Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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XVIII
Der Dreißigjährige Krieg

Soldatenleben und Sitten

Gemisch der Nationen. – Das Lager, Spiel, Luxus, Mangel. – Aberglaube. – Laster. – Lagersprache. – Kartell. – Gefangennahme. – Beute. – Parteigänger und Spione. – Marodeure

Fast alle Völker Europas sandten ihre schlechtesten Söhne in den langen Krieg. Nicht nur einzeln zogen fremde Söldner den Werbetrommeln zu wie Krähen einer Walstatt; das ganze christliche Europa wurde in den Kampf hineingerissen; in Kompanien und Regimentern zertraten die Fremden den deutschen Acker. Engländer und Schotten, Dänen, Schweden, Finnen fochten außer den Niederländern, die vom Volk noch als Landgenossen betrachtet wurden, auf Seite der Protestanten. Sogar die Lappländer fuhren mit ihren Rentieren an die deutschen Küsten, drei Kompanien derselben brachten im Wintermonat 1630 auf ihren Schlitten Pelze für die schwedische Armee über das Eis. Aber noch bunter sah es in den kaiserlichen Heeren aus. Die romanischen Wallonen, irische Abenteurer, Spanier, Italiener, fast jeder slawische Volksstamm brach in das Land, am greulichsten die leichte Reiterei: Kosaken (1620 polnische Hilfstruppen, sie wurden größtenteils vom Landvolk erschlagen), Stradioten (unter ihnen sicher auch Mohammedaner), und am meisten verhaßt die Kroaten. [...]

Fast jedes Heer war eine Musterkarte verschiedener Nationalitäten, fast in jedem ein Durcheinander vieler Sprachen und Dialekte. Und der Haß der Nationen ruhte selten, während die Fahne flatterte. Zumal im Lager mußten die Regimenter sorgfältig nach Beschaffenheit ihrer kameradschaftlichen Gefühle zusammengelegt werden, Deutsche und Welsche immer auseinander.

Der Feldmarschall oder Quartiermeister wählte den Platz des Lagers womöglich an fließendem Wasser, auf einer Stätte, die der Verteidigung günstig war. Zunächst wurde der Raum für den Feldherrn und seinen Stab ausgemessen. Dort erhoben sich die großen verzierten Zelte auf verbotenem Grund, der durch eine Barriere und eingesteckte Spieße, oft durch Befestigungen von dem übrigen Lager getrennt war. In der Nähe blieb ein freier Platz mit der Hauptwache; weilte das Heer längere Zeit im Lager, so wurde dort der Feldgalgen als Warnungszeichen aufgerichtet. Jedem Regiment und Fähnlein wird mit Zweigen seine Stelle abgesteckt, dann rücken die Truppen ein, Glieder und Rotten werden geöffnet, die Fahnen jedes Regiments werden in Reihen nebeneinander in die Erde gesteckt, dahinter liegt in parallelen Linien die Lagerstätte des Fähnleins, je 50 Mann in einer Reihe, bei der Fahne der Fähnrich, in der Mitte der Leutnant, am Ende der Hauptmann, hinter beiden die Zelte der Oberoffiziere und Beamten, der Feldscher neben dem Fähnrich, der Kaplan in der Nähe des Hauptmanns. Die Offiziere wohnen in Zelten, welche oft konische Form haben und mit Stricken am Erdboden befestigt sind. Die Gemeinen bauen sich auf dem angewiesenen engen Raum ihre kleinen Hütten von Stroh und Brettern. Neben der Hütte steckt der Pikenier seinen Spieß in den Boden, die Piken, Kurzspieße, Hellebarden, Partisanen und Standarten zeigen schon von weitem Rang und Waffe der Zeltbewohner. In den Hütten hausen die Soldaten häufig zu zweien oder vieren, bei ihnen Weiber, Dirnen, Buben und Hunde. So lagert Fähnlein neben Fähnlein, Regiment neben Regiment im großen Viereck oder im Kreise, das ganze Lager ist von breitem Raum umgeben, der zum Lärmplatz dient. Vor dem Dreißigjährigen Krieg war es gewöhnlich, um das Lager eine Wagenburg zu schlagen, dann wurden die Train- und Bagagewagen in doppelter oder mehrfacher Reihe aneinandergehoben und mit Ketten oder Klammern zum großen Viereck oder Kreis verbunden, die notwendigen Ausgänge freigelassen. Damals hatte die Reiterei zunächst an der inneren Seite der Wagen ihr Lager; für die Pferde waren neben den Hütten und Zelten der Reiter notdürftige Verschläge aufgerichtet. Dieser Brauch war veraltet, nur selten umschließen die Wagen das Lager, man ist bemüht, dasselbe durch Graben, Wall und die Feldgeschütze zu decken. An den Ausgängen sind Lagerwachen, außerhalb des Lagers werden Reitertrupps und eine Postenkette von Musketieren oder Schützen aufgestellt. Vor dem Zelt jedes Fähnrichs steckt die flatternde Fahne im Boden, daneben liegt eine Trommel der Kompanie, ein Musketier hält Wache, die brennende Lunte in der Hand, die Muskete waagrecht auf die Gabel gestützt.

