Gustav Freytag
Bilder aus der deutschen Vergangenheit
Gustav Freytag

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XIX
Der Dreißigjährige Krieg

Die Dörfer und die Geistlichen

Beschaffenheit der Dörfer. – Stellung und Sitten des Landmannes. – Einwirkung des Krieges: Geldverwirrung, Durchmärsche, Einquartierung, Quälereien. – Furcht, Trotz, Verwilderung. – Liebe zur Heimat. – Die Seelsorger und ihre Ausdauer. – Schicksale des Pfarrers Bötzinger

Deutschland galt um das Jahr 1618 für ein reiches Land. Selbst der Bauer hatte in dem langen Frieden einige Wohlhäbigkeit erlangt. Die Zahl der Dörfer in Thüringen und Franken war etwas größer als jetzt. Auch die Dörfer waren nicht ganz ohne Schutzwehr; breiter Graben, Zaun oder Wand von Lehm und Stein umgrenzten oft die Stätte des Dorfes, dann war verboten, Türen durchzubrechen, an den Hauptstraßen hingen Tore, welche zur Nacht geschlossen wurden. In der Regel war der Kirchhof mit besonderer Mauer geschützt, er bildete mehr als einmal die Zitadelle und letzte Zuflucht der Bewohner. Dorf und Flur wurden durch Nacht- und Tagwächter beschritten. Die Häuser waren zwar nur von Holz und Lehm in ungefälliger Form, oft in engen Dorfstraßen zusammengedrängt, aber sie waren nicht arm an Hausrat und Behagen. Schon standen alte Obstbaumpflanzungen um die Dörfer, und viele Quellen ergossen ihr klares Wasser in steinerne Tröge. Auf den Düngerstätten der eingefriedeten Höfe tummelten sich große Scharen von kleinem Geflügel, auf den Stoppeläckern lagen mächtige Gänseherden, und in den Ställen standen die Gespanne der Pferde weit zahlreicher als jetzt, wahrscheinlich ein großer starkknochiger Schlag, verbauerte Nachkommen der alten Ritterrosse, sie, die stolzeste Freude des Hofbesitzers, daneben die »Klepper«, eine uralte kleine Landrasse. Große Gemeindeherden von Schafen und Rindern grasten auf den steinigen Höhenzügen und in den fetten Riedgräsern. Die Wolle stand gut im Preise und an vielen Orten wurde auf feine Zucht gehalten, die deutschen Tuche waren berühmt, und Tuchwaren der beste Exportartikel. Diese nationale Wolle, das Resultat einer tausendjährigen Kultur, ist den Deutschen im Kriege verlorengegangen. Die Dorfflur lag – wo nicht die altfränkische Flurteilung in lange Bänder sich erhalten hatte – in drei Felder geteilt, deren Hufen viel gespalten und Beet für Beet sorgfältig versteint waren. Der Acker war nicht ohne höhere Kultur. Ein feinmehliger weißer Weizen wurde in das Winterfeld gesät. Waid wurde im Norden des Rennstiegs immer noch eifrig und mit großem Vorteil gebaut. Obgleich schon vor dem Krieg der fremde Indigo dem einheimischen Farbstoff Konkurrenz machte, konnte der jährliche Gewinn Thüringens durch den Waid doch noch auf drei Tonnen Goldes angeschlagen werden; diese Summe kam zumeist in das Territorium Erfurt und das Herzogtum Gotha; außerdem brachte Anis und Saflor gutes Geld, auch der Kardenbau war altheimisch, und von Ölsaaten wurde Rübsen, wie am Rhein Raps, in die Brache gesät. Der Flachs ward sorgfältig durch die Wasserröste zubereitet, und die bunten Blüten des Mohnes und die schwanken Rispen der Hirse erhoben sich inmitten der Ährenfelder. An den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thüringen und Franken damals überall Rebengärten, und diese alte Kultur, welche jetzt in denselben Landschaften fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen trinkbaren Wein hervorgebracht haben, sogar noch auf den Vorbergen des Waldgebirges, denn es werden in den Chroniken einzelne Weinjahre als vortrefflich gerühmt. Auch Hopfen ward fleißig gebaut und zu gutem Bier benutzt. Schon säte man von Futtergewächsen den Spörgel und die Pferdebohne. Die Wiesen, hochgeschätzt, häufig eingezäunt, wurden sorgfältiger behandelt als zweihundert Jahre später; die Maulwurfshaufen zerwerfen und die Abzugsgräben, ja sogar Bewässerungsgräben ziehen und erhalten, war gewöhnlich. Schon war Erfurt Mittelpunkt eines großen Samenhandels und höherer Gartenkultur, auch von Blumen und feinen Obstsorten. Im ganzen war, wenn man verschiedene Zeiten miteinander vergleichen darf, die landwirtschaftliche Kultur um 1618 nicht geringer als etwa um 1818. Es wird sich ergeben, daß auch in anderen Beziehungen erst das 19. Jahrhundert ausgeglichen hat, was seit 1618 verloren wurde. –

