Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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Auch alte Hexenkräuter, Wegewart, Verbena, St. Johanniskraut, Vogelkraut, Siegwurz, Allermannsharmsch wurden zu Wundsegen gebraucht und das kräftigste von allen, die geheimnisvolle Bollwurz. Sie mußte mit dem besten neugeschliffenen Stahl ausgegraben und durfte nie mit der bloßen Hand, am wenigsten mit der linken angegriffen werden, sie wurde wie ein agnus dei getragen. Sie war rund, fand sich nur auf der Walstatt großer Männerschlachten und war, wie Zimmermann sagt, um der verstorbenen Seelen willen geheiligt. Und außer ihr eine feuerfarbige Blume, welche die Kabbalisten Efdamanila nannten; sie schützte nicht allein den Mann, der sie trug, vor Schuß, Hieb und Feuer: wenn sie bei der ersten feindlichen Kugel in belagerter Stadt über die Mauer gehängt wurde, so band sie das feindliche Stück wenigstens auf einen Monat.

Auch Amulettmünzen waren früh im Brauch; im Jahre 1555 wurde in dem Gefecht bei Marienburg zwischen den Prinzen Oranien und Nevers ein kleines Kind durch einen Schuß an den Hals getroffen, ein silberner Schaupfennig bog sich zusammen, das Kind blieb unverletzt; damals schrieb man so großen Erfolg noch einem Amulettzettel zu, den es neben der Schaumünze am Halse trug. Aber zu derselben Zeit gossen bereits »Sideristen«, die in astrologischer Kunst erfahren waren, festmachende Schaupfennige von Silber und feinem Gold nach »himmlischer Influenz,«; sie wurden am Halse getragen. Thurneisser verbreitete auch diese Art Amulette im nördlichen Deutschland. Noch nach dem Dreißigjährigen Krieg brachte ein Zufall die Mansfelder St. Georgentaler in Aufnahme, besonders die von 1611 und 1613, mit der Inschrift: »Bei Gott ist Rat und Tat.«

In dem Ruf fest zu sein standen nicht nur gemeine Soldaten, auch viele hohe Befehlshaber; zwar nicht Pappenheim, der fast bei jeder Affäre eine Wunde erhielt, wohl aber Holk – den zuletzt der Teufel persönlich in die Hölle holte –, Tilly, an dem der entsetzte Wundarzt nach der Schlacht bei Breitenfeld nur Quetschungen zu verbinden hatte, Wallenstein und sein Verwandter Terzka; selbst Gustav Adolfs Schwert galt für gefeit. Auch Ahas Willenger, nach Fadingers Tod Anführer der aufständischen österreichischen Bauern, war so gefroren, daß ihn eine Kanonenkugel sieben Schritt zurückriß, ohne in seine Haut zu dringen; endlich tötete ihn ein Offizier der Pappenheimer. Alle Fürsten des Hauses Savoyen hielt man noch nach dem Dreißigjährigen Krieg für fest. Feldmarschall Schauenburg hat es am Prinzen Thomas versuchen lassen, als er ihn in einer italienischen Festung belagerte. Dem besten Schützen hat die Büchsenkugel versagt. Man wußte nicht, ob die Männer des hohen Hauses besondere Gnade haben, weil sie aus dem Geschlecht des königlichen Propheten David stammen, oder ob daselbst die Kunst erblich war sich festzumachen; [...] daß Friedrich der Große seinem Heer für unverwundbar galt, war in der Ordnung, aber auch Friedrich Wilhelm II. war im Feldzug von 1792 nach der Ansicht alter Unteroffiziere nur durch silberne Kartätschenkugeln des Feindes zu treffen.

Es gab kaum jemand, welcher den Glauben an die geheimnisvolle Kunst nicht teilte. Der berühmte französische Feldherr Messire Jacques de Puysegur mußte im Jahre 1662 in den französischen Bürgerkriegen einen Gegner, qui avait un caractère, weil er ihn mit der Waffe nicht töten konnte, durch Nackenschläge mit einem Hebebaum umbringen lassen und über das Abenteuer seinem König berichten. Schon bei der Blockierung von Magdeburg im Jahre 1629 wurde die Klage über solche Mittel so allgemein, daß die Kriegführenden darüber verhandelten. Selbst Gustav Adolf verbot in § 1 seiner Kriegsartikel eifrig Götzendienst, Hexerei oder Zauberei der Waffen als eine Sünde gegen Gott.

