Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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Wer vom Lande in die Stadt kam, der fand unter den fleißigen Bürgern auch allerlei Lust. In manchen Herbergen war Essen und Trinken rühmlich. Dann waren leider die Frauenhäuser, unter strenger Aufsicht des Rates, welche zuweilen zu einer gemütlichen Vorsorge wurde und fast wie Wohlwollen aussah. Dann waren zahlreiche Badestuben, den Bürgern weit wichtiger als jetzt, mit einfacher Einrichtung, sonst ähnlich den modernen irischen Bädern. Aber sie standen nicht immer in gutem Ruf. Es gab ohne Zweifel ehrbare, wo nur die entkleideten Badergesellen den Dienst versahen, aber es werden auch andere gerühmt, wo hübsche Jungfräulein den Ankommenden badeten und strichen. Trat er aus dem Bade, so kam ein freundlicher Barbier und rasierte, dann legte sich der Gast auf ein Ruhebett, und wieder trat ein hübsches Fräulein ein und kämmte und kräuselte ihm die Haare.

Auf der Straße aber zogen sich durch das Gedränge der Bürger und Landleute auch fremde Gesellen, welche mit Kaufmannsgut nicht nach Stadtbrauch, sondern nach Waldesrecht handelten. Ein Ritter aus der Nähe, gefolgt von seinem Knecht, sah spöttisch auf die Bürger, deren Gesichter sich bei seinem Anblick finster zusammenzogen. Er war ein berüchtigter Fehder, mehr als einmal hatte er der Stadt abgesagt, hatte Bürger gefangen und in seinen Turm gelegt, Bauern der Stadt erschlagen und verstümmelt, er war mit einzelnen Geschlechtern der Stadt tödlich verfeindet. Die letzte Fehde jedoch war vertragen, er genoß jetzt den Frieden der Stadt, aber er wußte, daß er hier wenig guten Willen fand, und die Bürger argwöhnten, daß er nur eine Gelegenheit erwartete, um aufs neue nach Stadtgut zu jagen, und sie achteten wohl auf den schnellen Blick, den er mit seinem Knecht austauschte, als er bei den Arbeitern an der Stadtwaage vorüberkam und als er vor dem Turm stand, in dem er früher einmal verstrickt gewesen war. Wohl noch sorgenvoller als der Bürger sah dem hageren Gesellen ein wohlhäbiger Zisterzienser nach, der auf seinem Saumtier aus seinem Ordensstift eine Meile Wegs nach der Stadt geritten war, vielleicht um ein geistliches Geschäft für den Keller des Klosters zu besorgen. Zwischen seinem Kloster und dem Hause des weißen Dominikaners, der neben ihm stand, war keine Freundschaft, aber die Mönche grüßten einander doch höflich und klagten, leise sprechend mit geneigtem Haupt, wie Mönchsbrauch war. Auch die Dominikaner der Stadt hatten sich Wein zu Schiff aus der Fremde kommen lassen, und wie der weiße Mönch versicherte, mit schweren Unkosten. Aber sie konnten doch in dem Vertrauen leben, daß sie ihn selbst austrinken würden, der graue Mönch vom Lande hatte dies Vertrauen nicht. Und er gestand dem Bruder arge Bedrängnisse seines Klosters durch die Genossen des erwähnten Landbeschädigers.

Denn sie kamen unaufhörlich in Freundschaft zu Gaste. Der eine kam, sich einige Mark Silber zu leihen, ein anderer, um Getreide oder hundert Schafe zu nehmen; einer forderte Bauholz als nachbarliche Beisteuer nach altem Herkommen, wenn das Kloster fischte, schickte der andere leere Tonnen mit ernstem Verlangen, ein dritter begehrte Tuch zum Wamse, das seine Familie aus alter Zeit alle Jahre bekäme, und dabei höhnten diese Schildträger noch die Mönche mit übermütigen Worten. Auch die großen Landgrafen waren Räuber geworden wie ihre Ritter, sie kamen bei Nacht mit Haufen von Jägern und Jagdhunden, die Hunde fraßen so viel Brot, als zwei Knechte tragen konnten, dem Gesinde der Herren aber war das Brot des Klosters zu schwarz, der Wein zu sauer, dann lagen sie die Nacht an der heiligen Stätte, sangen und brüllten gottlose Lieder, und beim Aufbruch entführte der Graf noch den Zelter des Abtes mitsamt dem Sattel. Auch der Räuber kam, der mit seinem Bogen im Walde lag, er forderte den Räubersold und drohte, mit hundert Genossen in der Nacht über die Mauer zu springen. Auch die Frauen kamen, Gräfinnen und Ritterfrauen in Karren und Wagen mit schönen Kränzen auf dem Haupt und in reichem Gewände, sooft irgendein Kirchenfest einfiel oder eine vornehme Leiche. War der Gottesdienst vorbei, der Tote begraben, so verlangten sie, daß ihnen vor der Klausur ein Mahl aufgestellt werde; nüchtern haben sie geweint und voll und lachend ziehen sie ab.

Und während die geistlichen Brüder einander so klagen, versäumen sie wahrscheinlich nicht, von der Seite auf die Stadtfrauen zu blicken, welche wohlgeziert und wohlgebunden die Ledertasche an der Seite, von einer Magd mit gefülltem Korbe begleitet, den Einkauf heimtragen und vor den Brüdern fromm und zutraulich ihr Haupt neigen.

So knarren die Wagen und handeln die Menschen, bis die Marktfahne am Rathause abgenommen wird oder ein Glöcklein den Markt ausläutet. Da ziehen auf allen Straßen die Karren und Menschen zu den Toren hinaus. Stadt und Land haben ihren Bedarf ausgetauscht, die Sonne hat freundlich geschienen, der Handwerksmann hat manches Geldstück in seinen Kasten hinter das kupferne Zahlbrett geschoben, auch der Rat ist zufrieden, es ist nur einer tödlich verwundet worden, dagegen einige Marktdiebe gefangen, schlechtes Volk, das hier und da daheim ist, der Nachrichter wird keine große Arbeit haben.