In solchem Lager hauste das wilde Volk in zügellosem Haushalt, auch in Freundesland eine unerträgliche Plage der Umgegend. Die Landschaften, Städte und Dörfer mußten Holz, Stroh, Lebensmittel und Futter herbeischaffen, auf allen Wegen rollten die Lastwagen heran, wurden Herden Schlachtvieh eingetrieben. Schnell verschwanden die nächsten Dörfer vom Erdboden, alles Holzwerk und Dachstroh wurde von den Soldaten abgerissen und zum Bau der Hütten verwendet, nur die zertrümmerten Lehmwände blieben zurück. Die Soldaten und ihre Buben strichen plündernd in der Umgegend umher, die Marketender fuhren mit ihren Karren ab und zu. Im Lager aber drängten sich die Kriegsleute vor ihren Hütten und auf den Plätzen zusammen; unterdessen kochten die Weiber, wuschen, besserten Kleider aus und haderten untereinander. Häufig war Tumult und Auflauf, ein Kampf mit blanken Waffen, eine blutige Untat, Schlägereien zwischen den verschiedenen Waffen oder Nationen. Alle Morgen rief die Trommel und der Ausrufer zum Gebet, auch bei den Kaiserlichen; am Sonntag früh hielt der Regimentsprediger seine Feldpredigt, dann saßen die Kriegsleute und ihr Troß andächtig auf der Erde, auch war verboten, während des Gottesdienstes in den Marketenderhütten zu liegen und Getränke zu schenken. Es ist bekannt, wieviel Gustav Adolf auf fromme Sitte und Gebet achtete, er ließ nach seiner Ankunft in Pommern im Lager zweimal täglich Betstunde halten; aber auch in seinen Kriegsartikeln war nötig, die Trunkenheit der Feldprediger zu bedräuen.

In dem freien Raum des Lagers vor der Hauptwache war der Spielplatz, mit Mänteln überdeckt, mit Tischen besetzt, um alle drängte sich die Gesellschaft der Spieler. Dort hatte das Kartenspiel der alten Landsknechte der schnelleren Entscheidung durch Würfel weichen müssen. Oft war das Würfelspiel im Lager verboten, durch Rumormeister und Profosen verhindert worden, dann waren die Spieler heimlich hinter Hecken zusammengekommen und hatten ihr Kommißbrot, Waffen, Pferde, Kleider verspielt; so fand man geraten, diese Leidenschaft unter Aufsicht der Lagerwache zu stellen. Auf jedem Mantel oder Tisch rollten drei viereckige Würfel, in der Feldsprache »Schelmbeine« genannt; jeder Gesellschaft stand ein Schulderer vor, ihm gehörten Mantel, Tisch und Würfel, er hatte in streitigen Fällen das Richteramt und erhielt seinen Anteil am Gewinn, oft auch Schläge. Denn häufig waren Betrug und falsche Würfel; manche Würfel hatten zwei Fünfen oder Sechsen, manche zwei Es oder Daus, andere waren mit Quecksilber und Blei gefüllt, mit zerschnittenen Haaren, Schwamm, Spreu und Kohlen; es gab Würfel von Hirschhorn, welche oben leicht, unten schwer waren, Niederländer, die man schleifend rollen mußte, Oberländer, welche »aus der bayrischen Höhe« geworfen werden mußten, wenn sie gut fallen sollten. Und oft wurde die lautlose Arbeit durch Flüche, Gezänk und blitzende Rappiere unterbrochen. Und zwischen den aufgeregten Gesellen schlichen lauernde Handelsleute, oft Juden, bereit, die gesetzten Ketten, Ringe und Beutestücke zu schätzen und aufzukaufen.