Aber die dunkeln Mächte, welche sich der Kriegsmann zu Helfern warb, waren treulos. Sie schützten nicht gegen jedes. Schon das war unbequem, daß sie nicht vor der Hand des Scharfrichters bewahrten; Zimmermann berichtet mehrere Fälle, wo die zu weitgehenden Hoffnungen eines Gefrorenen und seiner Anhänger auf der Richtstätte getäuscht wurden. Einzelne Teile des Körpers, der Nacken und der Rücken zwischen den Schultern, die Armhöhle, die Kniekehlen galten für nicht hart oder fest. Auch war der Leib nur gefeit gegen die gewöhnlichen Metalle, Blei und Eisen. Den Gefrorenen tötete die einfachste Bauernwaffe, die Holzkeule, ferner Kugeln von edlem Metall, zumal ererbtes Silber. So konnte ein österreichischer Gouverneur von Greifswald, auf den die Schweden mehr als 20 Kugeln abgeschossen hatten, nur durch den geerbten silbernen Knopf, den ein Soldat in der Tasche trug, erschossen werden. So ward eine Hexe in Schleswig, die in einen Werwolf verwandelt war, durch Erbsilber getötet. Auch durch andere Mischungen beim Kugelgießen sowie durch geheime Waffenweihe vermochte man den Zauber zu öffnen. Von den alten Zaubermitteln der Heidenzeit mochten sich manche erhalten haben. Es gab Notschwerter und Notbüchsen. Die Schärfe des Stahls ward mit Roggenbrot, das in der Osternacht gesäuert und gebacken war, kreuzweise überstrichen, auf Klingen und Rohr wurden Zeichen geätzt; man verstand Kugeln zu gießen, welche töteten, ohne die Haut zu verletzen, andere, welche Blut haben mußten, solche, welche jede Festigkeit öffneten, und präparierte diese durch Beimischung von pulverisierten Weizenkörnern, Spießglanz, Donnerkeilen, durch Ablöschen in Giften. Auch diese Künste galten für unnatürlich und gefährlich. Daneben suchte man eifrig nach »natürlichen« Kunststücken, welche ein ehrlicher Kriegsmann mit Vorteil gebrauchen könnte. Man glaubte durch Beimischung von gepulvertem Hundsgebein Büchsenpulver zu verfertigen, welches keinen Knall gab. Man richtete Pulver zu, womit man das Geschossene nicht beschädigte, aber auf Stunden betäubte, anderes, das nicht anbrannte, auch wenn man glühenden Stahl hineinsteckte. Durch Beimischung von Borax und Quecksilber wußte man Sprengpulver zu schaffen, womit man die Stücke des Feindes, die man beim Ausfall nicht zu vernageln Zeit hatte, zersprengte. Man suchte das Geheimnis, einem Menschen auch ohne Zauberei doppelte Stärke zu geben, usw.

Eine eigentümliche, ebenfalls sehr alte Art des Zaubers war das Festbannen der Feinde durch geheimnisvolle Sprüche, die im Augenblick der Not rezitiert wurden. Der Wissende vermochte ganze Haufen Reiter und Fußvolk zu stellen, d. h. unbeweglich zu machen, ebenso durch andern Spruch den Zauber wieder aufzulösen, und dieser Aberglaube hat in dem Romanusbüchlein (o. O. u. J.) noch in unserm Jahrhundert seine abgeschmackten Formeln in die katholischen Heere gebracht. Wer die Beschwörungen dieses Büchleins durchblättert, findet in einem Wust von Unsinn, unter vorgeschriebenen Kreuzzeichen, Anrufung von Heiligen und Bibelstellen, auch einige poetische Formeln, die wahrscheinlich durch fünfzig Generationen fortgepflanzt worden sind. Ein anderes Zauberkunststück war Reiter ins Feld zu machen, d. h. zur Rettung in eigener Gefahr den täuschenden Schein hervorzubringen, als ob in der Entfernung Kriegsvolk heranziehe. Durch ähnliche Spukbilder hatten, wie Gregor von Tours erzählt, schon um 568 die Awaren den Frankenkönig Sigibert im Treffen besiegt. Ja in größter Not war es möglich, sich und das eigene Heer zu verwandeln. So war Herzog Hans Adolf von Plön nicht nur kugelfest und wohlbewandert in der Kunst unsichtbar zu machen, er vermochte auch einmal in den Türkenkriegen sich und seine Leute so täuschend in Bäume zu verwandeln, daß die Feinde an diese Bäume traten und dem Herzog und seinen Leuten die Stiefel benäßten. Solche Beschwörungen sind Trümmer geheimer heidnischer Wissenschaft, welche in manchen Sagen und Märchen bis zur Gegenwart fortklingt. Dergleichen Überlieferungen mag es noch viele gegeben haben, sie waren sicher am Lagerfeuer und in der Marketenderhütte beliebter Gegenstand geheimnisvoller Unterhaltung.

