Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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XXIV
Aus deutschen Bürgerhäusern

(1675–1681–1683)

Abschluß der Stände. – Servilität und fremde Mode. – Geselliger Verkehr. – Ordnung und Zucht bei Brautwerbung. – Erzählung des Friedrich Lucä. – Leben im Hause. – Aufblühen Hamburgs. – Brief des Bürgermeisters Schulte an seinen Sohn in Lissabon. – Das Pflichtgefühl des Mannes. – Berend Jakob Carpfanger. – Traurige Zeitung aus Cadiz

Das Jahrhundert der Reformation hatte in den Menschen nach vielen Richtungen das Charakteristische und Selbsttätige entwickelt und nicht nur die Unterschiede der Bildung vergrößert, auch die Ansprüche an das Leben mannigfaltiger gemacht; aber in jener Zeit fühlte sich jeder, auch der Weise, Starke, Gebildete noch als Deutscher und als ein Teil der Volkskraft. Seit dem großen Kriege offenbart sich der Gegensatz zwischen dem Gebildeten und dem Volk. Einst hatte man »gemein« genannt, was für alle galt und darum hoch zu achten war, jetzt hing sich die Vorstellung von etwas Unwürdigem an das gute Wort; sonst war »schlecht« in der Bedeutung »einfach« ein gutes Prädikat des Menschen gewesen, jetzt wo überall das fremde Künstliche für begehrenswert galt, wurde das Schlichte tadelnswert. Größer wurde die Kluft zwischen den Ständen. Nicht allein durch Preis, Farbe und Stoff der Kleidung unterschieden sie sich, wie seit alter Zeit, die ganze Tracht vom Hut und Haarschmuck bis zu den Absätzen der Schuhe wurde für den Vornehmen eine andere als für den Bürger, für den Städter andere als für den Bauer. In der Geselligkeit, in der Sprache, der Lebensart traten die modischen Unterschiede grell hervor. Jeder Kreis suchte sich gegen das Eindringen der untern zu schließen, der hohe Adel gegen den niedern, der niedere gegen den Bürger, in den Städten der Studierte gegen den Nichtstudierten, der Kaufmann gegen den Handwerker. Auch diese unholde Erscheinung war die erste Folge eines politischen Fortschrittes. Einst waren die großen Stände, Fürst, Edelmann, Bürger, Bauer, in alten sicheren Verhältnissen nebeneinander gegangen, die Geistlichkeit und die religiöse Bewegung hatten das gesellschaftliche Ferment gebildet, welches Städter und Landedelleute in Verbindung erhielt; jetzt waren im Kriege alle Stände durcheinandergeschüttelt. Ein großer Teil des Adels war in die Städte getrieben, der verarmte Gutsbesitzer suchte Unterkommen im Dienst des neuen Staates oder in der Stadtgemeinde. Sicher lag darin der Anfang eines höheren Lebens, aber die alten Ansprüche waren deshalb nicht sogleich geschwunden; je geringer die innere Berechtigung der gesellschaftlichen Trennung war, desto sorgfältiger wurde auf die äußere »Distinktion« geachtet.

Servilität gegen Vornehmere wurde allgemein; sie erstreckte sich von den Verbeugungen und Titulaturen auf die Empfindung. Der Bürgerstochter war es ungemeine Ehre, die modischen Komplimente eines Kavaliers anzuhören, welche ihr gegenüber leicht und gleichgültig von den Lippen flossen und das Gewagte viel glätter ausdrückten als ihr Nachbar, der arme schulfuchsige Magister oder der ungelenke Kaufmannssohn.

Auch den geselligen Verkehr der Bürger untereinander verschlechterte das Eindringen der fremden Mode. Das vergangene Jahrhundert war im behaglichen Ausdruck nicht vorzugsweise zart gewesen; gewisse natürliche Dinge wurden unbefangen bei ihrem Namen genannt, und in der Unterhaltung wurde wohl gutlaunig über sie gescherzt; das aber war geschehen, weil man dergleichen für durchaus harmlos hielt und hatte deshalb auch die Sittlichkeit der Frauen nicht gefährdet. Jetzt wurden viele ehrliche alte Wörter verfemt, wer sie brauchte, war ein »grober Flegel«. Dafür wurden die Obszönitäten Mode; kühn und gewandt in Worten zu sein, nicht auszusprechen, was zu allen Zeiten für unanständig gegolten hat, aber geschickt anzudeuten, das wurde modisch. Und die Frauen und Mädchen lernten bald darauf gut antworten; die ausgesuchten Scherzreden, Angriff und Abwehr, in den kleineren Lehrbüchern der Höflichkeit, welche der anspruchslose Bürger üben sollte, sind so bedauerlich, daß sie hier nicht mitgeteilt werden können. Die Hörner – der alte Schmuck der Bacchanten, welche auf der Universität deponieren mußten – spielen darin eine große Rolle. Aber dieser endlose Scherz ist einer der harmlosesten.