Die Lasten, welche auf dem Bauernstand lagen, Servituten und Abgaben, waren nicht gering, am größten auf den adligen Gütern; aber es gab nicht wenig freie Bauerndörfer im Land, und das Regiment der Landesherren war weniger hart als im südlichen Franken oder in Hessen. Viele geistliche Güter waren zerschlagen worden, viele Domänen und nicht wenige adlige Güter wurden von den Pächtern bewirtschaftet, die Zeitpacht wurde ein beliebtes Mittel, die Bodenrente zu steigern. Das alles kam dem Bauern zugute. Freilich der Wildschaden war ein drückendes Leiden, und auf den Gütern des verarmten Adels war von der alten Hörigkeit noch vieles geblieben. Aber die große Mehrzahl der Landleute war durch die neuen, römisch gebildeten Juristen zu Eigentümern ihrer Güter erklärt worden: wohl der größte Segen, welchen das römische Recht im 16. Jahrhundert den Deutschen gebracht hat. Es ist ein Irrtum, wenn man die Bureaukratie und Schreiberherrschaft als Erzeugnis der neuen Zeit betrachtet, es wurde schon damals viel regiert, und die Dörfer hatten dem herzoglichen Amtsboten, der ihnen die Briefe brachte, schon oft ein kleines Zehrgeld zu zahlen. Schon wurde durch sorgliche Beamte bestimmt, wieviel Feuereimer jeder Ortsnachbar anzuschaffen habe, wieviel Tauben er halten dürfe, daß die Obstbäume geraupt, die Gräben gereinigt und jährlich eine Anzahl junger Bäume gesetzt werden müsse. Die Gemeinderechnungen wurden seit fast hundert Jahren ordentlich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt; auch auf Ortszeugnisse und Heimatscheine ward schon gehalten, und die Gemeinden empfahlen einander nachbarlich in gewählten Ausdrücken ihre Angehörigen, welche aus einem Dorf nach dem andern zogen. Auch der Handelsverkehr war nicht gering. Durch Thüringen führte fast parallel mit den Bergen eine große Handelsstraße von der Elbe zum Rhein und Main, und am Abfall des Gebirges gegen die Werra lag der große Heerpfad, welcher den Norden Deutschlands mit dem Süden verband. Die Vekturanz auf den kunstlosen Straßen erforderte zahlreichen Vorspann und brachte den Dörfern Verdienst und Kunde aus der fernen Welt, auch manche Gelegenheit, Geld auszugeben.