Der unheimlichste Mann des Regiments war der finstere Profos; es war natürlich, daß vorzugsweise er für einen Wissenden galt. Schon 1618 wußte der Henker von Pilsen mit einem Gehilfen alle Tage drei treffende Kugeln gegen das Mansfeldische Lager zu schießen; er wurde nach Eroberung der Stadt an einem besonderen Galgen gehenkt. Noch größere Zauberkünste verstand der Profos der Hatzfeldischen Armee von 1636, er wurde, weil er gefroren war, von den Schweden mit einer Axt erschlagen. Es lag sehr im Interesse dieser Gewaltigen, den Glauben an ihre Unverwundbarkeit bei den rachelustigen Soldaten zu erhalten.

Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen, aus dem Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffären und das eigene Schicksal zu lesen. Die Prognostika häuften sich während des Krieges, unermüdlich wurden aus Konstellationen, Sternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen Erscheinungen die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit und durch eine gräßlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitätstellerei war allgemein. Auch das zweite Gesicht besaßen einzelne Individuen, sie empfanden vorher, wem die nächste Zukunft Verhängnis bringen werde. Als 1636 die sächsisch-kaiserliche Armee vor Magdeburg lag, war ein kranker »Mathematikus« im Lager, der seinen Freunden vorhergesagt hatte, daß ihm der 26. Juni Verderben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt, da ritt ein Leutnant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang ein und bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach langer Weigerung prophezeite ihm der Kranke, er werde noch in dieser Stunde aufgehängt werden. Der Leutnant, empört darüber, daß einem Kavalier solches gesagt werden dürfe, zog seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein Auflauf, der Mörder schwang sich auf sein Pferd und wäre entkommen; da wollte der Zufall, daß der Kurfürst von Sachsen neben dem General Hatzfeld mit großem Gefolge durch die Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: das wäre schlechte Disziplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett nicht vor Mördern seines Lebens sicher sein sollte. Der Leutnant wurde aufgeknüpft.

Wer für den Besitzer solcher Geheimnisse galt, der ward von seinen Kameraden gefürchtet, aber nicht geehrt; »denn wenn sie nicht furchtsame, feige Tröpfe wären, würden sie nicht solche Mittel gebrauchen«. Schon im 16. Jahrhundert ließen einzelne Obersten jeden Gefangenen henken, bei welchem ausgeschnittene oder mit Eisen gefütterte Kugeln gefunden wurden, »welche um einer Seele willen geheiligt waren«. Im Dreißigjährigen Krieg bat ein Feigling seinen Kameraden um einen Passauer Zettel. Dieser schrieb auf einen Streifen Papier dreimal: »Wehr' dich, Hundsfott!« wickelte das Papier zusammen und ließ es dem Furchtsamen in die Kleider nähen. Seit dem Tage bildete sich jener ein, er sei fest, und ging bei allen Okkasionen wie ein hörnerner Siegfried unter Waffen, ist auch stets unverwundbar davongekommen.