In der Stadt aber dauert die Bewegung; wie die Sonne sinkt, treibt heitere Aufregung die Bürger wieder in die Straßen, jetzt freuen sie sich geschäftslos des milden Abends, und jetzt erst beginnt ihnen der Genuß des Tages. Nicht im Hause und nicht bei Weib und Kind, sondern auf der Straße unter den Genossen. Auch das ist charakteristisch.

Dem Leben des deutschen Hauses fehlte damals sicher nicht feste Neigung, große Leidenschaft des Mannes und nicht anmutige Wärme und Innigkeit der Frau, aber wir sehen sie nicht in den alten Berichten. Ein Witwer rühmt seine verlorene Frau als gut und liebevoll. Ein Kaufmannsdiener hat ein armes Mädchen geheiratet gegen den Willen seines und ihres Brotherrn, er verliert darum den Dienst; da beweist das junge Weib den Mut einer wackeren Hausfrau, sie tröstet den Gatten, sie werde ihm wohl durch Wollspinnen zu Hilfe kommen. Er findet einen gelehrten Pfarrer, der ihm ein Buch zum Abschreiben gibt und einen Gulden, um Papier zu kaufen. »Also kam ich heim zu meiner Hausfrau und sagte ihr, was ich erreicht hatte, da war sie froh. Und ich hub an zu schreiben und schrieb in derselben Woche vier Sextern des großen Papiers Karta regal und brachte sie dem Herrn. Das gefiel ihm wohl. Und mein Weib und ich saßen zusammen, und ich schrieb, und sie spann, und wir gewannen oft drei Pfund Pfennige (2 Tlr. 10 Sgr.) in einer Woche, doch sind wir oft die ganze Nacht zusammen gesessen.« Solche treue Genossenschaft in dem Ernst des Lebens war die Gattenliebe gewiß vielen Millionen, aber die Überlieferungen des 14. Jahrhunderts melden wenig davon. – Die Einrichtung der Wohnung, Gerät und Ausstattung sind im Anfang des Jahrhunderts selbst bei Wohlhabenden dürftig, die Räume schmucklos, wenig Gerät darin, eng das Zusammenleben. Erst während dieses Zeitraumes beginnt in den Häusern der Kaufleute, zumal derer, die mit dem milden Süden verkehren, bessere Ausstattung. Der Stubenofen, kein häufiges Gerät des alten Bürgerhauses, in älterer Zeit von Ziegeln oder schwärzlich glasierten Kacheln in schmuckloser Kuppelform, der verkleinerte Backofen, wird in wohlhabenden Häusern größer, buntfarbig, mit ehrenvollen Sitzen an der Seite. Er und bunte Glasrauten der Fenster in Blei gefaßt, die zuerst die Muster eines Teppichs nachbilden, dann Wappenbilder in schöner Ausführung zeigen, sind der größte Schmuck eines stattlichen Hauses. Die Stuben werden am Ende des Jahrhunderts wohl schon mit Kalkfarben gemalt, die Möbel sind einfach, Tisch, Holzstühle, Bänke, die Schränke seltener als Truhen und Kästen, das Geschirr ist von zierlich gemaltem und glasiertem Ton oder von Zinn. Im Erdgeschoß ist die Werkstatt oder Arbeitsstube, außerdem eine Schlafkammer und eine Hinterstube für die Frauen und zur Gesellschaft, das ist auch in wohlhabendem Haushalt das Wohngelaß; viel Raum des Hauses wird durch Warenlager und Vorräte gefüllt.

Weit wichtiger aber als in der Gegenwart ist dem Menschen jener Zeit die geschmückte Kleidung, Männer und Frauen sind um die Wette bemüht, sich, wo sie vor andern erscheinen, kostbar zu halten. Der Verbrauch an bunten und teuern Stoffen ist verhältnismäßig sehr groß. Dieser Drang, sich vor andern bemerklich zu machen und über die Kräfte stattlich zu erweisen, steht im Widerspruch zu der Neigung des Mittelalters, jeden Mann auch durch bezeichnende Tracht nach Beruf und Geltung kenntlich zu machen. Wie der Leibeigene, der Jude, der Geistliche durch besondere Tracht erkennbar sein soll, so will auch der Fürst, der Ritter, der Kaufmann für sich und seine Frau in Stoff und Schmuck ein Vorrecht haben, und unablässig suchen andere Kreise dieselbe Auszeichnung für sich zu gewinnen. Damals begannen die Kleiderordnungen der Städte und Landesherren, die erst mit der Französischen Revolution aufhörten.

Ebenso wichtig war vornehme Speise und Trank. Der gute Bissen beglückte solche, welche ihn in der Regel entbehrten, wie die Kinder. Den kleinen Dichtern, die von Helden und Vornehmen reimen, ist die Aufzählung der guten Dinge, welche von ihren Helden verzehrt werden, zuweilen das wichtigste. Aber auch die Freude des Gaumens gönnte sich der Deutsche fast nur im Verein mit andern, sie war die Grundlage aller Geselligkeit; Verschwendung und Völlerei, welche dabei geübt wurden, veranlaßten wieder beschränkende Verordnungen des sorgsamen Rats, welche von den Gesetzgebern selbst nicht beachtet wurden.

Die Kochkunst jener Zeit gedieh am besten in den großen Städten, die Geschlechter hatten zu den heimischen Gerichten fremde eingeführt; Reis in griechischer Weise, französisches Blancmanger, orientalisches Konfekt in Rosenöl parfümiert. Aber ihre gute Küche wäre uns unerträglich, denn die Vorliebe für starkes Gewürz war übergroß, außer den heimischen Küchenkräutern und dem milden Safran wurden die indischen Baumgewürze in unglaublichen Massen verbraucht, und zu den Geschenken der Stadt an vornehme Gönner gehörten deshalb auch Pfeffer, Zimt, Nägelein, Muskatnuß.