Hinter den Zelten der Oberoffiziere und des Regimentsprofosen, durch eine breite Straße von ihnen getrennt, standen die Buden und Hütten der Marketender in parallelen Reihen. Marketender, Metzger und gemeine Garköche bildeten eine wichtige Gemeinschaft. Der Preis ihrer Waren, der Speisen oder Getränke, ward vom Profosen gegen eine Abgabe in Geld oder eine Naturallieferung – er erhielt z. B. von jedem Stück Rindvieh die Zunge – bestimmt. Auf jedes Faß, welches ausgezapft wurde, schrieb er mit Kreide den Preis, um den ausgeschenkt werden mußte. Diese Verbindung und die durch Gefälligkeiten zu erkaufende Gunst des Gewaltigen erhielt die Lieferanten des Heeres in verhältnismäßig sicherer Stellung und half ihnen zu immerhin unregelmäßiger Bezahlung ihrer langen Kerbhölzer, die sie für Offiziere wie Gemeine zurechtschnitten. Oft hielt der Marketender lustige Dirnen für Offiziere und Soldaten. In guten Zeiten kamen von weit her Kaufleute mit teuren Stoffen, Juwelen, Gold- und Silberarbeiten und Delikatessen in das Lager. Namentlich beim Beginn des Krieges war der Luxus und der Troß der Offiziere zum bösen Beispiel für das Heer ausschweifend; jeder Hauptmann wollte einen französischen Koch halten, und die teuersten Weine wurden von ihnen massenhaft verbraucht.

Die militärischen Zeichen des Lagers gab beim Fußvolk der Trommelschläger, bei der Kavallerie der Trompeter; die Trommel war sehr groß, die Schläger oft halbwüchsige Buben, zuweilen die Narren der Kompanie. – Aber beim Beginn des Krieges hatten die deutschen Heere wunderlicherweise für viele Fälle denselben einförmigen Schlag, und jeder Befehl, welchen der Feldherr dem Lager zu geben hatte, mußte noch durch einen Herold, der hinter dem Trompeter durch das Lager ritt, ausgerufen werden. Der Herold trug bei solchen Gelegenheiten über seinem Kleid einen »Levitenrock« von bunter Seide, vorn und hinten mit dem Wappen des Kriegsherrn bestickt. Dies Ausrufen, welches den Abend vorher dem ganzen Lager die Arbeit des nächsten Tages verkündete, war schnellen und geheimen Operationen sehr hinderlich; es verschlechterte auch die Disziplin, denn es sicherte den Lungerern und Räubern des Lagers die Nacht, wenn sie auf Beute hinausschlichen.

