porträtiert in der Hauptsache auch die Verhältnisse des südlichen Deutschlands nach dem Krieg: [...]

Die wandernden Komödianten sind in ihren Gebärden unhöfliche Esel und Ruffianer, die sich bedünken lassen, sie hätten es gar schön eingerichtet, wenn sie den gemeinen Haufen durch ihre groben Zoten zum Lachen bewegen. Ihre inventiones sind so, daß man wohl die Kröten damit vergeben möchte, und reimt sich alles aufeinander, wie eine Faust auf ein Auge; sie fragen nichts danach, wenn sie nur das Geld erhalten mögen, wozu sie genugsam geschliffen und abgerichtet sind. Und wenn sie auch leicht etwas Grobes beschneiden und bemänteln könnten, so lassen sie sich bedünken, sie täten ihren Sachen kein Genüge, wenn sie es nicht auf das allergröbste herausstießen; derohalben die Komödia und die ganze Ars comica in äußerste Verachtung bei ehrlichen Leuten geraten ist, und werden die Herren Komödianten aus etlichen Orten verwiesen, durch öffentliche Gesetze und Statuten verachtet und von ganzen Gemeinden verhöhnt und verspottet. Wenn die guten Herren in die Stadt kommen, dürfen sie nicht wohl beieinanderbleiben, sondern müssen sich in unterschiedliche Wirtshäuser verteilen, die Frau kommt von Rom, der MagnifikusHier und weiter unten die stehenden Charaktere der älteren italienischen Komödie. von Venedig, die Ruffiana von Padua, der Zani von Bergamo, der Gratianus von Bologna, und sie müssen etliche Tage lang umherlaufen, bis man die Erlaubnis heraus erbettelt, wollen sie sich anders mit solcher ihrer Hantierung durchbringen und ernähren; da sie doch bei denen, die sie kennen, schwerlich ankommen können, sintemal jedermann der Unfläter überdrüssig ist, und wo sie einmal hinkommen, da riecht es noch eine geraume Zeit nach dem Unrat, den sie hinter sich lassen.

Wenn sie aber in eine Stadt kommen und ihnen zugelassen worden ist, ihre Possen zu machen, dann lassen sie sich mit Trommelschlagen und anderm Feldgeschrei hören, mit Anschlägen, daß diese oder jene Herren Komödianten angekommen seien, dann geht die Frau in Mannskleidern der Trommel nach, mit angegürtetem Degen, und wird das Volk an allen Orten geladen: »Wer eine schöne Comödiam sehen will, der komme an diesen oder jenen Ort.« Dahin kommt denn das vorwitzige Volk gelaufen, wird um drei oder vier Kreuzer in einen Hof gelassen, da findet es ein aufgeschlagenes Gerüst und ordentliche Szenas. Zuerst geht eine herrliche Musika vorher, als wenn ein Haufen Esel zusammen schrien; dann kommt ein Prologus wie ein Landläufer aufgezogen; danach kommen die schönen und übel gezierten Personen, die machen ein Gekäk daher, daß jedermann anfängt, die Zeit lang zu werden, und wenn vielleicht einer lacht, so geschieht solches vielmehr über die Einfalt der Zuschauer, als daß er etwas findet, was lachenswert wäre. Da kommt ein Magnifikus, der nicht drei Heller wert ist; ein Zani, der zwar das Beste tut, besteht aber wie eine Gans, die durch einen tiefen Dreck watet; ein Gratianus, der die Worte herausdrückt, als wenn er salva venia auf dem heimlichen Gemach säße, eine unverschämte Ruffiana. Ein Buhler, dem man überdrüssig wird länger zuzuhören; ein Spagnoll, der nichts anderes weiß zu reden als sein mi vida oder mi corason; ein Pedant, der allerhand Sprachen ineinander vermengt, ein Buratinus, der keine andern Gebärden weiß, als seinen Hut oder Haube in der Hand umherzudrehen. Die vornehmste Person ist so beschaffen, daß sie weder zu sieden noch zu braten taugt, so daß die Umstehenden alle miteinander ermüden und sich selbst verlachen müssen, daß sie solchen nichtigen Possen so lange zugehört haben. Und die müssen wohl müßige Leute oder übergroße Narren sein, die sich zum andernmal dahin verleiten lassen, da doch die Untüchtigkeit der Schauspieler in der ersten Comödia, die sie gehalten, genugsam bekannt und beschrien worden, so daß auch um ihretwillen andern ehrlichen und tüchtigen Leuten desto weniger vertraut wird.