Seit der Reformation waren wenigstens in allen Kirchdörfern Schulen, die Lehrer oft Theologen; auch Schullehrerinnen für die Mädchen fanden sich zuweilen. Es wurde ein kleines Schulgeld bezahlt, und ein Teil der Dorfbewohner war in die Geheimnisse des Lesens und Schreibens eingeweiht. Der Gegensatz zwar zwischen dem Landmann und dem Städter war damals größer als jetzt, der »dumme Bauer« war in den Stuben der Handwerker noch immer ein Lieblingsgegenstand unholder Scherze; als charakteristische Eigenschaften wurden ihm Roheit, Einfalt, unredliche Pfiffigkeit, Trunkliebe und Freude am Prügeln nachgerühmt. Aber wie abgeschlossen und arm an wechselnden Eindrücken sein Leben auch damals war, man würde sehr unrecht tun, wenn man ihn für wesentlich schwächer und untüchtiger hielte als er jetzt ist. Im Gegenteil war sein Selbstgefühl nicht geringer und oft besser berechtigt. Wohl war seine Unkenntnis fremder Verhältnisse größer; denn es gab für ihn noch keine regelmäßigen Zeitungen und Lokalblätter, und er selbst war in der Regel nicht weiter gewandert als bis zur nächsten Stadt, wo er seine Produkte verkaufte, etwa einmal über die Berge, wenn er Kühe trieb, als Thüringer nach Erfurt auf den Waidmarkt, als Franke vielleicht ins Katholische nach Bamberg mit seinem Hopfen. Auch war er in Tracht, in Sprache und Liedern nicht modisch wie die Städter, er gebrauchte gern alte derbe Worte, welche der Bürger für unflätig hielt, er schwor und fluchte altertümlich, und sein Begrüßungszeremoniell war anders verschränkt als in den Städten, aber nicht weniger genau. Doch deshalb war sein Leben nicht arm an Gemüt, an Sitte, selbst nicht an Poesie. Noch hatte der verklingende deutsche Volksgesang einiges Leben, und der Landmann war der eifrigste Bewahrer desselben, noch waren die Feste des Bauern, sein Familienleben, seine Rechtsverhältnisse, seine Käufe und Verkäufe reich an alten farbenreichen Bräuchen, an Sprüchen und ehrbarer Repräsentation. Auch die echte deutsche Freude an hübscher Handwerksarbeit, das Behagen an sauberen und kunstvollen Erbstücken teilte der Landmann damals mit dem Bürger. Sein Hausgerät war stattlicher als jetzt. Zierliche Spinnräder, welche noch für eine neue Erfindung galten, sauber ausgeschnittene Tische, geschnitzte Stühle und Wandschränke haben sich einzeln – selten in Thüringen, öfter in Franken – bis auf unsere Zeit erhalten und werden jetzt mit den irdenen Apostelkrügen und ähnlichem Trinkgeschirr von Kunstsammlern angekauft. Groß muß der Schatz der Bauernfrauen an Betten, Kleidern, Wäsche, an Ketten, Schaumünzen und anderem Schmuck gewesen sein, und nicht weniger begehrungswürdig waren die zahlreichen Würste und Schinken im Rauchfang. Auch viel bares Geld lag versteckt in den Winkeln der Truhe oder sorglich in Töpfen und Kesseln vergraben, denn das Aufsammeln der blanken Stücke war eine alte Bauernfreude, es war seit Menschengedenken Friede gewesen und Waid und Hopfen brachten gutes Geld. Das Leben des Bauern war reichlich ohne viele Bedürfnisse, er kaufte in der Stadt die Nesteln für seine Kleider, den silbernen Schmuck für Weib und Töchter, Würze für seinen sauern Wein und was von Metallwaren und Gerät in Hof und Küche nötig war. Die Kleider von Wolle und Leinwand webten und schnitten die Frauen im Hause oder der Nachbar im Dorf. Der Landmann nahm seine Mütze tief ab vor dem Landesherrn oder vor dem gelehrten Juristen, denn er liebte bereits die gefährliche Aufregung der Prozesse; aber er wälzte wohl auch ihnen gegenüber mit geheimem Stolz die Erinnerung an eine kupferne Ofenblase oder ein paar alte Scherben in sich herum, die er gefüllt mit schweren Joachimstalern im Milchkeller oder unter seinem Ehebett versteckt hatte.