Aber der Krieger hatte nicht nur um die Gunst der Schicksalsgötter, noch mehr um den Beifall seiner Kameraden zu werben. Wer aufmerksam in jene Zeit hineinsieht, der verliert zwar nicht das Grausen über die zahllosen und raffinierten Scheußlichkeiten, welche verübt werden; aber er erkennt auch, daß aus der tiefen Barbarei und Verwüstung der Seelen immer noch einzelne mildere Tugenden aufleuchten und zuweilen eine gesunde unzerstörbare Tüchtigkeit zutage kommt. Der Söldner fühlte, kurze Zeit ausgenommen, keine Begeisterung für die Partei, welcher er gerade diente, selbst der Glaube verlor in den wilden Gemütern viel von seiner Fähigkeit zu erwärmen. Aber den Besseren blieb die eigene Soldatenehre und eine lebhafte Empfindung für die Ehre der Fahne, der sie geschworen hatten, jedem aber der Stolz, daß er als Krieger ein Herr der zerrütteten Welt sei, oft der einzige geistige Besitz, der ihn vom Räuber und Mörder unterschied. Nicht selten wechselte der Krieger seine Fahne, freiwillig oder gezwungen, aber auch im letzteren Fall war er dem neuen Kriegsherrn zuweilen treu und zuverlässig. Die Achtung der Kameraden erwarb er nur, wenn er ein ehrlicher Soldat und kein »Hundsfott« war; schnell bildete sich ein eigentümlicher Kodex der Soldatenehre aus, der eine wenn auch sehr verkümmerte Sittlichkeit rettete. Von der guten Laune, welche das Gefühl einer souveränen Herrschaft über Bürger und Bauer gab, sind uns nur wenige Reste geblieben. Die zahlreichen Soldatenlieder, welche in den Lagern selbst entstanden, sind bis auf dürftige Trümmer verklungenEs ist charakteristisch, daß eines der besten (»Simplicissimus« I, 2.23) die »Müllerflöhe« besingt, damals eine allgemeine Plage der Heere.. Aber sprichwörtliche Redensarten drücken oft genug dieselbe Stimmung aus, welche Schillers Reiterlied idealisiert: »Der scharfe Säbel ist mein Acker, und Beutemachen ist mein Pflug.« »Die Erde ist mein Bett, der Himmel meine Decke, der Mantel mein Haus, der Wein mein ewiges Leben.« »Sobald ein Soldat wird geboren, sind ihm drei Bauern auserkoren: der erste, der ihn ernährt, der andere, der ihm ein schönes Weib beschert, der dritte, der für ihn zur Hölle fährt.«

Daß die Sinnlichkeit in der Regel zügellos und ohne Scham war, wird man voraussetzen, die Völlerei, das alte deutsche Laster, beherrschte Offiziere und Gemeine. Das Tabakrauchen und -kauen, oder, wie man damals sagte, Tabaktrinken, -essen und -schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, und die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher Aufenthalt. Dieser Brauch, im Anfang des Krieges durch die Holländer und englische Hilfstruppen zu den deutschen Soldaten gekommen, war am Ende des Krieges so gewöhnlich, daß in jedem Bauernhaus eine Pfeife zu finden war, daß die Lehrjungen und von zehn Tagelöhnern neun während der Arbeit rauchten.

Auch die deutsche Sprache verwilderte in den Heeren, bald war es den Gemeinen modisch, italienische und französische Wörter einzumischen; sogar die Ungarn, Kroaten und Tschechen bereicherten den Sprachschatz, sie ließen uns außer ihrer »Karbatsche« und ähnlichem auch volltönende Flüche. Den frommen Theologen waren die Soldatenflüche ein besonderer Greuel; sooft ein Soldatenmund sich öffnete, flogen die »Potz« und »Pieu« – rücksichtsvolle Entstellungen des göttlichen Namens – unaufhaltsam heraus. Mit großer Betrübnis hat Moscherosch einige der ärgerlichsten Fluchreden verzeichnet: »Potzhunderttausend Sack voll Enten«, »daß dich der Donner und der Hagel miteinander erschlage«, »fort, ihr Hundertsappermentsbluthunde«, »sauf, daß dir das höllische Feuer in den Hals fahre«. – Aber nicht nur solche Verbrämungen kräftiger Rede füllten die Unterhaltung, auch das Rotwelsch wurde Gemeingut der Heere. Zwar nicht zuerst in dem großen Kriege, schon lange vorher hatten die entlassenen Landsknechte als »Gartbrüder« und Mitglieder der Bettlerinnung Künste und Sprache der Fahrenden gelernt, schon vor dem Kriege hieß ihnen das Huhn »Stier«, die Ente »deutscher Herr«, die Gans ein »Strohbutz«; »seinen Strohbutz verhören« bedeutete eine Gans fangen. Jetzt aber wurde die »Feldsprache« nicht nur ein bequemes Hilfsmittel für den geheimen Verkehr mit dem schlechten Gesindel, welches den Heeren folgte, mit Räubern von Handwerk, jüdischen Händlern und Zigeunern, es gab auch ein Ansehen am Lagerfeuer, die geheimnisvollen Wörter umherzuwälzen. Einzelne Ausdrücke der Feldsprache sind damals ins Volk übergegangen, andere wurden durch verlaufene Studenten in die Trinkstuben der Universitäten getragen.