Daneben fehlte freilich die herzliche Heiterkeit nicht. Die Jugend spielte lange die geselligen Spiele, welche jetzt den Kindern geblieben sind. Es wurde nach Jerusalem gereist, die Büchsen drehten sich, das Hirschel wurde gejagt, Hans Plumpsack ging herum, die Blindekuh gab schöne Gelegenheit, unter dem Schein des Zufalls Dreistes zu wagen. Auch Pfänderspiele waren beliebt, doch scheinen die Küsse dabei üblicher gewesen zu sein als geistvolle Auflösungen; dafür waren die Stachelverse und Rätselfragen in Aufnahme, und wenn bei Tisch an Braten oder Fisch eine Leber zu speisen war, wurde vorher der Reihe nach ein Reim darüber gemacht, keine leichte Sache; denn da galt es, etwas Zierliches hervorzubringen, der »Stock« oder »alberne Schöps« kam dabei greulich ans Tageslicht. Die Konversation wurde als ernste Angelegenheit betrachtet, auf die man sich wohl vorzubereiten hatte, Anekdoten, merkwürdige Vorfälle wurden dazu vorher gelesen; hochgeachtet war, wer einen schönen deutschen Vers applikabel vortragen konnte.

Der Tanz wurde nach dem Kriege häufiger, in Familien auch am Abend, und vorzüglich bei ihm erkannte man, wer sich dem löblichen Frauenzimmer der Gebühr nach rühmlich zu bezeigen wußte. Noch waren die Reihentänze bei den Bürgern beliebt. Die Dame wurde vor der Aufführung mit einer kleinen Rede begrüßt, war sie verheiratet oder Braut, auch ihr Gespons. Dann hatte der Tänzer so gut zu führen, daß ihre Finger leicht auf den seinen lagen, im Reigen selbst sollte er nicht vorspringen, nicht die Tänzerin zu dummen Sprüngen nötigen, die ihre Kleider bis zum Gürtel hinaufschwenkten, auch nicht der Dame mit seinen Sporen die Kleider voneinanderreißen. Nach dem Tanz kam wieder eine kleine Rede und Antwort. Zuletzt durfte er sie nach Hause bringen; dabei hatte er sich allerdings zu hüten, daß ihm nicht von Eifersüchtigen mit Prügeln aufgelauert wurde, was gebräuchlich war. In der Wohnung mußte sich der Tänzer zuerst bei den Eltern entschuldigen, daß er durch das Geleit seine Ehrenbezeigung verspüren lasse, dann bei der Dame, welche er der gnädigsten Obacht des Allerhöchsten befahl, mit der zarten Andeutung, daß er ihr Kopfkissen zu küssen wünsche. [...]

Aber nicht nur die fremden Gäste, Galanterie und Zeremoniell, waren bemüht, den Nachwuchs einer gesetzlosen Zeit zu bändigen, dem deutschen Bürger halfen dazu auch einheimische Geister des Landes: das uralte Bedürfnis von Ordnung und Zucht, der altheimische Fleiß und sein liebebedürftiges Gemüt, endlich auch sein untilgbares Pflichtgefühl. Diese regelten und verschönten ihm allmählich wieder Ehe und Familie, das Haus, den Beruf. Noch läuft die Brautwerbung in der alten deutschen Weise, noch spielt der vermittelnde Freiwerber seine Rolle, noch werden die Verlobungsgeschenke der Braut und des Bräutigams sorglich mit ihrem richtigen Geldwert aufgezeichnet. Ja noch förmlicher ist die Werbung geworden, bis auf die Redensarten vorgeschrieben. Der Liebende hatte vorsorglich seine Anrede an die Jungfrau zu überdenken; wo eigene schöpferische Kraft nicht ausreichte, half das unentbehrliche Komplimentierbuch, ein geschätztes Stück der Bibliothek. Ebenso ging es dem züchtigen Frauenzimmer; es war ihm wohlbekannt, auch durch Gedrucktes, wie wünschenswert es sei, daß man nicht sogleich einwillige; ja, die höchste Schicklichkeit forderte, daß man erst einmal ablehnte oder sich wenigstens Bedenkzeit erbat. Dann hielt der Geliebte seine zweite Rede, ein wenig feuriger, mit etwas höherem Schwung, und dann erst war der Bann gebrochen, dann durfte sie das Ja sprechen. Man war aber auch kein Schulfuchs, man wußte, daß lange Reden in solchem Falle pedantisch werden, beide ein eheliches Verlöbnis Intentionierende sollten sich kurz fassen. Der Geliebte hat seinen Vortrag etwa so einzuleiten: Mademoiselle! Sie vergebe mir gütigst eine Freiheit, welche zu begehren ich mich Selbsten schäme; doch die Zuversicht zu Dero bekannter Freundlichkeit machet mich so dreiste, daß ich Ihr zu hinterbringen mich nicht entbrechen kann, wasmaßen ich entschlossen bin, meinen bisherigen Stand zu verändern usw. Und das tugendsame Frauenzimmer hatte etwa so zu antworten: Monsieur! Ich kann mir schwerlich einbilden, daß dasjenige, was Ihr mir vorzutragen beliebet, im Ernst gesprochen sei, denn mir wohlbekannt, wie wenig Anmut ich besitze, einer so angenehmen Person zu gefallen usw. – Es war alles durch den Freiwerber vorher abgemacht, sie wußten beide, was zuletzt kommen würde; aber wie bei den Vornehmen die Galanterie, so forderte bei dem Bürger die Konduite, daß sie ihr Wollen durch eine Handlung auch äußerlich darstellten, den Entschluß feierlich zur unumstößlichen Tatsache erhoben. Von der Unruhe des Mannes, dem Herzklopfen des Mädchens ist uns nichts verzeichnet, wir hoffen, daß beide glücklich waren, wenn sie die schwere Szene durchgemacht hatten, er ohne Stocken, sie ohne ausbrechende Tränen.