War gute Zeit gewesen, eine Schlacht gewonnen, eine reiche Stadt geplündert, eine wohlhabende Landschaft in Kontribution gesetzt, dann war alles vollauf, Speisen und Getränke billig; es kam ausnahmsweise noch in den letzten Jahren des Krieges vor, daß man im bayrischen Heer einmal eine Kuh um eine Pfeife Tabak kaufen konnte. Dann saß in den Marketenderbuden Kopf an Kopf eine gedrängte Schar singender, prahlender, schwatzender Helden, dann hatten die Handelsleute gute Zeit, der Soldat staffierte sich neu aus –, er kaufte teure Federn auf seinen Hut, Scharlachhosen mit goldenen Galonen, bunte Röcke und runde Maulesel für seine Dirne, dann prangte er in Zobel und Marder, Stallknechte ritten ganz in Samt gekleidet. Die Kroaten der kaiserlichen Armee in Pommern hatten im Winter 1630–31 die Gürtel mit Gold überfüllt und ganze Platten von Gold und Silber geschlagen vor der Brust. Paul Stockmann, Pfarrer in Lützen, erzählt, daß in der kaiserlichen Armee vor der Lützener Schlacht ein Reiter sein Pferd mit etlichen Schock goldener Sterne, ein anderer mit 300 silbernen Monden bekleidet hatte, daß Soldatendirnen die schönsten Kirchengewänder und Meßornate trugen; einige Stradioten ritten in geraubten Priesterröcken zum Jubel ihrer Kameraden. In solcher Zeit tranken die Zecher einander teuern Wein aus Altarkelchen zu und ließen aus dem erbeuteten Gold lange Ketten machen, von denen sie nach altem Reiterbrauch einzelne Glieder ablösen, wenn sie eine Zeche zu bezahlen hatten. Aber je länger der Krieg dauerte, desto seltener wurde solche goldene Zeit. Häufiger als Überfluß war Mangel und Armseligkeit. Die Verwüstung der Landschaften rächte sich furchtbar an den Heeren selbst, das bleiche Gespenst des Hungers, Vorbote der Pest, schlich durch die Lagergassen und hob die knöcherne Hand gegen jede Strohhütte. Dann hörte die Zufuhr aus der Umgegend auf, die Preise der Lebensmittel wurden unerschwinglich, der Laib Brot wurde z. B. 1640 bei der schwedischen Armee in der Nähe von Gotha mit einem Dukaten bezahlt. Dann wurde der Aufenthalt im Feldlager auch für den abgehärteten Soldaten unerträglich. Überall hohläugige, bleiche Gesichter, in jeder Hüttenreihe Kranke und Sterbende, Gassen und Umgebung des Lagers verpestet durch die verwesenden Leiber der gefallenen Tiere. Dann war ringsum eine Wüste von unbebauten Äckern und geschwärzten Dorftrümmern, und das Lager selbst eine grause Totenstatt; der Troß des Heeres, Dirnen und Knaben verlor sich plötzlich in den Totengruben, nur die grimmigsten Hunde erhielten sich von ekler Nahrung, die andern wurden geschlachtet und verzehrt. In solcher Zeit schmolzen die Heere schnell dahin, und keine Kunst der harten Führer vermochte das Verderben abzuwenden.

Das abenteuerliche Leben des Kriegsmannes, so sehr auf leidenschaftlichen Genuß des Augenblicks gestellt, unsicher nicht bloß vor dem Feind, steigerte nicht nur die Lasterhaftigkeit der Mehrzahl in das Ungeheure, es entwickelte auch Eigentümliches und Seltsames in Unart, Sitte und Bräuchen.

Ein breiter Strom von Aberglauben flutet durch die Seelen der Völker von der Urzeit bis zur Gegenwart. Lange Zeit wälzte er sich fast unbeachtet unter der dünnen Decke, welche Bildung und Wissen über ihn legt, und nur leise tönt dem Gebildeten sein Rauschen ins Ohr. Zuweilen erweitert die kranke Laune einer Zeit einzelne Richtungen zu einem weiten trüben Sumpf; erstaunt sehen wir dann die entstellten Trümmer uralter Kulturzustände obenauf schwimmen. Dann scheint wieder lebendig und mächtig, was lange abgelebt und vergessen war. Auch das Soldatenleben des Dreißigjährigen Krieges hat eine Fülle von eigentümlichem Aberglauben lebendig gemacht, der zum Teil noch heute dauert; es lohnt, bei dieser charakteristischen Erscheinung zu verweilen.

Der Glaube, daß man den Leib gegen das Geschoß der Feinde verfesten, und wieder, daß man die eigenen Waffen durch Zauber jedem Feind tödlich machen könne, ist älter als das geschichtliche Leben der germanischen Völker. Aber schon in den frühesten Zeiten hängt etwas Unheimliches an solcher Kunst, sie wird leicht dem Gefeiten selbst zum Verhängnis. Die Unverwundbarkeit ist nicht unbedingt, und gegen den Zauber der treffenden Waffe gibt es einen Gegenzauber, der stärker sein mag. Schon Achill hatte eine Ferse, die nicht gefeit war; der nordische Gott Baldur konnte durch keine Waffe verletzt werden, aber der Mistelzweig, den ein Blinder bewegte, tötete ihn; Siegfried hatte eine offene Stelle zwischen den Schultern, dieselbe Stelle, welche auch den Soldaten des Dreißigjährigen Krieges für offen galt. In zahlreichen nordischen Sagen wird von Waffenzauber berichtet. Das Schwert, die edelste Waffe des Helden, wurde gern als lebendiges Wesen aufgefaßt, als tötende Schlange oder vertilgender Brand; wenn es zersprang, so »starb« es dem nordischen Dichter; Schwerter, welche Zwerge geschmiedet hatten, konnten nicht bezaubert werden, wohl aber war in ihnen ein tötender Zauber verborgen; so mußte das Schwert Hagens, des Vaters von Hilde, eines Menschen Tod sein, wenn es aus der Scheide gezogen wurde; in Griff und Klinge der Schwerter wurden Zauberrunen geritzt. Und auch der Glaube blühte schon in der nordischen Heidenzeit, daß die beste Waffe gegen hiebfeste Kämpfer und Zauberer die Kolbe oder Holzkeule sei. Zuverlässig galten schon im deutschen Heidentum solche Zaubermittel für finstere Nachthilfe, von Vermessenen eifrig begehrt, von wackeren Kriegsmännern gemieden, eine verhängnisvolle Gabe für die Helden der epischen Dichtung.