Es gehen heutigen Tages viel andere wirkliche Schauspiele fast auf allen Märkten, Plätzen und Messen in Schwang, nämlich die Schauspiele der Ceretaner, Theriakskrämer und anderer dergleichen Gesellen. Sie werden aber in Italia Ceretani genannt, weil sie vermeintlich in einem Flecken in Umbria nicht weit von Spoleto, Cereto genannt, ihren Ursprung und Anfang haben und hernach allgemach in solchen Kredit und Ansehen gekommen sind, daß sie, wenn sie sich hören lassen, einen größern Zulauf bekommen als der beste Doktor der freien Künste, ja als der beste Prediger, der jemals eine Kanzel betreten hat. Denn das gemeine Volk läuft denselben haufenweise zu, sperrt Maul und Nase auf, hört ihnen einen ganzen Tag zu, vergißt aller anderen Sorgen, und Gott weiß, auch mancher Bauer erfährt es, wie unterdessen in solchem Gedränge der Beutel verwahrt wird.

Wenn man sieht, daß diese Betrüger auf ihrer Bank ein ganzes Stück Arsenik, Sublimat oder anderes Gift einnehmen, damit sie die Güte ihres Theriaks wollen probieren, so soll man wissen, daß sie in Sommerszeiten, zuvor und ehe sie auf den Platz kommen, den Leib mit jungem Lattich, der mit Essig und vielem Öl bereitet ist, daß sie fast darin schwimmen, gefüllt haben. Im Winter aber essen sie sich voll fetter Ochsensülze, welche wohl gesotten ist. Solches aber tun sie zu dem Ende, daß durch solche Fettigkeit der Sülze und des Lattichs neben ihrer natürlichen Kälte die innerlichen Gänge im Leib verstopft und die Schärfe oder Hitze des Giftes geschwächt werde. Wiewohl sie es auch sonst auf eine sichere Weise anstellen können, nämlich daß sie, ehe sie auf den Platz treten, in die nächste Apotheke gehen, wie diese gemeiniglich in den Städten auf dem Markt oder nicht weit davon sind, lassen sich allda eine Büchse mit Arsenik zeigen, woraus sie etliche Stücklein wählen und in Papier wickeln, und bitten den Apotheker, er wolle ihnen dieselben übersenden, wenn sie danach schicken. Wenn sie nun ihre Ware genugsam gerühmt, daß nichts mehr übrig ist als die Probe, schicken sie einen aus den Umstehenden, damit man sich ja keines Betruges zu befürchten habe, in die Apotheke, daß er allda um das Geld, das sie ihm darzählen, Arsenikum hole. Derselbe läuft hin, damit ja an einem solchen nützlichen Werk kein Verhindernis sei, macht sich auch wohl auf dem Weg die Rechnung, obgleich er schon tausendmal betrogen worden, er wolle sich derhalben gut vorsehen. Er kommt unterdes in die Apotheke, heischt Arsenikum für sein Geld, empfängt es und läuft so mit Freuden, das Wunder zu sehen, zu des Theriakskrämers Tisch; derselbe hat unterdes sein Büchslein und Schachteln bei der Hand, unter andern aber eine, worin er gemeldeten rechten Arsenikum tut, er redet und ruft dem Volk noch eine Weile zu, ehe er es einnimmt, denn zu solcher Gefahr muß man nicht zu sehr eilen; unterdes verwechselt er sich gemeldetes Büchslein gegen ein anderes, worin soviel Stücklein Teig von Zucker, Mehl, Safran gemacht sind, daß sie den vorigen ähnlich sehen. Diese ißt er alsdann mit sonderlichen Gebärden, als wenn er sich sehr fürchtete, hinein, und stehen die Bauern mit aufgesperrten Mäulern, ob er nicht bald zerbersten werde; er aber bindet sich fest, daß solches nicht geschehe, ob er schon weiß, daß es keine Not hat, nimmt danach eine Kastanie groß von seinem Theriak oder Dreck ein, und es legt sich alle Geschwulst, als wenn kein Gift vorhanden gewesen wäre. »Das laßt euch, liebe Herren, einen köstlichen Theriak sein«, worauf dann die Bauern den Riemen ziehen und Gott danken, daß sie einen solchen teuren Mann und solche köstliche Ware um geringes Geld in ihr Dorf bekommen.