In der Residenzstadt des schlesischen Fürstentums Brieg wurde im Jahre 1644 Friedrich Lucä, Sohn eines Professors am Gymnasium, geboren. Er studierte als Reformierter zunächst in Heidelberg, dann in den Niederlanden und Frankfurt an der Oder, kehrte nach manchen Reisen und Abenteuern in seine Vaterstadt zurück, wurde Hofprediger in Brieg, nach dem Tode des letzten Piastenherzogs in Liegnitz und nach Besitzergreifung des Landes durch die Österreicher Pfarrer und Hofprediger in Kassel. Er starb 1708 nach einem tätigen Leben, reich an Ehren. Als fruchtbarer historischer Schriftsteller fand er unter den Zeitgenossen Anerkennung, aber auch strenge Kritiker. Mit Leibniz stand er in Korrespondenz, und einige interessante Briefe des großen Mannes an ihn sind uns erhalten. Auch eine Selbstbiographie hat er verfaßt, und diese ist in seiner Familie durch fünf Generationen mit Pietät bewahrt und durch einen seiner Nachkommen herausgegeben worden (Der Chronist Friedrich Lucä. Ein Zeit- und Sittenbild, herausgegeben von Dr. Friedrich Lucä. Frankfurt a. M., Brönner, 1854). Hier sei der Bericht mitgeteilt, welchen Friedrich Lucä von seiner Freiwerbung gibt. Diese Tätigkeit voll aufregender Gefühle fällt in die Jahre, da er Prediger zu Liegnitz war.

Mittlerweile, da mein Gemüt am wenigsten mit Heiratsgedanken geschwängert war und die vorgeschlagenen Partien gar schlecht attendierete, ließ sich eine fremde Jungfrau, Elisabeth Mercers, von der ich mein Lebelang nichts gehört oder gesehen hatte, bei mir anmelden, vorhabend, das Heilige Abendmahl privatim bei mir zu halten, indem sie nicht warten wollte, bis es wieder öffentlich gehalten werde, was erst kurz vorher geschehen. Dieselbe war mit Herrn General Schlepusch und dessen Frau Liebsten von Bremen hergekommen und wohnte auf deren adligem Rittersitz Klein-Polewitz, anderthalb Meilen von Liegnitz.

Des Sonntags, da sich die Jungfrau einstellte und nach verrichtetem Gottesdienst aus der Kirche in mein Haus kam und die heilige Kommunion andächtig absolvierte, nahm ich Okkasion, mich mit derselben über den Zustand der Kirche in Bremen zu unterhalten, ihr auch, da sie mir ein paar Kapaunen in die Küche geschickt hatte, zu danken und ließ sie im Segen des Herrn wieder von mir gehen. Ich hatte aber bei dem ersten Anblick der Jungfrau nicht allein eine feine, mir anständige Konduite in ihr verspüret und eine schöne Konformität meines Gemütes mit dem ihrigen empfunden, sondern es schien auch mein aufwallendes Geblüt und bewegtes Herz mir ein Merkmal zu sein, daß der Geist der Liebe etwas Sonderliches mit mir vorhaben müßte, indem ich lebenslang keine solche brünstige Affektion auf irgendeine Jungfer gleich wie auf diese getragen hatte.