Bei den täglichen Händeln bildete sich das »Kartell« für Duelle mit vielen Ehrenpunkten auch unter den gemeinen Soldaten aus. Zweikämpfe waren streng verboten, Gustav Adolf strafte sie selbst an höheren Offizieren mit dem Tode; aber kein Gesetz vermochte sie zu unterdrücken. Wenn die Streitenden vor dem großen Kriege mit dem Ausfechten der Ehrensache gewartet hatten, bis das Fähnlein abgerissen war, so hörte bald auch diese Rücksicht auf, höchstens begab man sich an eine entlegene Stelle außerhalb des Lagers und Quartiers. Der Herausforderer warf nach altem Brauch seinen Handschuh hin, nach dem Zweikampf wurde derselbe von dem Geforderten oder dessen Helfern zurückgegeben, zum Zeichen, daß der Handel abgemacht sei. Die Duellanten fochten allein oder mit zwei oder drei Sekundanten, auch ein Unparteiischer ward gewählt; vor dem Kampf gelobten einander die Parteien mit Hand und Mund, nicht vor, nicht in, nicht nach dem Kampf den fechtenden Kameraden zu helfen noch sie zu rächen, die Duellanten gaben einander die Hände und verziehen im voraus jeder dem andern seinen Tod. Man focht zu Pferd oder zu Fuß, mit Feuerwehr, Pistole oder Degen, beim Gefecht galt auch Ringen oder Niederwerfen, das Stechen galt für undeutsch, zumal der Stich in den Rücken war von zweifelhafter Anständigkeit. Wer Händel suchte, hatte die Aufgabe, vorher geschickt den Gegner zu schrauben.

Dem Feind gegenüber herrschte milder Kriegsgebrauch und einige Courtoisie. Da es so gewöhnlich war, die Partei zu wechseln, bildete sich bei den Soldaten ein Korporationsgefühl aus, welches auch den Feind umfaßte. Die Heere kannten einander ziemlich genau, nicht nur Charakter der Oberoffiziere, auch ältere Soldaten waren den Truppen am Rhein und Lech bekannt wie den Lagern an der Elbe und Oder; jeden Tag konnte man erwarten, in den feindlichen Reihen einen alten Kameraden zu sehen oder zum Zeltgenossen einen früheren Gegner zu erhalten. In der Regel wurde der verlangte Pardon, das Quartier gegeben, oft angeboten. Nur wer gegen Kriegsbrauch gekämpft hatte oder im Verdacht stand, Teufelskünste zu brauchen, mußte, auch wenn er bat, erschlagen werden. Zwischen dem honetten Sieger und Besiegten ward Kartell geschlossen, der Sieger versprach zu schützen, der Gefangene nicht zu fliehen. Dem Besiegten ward die Waffe, Feldbinde und Hutfeder abgenommen; alles, was er in den Kleidern barg, gehörte dem Sieger, doch wer »holländisches Quartier« bekam, der behielt, was sein Gürtel umschloß; der anständige Gefangene präsentierte selbst, was er in den Taschen hatte. Der Verzweifelte konnte das Quartier aufkündigen, dann wurde er getötet, wenn er nicht schnell zu entfliehen wußte. Beim Transport wurden gemeine Gefangene je zwei mit einem Arm zusammengebunden und die Nesteln aus den Hosen genommen, daß sie mit der freien Hand die Beinkleider halten mußten. Die Gefangenen konnten gegen Ranzion ausgelöst werden, und dies Lösegeld wurde durch einen Tarif bei den einzelnen Heeren festgesetzt. In der letzten Hälfte des Krieges, wo die Soldaten seltener wurden, steckte man die gemeinen Gefangenen summarisch in das Regiment, oft ohne ihnen Wahl zu lassen. Solche Soldaten galten natürlich für unsicher, sie benutzten gern die erste Gelegenheit, zu der früheren Fahne zu desertieren, wo sie Dirne, Buben, Beute und rückständigen Sold gelassen hatten. Distinguierte Gefangene wurden zuweilen vom Obersten des Regiments den gemeinen Soldaten abgekauft; sie wurden im feindlichen Quartier mit Aufmerksamkeit behandelt, fand doch fast jeder Bekannte oder gar Verwandte darin.