Wer wollte sich aber unterstehen, alle Listen und Praktiken zu beschreiben, womit sich die Landfahrer behelfen, Geld zu machen und zusammenzubringen? Ich hätte meinesteils Sorge, ich würde nicht alles zum Ende bringen. Doch will ich nicht unterlassen, etliche Griffe zu erzählen. So sieht man auf einer Ecke des Markts einen Fortunatus mit seiner Fributa auftreten und mit großem Geschrei oder Geplärr das Volk zwei oder drei Stunden aufhalten, bald mit einer neuen Zeitung, bald mit einer Historie, bald mit einem Dialog, bald mit einem lieblichen Gesang; bald hadert er mit seinem Knecht, bald versöhnt er sich wieder mit ihm, bald lacht er, daß ihm die Augen überlaufen, und was dergleichen Narrenpossen mehr sein mögen, die er artig anzustellen weiß, bis er sich bedünken läßt, er habe das Volk genugsam zusammengelockt und aufgehalten; alsdann bringt er seine Büchslein hervor und kommt auf sein Gelüst zu den Hellern, die er gern hätte, und fängt an, seine herrliche Ware zu loben, und treibt solches so lange, bis er etliche überredet, daß sie ihm abkaufen.

Auf der andern Seite kommt ein anderer Quidam aufgezogen, fängt auch an zu rufen, als wenn ihm der Henker die Saiten stimmte, hat seine Ware in einem Sack auf den Schultern und ein Kochersberger Hütlein auf dem Kopf, da läuft das Volk, jung und alt, hinzu, wollen hören und sehen, was er doch Wunderseltsames bringen werde. Er fängt deshalb an, seine Relation und Werbung zu tun, bringt allerhand Possen und Schnacken herfür, daß jedermann lachen muß, bringt endlich mit seinen glimpflichen Worten, mit seinen seltsamen Gebärden, übel gehenktem Hals, halb geschorenem Knebelbart, mit seinem Narrenwesen, damit ich es in einem Wort begreife, so viel zuwege, daß man ihm zuhöret und sich seine Waren gefallen läßt. Wiewohl es auch bisweilen geschieht, wenn man ihm eine Weile zugehört hat, so geht das Volk wieder davon und läßt den Narren schreien, so lange er will; auch werfen ihn wohl die Buben mit Kot, daß er seinen Kram muß aufpacken und wiederum unverrichteter Sachen heimgehen, von wannen er gekommen ist, und wäre gleich seine Salbe noch so gut.

Sie tun auch einander selbst Schaden; denn während einer steht und meint, die Käufer werden ihm jetzo zufallen, so kommt ein anderer aus einer Gasse gestrichen, der hat ein junges Mägdlein bei sich in Bubenkleidern, welches springen und sich durch einen Reif wie ein Affe überwerfen kann, dieser beginnt auch, sich hören zu lassen, da läßt das Volk den vorigen stehen und läuft diesem zu. Da fängt er alsbald an auf gut Florentinisch einen lächerlichen Schwank oder Possen zu erzählen, unterdessen arbeitet auch das Mägdlein auf der Bank, wirft sich auf alle viere, und langet den Ring aus dem Reifen oder beuget sich rückwärts und langt eine Münze unter dem rechten oder linken Fuß mit solcher höflichen Geschwindigkeit, daß die Buben eine Lust haben zuzusehen. Endlich aber kann er auch nichts weiter, als daß auch er seine Ware hervorbringt und dieselbe feilbietet, so gut als er kann.