So lebte der Bauer in Mitteldeutschland noch nach dem Jahre 1618. Er hörte des Sonntags in der Schenke von wildem Kriegsgetümmel hinten in Böhmen, wo die Länder des Kaisers lagen, um den er sich wenig kümmerte. Er kaufte wohl von einem verschmitzten Händler ein fliegendes Blatt oder ein Spottlied auf den verlorenen König von Böhmen; er gab einem zerschlagenen Flüchtling von Prag oder Budweis, der bettelnd an seine Tür kam, von seinem Brot und Käse und hörte die Schauergeschichten desselben mit Kopfschütteln. Der Amtsbote brachte ein Schreiben des Landesherrn in das Dorf, aus dem er sah, daß auch ihm zugemutet wurde, für neugeworbene Soldaten Geld und Getreide nach der Stadt zu liefern, er ärgerte sich und eilte, seinen Schatz noch tiefer zu vergraben. Doch bald wurde ihm deutlich, daß eine schlechte Zeit auch gegen ihn heranziehe, denn das Geld, welches er in der Stadt empfing, wurde sehr rot, und alle Waren wurden teurer; auch er wurde in die heillose Verwirrung hineingezogen, welche seit 1620 durch das massenhafte Ausprägen wertlosen Geldes über das Land kam. Er behielt Getreide und Fleisch zu Hause und zog gar nicht mehr nach der Stadt. Aber er bekam doch Händel mit Städtern und seinen Nachbarn, weil auch er das neue Geld bei seinen Zahlungen loswerden wollte und nur gutes altes als Bezahlung annehmen. Sein Herz war voll böser Ahnungen. So ging es bis zum Jahre 1623. Da sah er das Unheil noch von anderer Seite heranziehen. Die Diebstähle und Einbrüche mehrten sich, fremdes Gesindel wurde oft auf den Landstraßen gesehen, Trompeter sprengten mit schlimmen Nachrichten nach den Städten, angeworbenes Kriegsvolk zog prahlerisch und frech vor seinen Hof, forderte Unterhalt, stahl Würste und nahm Hühner im Schnappsack mit. Defensioner, die neu errichtete Landmiliz, trabten in das Dorf, forderten wieder Zehrung, drängten sich zu ihm in Quartier und belästigten ihn mehr als die Spitzbuben, welche sie von seinen Viehställen abhalten sollten.

Endlich begannen – für Thüringen seit 1623 – die Durchmärsche fremder Truppen, und die großen Leiden des Krieges senkten sich auf ihn. Fremdes Kriegsvolk von abenteuerlichem Aussehen, durch Blut und Schlachten verwildert, marschierte in sein Dorf, legte sich ihm in Haus und Bett, mißhandelte ihn und die Seinen, forderte Zehrung, Kontribution, außerdem Geschenke und zerschlug, verwüstete und plünderte doch noch, was ihm vor Augen kam. So ging es fort, seit 1626 mit jedem Jahre schlimmer, Banden folgten auf Banden, mehr als ein Heer setzte sich um ihn herum in Winterquartieren fest, die Lieferungen und Quälereien schienen endlos. Mit Entsetzen sah der Bauer, daß die fremden Soldaten mit einer Spürkraft, die er der Zauberei zuschrieb, aufzufinden wußten, was er tief in der Erde versteckt hatte. Wenn er ihnen aber zu schlau gewesen war, so wurde sein Los noch schlechter, dann wurde er selbst ergriffen und durch Qualen, welche niederzuschreiben peinlich ist, gezwungen, den Versteck seiner Schätze anzugeben. Von dem Schicksal seiner Frau und seiner Töchter schweigen wir, das Greuliche wurde so gewöhnlich, daß eine Ausnahme befremdlich war. Und noch andere Leiden folgten. Seine Töchter, seine Magd, sein kleiner Knabe wurden nicht nur viehisch gemißhandelt, sie waren auch in dringender Gefahr, durch Überredung oder Gewalt fortgeführt zu werden. Denn jedem Heerhaufen folgte der rohe unselige Troß von Dirnen und Knaben. Aber die Wirtschaft des Landmanns ward noch in anderer Weise verwüstet. Sein Knecht hatte vielleicht einige Jahre die Schläge der fremden Soldaten ertragen, zuletzt lief er selbst unter die, welche schlugen; die Gespanne wurden vom Pflug gerissen, die Herden von der Weide geholt, und dadurch die Bestellung der Felder oft unmöglich gemacht.