Diese meine herzliche, jedoch keusche Liebe verbarg ich fest in dem Herzensschrank und ließ keine Seele nicht das geringste davon ahnen. Die Jungfrau Mercers legte sich alle Abend mit mir zur Ruhe und stand des Morgens in meinen Gedanken wieder mit mir auf. Etlichemal erwähnte ich von dieser Jungfer gegen meine Haushälterin, die ein feines kluges Weib war, und dieselbe, ohne die Ursache meines Diskurses zu merken, lobete mir die Jungfer durch alle Prädicamenta gewaltig an, wie desgleichen auch mein Glöckner sie gar rühmete. Ich quälete mich nun mit heimlichen Liebesgedanken eine geraume Zeit, redete sie aber meinem Gemüt zuletzt wiederum aus, denkend: warum sollte denn dein Gemüt sich vergeblich kränken über eine fremde Jungfer, welche wieder aus dem Lande zieht und dir doch nimmermehr zuteil werden kann?

Ein halb Jahr danach, da mir die gute Jungfer Mercers aus dem Gedächtnis entfallen war, ließ sich die allbereits vergessene Jungfer abermals mit schöner Begrüßung durch des Herrn Baron Schlepusches Pagen anmelden und mir andeuten, daß sie gesinnet wäre, wiederum zu kommunizieren. Sotane Botschaft erneuerte meine alte Herzenswunde, und daher ich den Pagen weitläufig das eine oder das andere, der Jungfer wegen, befragte, konnte aber wenig oder nichts von ihm erfahren. Ich ließ nun die Jungfrau Mercers durch meinen Glöckner zum Mittagsmahl auf den Sonntag einladen; sie aber nahm diese Invitation nicht an, vorwendend, daß sie gewohnet wäre, den Tag über zu fasten, an welchem sie kommuniziert hätte. So kam der Sonntag heran und nach der Kirche die Jungfer Mercers, unwissend meiner Liebesgedanken. Ich hielt ihr wieder wie vormals die Kommunion und diskurierte nach derselben Endigung mit ihr von allerlei Materien, damit ich ihre Person in etwas divertieren möchte. Ich hätte aber durch sotanen Diskurs sonderlich gern erfahren, ob sie von Adel wäre und in Schlesien zu verbleiben Lust trüge, konnte aber solches vor dieses Mal unmöglich erforschen. Hierauf erhob sich die Jungfer wieder aus meiner Behausung, und weil sie vermeinte, ich hätte eine Liebste, rekommandierte sie sich derselben. Ich gab ihr aber sogleich meinen ehelosen Stand zu verstehen und daß ich keine Liebste nicht hätte. Bei diesem Diskurs war sowohl der Glöckner als auch meine Haushälterin anwesend gewesen und hatte ebenso wie ich allerseits aus der Jungfer Konduite großes Kontentement geschöpft, jedoch ohne Ergründung meines Intents.