Beute war der unsichere Gewinn, um den der Soldat sein Leben einsetzte, auf sie zu hoffen die traurige Poesie, welche ihn in verzweifelter Lage standhaft erhielt. Der Sold war bescheiden, die Zahlung unsicher, die Beute verhieß Wein, Spiel, eine schmucke Dirne, ein goldverbrämtes Kleid mit einem Federbusch, ein oder zwei Pferde, die Aussicht auf größere Bedeutung in der Kompanie und auf Avancement. Eitelkeit, Genußsucht und Ehrgeiz entwickelten diese Sehnsucht zu einer gefährlichen Krankheit der Heere.

Mehr als einmal wurde der Erfolg einer Schlacht dadurch vernichtet, daß die Soldaten sich zu früh der Plünderung überließen. Nicht selten gelang es einzelnen, große Beute zu machen, das Gewonnene wurde fast immer in wüster Schwelgerei vertan, nach dem Soldatensprichwort: »Was mit Trommeln erobert wird, geht mit Pfeifen verloren.« Der Ruf solcher Glücksfälle ging durch alle Heere. Zuweilen bekam den glücklichen Findern ihr Gewinn schlecht. In der Armee des Tilly hatte ein gemeiner Soldat nach der Eroberung von Magdeburg eine große Beute, man sprach von dreißigtausend Dukaten, gewonnen und sogleich wieder im Würfelspiel verloren. Tilly ließ ihn henken, nachdem er zu ihm gesagt: »Du hättest mit diesem Gelde dein Lebtag wie ein Herr leben können; da du dir aber selbst nicht zu nützen verstehst, so kann ich nicht einsehen, was du meinem Kaiser nützen sollst.« Noch am Ende des Krieges hatte einer von Königsmarks Truppe in der Kleinseite von Prag eine ähnliche Summe erbeutet und auf einem Sitz wieder verspielt. Königsmark wollte ihn ebenfalls expedieren, der Soldat rettete sich durch die unerschrockene Antwort: »Es wäre unbillig, wenn Ew. Exzellenz mich um dieses Verlustes willen aufhängen ließen, da ich Hoffnung habe, in der Altstadt noch größere Beute zu erhalten.« Diese Antwort galt für ein gutes Omen. – Bei der bayrischen Armada wurde im Holtzischen Fußregiment ein Soldat durch gleichen Glücksfall berühmt. Er war längere Zeit Musketier gewesen, kurz vor dem Frieden war er zur Pike heruntergekommen und übel bekleidet, das Hemd hing ihm hinten und vorn zu den zerrissenen Hosen heraus. Dieser Gesell hatte im Treffen bei Herbsthausen ein Faß mit französischen Dublonen erbeutet, so groß, daß er es kaum forttragen konnte. Darauf entfernte er sich heimlich vom Regiment, staffierte sich wie ein Prinz heraus, kaufte eine Kutsche und sechs schöne Pferde, hielt mehrere Kutscher, Lakaien, Pagen und einen Kammerdiener in schöner Livree und nannte sich selbst mit düsterem Humor Oberst Lumpus. So reiste er nach München und lebte