Und doch, wie jammervoll und hilflos seine Lage war, in der ersten Hälfte des Krieges, bis zum Tode Gustav Adolfs, war doch das Schrecklichste noch verhältnismäßig erträglich. Denn noch war selbst in Plünderung und Zerstörung ein gewisses System, einige Mannszucht hielt wenigstens die regelmäßigen Heerhaufen zusammen, und ein und das andere Jahr verlief ohne große Truppenzüge. Es ist uns möglich, in dieser ersten Zeit zu erkennen, wieviel einzelnen Gemeinden zugemutet wurde; denn schon saßen in dieser Zeit die Landesbehörden fest in ihren Schreibstuben, und nach den Durchmärschen wurden von den betroffenen Gemeinden gewöhnlich Liquidationen über ihre Leistungen eingefordert, deren Beträge ihnen freilich nicht wieder erstattet wurden. Wer solche Liquidationen in den Gemeindearchiven durchblättert, der wird die Namen berüchtigter Heerführer, die er aus der Geschichte oder aus Schillers Wallenstein kennt, in sehr realer Verbindung mit den Geschicken eines thüringischen Dorfes finden.

Die Wirkungen, welche ein solches Leben voll Unsicherheit und Qual auf die Seelen der Landleute ausübte, waren sehr traurig. Die Furcht, eine bebende, klägliche Furcht umzog entnervend die Herzen. Immer war ihr Gemüt voll von Aberglauben gewesen, jetzt wurde mit rührender Leichtgläubigkeit alles aufgesucht, was als Eingreifen überirdischer Gewalten gedeutet werden konnte. Man sah am Himmel die schrecklichsten Gesichter, man fand die Anzeigen furchtbaren Unheils in zahlreichen Mißgeburten, Gespenster erschienen, unheimliche Laute klangen vom Himmel und auf der Erde. In Ummerstadt z. B., Herzogtum Hildburghausen, leuchteten weiße Kreuze am Himmel, als die Feinde einrückten. Als sie in die Kammerkanzlei eindrangen, trat ihnen ein weißgekleideter Geist entgegen und winkte ihnen zurück, und niemand konnte sich von der Stelle rühren. Nach ihrem Abzug hörte man acht Tage lang im Chor der ausgebrannten Kirche ein starkes Schnauben und Seufzen. – Zu Gumpershausen machte eine Magd großes Aufsehen im ganzen Land. Sie erfreute sich der Besuche eines kleinen Engels, der sich bald in rotem, bald in blauem Hemdlein vor ihr aufs Bett oder den Tisch setzte, wehe schrie, vor Gotteslästerung und Fluchen warnte und schreckliches Blutvergießen verhieß, wenn die Menschheit nicht das Lästern, die Hoffart und die gestärkten und geblauten Kragen – damals eine neue Mode – abschaffen würde. Wie man aus den eifrigen Protokollen ersieht, welche die geistlichen Herren verschiedener Würden über die Halbblödsinnige aufnahmen, verursachte ihnen nur der eine Umstand Bedenken, weshalb das Englein nicht sie selbst besuchte, sondern eine einfältige Magd.

Neben dem Schrecken zogen Trotz und wilde Verzweiflung in die Seelen. Die sittliche Verwahrlosung nahm im Landvolk furchtbar überhand. Weiber entliefen den Männern, Kinder den Eltern; die Gewohnheiten, Laster und Krankheiten der durchziehenden Heere blieben zurück, selbst wenn die Räuber aus dem verwüsteten und halb zerstörten Dorf abzogen. Das Branntweintrinken, das seit dem Bauernkrieg in das Volk gekommen war, wurde ein gewöhnliches Laster. Die Achtung vor fremdem Eigentum verschwand. Im Anfang des Krieges waren die Nachbardörfer einander noch hilfreich gesinnt. Wenn die Soldaten in dem einen Dorf Vieh forttrieben und dasselbe bei der nächsten Nachtrast wieder verkauften, so gaben die Käufer den neuen Erwerb oft den früheren Eigentümern um den Einkaufspreis zurück. Das taten in Franken selbst katholische und protestantische Ortschaften einander zuliebe. Allmählich aber begann der Landmann zu stehlen und zu rauben wie der Soldat. Bewaffnete Haufen rotteten sich zusammen, zogen über die Landesgrenze in andere Dörfer und entführten, was sie bedurften. Sie lauerten den Nachzüglern der Regimenter in dichtem Wald oder in Gebirgspässen auf und nahmen oft nach hartem Kampf an dem Leben der Bezwungenen eine rohe Rache, ja sie überboten die Virtuosität der Soldaten in Erfindung von Todesqualen, und es wird wenige Waldhügel geben, in deren Schatten nicht greuliche Untat von solchen verübt ist, welche dort früher als friedliche Holzfäller und Steinbrecher ihr kunstloses Lied gesungen hatten. Es entstand allmählich ein grimmiger Korpshaß zwischen Soldaten und Bauern, der bis an das Ende des Krieges dauerte und mehr als etwas anderes die Dörfer Deutschlands verdorben hat. – Auch zwischen den Landschaften und einzelnen Orten entbrannten Fehden. Hier sei aus der düstern Zeit nur eine harmlose berichtet.