Den deutschen Christen wurde der Teufel die dunkle Macht, welche solchen verderblichen Schutz gewährte. Aber daneben fehlte auch die harmlose Hoffnung nicht, daß es dem Gebet zum Christengott und seinen Heiligen ebenfalls gelingen könne, die Unverwundbarkeit zu sichern. Denn weit anders als jetzt betrachtete man im Mittelalter die zu einer Formel verbundenen Worte und ihre Zeichen, die Schrift. In der Rede lebte eine geheime Kraft, durch welche der Mensch auf die Außenwelt zu wirken vermochte. Das Gefüge der Worte in der gesprochenen Formel war nicht nur ein Schall, der von Mund zu Ohr drang, es wohnte in ihm auch eine vielleicht furchtbare und unwiderstehliche Wirkung. Schon weise Sprichworte, kluge Lebensregeln übten besonderen Einfluß auf das Leben dessen, der sie gebrauchte; man konnte sie kaufen und wieder an andere abgeben. Auch Gott und seine Heiligen konnte man durch bestimmte Gebete veranlassen zu erhören, ein Spruch war kräftiger als der andere. Solche Gebete und starke Sprüche fand das Mittelalter für zahllose Fälle, für viele Heilige; die Kirche war nur zu geneigt, auch auf diese heidnische Auffassung der germanischen Seele einzugehen. Außer den großen und allgemein bekannten Gebeten und Beschwörungen gab es viele geheime, die von Geistlichen und Laien in bestimmten Lebensverhältnissen eifrig gesucht und gebraucht wurden. Es war also kein befremdlicher Aberglaube, wenn die Kirche des Mittelalters ihre Gebete und Segenssprüche gegen den Tod in der Schlacht gerade so richtete, wie einst die deutsche Heidenzeit, und ganz in der Empfindungsweise jener Zeiten ist es, daß diesen Gebeten und Segen auch von guten Christen sichere Wirkung zugeschrieben wurde. Solcher Schlachtsegen sind uns mehrere erhalten, auch solche, durch welche sich deutsche Kaiser festzumachen glaubten.

Die Einführung der Feuerwaffen gab diesem Aberglauben neues Ansehen und weite Ausbreitung. Blitz und Knall des Gewehres und die fernhin treffende Kugel imponierten der Phantasie um so mehr, je weniger die unvollkommene Waffe das Treffen sicherte. Tückisch und unberechenbar war der Lauf des tödlichen Geschosses, immer ungenügender wurden die Schutzwaffen, welche die neue Methode der Kriegführung ohnedies lästig machte. Zwar beschäftigte sich die Literatur der Reformationszeit nur selten mit dieser Art von Zauber, sie wird erst um die Mitte des Jahrhunderts redselig, wo es gilt, die Zustände des Volkes zu schildern. In den Heeren aber war der Zauberglaube allgemein und verbreitet, fahrende Schüler und Zigeuner galten für die eifrigsten Verkäufer seiner Geheimnisse, eine Generation der Landsknechte teilte ihn der nächsten mit; in Italien und den Heeren Karls V. mischten sich romanischer und deutscher Aberglaube, und fast jede Technik der Kunst festzumachen ist aus der Zeit Frundsbergs und Schärtlins nachzuweisen.