Ob uns die Getränke besser munden würden? Im Norden des Thüringer Waldes herrschte das Bier, fast jede Stadt braute mit besonderen Vorteilen und war auf ihre bessere Sorte stolz. Erst aus dem Ende des nächsten Jahrhunderts sind uns zahlreiche Scherznamen überliefert, mit denen die berühmten Biere bezeichnet wurden, aber die Erfurter wußten wohl, daß ihr öliges schwarzes Bier den greisen König Rudolf bei seinem Besuch im deutschen Norden begeistert hatte. Im Norden hatte auch der alte Met sein Ansehen bewahrt, der Heidehonig dazu wurde durch eine Genossenschaft mit merkwürdigen Bräuchen, die Zeidler, gesammelt, er ward von geistlichen Herren mit wohlverdienter Achtung getrunken, obgleich ihm sehr ungeistliche Tugenden zugeschrieben wurden. Und die Stadt Aachen, welche dem Met besondere Pflege angedeihen ließ, spendete ihn jährlich als Delikatesse an Kurfürsten, Bischöfe und einige andere Vornehme.

Der schlechte inländische Wein wurde oft mit Kräutern, Gewürz und Honig versetzt, er hieß dann Lautertrank, eine Erinnerung daran dauert in unserem Maitrank; fremder Würzwein, kunstvoll aus französischem Rotwein verfertigt, wurde als Claret und Hippokras eingeführt; über Maulbeeren abgezogener Wein hieß Moraß; außerdem wurden viele andere Arten von aromatischen Tränken verfertigt, auch mit gekochtem Wein, zum Teil nach Rezepten, die aus dem römischen Altertum stammten; sie galten für medizinisch hilfreich, waren auch von Frauen begehrt, mehr als jetzt die Liköre. Im Süden des Thüringer Waldes machte dem Landwein der Birnmost und Äpfelwein Konkurrenz, er war z. B. der herrschende Trank in Bayern, wo erst später das Bierbrauen überhand nahm, der Bock aus der Stadt Einbeck erlernt wurde.

Von ungemischten Weinen war außer dem deutschen vom Rhein und der Mosel, vom Neckar und dem Würzburger vom Main noch der von Rivoglio (Reifall genannt) und von Bozen, die französischen Muskatell und Malvasin und der Osterwein aus Ungarn wohlbekannt, außerdem viele italienische Sorten, von Ancona, von Tarent usw., endlich griechische Weine, darunter der berühmte Zyperer. Ulm war der große Weinmarkt, von dort gingen die Fässer bis hinauf in das Ordensland Preußen und in die feinsten Handelsstationen der Ostsee.

Auf der Straße und in der Trinkstube wurde das Leben genossen. Darum füllten sich Marktplätze und Straßen der Stadt am Abend, der Handwerksgesell und der junge Schreiber gassierten und zeigten sich den Mädchen, die an Fenster und Tür standen und die Grüße und Scherzreden empfingen. Bei solchem Durcheinander der Männer wurden die Neuigkeiten ausgetauscht, was ein Reisender aus der Ferne zugetragen hatte, daß auf einem Dorf in der Nähe ein unförmliches Kind geboren war, daß in Bern ein Weib mit einem Mann im Gottesgericht gekämpft, der Mann nach altem Recht mit dem halben Leib in einer Grube, das Weib mit ihrem Schlüsselbund bewaffnet, der Mann sei erschlagen. Und wieder, daß die reitenden Boten des Rates, der Christian und der Gottschalk, ausgeritten waren nach großen Nachbarstädten, um dort Kunde einzuziehen, ob man etwas Neues aus Frankreich wisse oder von dem Anzuge abenteuerlicher Schwärme von singenden Büßern. War ein Fehdebrief am Stadttor abgegeben, dann war die Aufregung groß, wer einen Verwandten auf der Landstraße hatte, der wurde Mittelpunkt eines Kreises von Teilnehmenden und Neugierigen, ob der Reisende durch den Rat gewarnt sei, ob er gutes Geleit zu erhalten hoffe.

Diese große Börse für Neuigkeiten verbreitete auch kleinen Familienklatsch, der in der abgeschlossenen Stadt die größte Bedeutung hatte, daß der alte Ratsherr Muffel von neuem heiraten werde, daß die Stromer und die Nützel sich wegen ihres gleichen Wappens auf der Gesellenstube heftig gezankt hätten. Auch das Regiment der Stadt war in diesen Stunden Gegenstand einer Beurteilung, die nicht immer wohlgeneigt blieb, und in unzufriedener Zeit wurde in den Haufen Empörung gemurmelt, die in den Schenken und Zunftstuben ausbrach und langgetragenem Leid und verstecktem Haß blutige Sühne verschaffte.