So hatten die Bürger von Eisfeld noch mehrere Jahre nach dem Kriege heftige Feindschaft mit dem Kloster Banz wegen zwei wohltönenden Glocken ihrer alten Stadtkirche, des »Banzer« und der »Messe«. Ein schwedischer Oberst hatte die beiden Glocken aus Banz abgeführt und dem Städtchen verkauft. Und zweimal, wenn katholische Völker in Eisfeld lagen, waren die Mönche mit Wagen und Seilen hingezogen, ihre Glocken wiederzuholen; aber das erstemal bekamen die Mönche mit einem gewissenhaften Kroaten der Einquartierung Händel, weil sie eine Turmuhr obendrein mitnehmen wollten. Der Kroat drang mit dem Säbel auf die frommen Männer ein, und er und seine Kameraden liefen auf den Turm und läuteten heftig mit den Glocken, so daß die Mönche von Banz für unmöglich fanden, die Glocken herunterzuholen und an ihrer Statt nur die Turmuhr mitnahmen. Das zweitemal ging's ihnen nicht besser; endlich nach dem Frieden wurde ihnen als Ersatz eine andere kleine Glocke angeboten. Als sie aber auf dieser den Spruch sahen: »Erhalt' uns Herr bei deinem Wort«, gingen sie kopfschüttelnd wieder nach Hause. Endlich verglich Herzog Ernst der Fromme die Sache, nahm als Dank die kleine Glocke für sich selbst und hing sie in Gotha auf dem Friedenstein auf.

Nach Kräften suchten sich die Dörfer vor der Raubgier der Soldaten zu wahren. Solange noch Geld aufzubringen war, machten sie Versuche, durch Zahlung einer Geldsumme an die vorausgesandten Offiziere die Einquartierung abzukaufen, und mancher Schurke benutzte solche Furcht und erhob in der Maske eines anmeldenden Furiers hohe Steuern von den getäuschten Dorfsassen. Auf die Kirchtürme und hohen Punkte der Flur wurden Wachen gestellt, die ein Zeichen gaben, wenn Truppen in der Ferne sichtbar wurden. Dann brachte der Landmann, was er retten konnte, die Frauen und Kinder und leichtbewegliche Habe, eilig in ein entferntes Versteck. Solche Verstecke wurden mit großem Scharfsinn ausgesucht, durch Nachhilfe noch unzugänglicher gemacht, und wochen-, ja monatelang fristeten dort die Flüchtlinge ihr angstvolles Dasein. Im schwarzen Moor zwischen Gräben, Binsen und Erlengebüsch, in dunkler Waldesschlucht, in alten Lehmgruben und in verfallenem Mauerwerk suchten sie die letzte Rettung. Noch jetzt zeigt an manchen Orten der Landmann mit Teilnahme auf solche Stellen. Zu Aspach in einem alten Turm ist 16 Fuß über dem Boden ein großes Gewölbe mit eiserner Tür, dorthin flüchteten die Aspacher, sooft kleine Banden auf das Dorf marschierten; für längere Flucht aber hatten sie ein Feld von mehreren Ackern, das mit Hainbuchen dicht umwachsen war, darum pflanzten sie Dorngebüsch, welches auf dem fruchtbaren Boden hoch wie Bäume wurde und dicht wie eine Mauer stand. In diesem Verhack, zu dem man nur auf dem Bauch kriechend gelangen konnte, hat sich die Gemeinde oft verborgen. Nach dem Kriege wurden die Dornen ausgereutet und der Boden in Hopfen-, dann in Krautländer verwandelt. Noch heißt ein Teil dieses Grundes »der Schutzdorn«. – Waren die Soldaten abgezogen, dann kehrten die Flüchtlinge in ihre Häuser zurück und besserten notdürftig aus, was verwüstet war. Nicht selten freilich fanden sie nur eine rauchende Brandstätte.