Schon Luther, der die Gedanken seines Volkes besser kannte als irgendein anderer Zeitgenosse, stellt die Kunst, fest zu werden und zu machen, in ihren Hauptzügen mehr als einmal dar; er weiß von solchen, welche die Waffen durch bestimmte Worte und Zeichen beschwören, so daß sie an keinem Ort verletzt werden können; er selbst sah einen Jüngling, der sich ein Schwert auf die Brust setzte und so heftig gegen sich drückte, daß sich das Heft bis zur Spitze herumbog, und doch drang die Spitze nicht in seine Haut. Andere aber konnten solche gesegnete Waffen wieder des Segens entledigen durch einen Zirkel und Zeichen, die sie in den Sand machten. »So nahm einer dem andern die Kraft seines Messers.« Andere hatten Briefe, worin viel heilige Worte und Zeichen standen; wer sie bei sich trug, konnte nicht getötet werden. Bald war es ein Brief, den Papst Leo dem Kaiser Carolus in den Krieg geschickt haben sollte, bald das St. Johannisevangelium oder sonst etwas. Manche befahlen sich dem St. Georg, andere dem St. Christophel, andere gar dem Teufel, auch solche kannte er, welche Roß und Reiter zu segnen und zu bannen vermochten. Er hatte auch einen Landsknecht gekannt, der durch den Teufel unüberwindlich gemacht, zuletzt doch erstochen wurde und vorher Tag und Stelle seines Todes angab. Und Bernhard von Milo, Landvogt zu Wittenberg, sandte Luther schon einen geschriebenen Wundsegen zur Begutachtung, es war ein langer zusammengerollter Zettel mit wunderlichen Zeichen.

Als der Augsburger Bürgermeister Samuel Zimmermann der Ältere in einem Folioband unter dem Titel: »Bezaar, wider alle Stich, Straich und Schüß, voller großen Geheimnussen«, die Erfahrungen seines Lebens etwa bis 1591 sammelte, erwähnt er zwar nur die schützenden Künste, welche er nicht für belialisch hält, es ist aber aus seinem Manuskript zu ersehen, daß ihm auch zahlreiche Teufelskünste bekannt waren, die er zu verschweigen beabsichtigt. So war im Jahre 1550 ein wohlbekannter Raufbold zu Augsburg, der oft prahlte, er wolle lieber mit zweien oder dreien fechten als eine gute Mahlzeit halten, so fest, daß kein Degenstich in ihn drang; er wurde zuletzt durch einen Hellebardenschlag auf den Hinterkopf getötet. Ein anderer Bekannter Zimmermanns, der gefroren war, erhielt einen furchtbaren Dolchstich, es war keine Wunde zu sehen, aber er starb doch kurz darauf an innern Folgen des Stiches. Im Jahre 1558 war ein Schütz im Regiment des Grafen Lichtenstein, der nach jedem Scharmützel feindliche Kugeln aus seinen Kleidern und vom bloßen Leibe schüttelte; oft hatte er sie und die durchgebrannten Löcher seiner Kleider gezeigt. Er wurde zuletzt von welschen Bauern erschlagen.

Die Italiener und Spanier, welche 1568 in die Niederlande zogen, führten ganze Pakete und Bücher voll Zauberei, Segen und Beschwörungen mit sich, ohne Erfolg. Fast bei allen Toten und Gefangenen der brandenburgischen Hilfstruppen, welche 1587 durch Burggraf Fabian von Dohna den Hugenotten zugeführt waren, fanden die Franzosen Talismane und magische Zettel um den Hals gebunden. Als der Jesuit Georg Scheerer in der Hofkapelle zu Wien 1594 vor Erzherzog Matthias und dessen Kriegsobersten predigte, fand er für nötig, gegen die angehängten abergläubischen Wundsegen für Hauen und Stechen, Schießen und Brennen zu eifern.