An einer andern Ecke des Marktes tritt der Mailänder auf, mit einem sammeten Barett auf dem Haupt, darauf eine weiße Feder auf gut Welfisch, stattlich gekleidet, als wenn er ein großer Herr wäre, hebt allerhand Narrenpossen an zu treiben, womit er das Volk herbeizieht, erzählt seinem Knecht, wie lieb er ihn habe; dieser aber spottet seiner, weiset die Feigen von dem Gesicht und bohret ihm hinten einen Esel, erbietet sich eine gute Anzahl Schläge in seinem Dienst zu empfangen, rückt die Haube in die Augen, legte die Hände in die Seite und stellt sich mit verkehrtem Angesicht und verzogenem Maul wie ein zorniger Schäferhund, um anzuzeigen, wie er sich gegen seines Herrn Feinde wolle gebärden und wehren. Dieselben kommen auch herbei (es ist aber dieselbe Gesellschaft), da ist er gänzlich erschrocken, zittert vor Furcht, kriecht unter die Bank, läßt sich allda mit Füßen treten und macht ein großes Geschrei, dazu läuft dann das Volk haufenweis. Darauf fängt auch der Herr von Mailand an sein Büchslein herfürzutun und läßt sich merken, was ihm angelegen sei, nämlich mit seiner köstlichen Ware jedermann zu dienen, damit man nicht so viel Geld heimtrage, als man dahergebracht hat.

Bisweilen kommt auch ein Magister Leo mit seinen Macalepballen aufgezogen, von deren Invention und Nutzbarkeit er ein paar Stunden tapfer lügt und diskurriert, bis die Bauern anfangen den Seckel zu ziehen; er hat wohl etliche bestellt, die kommen und ihm abkaufen, sie geben für, sie seien ihm weit nachgereist, bis sie das Glück gehabt ihn allhier anzutreffen, rühmen die Ware hoch und köstlich, als welche sie richtig gefunden und oft probiert haben. Solches Glücks nehmen dann andere auch in acht, sind desto williger zu kaufen, und der gute Herr ist noch so liberal, daß er einem jeden, der ihm abkauft, noch ein Tütlein mit Wurmsamen verehrt für seine Kinder; oder er hat sonst etwas, so er für das Fieber oder für das Zahnweh oder für das Sausen in den Ohren oder für einen andern Zufall zugibt, was wohl allein das Geld wert ist, ja es gäbe mancher wohl viel darum, daß er es nur sehen möchte.

Andere haben Affen, Meerkatzen, Murmeltiere, Kamele oder andere dergleichen fremde Tiere bei sich oder auf ihren Bänken, damit sich das närrische und fürwitzige Volk sammele dieselben zu sehen; etliche halten Trommeln und Pfeifen, etliche Trompeten und lassen bisweilen mit großem Feldgeschrei zusammenblasen, etliche haben andere Kurzweil, z. B. daß sie Eier auf einem ausgehöhlten Stecken auf- und ablaufen lassen, mit allerhand Veränderungen, worüber die Bauern Maul und Nasen aufsperren, und was dergleichen Gaukelei mehr sein mag, damit sie nur Volk zusammenbringen und sich eine Audienz verschaffen. Dies aber sind nur gemeine Storger und Landfahrer, welche auch oft seltsam anlaufen, und wenn sie allen ihren Fleiß angewandt haben, werden sie bisweilen mit Dreck von dem Platz getrieben oder müssen es ein andermal besser lernen anzustellen.