Jetzund ging wieder mein Kummer an. Die Sache reiflich überlegend hin und her, konnte ich doch noch kein Mittel ersinnen, dadurch das Geschlecht und Beschaffenheit der Jungfer Mercers, welche ich stets für eine adlige Person ansah, zu erfahren, indem ich nicht für ratsam fand, mich gegen jemanden zu expektorieren. Unterdessen begegnete mir eines Tages Herr Tobias Pirner, Pfarrer zu Nickelstadt, ein frommer, ehrlicher und aufrichtiger Mann, wiewohl lutherischer Religion. Weil ich nun wußte, daß die Frau General Schlepuschin, deren Ehemann kürzlich gestorben und in die Kirche zu Liegnitz prächtig begraben war, sonntäglich samt der Jungfer Mercers nach Nickelstadt in die lutherische Kirche zum Gottesdienst gingen, so bat ich diesen Herrn Pirner unvermerkterweise meinethalben dem Geschlecht und der übrigen Kondition der Jungfer Mercers nachzufragen. Er obligierte sich hierzu und versprach auf die andere Woche Relation davon. Herr Pirner hielt diese Obligation treulich und referierte mir nach einer Woche in optima forma, was er von der Frau Generalin vernommen hatte. Die Jungfer Mercers war die Tochter Herrn Balthasar Mercers', gewesenen Parlamentsassessors zu Edinburg in Schottland, welcher von König Carolo I. zu Engelland vielmals in wichtigen Kommissionen verwendet, einst auch bei einer Sendung nach Hamburg dortselbst mit einer goldenen Ehrenmedaille geziert worden war. Ihre Mutter, auch Elisabeth genannt, war adligen Geschlechts gewesen, eine geborene Kennewy aus Schottland. Als sich 1644 die gefährlichen Troublen zu Engelland herfürtaten, mußte sich ihr Herr Vater, wie auch sein Bruder, der königliche Hofprediger Robertus Mercers, weil sie Favoriten des enthaupteten Königs gewesen waren, aus Furcht vor dem Cromwell und seiner Partei mit der ganzen Familie aus dem Königreich begeben; er zog mit den Seinigen nach Bremen, woselbst er von eigenen Mitteln, die ziemlich groß waren, bis an sein seliges Ende (1650) lebte, drei Söhne und drei Töchter seiner Witwe, einer frommen, gottseligen Matrone, hinterlassend. Die Söhne waren in die Welt gegangen, einer davon nach Indien, einer nach den Kanarien-Inseln, und von den Töchtern hatte sich die älteste in London an einen Schwestersohn Cromwells, des adligen Geschlechts Cleipold, und die jüngste zu Wandried in Hessen an einen Kaufmann namens Uckermann verheiratet; die mittlere war meine Liebste. Anno 1660 war in Bremen auch ihre Frau Mutter gestorben und neben ihrem Herrn Vater in der Kirche zu St. Stephan beigesetzt worden, worauf die Jungfer Elisabeth eine Zeitlang bei Herrn Doktor Schnellens Witwe gelebt hatte. Unterdessen lernte sie die Frau Schlepuschin, welche auf ihrem Gut Schönbeck bei Bremen wohnte, kennen, und da sich der General und die Generalin Schlepuschin bald darauf nach Schlesien erhoben, so nahmen sie dieselbe zur Spielgesellin ihrer Fräulein Tochter mit sich auf Klein-Polewitz, wo sie allerseits in guter Ästim gehalten ward.

Sotanes Vernehmen und Nachricht entzündete noch mehr meine Liebe gegen sie, sonderlich weil ich nun wußte, daß sie zwar vornehmer Abkunft, aber nicht adliger Extraktion wäre, und weil auch Herr Pirner die Jungfrau wegen ihrer Gottesfurcht, Frömmigkeit, Klugheit, Häuslichkeit und anderer Qualitäten gar hoch rekommandierte, und die Frau Generalin kein Bedenken trug, bei ihrem vielen Ab- und Zureisen derselben ihr ganzes Hauswesen zu vertrauen. Indem nun die Ströme keuscher Liebe mein ganzes Herz erfülleten bis zum Überlaufen, so schüttete ich dasselbe zuerst gegen diesen ehrlichen Mann aus und offenbarte seiner Verschwiegenheit, was ich sonst keinem Menschen in der ganzen Welt noch nicht entdecket hatte, nämlich dafern es Gottes Wille und möglich wäre, verlangte ich die Jungfer Mercers zur Ehe zu haben, und bat ihn, er möge mir in dieser importanten Sache getreulich Assistenz leisten und mein gutes Vorhaben befördern helfen.