dort herrlich in einer Herberge. Zufällig kehrte General Holtz in derselben Herberge ein, hörte durch den Wirt viel von Reichtum und Qualitäten des Obersten Lumpus und konnte sich doch nicht erinnern, jemals unter den Kavalieren des Römischen Reiches oder unter den Soldaten von Fortune diesen Namen gehört zu haben. Deshalb trug er dem Wirt auf, den Fremden zum Abendessen einzuladen. Oberst Lumpus nahm die Einladung an, ließ beim Konfekt in einer Schüssel 500 neue französische Pistolen und eine Kette von 100 Dukaten Wert auftragen und sagte dabei zum General: »Mit diesem Traktament wollen Ew. Exzellenz vorliebnehmen und meiner dabei bestens gedenken.« Der von Holtz sträubte sich ein wenig, aber der freigebige Oberst drängte mit den Worten: »Bald wird die Zeit kommen, wo Ew. Exzellenz selbst erkennen werden, daß ich diese Verehrung zu tun obligiert war. Die Schenkung ist nicht übel angelegt, denn ich hoffe alsdann von Ew. Exzellenz eine Gnade zu erhalten, die keinen Pfennig kosten soll.« Darauf akzeptierte der von Holtz nach damaliger Sitte Kette und Geld mit courtoisen Promessen, solches vorkommendenfalls zu remeritieren. Der General reiste ab, der falsche Oberst lebte fort; wenn er bei einer Wache vorüberfuhr, trat die Soldateska ihm zu Ehren ins Gewehr, dann warf er ihr ein Dutzend Taler zu. Sechs Wochen darauf war sein Geld zu Ende. Da verkaufte er Kutsche und Pferde, darauf Kleider und Weißzeug und vertrank alles. Die Diener entliefen ihm, zuletzt hatte er nichts mehr als ein schlechtes Kleid und keinen Pfennig darin. Da schenkte ihm der Wirt, der viel an ihm gewonnen, 50 Taler Reisegeld, der Oberst aber verweilte, bis auch das verzehrt war, wieder gab ihm der Wirt zehn Taler als Zehrgeld, der beharrliche Schwelger aber antwortete, wenn es Zehrgeld sein solle, wolle er es lieber bei ihm als bei einem andern verzehren. Als auch das vertan war, opferte der Wirt noch fünf Taler und verbot seinem Gesinde, dem Verschwender etwas dafür zu geben. Jetzt endlich quittierte er das Wirtshaus und ging in das nächste, wo er auch die fünf Taler vertrank. Darauf trollte er nach Heilbronn zu seinem Regiment. Dort wurde er sogleich in Eisen geschlossen und mit dem Galgen bedroht, weil er soviele Wochen vom Regiment entwichen war. Da ließ er sich zu seinem General führen, stellte sich ihm vor und erinnerte ihn an den Abend in der Herberge. Dem scharfen Verweis des Generals gab er die Antwort: er hätte sein Lebtag nichts so sehr gewünscht, als zu wissen, wie einem großen Herrn zumute sei, dazu habe er seine Beute benutzt.