Die aber, so sich des Geschlechts St. Pauli rühmen, kommen mit größerem Ansehen aufgezogen, nämlich mit einer großen fliegenden Fahne, darauf steht an der einen Seite St. Paulus mit seinem Schwert, auf der andern aber ein Haufe Schlangen, welche also gemalt sind, daß man sich fürchtet von ihnen gebissen zu werden. Da fängt einer an, den Ursprung ihres Geschlechts zu erzählen, wie St. Paulus in der Insel Malta von einer Otter gebissen worden, aber ohne Schaden, und wie dieselbe Gnade hernach auf seine Nachkommen fortgepflanzt worden sei; da hat man allerhand Proben getan, da hat man auch allerhand Anfechtung gehabt, aber allezeit die Oberhand behalten, da hat man Siegel und Brief darüber. Endlich ergreift man die auch auf dem Tisch oder Bank stehenden Schachteln, aus einer langt man einen Molch, zwei Ellen lang und armsdick, aus der andern eine große Schlange, aus der andern eine Otter, und erzählt bei einer jeden, wie man die gefangen, als die Bauern das Korn geschnitten, die deshalb in großer Gefahr gewesen, wenn man ihnen wider diese gräßlichen Tiere nicht wäre zu Hilfe gekommen. Darüber erschrecken denn die Bauern dermaßen, daß sie nicht wiederum nach Hause gehen dürfen, sie hätten denn einen Trunk von solchem köstlichen Schlangenpulver getan, kaufen auch noch mehr und nehmen's mit zu Haus für Weib und Kind, damit sie ja vor Schlangen und anderem giftigen Tierbiß mögen versichert sein. Und hiermit ist das Spiel nicht geendet, sondern es sind noch mehr Schachteln bei der Hand, die macht man auch auf und langt aus einer eine rauhe Otter, aus der andern einen toten Basilisken, aus der andern ein junges Krokodil, aus Ägypten gebracht, eine indianische Eidechse, eine Tarantula aus Campania oder dergleichen etwas, womit man die Bauern erschreckt, daß sie auch die Gnade des heiligen Paulus kaufen, welche ihnen auf einem Brieflein gegen Gebühr mitgeteilt wird.

Unterdessen und weil das Volk noch beieinander ist, kommt noch einer herzu, breitet seinen Mantel auf die Erde, setzet ein Hündlein darauf, welches ut, re, mi, fa, sol, la, si singen kann, es macht auch lustige Purzelbäume, etwas geringer als ein Affe, bellt auf seines Herrn Befehl den an, der am übelsten bekleidet ist, heult, wenn man den türkischen Kaiser nennt, tut einen Luftsprung, wenn man dieses oder jenes Liebchen nennet, endlich aber, denn es ist um Heller zu tun, hängt der Herr ihm ein Hütlein an die Pfote und schickt es auf den Hinterfüßen zu den Herren Umstehenden um einen Zehrpfennig, dieweil er noch eine große Reise vorhabe.

So säumt auch der Parmesaner bei dergleichen Gelegenheit nicht mit seiner Geiß, welche er auf den Platz bringt; er macht ihr allda ein Staket, wo sie, einen Fuß hinter dem andern, auf und ab spazieren, sich oben auf einem Plätzlein, so kaum eine Hand breit ist, aufhalten und das Salz unter den Füßen lecken muß. Er läßt sie auch mit einem langen Spieß über den Achseln auf den hintern Beinen umhergehen und macht also mit seiner Geiß alle, die ihm zusehen, zu solchen närrischen Böcken, daß sie ihm auch noch etliche Heller zum Futter verehren.

Auch läßt sich bisweilen ein verwegener Seilfahrer sehen, welcher so lange auf dem Seil fährt, bis er endlich ein Bein bricht oder den Hals gar abstürzt. Oder auch ein verwegener türkischer Gaukler, welcher sich auf die Erde legt und läßt sich mit einem großen Hammer auf die Brust schlagen, als wenn er ein Amboß wäre, oder er reißt einen dicken Pfahl, so mit Gewalt tief in die Erde geschlagen ist, in einem Ruck heraus, womit er denn einen guten Zehrpfennig nach Mekka zu reisen zuwege bringt. –

Bisweilen findet sich auch ein getaufter Jude, welcher so lange ruft und schreit, bis er auch ein Teil Volks zu sich bringt, alsdann fängt er an von seiner Bekehrung zu predigen, woraus man im Schluß so viel lernt, daß er anstatt zu einem frommen Christen zu einem listigen Landstreicher geworden ist.