Sotanen Dienst wollte sich der gute Mann zur höchsten Ehre schätzen, ließ sich das Werk auch sehr angelegen sein und inkarminierte mein Intent zuerst der Frau Generalin. Unterdessen wechselte ich Briefe mit ihm und erhielt auch bald gute Vertröstung. In summa, die Sache avancierte in kurzer Zeit erwünschtermaßen, daß sie nur noch auf einer persönlichen Visite beruhete. An einem Montag, nach vorhergeschehener Anrufung Gottes, erhob ich mich zu Pferde nach Nickelstadt, holte den Herrn Pfarrer Pirner dortselbst ab und ging mit ihm nach Klein-Polewitz, eine Viertelmeile davon gelegen. In dem freiherrlichen Hofe nahm uns der Frau Generalin Tochtermann, Herr Heinrich von Poser, königlicher Obersteuereinnehmer der Fürstentümer Jauer und Schweidnitz, in Empfang, führte uns mit großer Höflichkeit in den Speisesaal, divertierete uns daselbst, als ein sehr qualifizierter und unterrichteter Kavalier, mit allerhand Diskursen. Bald hernach ließ mich die Frau Generalin in ihr Zimmer fordern und bewillkommte mich mit vieler Zivilität, wie sie auch mein Kompliment hinwiederum sehr günstig annahm. Mein Anbringen kontentierte sie sehr wohl und tat auch gute Versicherung eines glückseligen Ausganges meines Verlangens. Mittlerweile war die Tafel bereitet, und indem zu derselben die Frau Generalin mit ihrer Fräulein Tochter und Herr von Poser mit seiner Liebsten erschienen, folgete auch die Jungfer Mercers, welche mich aufs höflichste empfing. Unter währender Mahlzeit führte man allerhand lustige Diskurse, und war meine Liebste das rechte Zentrum, zu der sich alle diese Linien zogen. Nach Endigung der Tafel absentierte sich die ganze Kompanie und ließen mich und meine Liebste allein in dem Speisesaal stehen. Bei dieser Okkasion eröffnete ich derselben mein Herz und verlangte ihr teilhaftig zu werden, hoffend, sie würde von meiner keuschen Liebesflamme etwas partizipieren und selbige kraft göttlicher Providenz zum ehelichen Verbündnis ausschlagen lassen. Gleichwie nun gemeiniglich in Liebessachen des Frauenzimmers Nein! so viel als Ja! ist, so verstand ich auch meiner Liebsten erstes ausgesprochenes Nein vor Ja, und ließ mich dadurch nicht abschrecken, meine Expektorationen fortsetzend. Unterdessen aber ging die Frau Generalin und der Herr von Poser ab und zu und vexierten uns beide Verliebte mit höflichen Scherzen. Endlich wollte sich unsere Liebe nicht länger unter den Komplimenten verbergen lassen und brach auf einmal wie der Mond hinter trüben Wolken herfür, daß es hieß: Ja, ich bin dein, und du bist mein! Jetzt ließen wir selbst die Frau Generalin und den Herrn von Poser wie auch meinen redlichen Gewerbsmann herbeibitten, welche denn als hohe Beistände und Zeugen unser mündliches Ja mit Zusammenfügung der Hände bekräftigten. Zum Pfand meiner Liebe überreichte ich hierbei meiner Liebsten eine kleine, sehr stark mit Silber beschlagene Bibel und einen Ring mit zehn Diamanten, den ich dazu in Breslau vor dreiundfünfzig Reichstaler hatte machen lassen. Meine Liebste aber kontestierte mir ihre Liebe mit einem Ring von einem Diamant, welcher wegen seiner Größe auf neunzig Reichstaler ästimiert ward. Als nun die Sache solchermaßen ihre Richtigkeit hatte, gingen wir des Abends wieder zur Tafel und speiseten in aller Fröhlichkeit zusammen, bis man mich und den Herrn Pirner in die wohlbereitete Schlafkammer wies. Des andern Morgens legte ich der Frau Generalin meine Dankbarkeit für die erzeigte Ehre ab, nahm von meiner Liebsten und allen Anwesenden Abschied und kehrte mit Herrn Pirner auf Nickelstadt und von dort auf Liegnitz zurück. Von da an korrespondierte ich wöchentlich etlichemal mit meiner Liebsten, gab ihr alle Sonntag nach verrichtetem Gottesdienst zu Polewitz die Visite, regalierte sie dabei allemal mit einer sonderbaren Verehrung und bestimmte endlich mit ihr den Elisabethentag, nämlich den 19. November, Anno 1675, zum Termin unserer Hochzeit.

Als solchergestalt unsere Courtesie fast fünf Wochen gewähret hatte und der festbestimmte Hochzeitstag herannahte, auch alles Notwendige herbeigeschaffet und die Hochzeitsgäste invitieret waren, namentlich aber mein früherer Kollege zu Brieg, Herr Dares, den ich uns zu kopulieren gebeten hatte, auf Klein-Polewitz eingetroffen war, schickte die Frau Generalin zwo Kutschen, die eine mit sechs und eine mit vier Pferden bespannt, mich und meine Gäste zu Liegnitz abzuholen. Weil aber diese Kutschen nicht alle Gäste führen konnten, so lieh mir der Herr Landeshauptmann von Schweinichen, item die Äbtissin des Nonnenklosters, item der Stadtrat je eine mit vier Pferden bespannet, samt etlichen Kaleschen, worauf ich mich im Namen Gottes mit meinen Gästen nach Polewitz verfügte. Nach gehaltener Kopulationspredigt, in welcher Herr Dares die Namen Friedrich und Elisabeth sehr sinnreich und emblematisch auslegte, geschah die Kopulation bei brennenden Fackeln abends um sechs Uhr auf dem großen Speisesaal, wobei ich von dem Fürstlichen Rat, Herrn Knichen, und von Herrn Kaspar Braun, meine Liebste aber von Herrn von Poser und Herrn von Eicke, dem Bruder der Frau Generalin, geführet ward. Vor der Kopulation hatte mir Fräulein von Schlepusch den Kranz präsentiert, ich ihr aber dagegen einen schönen Goldring verehret. Sobald die Kopulation vollzogen war, ging man zur Tafel, welche meine Liebste auf unsere Kosten hatte herrichten lassen, und waren wir allerseits gar fröhlich und guter Dinge. Solchergestalt bewirteten wir die Gäste noch drei Tage in höchster Fröhlichkeit und mit allem Kontentement, und endigte sich alles in Einigkeit und guter Vertraulichkeit. Am vierten Tage hielt ich, begleitet von Herrn Rat Knichen und seiner Liebsten, in der Frau Generalin Leibkutsche mit sechs Pferden bespannt die Heimführung meiner Liebsten in Liegnitz.