Es ist deshalb unrichtig, wenn spätere Schriftsteller erzählen, daß die Kunst festzumachen im Anfang des 17. Jahrhunderts zu Passau von einem Studenten (fahrenden Schüler), wie Grimmelshausen angibt, oder wie andere wollen, von Kaspar Neithardt von Hersbruck, dem Nachrichter, in die deutschen Heere gebracht worden sei. Denn als Erzherzog Leopold, Bischof zu Passau, die ruchlosen und schlecht disziplinierten Banden werben ließ, welche durch ihre Grausamkeit im Elsaß und Böhmen Schrecken verbreiteten, nahmen seine Söldner nur die alten Traditionen auf, die im deutschen Heidentum wurzelten und durch das ganze Mittelalter fortgeschleppt worden waren. Ja sogar der Name »Passauer Kunst«, welcher seit jener Zeit gewöhnlich wird, mag auf einem Mißverständnis des Volkes beruhen; denn im 16. Jahrhundert hießen alle, welche einen Zauber bei sich trugen, um unverwundbar zu sein, bei den gelehrten Soldaten Pessulanten oder Charakteristiker, und wer die Kunst verstand, solchen Zauber zu lösen, ein Solvant. Es ist möglich, daß die erste Bezeichnung vom Volk in »Passauer« verwandelt worden ist.

Schon im ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges wird die Kunst festzumachen lebhaft besprochen. Eine gute Nachricht darüber steht in: »Wahrhaffter Bericht von der Belagerung und mit gestürmter Hand Eroberung der Stadt Pilsen in Behem. 4°. (1619.)« Die Stelle lautet in unserer Schreibweise wie folgt:

»Ein Waghals unter den Mansfeldischen, Hans Fabel genannt, nahm einstmals ein Stutzglas Bier, ging auf den Stadtgraben zu und brachte den Belagerten eins. Dem haben sie es mit Kraut und Lot gesegnet, aber er trank sein Stutzglas Bier aus, bedankte sich gegen sie, kam in den Laufgraben und nahm fünf Kugeln aus dem Busen. Dieses BilwizkindBilwizkind, so viel als Teufelskind; Bilwiz ist ein alter Name für Zauberer oder Kobold., ob es gleich so sehr fest gewesen, ist doch krank geworden und vor der Eroberung der Stadt gestorben. Es ist diese zauberische Kunst (Passauer Kunst) ganz gemein gewesen, ich hab's mit Verwundern gesehen. Man hätte eher von einem Felsen als von einem solchen Bezauberten etwas geschossen. Ich glaube, der Teufel steckt ihnen in der Haut. Ja, ein guter Gesell bezaubert oft den andern, wenn es auch der Bezauberte nicht weiß, noch viel weniger begehrte. Ein kleiner Junge von 14 oder 15 Jahren ist auf den Arm geschossen worden, als er die Trommel geschlagen, dem ist die Kugel vom Arm auf die linke Brust abgesprungen und nicht eingedrungen, was viele gesehen haben. Aber es nimmt ein böses Alter bei denen, die es gebrauchen; ich habe ihrer viel gekannt, die es gebraucht, die sind schrecklich um ihr Leben gekommen. Denn eine Gaukelei kämpft wider die andere. Ebensogut als man einen kann gefroren machen, kann man seinen Wundsegen öffnen. Ihre teuflischen Zauberbrote sind expreß wider das erste und andere Gebot Gottes. Fleißig gebetet und sich auf Gott verlassen, das gibt andere Mittel. Wenn einer vor dem Feind ist und nicht bleibt, so ist es Gottes Wille. Wird er getroffen, so führen ihn die Engel in den Himmel, die Bezauberten holt der schwarze Kaspar.«

Zahlreich waren die Mittel, sich und andere fest oder gefroren zu machen. Auch bei diesem Aberglauben walteten tyrannisch die Moden. Sehr alt sind die Nothemden, Siegs- und St. Georgshemden. Sie wurden für die Landsknechte auf verschiedene Weise gefertigt. In der Christnacht sollten nach älterer Sitte unzweifelhafte Jungfrauen das leinene Garn im Namen des Teufels spinnen, weben und nähen; auf die Brust wurden zwei Häupter gestickt, das rechte bärtig, das linke wie König Beelzebubs Kopf, mit einer Krone, vielleicht dunkle Erinnerungen an die heiligen Häupter Donars und Wuotans. Nach späterem Brauch mußte das Nothemd von Mädchen unter sieben Jahren gesponnen sein, es wurde mit besonderen Kreuznähten genäht und mußte verstohlen auf den Altar gebracht werden, bis drei Messen darüber gelesen waren. Ein solches Nothemd wurde am Schlachttag unter dem Kleid angelegt. Erhielt der Träger doch eine Wunde, so war fremdes Garn unter das zauberkräftige gemischt worden.