In Summa, es ist kein Markt in Dörfern oder in Städten, wo sich nicht etliche solcher Gesellen herzufinden, die entweder allerhand kurzweiliges Gaukelspiel anstellen oder unterschiedliche Drogen verkaufen. Der eine hat Wurmsamen, der andere Bilsensamen gegen das Zahnweh, der andere ein Pulver, welches – –. Ein anderer hat etwas, so man in einen Topf voll Bohnen oder Erbsen wirft, daß sie alle herauslaufen. Einer verkauft Flederwische zu immerwährenden Lampendochten. Ein anderer hat oleum philosophorum und die Quintessenz, womit man bald reich werden kann, ein anderer oleum tassibarbassi wider den Frost, ein anderer eine köstliche Pomade von Hammelschmalz bereitet wider den Schorf, ein anderer ein Ratten- und Mäusegift, ein anderer eiserne Gebäude für die, welche ein Glied gebrochen haben, ein anderer Feuerspiegel und Brillen, mit welchen man im Dunkeln sehen kann oder sonst allerhand wunderbare Sachen sieht. Hier steht einer, der frißt Werg und stopft es bis in den Hals hinein und speit Feuer heraus. Hier steht einer und verkauft Läusesalbe, das Gedächtnis damit zu stärken. Hier steht einer, der läßt sich die Hände mit heißem Fett betriefen; dort steht ein anderer, der wäscht die Hände und das Angesicht mit geschmolzenem Blei; hier steht wiederum einer, der schneidet seinem Gesellen mit einem besonderen Messer durch die Nase, ohne Schaden. An einem andern Ort zieht einer etliche Ellen Schnüre aus dem Mund. Hier zieht einer einem, der erst von ferne kommt, einen verlorenen Brief oder dergleichen etwas aus dem Mund. Hier bläst ein einfältiger Tropf in ein Büchslein, daß ihm der Ruß in das Gesicht stäubt, dort wird einem Stockfisch eine Handvoll Pferdedreck statt einer Muskate in den Mund geworfen.

Dies sind die Griffe der Storger, Landfahrer, Gaukler und anderer müßiger Leute, womit sie sich durch die Welt bringen.

So weit der Bericht nach Garzoni. Dies zahlreiche, leichtfüßige Volk drängte sich, mit wenig verändertem Aussehen, auch auf den deutschen Märkten. Aber neben den alten Gauklern und Krämern war auch in Deutschland eine neue Klasse der fahrenden Leute aufgekommen, harmloser, von ungleich höherem Interesse für die Gegenwart: die wandernden Komödianten. Die ersten Schauspieler, welche einen Beruf aus ihrer Tätigkeit machten, zogen am Ende des 16. Jahrhunderts zuerst von England oder den Niederlanden nach Deutschland. Noch waren sie nebenbei Seiltänzer, Springer, Schaufechter und Bereiter, noch gaben sie Narren an Fürstenhöfen und auf den Märkten großer Städte ab, und die beliebte Figur des Pickelherings und bald darauf des französischen Jean Posset erregte noch lange von schlechtem Brettergerüst das homerische Gelächter der leicht befriedigten Menge. Kurz darauf wurden im Süden und am Rhein die Volksmasken des italienischen Theaters vertraut. Zugleich mit den regelmäßigen Zeitungen erhielt das Volk auch die rohen Anfänge der Kunst, menschliche Charaktere und die geheimnisvollen Bewegungen einer unruhigen Seele durch Miene, Gebärde und täuschenden Schein einer Tat darzustellen.

Und merkwürdig, fast genau zu derselben Zeit werden dem Volk die ersten behaglichen Romane geschrieben. Und auch diese frei erfundenen Bilder des wirklichen Lebens beziehen sich auf die fahrenden Leute; denn Vaganten, Abenteurer, entlassene Kriegsknechte, endlich solche, die in wunderbare Länder reisen und dort ein Übermaß von Merkwürdigem sehen und greuliche Gefahren mit gleichsam unzerstörbarem Leib bestehen, werden die Helden dieser unvollkommenen Kunstbildungen. Kurz nach dem Kriege schrieb Christoph von Grimmelshausen den Simplicissimus, den Springinsfeld, die Landstörzerin Courage, das wunderbare Vogelnest; die Helden sind sämtlich Vagierende; ihnen folgt eine Flut von Schelmenromanen und abenteuerlichen Lebensbeschreibungen.