War einmal etwas Merkwürdiges zu beschauen, dann kam die Stadt in helle Bewegung. Fremde und kunstfertige Tiere wurden gern bewundert. Man lief in den Garten der Predigermönche, wo ein Schwein mit Stacheln gezeigt wurde, damit man an ihm Gottes wunderbare Schöpfung schauen könnte. Ein fahrender Klerikus wies an der Marktecke einen Kasten mit Schlangen, die er angeblich in der Nähe gefangen hatte, sie gehorchten seinem Befehl, tanzten und hüpften. Und wieder war ein Mann zum Markt gekommen, dem der Rat erlaubt hatte, kleine Vögel zu zeigen, welche lachen konnten. Wenn ihr Herr sprach: »Komm, Heinrich, und lache!«, so trat eins dieser Vöglein vor, neigte den Kopf zur Erde, erhob ihn wieder und lachte herzlich. Sprach dann der Meister: »Lache doch weiter!«, so sprach das Vöglein: »Ich tu's nicht!« Vor solchem Wunder vergaßen der reisige Stadtfeind, der Bürger und der Mönch ihren Groll und sahen vergnügt und erstaunt einer den andern an. – Auch ungeheure Tiere aus fremden Ländern waren nicht unerhört. Die Großeltern erzählten, daß sie in ihrer Jugend den Hohenstaufen-Kaiser Friedrich II. gesehen hatten, wie er – es war im Jahre 1235 – mit einer Menge von Kamelen in die Stadt einzog. Der Herr hatte diese Tiere der Morgenländer – in Italien sogar einen Elefanten – als königlichen Schmuck gepflegt; ach, er selbst war den Enkeln bereits zum Märchenbild geworden, zu einem abenteuerlichen König aus dem Morgenland! Und Rudolf von Habsburg hatte als König dieses Beispiel seines vornehmen Gönners nicht vergessen, auch ihm mußte ein Kamel Gepäck durch sein Heimatland tragen, es war erst dreijährig, aber ungeheuer groß; denn seit ältester Zeit galten die Kamele für einen Hofschmuck vornehmer Herren, die Merowinger hatten ihren Hausschatz an die Höcker gehängt, Karl der Große hatte sie Steine tragen lassen, da er Dom und Königspalast zu Aachen baute, und als der junge Otto III. die Huldigungen des Polenherzogs Miesco empfing, brachte dieser seinem kleinen Kaiser zu herzerfreuendem Geschenk wieder ein Kamel dar. Die Pisaner waren die Vermittler für den Import aus Afrika. Auch Menschen aus heißem Lande waren in den Städten nicht unerhört, ein vornehmer Bischof unterhielt sogar einen Mohren, der bei Hoffesten in weißen Kleidern ging. Dergleichen Heidenvolk war seit den Fahrten nach Palästina eine Unterhaltung der Großen. – Bis die Sonne sank, spielten die Kinder vor den Straßentüren und auf den Kirchhöfen, auch die Erwachsenen vergaßen die Würde des Friedhofs, wenn ein Spielmann mit Geige oder Sackpfeife an den Zaun lehnte oder ein lustiger Geselle die Weise pfiff. Dann tanzte alt und jung neben den Gräbern, jauchzte heidnisch um das Gotteshaus und sprang den Reihen. Dagegen half kein Verbot.

War die Sonne gesunken, dann wurde es finster und leer in den Straßen der Stadt, denn Beleuchtung gab es noch nicht; nur wenn eine Menge vornehmer Gäste oder fremdes Kriegsvolk am Ort lag, und in Nächten, wo Feindesgefahr drohte, befahl der Rat, daß jeder eine Laterne vor sein Haus hänge, eine Fackel oder Blech mit brennendem Kienholz.

Wer am Abend Geld im Beutel hatte, ging in die Trinkstuben. Sie waren zahlreich und für jede Art von Ansprüchen. Die Vornehmen schritten in ihre Geschlechterstuben, dort war geschlossene Gesellschaft, seltene Speise und teurer Wein. Der Handwerker suchte die Zechstube seiner Innung. Wer in eine öffentliche Schenke trat, fand laute Geselligkeit und allerlei Gäste. Dort saß die Wirtin des Dorfgeistlichen und vielleicht neben ihr ein Schüler der lateinischen Schule; am andern Tisch rittermäßige Leute und ihre Knechte, wildes Volk, wenn man sich neben sie setzen wollte, mußte man sein Messer an der Seite haben. Und wieder gesondert Bürger und Bauern mit ihren Frauen. Dazwischen zweideutige Gesellen, von denen der Verständige wegrückte, fahrende Strolche und wüste Gesichter. Es war arger Lärm in dem gefüllten Raum um die dicken Holztische, ein unablässiges Kommen und Gehen. Der eine sang, der andere tanzte, ein dritter aß; dort erzählte einer Lügengeschichten vom Weigger, dem Vorgänger des Münchhausen, wie der einst im Winter bei großem Schnee durch einen Wald ritt. Und als er so ritt, stieg er einmal ab und band das Pferd an einen Baumast, der durch die Schneelast herabgedrückt war. Während Weigger beiseite ging, rückte das Pferd am Ast, der Schnee fiel herab, der Ast erhielt seine Spannkraft wieder, fuhr in die Höhe und schleuderte das Pferd in den Baumgipfel. Der Weigger sah sich erstaunt nach seinem Pferd um, konnte es nirgends entdecken und mußte zu Fuß nach Hause gehn. Im nächsten Sommer kam er an dieselbe Stelle, da erblickte er im Baumgipfel etwas Fremdes, stieg hinauf und fand die Haut seines Pferdes, die ein Bienenschwarm mit Honig gefüllt hatte. Er schnitt vergnügt den Honig aus, lud ihn auf seinen Karren und schaffte ihn nach Hause. Dabei hatte er sich die Kleider mit Honig beleimt, und plötzlich kam ein großer Bär und begann, an den Kleidern zu lecken. Weigger fuhr ruhig fort und strich sich nur immer etwas Honig an das Gewand. Da folgte ihm der Bär bis zu seinem Haus Landsberg. Dort rief der Weigger seiner Frau: »öffne die Tür und bring ein Beil«, schloß hinter sich zu und schlug den Bär tot. So hatte er durch Honig und Bär seinen Schaden wieder gutgemacht. – Während die Umsitzenden lauschten, entstand am nächsten Tisch heftiger Streit, weil einer dem Zutrinkenden Bescheid versagte und erklärte, daß er mit niemand anderem trinke als mit seiner eigenen Frau. Sie warfen die Krüge einander ins Gesicht, stießen Tische und Bänke um, die Weiber kreischten und fielen den Gegnern in die Haare; da sprang der starke Wirt dazwischen und stiftete Frieden. Die Gäste gehorchten und verlangten einen Becher Johannesminne zur Versöhnung, dann gingen sie nach der Prügelei voll nach Hause. Der Wirt aber kommt nicht zu Schaden, denn es ist Gesetz der Schenke, daß kein Fremder, und sei er noch so gut bekleidet, einen Trunk bekommt, wenn er nicht das Geld hinlegt, eine Zechschuld aber muß den nächsten Tag eingefordert werden.

Das lustige Leben der Schenke hört auf, sobald die Ratsglocke zum ersten Male läutet, dann müssen alle Häuser geschlossen werden, und kein Wirt darf im Hause schenken, nur über die Straße. Nach dem letzten Läuten soll niemand auf der Straße sein, er wird angehalten und auf die Wache geführt, nur der Rat ist frei. Auch war es nicht ganz ratsam, bei Nacht in der Stadt zu wandeln. Es gab unsichere Leute, die kein Nachtquartier bezahlen konnten und in den Schrannen oder in dunklen Ecken Unterschlupf suchten. Aber es war doch nicht leicht, die Nachtschwärmer zu bändigen, denn trunkene Gesellen zogen trotz allem Verbot umher und fielen an, wen sie trafen; am ärgsten trieben das, wie der Bürger klagte, die Geistlichen mit Messern in der Hand und wildem Toben.