Soweit der Bericht des glücklichen Gatten; er hatte durch seine Freiwerbung eine vortreffliche Hausfrau gewonnen. Vielleicht erkennt der Leser auch aus dem verschnörkelten Ausdruck, daß hier ein ehrliches Menschenherz in mächtiger Bewegung schlug. [...]

Wie die Werbung des ehrenhaften Bürgers im 17. Jahrhundert, so war auch das Leben im Hause fest geordnet, klug überdacht bis auf das Kleinste. Die Tätigkeit war angestrengte Arbeit vom Morgen bis zum Abend, aber sie brachte ihm auch heimliche Freude. Sinnig und grübelnd saß der Handwerker über seinem Werk, auch in die Arbeit seiner Hände suchte er etwas von seinem Behagen zu legen. Die meisten großen Erfindungen der neueren Menschen sind in den Werkstätten deutscher Bürger ausgesonnen, freilich haben sie ihre praktische Nutzbarkeit zuweilen erst in der Fremde erlangt. Kaum war der Krieg geendet, so schnurrte die Arbeit wieder in allen Werkstätten, der Hammer pochte, das Schifflein des Webers flog, emsig suchte der Tischler schöngefasertes Holz zusammen, um mit zierlichen Arabesken Schreibtisch und Kommode auszulegen. Der arme kleine Schreiber fing wieder an, seine Feder mit Genuß zu führen, mit Schnörkeln umzog er seine Buchstaben und sah mit herzlichem Stolz auf seinen weitberühmten sächsischen Duktus. Auch der Gelehrte schrieb rastlos über dicken Quartanten. Noch war die Blütezeit deutscher Wissenschaft nicht gekommen. Zwar regte sich überall das Interesse an dem Stoff, dem Detail, und ungeheuer erscheint der Fleiß, das Wissen einzelner. Aber noch versteht man das gewonnene Material nicht zu verarbeiten, es ist überall die Zeit des Sammelns. Historische Urkunden, Rechtsgebräuche des Volkes, die alten Werke theologischer Lehrer, die Leben der Heiligen, der Wörtervorrat aller Sprachen werden in massiven Werken zusammengetragen, der forschende Geist verliert sich an dem Unbedeutenden, ohne zu verstehen, wodurch erst das Einzelwissen lebendig gemacht wird. Er schreibt über antike Tintenfässer und Schuhe, er rechnet wohl gar Länge und Breite der Arche Noahs aus und untersucht gewissenhaft, wie lang der Spieß des alten Landsknechts Goliath gewesen sein muß. So bringt dem Fleißigen die Arbeit nicht immer den vollen Segen – sie hat doch unsere großen Astronomen, das Genie des Leibniz großgezogen – immer aber hilft sie dazu, dem Mann einen idealen Inhalt zu geben, ein Geistiges, wofür er lebt.

Wieviel auch der Krieg verschlechtert hatte: in der Werkstatt, als Vater des Hauses fand der Bürger sich zuerst wieder. Der Schwächere zog sich ganz dahin zurück. Freude am öffentlichen Verkehr, auch die Wehrhaftigkeit wurden geringer. Knarrend drehten sich die alten Tore in den zerschossenen Stadtmauern, kleinliche Händel kreuzten sich am Ratstisch, mißgünstiges Geklatsch, boshafte Verleumdung verbitterten dem Stärkeren, der über sein Geschäft hinaus für andere tätig war, die Stunden des Jahres. Eine krankhafte Scheu vor der Öffentlichkeit nahm überhand. Als im Beginn des 18. Jahrhunderts die ersten Anzeigeblätter entstanden und der Rat von Frankfurt am Main dem Unternehmer verstattete, eine wöchentliche Liste der Getauften, Getrauten, Verstorbenen zu veröffentlichen, erhob sich ein allgemeiner Schrei des Unwillens, es sei unerträglich, daß man diese intimen Verhältnisse publik mache. So vollständig zum Privatmann war der Deutsche geworden.