Freudenleer war durch den Krieg die Existenz der regelmäßigen Leute geworden, unbehilflich die Sitte, arg beschmutzt die Sittlichkeit. Und doch war das Bedürfnis nach Aufregung allgemein. So lockte zur Darstellung zunächst, was dem unholden Leben der Schwachen fern lag. Sie suchten entweder mit vieler Weitschweifigkeit ein ideales Leben vornehmer und feiner Menschen in ganz fremdartiger Umgebung darzustellen, antike Schäfer und fremde Prinzen ohne Nationalität, – das taten die Hochgebildeten; oder sie suchten die gemeine Wirklichkeit wenigstens dadurch zu adeln, daß sie nicht weniger unbehilflich seelenlose Abstraktionen, Tugenden und Laster, mythologische und allegorische Figuren mitten in sie hineinstellten; oder sie ergriffen endlich Stoffe aus den niedrigen Kreisen des Lebens, denen sie sich überlegen fühlten und deren fremdartiges Wesen doch noch lockte: sie schilderten Strolche oder stellten Tölpel und Fratzen dar. Und diese letzte Kunsttätigkeit war noch die gesündeste. So wurde die unzarte Familie der Gaukler, Possenreißer und Schelme bedeutungsvoll für die Anfänge des Dramas, der Schauspielkunst, des Romans.

Aber neben der menschenreichen Genossenschaft, welche bescheiden zu Fuß oder im Bretterkarren umherzog, ritten Landfahrer von höheren Ansprüchen durch das Land, einzelnen noch schädlicher. Die Zukunft vorherzuwissen, Herrschaft über die Geister der Elemente zu gewinnen, aus einem Stein Gold, aus dem Siechtum des Alters neue Jugend zu machen, war seit vielen Jahrhunderten die Sehnsucht der Begehrlichen. Und die, welche den Deutschen solches verhießen, waren häufig wieder Fremde, wieder Italiener, oder auch Landeskinder, welche, wie das Sprichwort sagt, dreimal in Rom gewesen waren. Seit in Italien der neue Eifer der restaurierten Kirche Gute und Schlechte vor das Inquisitionstribunal zog, muß dort die Auswanderung unsicherer Menschen besonders häufig geworden sein. Es ist wahrscheinlich das Leben eines solchen Scharlatans, nach welchem die Abenteuer von Faust in dem alten Volksbuch mit gläubiger Unbehilflichkeit zusammengeschrieben sind. Seit Luthers Tod wird ihr Eindringen in die deutschen Fürstenhöfe oft sichtbar. Ein solcher Abenteurer, Hieronymus Scotus war es, der um 1593 in Coburg die unglückliche Herzogin Anna von Sachsen-Coburg ihrem Gemahl Johann Kasimir entfremdete und durch verruchte Mittel in seine Gewalt brachte. Vergebens waren die Bemühungen des Herzogs, die Auslieferung des Scotus von Hamburg zu erlangen, wo er eine Zeitlang mit fürstlichem Luxus lebte. Fünfunddreißig Jahre früher war der Vater des Herzogs, Johann Friedrich der Mittlere, durch eine dreiste Betrügerin, welche sich für Anna von Cleve, geschiedene Gemahlin Heinrichs VIII. von England, ausgab und ihm einen großen Schatz von Gold und Kleinodien versprach, wenn er sich ihrer annähme, lange getäuscht worden. Demselben Fürsten war eine andere Gläubigkeit zum herben Nachteil geworden; denn der Einfluß, welchen Wilhelm von Grumbach, der hagere alte Wolf aus dem Rudel des wilden Albrecht Alcibiades von Brandenburg, über den Herzog gewann, beruhte sehr auf törichten Prophezeiungen, die er ihm über die Kurwürde und über ungeheure Schätze gemacht hatte. Ein armer schwachsinniger Knabe, den Grumbach unterhielt, verkehrte mit Engeln, die in einem Kellerloch hausten und sich bereit erklärten, Gold zu schaffen und dem Herzog ein Bergwerk an den Tag zu bringen. Es ist aus den gerichtlichen Akten zu ersehen, daß die Engelein des Bauernkindes eine – für ihre Glaubwürdigkeit ungünstige – Ähnlichkeit mit unsern kleinen alten Zwergen hatten.