Das Hämmern in der Werkstatt und der Lärm auf den Gassen war vorüber, nur die Stadtwache schritt durch die menschenleeren Gassen und der Nachtwächter, dessen Amt zu den ältesten der deutschen Städte gehörte; der reiche Patrizier breitete die seidene Decke von Arras über sein Lager, der Handwerker lag mit seiner Frau in der Kammer unter dem deutschen Federbett, sein Knecht auf dem Hausboden. Dann bellten die zahlreichen Hofhunde einander zu, vom Fluß her drang die kühle Nachtluft in die leeren Gassen, und auf dem Turm hielt der Wächter seinen Umgang und spähte in die dunkle Landschaft, bis sein Hornruf und das Frühgeläut der kleinen Glocken das Anbrechen eines neuen Arbeitstages verkündeten.

Es ist eine mächtige Stadt nach den Begriffen jener Zeit, in der das kleine Leben sich in solcher Weise regt. Uns freilich würde ihr Mauerkreis eng dünken. Schwerlich zählte die größte Stadt Deutschlands im 14. Jahrhundert mehr als 40 000–50 000 Einwohner. Nürnberg hatte im Jahre 1450, fast auf dem Höhepunkt seiner Macht, nicht viel mehr als 20 000 Menschen, Knechte und Dienstboten eingerechnet. Denn die deutschen Städte waren nicht, wie die großen Märkte des Ostens, schnell entstandene Wohnsitze zugelaufener Menschenschwärme, es waren feste, kunstvoll gegliederte Vereinigungen privilegierter Genossen, von denen fast jeder das Gefühl einer ansehnlichen Bedeutung in sich herumtrug. Sie machten den Zugang zu sich leicht, dem ehrlich Geborenen und Friedlichen standen die Tore gastfrei geöffnet, aber gedeihen konnte in ihnen nur, wer den Ordnungssinn und die Bescheidenheit jener Zeit hatte, d. h. wer sich als Arbeiter in das große Räderwerk einzufügen wußte.

Wir aber sehen mit Teilnahme auf diese bescheidene Arbeit des kleinen Mannes zurück. Nicht in der Poesie und nicht in der Wissenschaft, ja vielleicht nicht in Geselligkeit und Familienleben jener Jahre gewannen die liebenswerte Innigkeit des deutschen Gemütes und die opfervolle Hingabe an frei erwählte Pflicht ihren höchsten Ausdruck. Sie gewannen ihn aber in der Werkstatt, wo der Deutsche meißelte, schnitzte, in Formen goß und mit Zirkel und Hammer bildete. Seine Freude am Schaffen und die Achtung vor dem Geschaffenen, in das er eigentümliches Leben sinnig hineinbildete, das war auch eine echte Poesie. Und wenn es nur ein neues Hufeisen oder ein Radbeschlag war, die ein anderer verfertigt hatte, es ziemte ihm nicht, achtlos darauf zu treten. An einfache Waren und schmuckloses Gerät gaben Millionen Arbeiter ihre beste Kraft hin, aber sie taten es mit dem Gefühl, eine Kunst zu besitzen, die sie vor den meisten voraus hatten, sie saßen als Bewahrer seiner Geheimnisse, vieler kluger Vorschriften und Handgriffe, die kein anderer kannte als ihre Brüderschaft und die der übrigen Welt so unentbehrlich waren. Sie waren stolz darauf, unter ihren Genossen die tüchtigsten zu sein, und sie wußten, daß ihre Kunst, redlich geübt nach Handwerksbrauch, ihnen ein mannhaftes Leben sichere, Achtung guter Leute, eigenen Haushalt und eine ehrliche Stellung in ihrer Stadt. Und wenn ihnen Gelegenheit wurde, die erworbenen Geheimnisse ihrer Kunst an einem besonderen Stück zu erweisen, da schufen sie, gehorsam den alten Gesetzen und doch mit einziger sinnvoller Erfindung, ein Werk, in dem wir noch heute die Sorgfalt und Liebe der Arbeit und eine sichere Zweckmäßigkeit bewundern, welche zuweilen zur Schönheit wird. Der Türbeschlag eines bedächtigen Schlossers, der Löffel eines Nürnberger Goldschmieds, der Tonkrug, den ein alter Töpfer mit Figuren versehen und bunt glasiert hat, zeigen diese Poesie des alten Handwerks. Denn während die gewöhnlichen Erzeugnisse jeder einzelnen Handwerkerindustrie nach Stoff, Form und Preis aufs genaueste bestimmt und die schöpferische Kraft des einzelnen völlig in die Überlieferungen seiner Stadt und Innung gebannt war, kam eine eigentümliche Originalität bei allem zur Erscheinung, was einer sorgfältigeren Behandlung wert schien. Und daneben eine erstaunliche Vielseitigkeit der technischen Kenntnisse. Noch rieb der Maler seine Farben selbst, kochte den Firnis, aber er schnitt auch in Holz und gravierte Kupferplatten; Albrecht Dürer verkaufte in der Marktbude Bilderbogen mit Holzschnitten, zu denen er vielleicht selbst den Text gemacht hatte. Der Goldschmied war auch Zeichner und Modelleur, es war seine Freude, aus jedem wertvolleren Stück ein kleines Kunstwerk zu bilden, in welches er einen Teil seiner Seele hineinlegte. Wenn die Einrichtung der Häuser, der Kirchen in allen Grundformen bis auf das Verhältnis der Maße feststand, zeigte sich um die Arabesken der Steinarbeit in zahllosem, oft überreichem Detail das Behagen, mit welchem die Seele des Erbauers, wo ihr freies Schaffen erlaubt war, dem Drang folgte, eigentümliches Wesen auszudrücken. Gerade in dieser Verbindung von beengender Tradition und von freier Erfindung wurde die Handarbeit den Städten zum Segen, überall höheren Wohlstand, Gesittung, Bildung entwickelnd. Und die Städte standen durch das ganze Land als zahllose Knotenpunkte eines Netzes freier Genossenschaften, zwischen denen das flache Land, in seiner Entwicklung zurückgeblieben, fast feindlich lag.