In den ungarischen Kriegen war Gesetz gewesen, die Beute gemeinsam zu verteilen, bald kam das ab. Doch fand der glückliche Gewinner ratsam, den Offizieren seiner Kompanie einen Anteil zu gönnen. Dies gemeinsame Interesse am Gewinn, sowie die Notwendigkeit, sich durch Requisition in entfernten Gegenden zu erhalten, entwickelten den Parteigängerdienst zu großer Vollkommenheit. Zunächst unter den Truppen, welche gewöhnlich den Dienst des Streifkorps verrichteten, wie Holk und Isolani bei den Kaiserlichen. Aber auch einzelne versuchten bei den Regimentern ihr Glück auf eigene Hand. So wurden die »Freireuter«, welche sich, ohne regelmäßigen Dienst zu tun und – wie es scheint – ohne Sold zu erhalten, in die Regimenter gedrängt hatten, eine besondere arge Plage der Landschaften, und selbst der erbarmungslose Banér kam ihretwegen in »Gemüts-Kommotion«, er erklärte sie wiederholt für vogelfrei und befahl, sie von den Regimentern zu jagen und niederzustechen, wo es auch sei. Außerdem aber wählten auch die einzelnen Kompanieführer die gewandtesten Leute zu dem gewinnreichen Geschäft. Das »Parteimachen« – der Auszug zu einer geheimen Expedition – mußte in ungerader Zahl geschehen, wenn es Glück bringen sollte. Solche Parteien schlichen sich tief in das Land hinein, das Haus eines reichen Mannes zu plündern, eine kleine Stadt zu überfallen, Waren- oder Geldtransporte aufzufangen, Vieh und Lebensmittel heranzuführen. Mit feindlichen Besatzungen in der Nähe ward zuweilen ein Abkommen getroffen, was im gemeinsamen Bereich zu schonen sei. Jede Art von List ward bei solchen Zügen geübt, man wußte den Knall des schweren Geschützes hervorzubringen, indem man Handgewehre mit doppelter Ladung durch eine leere Tonne schoß, man benutzte Schuhe mit verkehrten Sohlen, ließ den Pferden die Hufeisen verkehrt anschlagen, den gestohlenen Kühen wurden Schuhe übergezogen, den Schweinen im Futter ein Schwamm eingegeben, an welchem ein Bindfaden befestigt war. Die Soldaten verkleideten sich in Bauern, in Frauen und bezahlten unter den Bürgern und Landleuten in der Umgegend Spione. Ihre Boten liefen mit Kundschafterzetteln, die in der Lagersprache »Feldtauben« hießen, hin und her, sie trugen ihre Briefe als Kügelchen zusammengerollt im Ohr, banden sie in das Haar zottiger Hunde, drückten sie in eine Erdscholle oder nähten sie mit grüner Seide zwischen die Blätter eines Eichenzweiges, um sie in der Not ohne Verdacht wegzuwerfen. Die Zettel waren in Rotwelsch oder Kauderwelsch geschrieben, mit fremden Lettern; wenn verlaufene Studenten bei der Kompanie waren, vielleicht gar französisch mit griechischen Buchstaben; man übte sich zu solchem Zweck in einfacher Geheimschrift, indem man die Buchstaben der Wörter verstellte oder verabredete, daß in jedem Wort nur der mittlere Buchstabe gelten sollte usw. Leicht war der Übergang von solchem Parteigängerdienst zum unehrenhaften Lungern des Marodeurs und Freibeuters. In der ersten Hälfte des Krieges war ein neugeworbenes Regiment des Grafen Merode durch angestrengte Märsche und schlechte Verpflegung so heruntergekommen, daß es kaum seine Fahnenwache besetzen konnte, es löste sich auf dem Marsch fast ganz in Nachzügler auf, die an den Zäunen und Hecken lagen, mit defekten Waffen und ohne Ordnung um die Armee herumschlichen. Seit der Zeit wurden die Nachzügler, welche der Soldatenwitz vorher Saufänger und Immenschneider (Drohnen) genannt hatte, als »Merodebrüder« bezeichnet. Nach verlorenen Schlachten, bei schlechter Verpflegung wuchs ihre Zahl ins Ungeheure. Leicht verwundete Reiter, die ihre Pferde verloren hatten, gesellten sich zu ihnen, und es war der damaligen Kriegszucht unmöglich, sie zu bannen. Sie stahlen Soldatenpferde von der Weide und aus den Quartieren, minierten bei Nacht die Zelte und zwackten hervor, was sich greifen ließ [...].

Die Zuchtlosesten verließen dann wohl ganz den Pfad ihres Heeres, lebten als Schnapphähne, Heckenbrüder, Waldfischer auf eigene Faust, bald im Kampf, bald im Bunde mit verwilderten Landleuten, welche ein ähnliches Gewerbe trieben. Leicht war der Verkauf des gestohlenen Gutes, die jüdischen Hehler und Käufer fragten nur, was die Ware gewesen sei, ob kaiserlich, ob schwedisch, ob hessisch, um beim Verkauf den frühern Eigentümer zu meiden. Vergeblich waren nach dem Ende des Krieges die Bemühungen der Landesherren, die großen Räuberbanden zu verzichten. [...]


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