Gern suchte der Abergläubische die Wunderkraft der christlichen Kirche für sich zu benutzen, wenn auch gesetzwidrig und mit bösem Gewissen. Man ließ das Evangelium St. Johannis subtil und geschmeidig auf zartes Papier schreiben, brachte es heimlich unter die Altardecke einer katholischen Kirche, wartete, bis der Priester drei Messen darüber gelesen hatte, steckte es in einen Federkiel oder eine ausgehöhlte Haselnuß, verkittete die Öffnung mit spanischem Lack oder Wachs, oder ließ solche Kapseln in Gold oder Silber fassen und hing sie an den Hals. Andere empfingen beim Abendmahl die Hostie unter stiller Anrufung des Teufels, nahmen die Oblate wieder aus dem Mund, lösten an einer Stelle des Leibes die Haut vom Fleisch, steckten die Oblate hinein und ließen sie so verheilen. Die Wildesten freilich ergaben sich dem Teufel mit Haut und Haar; solche Gesellen konnten nicht nur andere Menschen festmachen, sondern sogar eßbare Dinge, Butter, Käse, Obst, so daß die schärfsten Messer nicht einzuschneiden vermochten. Auch bei den geschriebenen Zetteln, welche Wundsegen enthielten, wechselten Form und Name.

Aus dem frühen Mittelalter stammte Papst Leonis Segen, er enthielt gute christliche Worte und Verheißungen. Ferner der Segen des Ritters von Flandern, so genannt, weil ein Ritter, der ihn einst bei sich getragen, nicht hatte enthauptet werden können; das Blatt war mit unbekannten Charakteren und Buchstaben beschrieben, dazwischen Kreuzzeichen. Dann der Benedisten- oder Notsegen, der im Augenblick der Gefahr Rohr und Schwert der Feinde band.

Ebenso waren die Passauer Zettel des 17. Jahrhunderts auf Postpapier, Jungfernpergament, Hostien geschrieben mit Fledermausblut, mit besonderer Feder; die Aufschrift waren seltsame Charaktere, Drudenfüße, Zirkel, Kreuze, Buchstaben fremder Sprache; nach Grimmelshausen»Wunderbarliches Vogelnest.« II. T., »Satyrischer Pilgram.« II. T. – Grimmelshausen bespricht die Kunst festzumachen zwar gläubig, aber obenhin, als etwas längst Bekanntes, er ist in seinen Angaben nicht immer zuverlässig. Ihn interessierte mehr der Aberglaube, welcher um 1660 in besonderer Aufnahme war: die Kunst sich unsichtbar zu machen, und das Alräunchen. Am Ende des Jahrhunderts grassierte die Wünschelrute, dann wurden die Poltergeister mächtig. stand der Reim darauf: Teufel, hilf mir, Leib und Seele geb' ich dir. Sie bannten den Schuß und taten das Rohr des Feindes zu, wenn sie unter den linken Arm gebunden wurden. Ja, sie wurden gegessen. Aber die Ansichten über ihre Wirksamkeit waren schwankend. Sie sollten nur auf 24 Stunden schützen; nach andern wirkte ihr Zauber erst nach den ersten 24 Stunden, wer vorher erschossen wurde, gehörte dem Teufel. Auch andere Zaubermittel werden zum Schutz herbeigezogen, alles Häßliche und Unheimliche wird gesammelt, und vieles, was im alten Götterglauben furchtbar gewesen war, wirkte noch jetzt mit der alten Kraft. Ein Stück von dem Strick oder der Kette, woran ein Mensch erhängt war, machte fest; ebenso der Bart eines Bockes, Augen des Wolfes, Kopf der Fledermaus und ähnliches in einen Beutel von schwarzer Katerhaut eingewickelt und am Leib getragen. Fest machte die Gemskugel, eine verhärtete Masse aus dem Magen der Gemse, ferner die Haube, welche jemand bei der Geburt auf die Welt gebracht hatte, u.a.m.; auch wer sein Lebtag keine Nieren gegessen, war sicher vor Schuß und Pestilenz; man glaubte in Augsburg, daß ein berühmter Ritter und wohlgeübter Kriegsoberst (Sebastian Schärtlin) sich dadurch vor dem Feind bewahrt habe.


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