Nur selten haben wir Gelegenheit, an solcher Arbeit eines einzelnen Handwerkers aus dem 14. Jahrhundert die Tüchtigkeit der Kleinen zu schauen und uns zu erinnern, daß unsere gesamte Produktion, die nicht nach jeder Richtung jener Zeit überlegen ist, auf den Werkstätten beruht, in welchen das deutsche Handwerk zuerst stolzes Selbstgefühl gewann. Wir wissen auch wenig von dem Treiben in der Werkstatt und von der allmählichen Ausbildung der Handwerksordnung. Wie der Arbeiter lebte bei seinem Gerät, unter seinen Genossen, möchten wir gern aus den spärlichen Trümmern alter Handwerkersitte erraten, welche uns überliefert sind. Was uns davon wie durch einen Zufall bewahrt wurde, ist freilich nicht in jener alten Zeit niedergeschrieben. Erst um das Jahr 1700 kam ein Konrektor in Altenburg auf den Einfall, einiges Zeremoniell des Handwerks, das zu seiner Zeit noch vorhanden war, aufzuzeichnen. Das wenige, was er drucken ließ, weist alten Brauch in verkommenem Zustand, durch spätere Zusätze entstellt, aber an einigen Stellen vermag man leicht den guten Kern auszusondern. Und darum soll hier ein Stück der mittelalterlichen Handwerksgewohnheit nach dem Buch des Frisius: Der vornehmsten Künstler und Handwerker Zeremonial-Politika, Leipzig 1708, mitgeteilt werden.

Es ist die Ansprache, welche einer der alten Handwerksknechte dem Jungen hält, der in die Brüderschaft der Schmiedeknechte aufgenommen wird. Das Zeremoniell beim Freisprechen wurde früh possenhaft und roh, die Gebräuche der Deposition auf den lateinischen Schulen waren ganz nach dem Geschmack der Zeit und drangen auch in das Handwerk; hier durften wenige Stellen, welche durch ihren anderen Ton als spätere Zusätze kenntlich sind, weggelassen werden.

Wenn die Meister und Knechte versammelt waren, den jungen Gesellen freizusprechen, so ging der Altknecht, nachdem er mit Gunst und Erlaubnis gebeten hatte, in die Schmiede und setzte den Blasebalg in Bewegung; denn allen Schmieden, welche an der Esse arbeiteten, ziemte die Herdflamme bei ihrer Vorsorge, aber den Kessel- oder Kaltschmieden nicht. Sobald die Kohlen auf dem Herd glühten, wurde »der junge Gesell in die Versammlung eingeführt, und der Altknecht begann mit diesen Worten seine Vorsage«:

Glück herein! Gott ehr' ein ehrbar Handwerk. Mit Gunst! Meister und Gesellen, stillet euch ein wenig. Jung Gesell, ich will dir Handwerksgewohnheit sagen, wann gut wandern ist; zwischen Ostern und Pfingsten, wenn es fein warm ist und die Bäume Schatten geben, da ist wandern gut. So nimm einen ehrlichen Abschied von deinem Meister, Sonntag zu Mittage nach dem Essen, denn es ist nicht Handwerksgebrauch, daß einer in der Woch' aufsteht. Und sprich, wenn er dein Lehrmeister ist: ›Lehrmeister, ich sag' Euch Dank, daß Ihr mir zu einem ehrlichen Handwerk geholfen habt, es stehet heute oder morgen gegen Euch und die Eurigen wieder zu verschulden.‹ Und zur Meisterin sprich: ›Lehrmeisterin, ich sage Dank, daß Ihr mich in der Wäsche freigehalten, so ich heute oder morgen möchte wieder kommen, stehet es um Euch wieder zu verschulden.‹ Willtu dein Bündel nicht auf die Herberge tragen, so sprich den Meister an und sage: ›Meister, ich will Euch angesprochen haben, ob Ihr mein Bündel eine Nacht wollt beherbergen.‹ Danach gehe zu deinen Freunden und zur Brüderschaft, bedanke dich bei ihnen und sprich: ›Gott behüte euch, saget mir nichts Böses nach.‹ Wenn du dann Geld hast, trinke Valet mit ihnen und frisch an und wandere zum Tor hinaus.

Wenn du aus dem Tor kommst, so nimm drei Federn in die Hand und blase sie auf die Höhe, die eine wird fliegen über die Stadtmauer zurück, die andere über das Wasser, die dritte gerade hinaus; stoße nicht mit dem Kopf durch die Mauer, und eh' du über das Wasser fährst, wirf einen Stein hinein, trägt's den Stein, dann trägt's auch dich. Frisch an und ziehe gerade hinaus.

Und wenn du deine Straße gehst, wirst du kommen an einen dürren Baum, darauf sitzen drei schwarze Raben und schreien: ›Er zieht dahin, er zieht dahin.‹ Du sollst deinen Weg fortgehen und gedenken: ›Ihr schwarzen Raben, ihr sollt mir keine Botschaft sagen.‹ – Dann wirst du kommen an ein Dorf, an des End' steht eine Mühle, die wird immer gehen und sagen: ›Kehr um, kehr, kehr, kehr um.‹ Du aber sollst fortziehen und sagen: ›Mühle, geh' du deinen Klang, ich will gehen meinen Gang.‹ Und wenn du weiter kommst, da werden drei alte Frauen sitzen und sagen: Jung Gesell, weich von dem Wald, die Winde wehen sauer und kalt'; du aber wirst weitergehen und sagen: ›Im grünen Wald, da singen die Vögelein jung und alt, ich will mich mit ihnen lustig erweisen.‹

Und wenn du in den dicken Wald kommst, da wird ein Reiter geritten kommen in rotem Samtmantel und sprechen: ›Wie, so lustig, Landsmann?‹ Darauf wirst du sagen: ›Soll ich nicht lustig sein, ich habe all Gut meines Vaters bei mir.‹ So wird er dir einen Tausch anbieten, tu es aber nicht flugs zum erstenmal, das andremal auch nicht, bietet er dir aber das drittemal Tausch an, so bist kein Tor und gib ihm deinen Rock zuerst, sondern laß dir seinen Mantel zuerst geben. Wenn du nun von ihm erlöst bist, so geh' immerfort und sieh nicht um, denn er möchte dir nachreiten, könnte dich auch wohl um dein Leben bringen.