Es gibt wenige Stellen des deutschen Grundes, auf deren städtischem Gemeindeleben der Blick der Befriedigung weilt. Vielleicht die beste Ausnahme ist Hamburg. Auch dort hatten der Krieg und sein Gefolge vieles verwüstet, aber die frische Luft, welche von dem weiten Ozean her in die Straßen der ehrsamen Freibürger wehte, stählte schnell ihre Kraft. Daß sie sich selbst regieren konnten und als ein kleiner Staat mit fremden Mächten in Verbindung standen, bewahrte ihr Bürgertum vor übergroßer Engherzigkeit, und es scheint, daß gerade sie nach dem Dreißigjährigen Krieg am meisten von den Vorteilen erwarben, welche in einer Zeit der Abspannung und Schwäche dem Tatkräftigen leicht zuteil werden. Der Landhandel nach dem Innern von Deutschland wie der Schiffsverkehr durch die Wogen der Nordsee und des Atlantischen Ozeans sind kurz nach dem Krieg wieder in Aufschwung. Hamburgische Gesandte und Geschäftsträger verhandeln bei den Generalstaaten wie am Hof Cromwells. Die Hamburger besitzen nicht nur eine Kauffahrteiflotte, sondern auch eine kleine Kriegsmarine. Ihre beiden Fregatten werden mehr als einmal ein Schrecken der Piraten im Mittelmeer und in den Fluten der Nordsee. Sie geleiten bald Grönland- und Archangelfahrer, bald große Flotten von vierzig bis fünfzig Kauffahrern nach Oporto, nach Lissabon, Cadiz, Malta, Livorno, wo überall hamburgische Niederlassungen waren.

Dieser Verkehr, wie sehr er der Gegenwart nachsteht, war vielleicht im Verhältnis zu andern deutschen Seestädten des 17. Jahrhunderts bedeutender als jetzt. Wie jetzt nach Amerika, so gingen damals junge Hamburger nach den Küstenstädten der Nordsee, des Atlantischen Ozeans und des Mittelmeeres und gründeten dort Geschäfte für Kommission und Spedition auf eigene Rechnung. Auch in Hamburg bildete sich das Weltbürgertum aus, welches noch jetzt für den Geschäftsmann der gewaltigen Stadt charakteristisch ist. Aber freilich wurde es damals den Männern schwerer, sich in die Sitten der Fremde zu schicken als dem jetzt lebenden Geschlecht. Es war nicht Pietät gegen das Deutsche Reich, sondern die feste Gewöhnung an die kleinen Gewohnheiten des Lebens, die Sehnsucht nach dem guten, festen Familienzusammenhang, und wie noch jetzt betrachteten die Hamburger das fremde Land nicht gern als ihre feste Heimat. Waren sie dort eine Reihe von Jahren in gewinnbringender Tätigkeit gewesen, so eilten sie nach Hause zurück, um mit einer deutschen Frau ihren Hausstand zu gründen. Der warme Patriotismus und die kluge Gefügigkeit in fremde Sitten, welche den Bürgern kleiner Republiken eigen ist, bildete sich in solchem Leben aus, aber auch die Unternehmungslust und Größe des Urteils, welche damals an den Fürstenhöfen des Binnenlandes nur selten zu finden war. So zeigt die Familie eines Hamburger Patriziers in jener Zeit eine Anzahl interessanter Eigentümlichkeiten, welche wohl wert sind, daß man bei ihnen verweilt.

Eine solche Familie ist die des Bürgermeisters Johann Schulte, welche durch ihre weiblichen Nachkommen noch jetzt in hamburgischen Geschlechtern fortlebt. Johann Schulte (1621–1697), aus einer alten Familie, hatte in Rostock, Straßburg, Basel studiert, Reisen gemacht, geheiratet, als Ratssekretär, dann aber zehn Jahre als hamburgischer Gesandter bei Cromwell fungiert. Er wurde im Jahre 1668 Bürgermeister, ein würdiger, gemäßigter Herr, wohlerfahren in allen Welthändeln wie im Regiment seiner guten Stadt, ein glücklicher Gatte und Familienvater. Von ihm sind Briefe an einen seiner Söhne erhalten, der im Jahre 1680 als Kompagnon in ein Lissaboner Geschäft trat. Diese Briefe enthalten eine Menge von belehrenden Einzelheiten. Am interessantesten aber ist der hübsche Einblick in das Familienleben der damaligen Zeit, in das Verhältnis eines Vaters zu seinen Kindern. Innigkeit der Empfindung von beiden Seiten, im Vater die ruhige Würde und die Weisheit des vielerfahrenen Mannes, ein starkes Gefühl seiner distinguierten Stellung, ein festes Zusammenhalten der Familienglieder, welche bei allen unvermeidlichen Zwistigkeiten im Innern gegen außen einen festgeschlossenen Kreis bilden.


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