In Berlin war zur Zeit des Scotus Leonhard Thurneysser, ein Scharlatan von mehr bürgerlicher Arbeit, als Goldmacher und Aspektenverfertiger tätig; er entzog sich durch die Flucht dem finsteren Schicksal, welches seine Berufsgenossen fast immer traf, wenn sie den Ort nicht schnell genug wechselten. Auch Kaiser Rudolf II. war ein großer Adept gewesen, er hatte in dem Goldtiegel seine politische Ehre und seine eigene Kaiserkrone verquickt. Die Fürsten des 17. Jahrhunderts zeigten wenigstens das leidenschaftliche Interesse von Dilettanten. Während des Krieges war die Goldmacherkunst sehr wünschenswert geworden. Auch in diesen Jahren drängten sich die Adepten an die Kriegsherren; je dürftiger die Zeit, desto zahlreicher, glänzender waren die Geschichten von verfertigtem Gold. Dem König Gustav Adolf sollte ein begeisterter Verehrer Gold aus Blei gemacht haben. Vor Kaiser Ferdinand III. sollten durch einen Gran roten Pulvers aus Quecksilber mehrere Pfund Goldes gemacht und aus solchem Metall eine einzige Riesenmünze geschlagen sein. Nach dem Frieden rührten sich die Adepten an allen Höfen; wenige Residenzen, wo nicht Herd und Retorte für die geheimnisvollen Operationen erhitzt wurden. Aber wer mit dem Landesherrn spielte, mußte sich hüten, daß die Tatze des fürstlichen Löwen sich nicht vernichtend gegen ihn erhob. Wer kein Gold machen konnte, wurde eingesperrt, und wer im Verdacht stand, doch welches machen zu können, wurde ebenso fest eingeschlossen. Der Italiener Graf Cajetan wurde zu Küstrin in einem vergoldeten Kleid an einen Galgen gehängt, dessen Balken mit Katzengold geschmückt war; der Deutsche Hektor von Klettenberg wurde auf dem Königstein enthauptet, wo vierzehn Jahre vorher Böttger in strenger Klausur statt des Goldes das unschuldigere Porzellan herausgekocht hatte. Es ist kein Zweifel, daß es den Adepten und Astrologen erging, wie es von je den Leviten eines herrschenden Aberglaubens ergangen ist: sie waren selbst von der Wahrheit ihrer Kunst überzeugt, nur hatten sie starke Zweifel an ihrem eigenen Wissen, und sie täuschten andere über ihre Erfolge, [...] weil sie vor der Welt den Schein behalten wollten, das zu verstehen, was sie für Wahrheit hielten.

Vielleicht noch schädlicher waren die gewandten Gauner, welche mit fremden vornehmen Titeln in Deutschland, in Frankreich, in England erschienen, verklärt durch den Schimmer geheimer Kunst, zuweilen Verbreiter der schmählichsten Laster, häßliche Schattengestalten, welche erst der engere Verkehr der Völker, die neue Weltbildung möglich gemacht hatte. Ihre Erlebnisse, Betrügereien, geheimnisvollen Erfolge regten die Phantasie der Deutschen lange übermächtig auf. Noch Goethe hielt es der Mühe wert, an Ort und Stelle ernsthafte Nachforschungen über den Ursprung Cagliostros anzustellen.

Auch in dem sittlichen Siechtum der Gesellschaft, dessen Repräsentanten sie sind, kann man allmähliche Umwandlungen erkennen. Sterndeuterei und Horoskopie waren nach dem Kriege bereits ein wenig abgenutzt, die Fürsten suchten das rote Pulver oder die unbekannte Tinktur, das Volk grub nach Geldtöpfen. Eine dilettierende Beschäftigung mit der Naturwissenschaft brachte dem Volk wieder einmal die uralte Haselrute in Ansehen, durch welche man Quellen, Mordtaten, Diebstähle und immer noch verstecktes Geld entdecken konnte, die Vornehmen erfüllte wieder einmal der uralte Glaube an geheimnisvolle Menschen, welche durch unbekannte Schritte in unergründete Tiefen der Schöpfung eine übermenschliche Lebensdauer erlangt und vertrauten Verkehr mit der Geisterwelt hatten. Neben dem ehrlichen Freimaurerorden mit humanistischer Tendenz entstanden noch geheimnisvollere Verbindungen, worin den Schwächen der Zeit, raffinierter Sinnlichkeit und kränklichem Mystizismus, durch einen weitläufigen Apparat abgeschmackter Geheimlehren geschmeichelt wurde. [...]


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