Wenn du nun weiterläufst, wird der Wald finster und ungeheuer werden und kein Weg daraus, und dir wird zu gehen sehr grauen. Die Vögelein werden singen jung und alt, der Wind wird wehen gar sauer und kalt, die Bäume gehen die Winke die Wanke, die Klinke die Klanke, mit Brasseln und Brausen. Da wird es sein, als wollte alles über den Haufen fallen, und du wirst gedenken: ›Ach wär' ich daheim bei der Mutter geblieben.‹ Du sollst aber doch nicht umkehren, sondern deinen Weg fortgehen. Schmied, schlag hierher!

Bist du aus dem Wald hinaus, dann kommst du auf eine schöne Wiese, darauf wird ein Birnbaum stehen mit schönen gelben Birnen. Da krieche nicht hinauf, schüttle den Baum ein wenig und lies nicht alle Birnen auf, die herabfallen, denn es könnte nach dir ein andrer guter Gesell unter den Baum kommen, der nicht so stark wäre, so würde es ihm ein guter Dienst sein, wenn er etwas Vorrat findet. Danach wirst du kommen vor einen großen Berg, da wirst du denken: ›Lieber Gott, wie werd' ich mein Bündel hinaufbringen auf den hohen Berg.‹ Hänge es aber nicht irgend an ein Schnürlein und schleppe es hinter dir her, sondern behalte es fein auf dem Rücken und trage es hinauf, so nimmt dir's niemand. Wenn du nun fortgehst, so wirst du kommen vor einen Brunnen, da wird dich sehr dürsten; wenn du nun trinkest, so lege dein Bündel ab und behalte es nicht auf dem Rücken, denn wenn du trinkest, möchte das Bündel den Schwang nehmen und dich hinabreißen. Jedoch lege es nicht zu weit von dir, sonst möchte einer kommen und dir's wegnehmen, so kämest du um dein Bündel. Und wenn du trinkst, so halte dich sauber dabei und den Brunnen rein, denn es möchte nach dir ein andrer guter Gesell kommen und gerne trinken wollen. Schmied, schlag hierher!

Fasse dein Bündel auf und gehe immerfort, so wirst du sehen einen Galgen. Du sollst dich nicht darum freuen noch traurig sein, daß dort einer hanget, sondern du sollst dich darum freuen, daß du auf eine Stadt oder Dorf kommst. Wenn du nahe hinzu bist, setze dich eine Weile nieder, lege ein gut Paar Schuh an und geh in die Stadt hinein.

Da wird dich der Torwart anrufen: ›Woher, jung Gesell?‹ So nenne dich nicht von weit her, sondern sprich immer daher: ›vom nächsten Dorf‹, so kommst du am besten aus. Nun ist an manchen Orten der Brauch, daß der Torwart einen nicht zum Tor hineinläßt, man lege denn sein Bündel ab und hole ein Zeichen. Darum frage du und sprich: ›Mein gut Freund, berichtet mich doch, bei welchem Meister ist wohl die Herberge?‹ Danach lege das Bündel ab und gehe auf die Herberge und hole ein Zeichen bei dem Herrn Vater.

Wenn du auf die Herberge kommst, so sprich: ›Guten Tag. Glück herein. Gott ehre das Handwerk, Meister und Gesellen. Herr Vater, ich bitt', Ihr wollet mir doch ein Gesellenzeichen geben, daß ich mein Bündel kann zum Tor hereinbringen.‹ Alsdann wird dir der Herr Vater ein Hufeisen oder einen Rinken als Zeichen geben. Wirstu das Zeichen aufweisen, so werden sie dir das Bündel folgen lassen.

Danach mußtu wieder auf die Herberge gehen und sprechen: ›Ich bedanke mich ganz freundlich, daß Ihr mir das Zeichen geliehen habt. Auch wollte ich Euch angesprochen haben um das Handwerk, ob Ihr mich heute wollt beherbergen, mich auf die Bank und mein Bündel unter die Bank; ich bitte, der Herr Vater setze mir nicht den Stuhl vor die Tür, ich will mich halten nach Handwerksbrauch, wie ehrlichen Gesellen zukömmt.‹

Dann wird der Herr Vater sagen: ›Wenn du willst ein frommer Sohn sein nach Handwerksbrauch, so geh hinein in die Stube und lege dein Bündel ab in Gottes Namen.‹ Wenn du nun in die Stube kommst und die Frau Mutter ist drinnen, so sprich: ›Guten Abend, Frau Mutter‹, hänge dein Bündel aber nicht an die Stubenwand, sondern lege es fein unter die Hammerbank; verliert der Herr Vater seine Hämmer nicht, so wirst du dein Bündel auch nicht verlieren. Wenn du es nun abgelegt hast und der Bruder arbeitet, so schlage ein- oder zweimal mit und frage dann, ob hier der Brauch ist, daß man aufs Geschenk geht.

Wenn du auf das Geschenk gehst um Gabe und Trunk, so gehe nicht zuerst in die nächste Werkstatt, sondern gehe fein in die weiteste Werkstatt, damit du der Herberge immer näher und näher kommst. Wenn du auf dem Geschenk in eine Werkstatt kommst und ein Stück Schmiedearbeit im Hause liegt, so hüte dich, mit Füßen darauf zu treten oder zu spucken, sonst möchten die Schmiede sprechen: ›Ei, wer weiß, ob er's selber so gut machen kann als das ist.‹ Wenn du nun ein- oder zweimal getrunken hast, so sprich, wenn der Meister in der Werkstatt ist: ›Meister, ich sage Dank Eures Geschenkes, Eures guten Willens, es stehet heute oder morgen gegen Euch und die Eurigen wieder zu verschulden.‹ Danach bedanke dich bei den Knechten auch und sprich: ›Schmied, ich sage dir Dank deines Geschenkes, deines guten Willens, wenn du heute oder morgen zu mir kommst und ich in Arbeit stehe, will ich dir wieder ausschenken eine Kanne Bier oder Wein, was in meinem Vermögen soll sein.‹

Wenn du nun wieder auf die Herberge kommst, so wird der Bruder sprechen: ›Wie ist's, Bruder, haben dir die Knechte auch geschenkt?‹ Sprich immer ›ja‹, wenn du gleich keinen Trunk gesehen hast.

Wenn sie nun des Abends zu Tisch gehen, so setze dich an die Stubentür. Spricht der Herr Vater: ›Schmied, komm her und iß mit‹, so lauf' nicht flugs hinzu, sondern kannst sagen: ›Herr Vater, ich sag' Euch Dank davor‹; spricht er's aber zum andernmal, so geh' immer hin und iß mit. Wenn du nun satt bist, so stecke dein Messer nicht ein, ehe die andern satt sein, sonst möchten sie sprechen: ›Das ist ein kleiner Esseschmied, er will gewiß einen ausstechen, weil er so wenig ißt.‹ Wenn dir's hernach der Herr Vater zutrinkt, so kannst du wohl trinken; hastu aber Geld, so kannst du austrinken und sprechen, ob man einen Boten kann haben, du wolltest auch eine Kanne Bier geben.

Wenn es nun auf den Abend kömmt, so wird dir der Herr Vater lassen das Bett weisen. Wenn dir nun die Schwester auf den Boden leuchtet und du das Bett gewahr wirst, so wünsche ihr eine gute Nacht und sprich: sie soll in Gottes Namen hinabgehen, du willst dich schon ins Bett finden. Am Morgen steh' zur Zeit auf, und wenn du in die Stube kömmst, so wünsche allen guten Morgen, da werden sie dich vielleicht fragen, wie du geschlafen hast; so sage ihnen auch, was dir geträumet hat.

Wenn du nun wieder fortläufst, so sprich: ›Herr Vater, ich sag' Euch Dank, daß Ihr mich und mein Bündel habt geherbergt, es steht heute oder morgen gegen Euch und die Eurigen wieder zu verschulden.‹ Lauf also fort. Wenn du nun in das Tor kommst, so werden sie dich fragen ›wo zu?‹ Sprich nur, du weißt es selbst nicht. Und lauf immer zu. –

Alles mit Gunst. Ich wünsche dir Glück zu Wege, zu Stege, zu Wasser und Land, wo dich der liebe Gott hinsendet. Und wo du heute oder morgen möchtest hinkommen, da Handwerksgewohnheit nicht ist, so hilf sie aufrichten. Hilf Handwerksgewohnheit stärken und nicht schwächen. Hilf eher zehn ehrlich machen als einen unehrlich, wo es kann sein; wo es aber nicht kann sein, so nimm dein Bündel und lauf davon.

Soweit die Vorsage der Schmiedegesellen.

Durch ähnliche Vorsage der Zucht ist das ganze Leben des Handwerkers in seiner Innung gefestigt. Nach erlerntem Wortlaut wird jede Zusammenkunft der Meister und Knechte geleitet, Gruß und Einführung des Zuwandernden, Aufnahme des neuen Meisters. Wenn die Lade geöffnet ist und Handwerksgebrauch geübt wird, steht Strafe darauf, daß keiner Ungebührliches rede oder tue. Auch der Tagesverkehr des Meisters und seiner Knechte, alle Leistung, ja alle Gunst und Gefälligkeit ist in herkömmlicher Weise geordnet, durch Spruchwort und Wechselrede bestätigt.

Diese Ordnung bildet ein eisenfestes Band, welches die harten Gesellen aneinander fesselt. Dieselben Formeln sind dem kleinen Mann aber auch Zauberworte, welche ihm sein Herrengefühl in der Welt geben; der sonst in der Fremde rechtlos und schutzlos wäre, er findet damit, soweit die deutsche Zunge reicht, überall solche, welche wie Brüder und Väter um ihn zu sorgen verpflichtet sind. Und er wandert mit Handwerksgruß und Erkennungszeichen, mit leichter Habe und leerem Beutel Hunderte von Meilen, bis er eine Werkstatt findet, in die er als Genosse der Familie eintritt oder bis ihm sein Glück ein eigenes Geschäft vergönnt.

Es war natürlich, daß der Handwerksbrauch, der solche Vorteile bot, immer künstlicher wurde. Ebenso wie die Arbeit der Innungen unter dem Zunftzwang erstarrte, wurde auch mit den Ansprachen und Bräuchen des Handwerks ein kleinliches Spiel getrieben, der Formelkram zuletzt den Gescheiten lästig. Es kam die Zeit, wo die Arbeit der Privilegierten nicht mehr dem Bedürfnis der Nation genügte, wo neue Staaten mit größerer Sicherheit des Verkehrs, besserer Schule und freierer Intelligenz auch die höhere Idee der freieren Konkurrenz und Arbeit vertreten konnten. Jene alten Formeln und Bräuche des deutschen Handwerks sind dem Geschlecht der Gegenwart veraltet. Wir aber denken daran, daß sie dem deutschen Handwerksgesellen einst die Kraft gegeben haben, mit dem Bündel über Berg und Tal, durch den ungeheuren Wald zu fremden Völkern zu ziehen und dort auf fremder Erde in der Gemeinschaft mit seinen Brüdern so lange zu hämmern, zu messen und zu nähen, bis große Stücke Land, auf denen jetzt das Leben unserer Nation reichlich und kräftig erblüht, dem deutschen Volk zugemessen, angehämmert und eingenäht waren. [...]


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