Auch nicht alle, welche geflohen waren, kamen zurück. Die Wohlhabenderen suchten sich und ihre Habe in den Städten zu bergen, wo doch die Kriegszucht ein wenig straffer und die Gefahr geringer war. Viele auch flüchteten in ein anderes Land, und wenn dort Feinde drohten, wieder in ein anderes. Die meisten hat sicher das Elend dort nicht weniger hart geschlagen. – Aber auch die im Land blieben, kehrten nicht alle zur heimischen Flur. Das wilde Leben im Versteck und Wald, die rohe Freude an Gewalttat und Beute machte die Trotzigsten zu Räubern. Mit rostigen Waffen versehen, die sie vielleicht getöteten Marodeuren abgenommen hatten, führten sie unter den Fichten der Berge ein gesetzloses Leben als Gefährten des Wolfes und der Krähe, als Wilddiebe und Wegelagerer.

So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit reißender Schnelligkeit. Schon zur Zeit des Schwedenkönigs waren mehrere Dörfer ganz verlassen, und um die geschwärzten Balken und das Stroh der zerrissenen Dächer schlichen die Tiere des Waldes und etwa die zerlumpte Leidensgestalt eines alten Mütterleins oder eines Krüppels. Von da nahm das Unheil in solcher Steigerung zu, daß sich nichts in der neueren Geschichte damit vergleichen läßt. Zu den zerstörenden Dämonen des Schwertes kamen andere nicht weniger furchtbare und noch gefräßigere. Das Land war wenig bebaut worden und hatte eine schlechte Ernte gegeben. Eine unerhörte Teuerung entstand, Hungersnot folgte, und in den Jahren 1635 und 1636 ergriff eine Seuche, so schrecklich, wie sie seit hundert Jahren in Deutschland nicht gewütet hatte, die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam über das ganze deutsche Land, über den Soldaten wie über den Bauern; die Heere fielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch, viele Orter verloren die Hälfte ihrer Bewohner, in manchen Dörfern Frankens und Thüringens blieben nur einzelne übrig. Was noch von Kraft in einer Ecke des Landes gedauert hatte, jetzt wurde es zerbrochen. – Der Krieg aber wütete von dieser Schreckenszeit ab noch zwölf lange Jahre. Auch er war schwächer geworden, die Heerhaufen kleiner, die Operationen aus Mangel an Lebensmitteln und Tieren unsteter und planloser; aber wo die Kriegsfurie aufflackerte, fraß sie erbarmungslos weg, was sich noch von Leben zeigte. Das Volk erreichte die letzte Tiefe des Unglück, ein dumpfes apathisches Brüten wurde allgemein. Von den Landleuten ist aus dieser letzten Zeit wenig zu berichten. Sie vegetieren verwildert und hoffnungslos, aber nur geringe Nachrichten sind in Dorfurkunden, Pfarrbüchern und kleinern Chroniken zu finden. Man hatte in den Dörfern das Schreiben, ja fast die laute Klage verlernt. Wo ein Heer verwüstet hatte und der Hunger wütete, fraßen Menschen und Hunde von demselben Leichnam, Kinder wurden aufgefangen und geschlachtet. Daß jetzt eine Zeit gekommen war, wo solche, die zwanzig Jahre des Leidens ausgehalten hatte, selbst Hand an sich legten, das lesen wir aus den Berichten der Gesandten, welche jahrelang vergeblich an dem Frieden arbeiteten.

Man mag fragen, wie bei solchen Verlusten und so gründlichem Verderb der Überlebenden überhaupt noch ein deutsches Volk geblieben ist, das nach geschlossenem Frieden wieder Land bauen, Steuern zahlen und nach einem dürftigen Vegetieren von hundert Jahren wieder Energie, Begeisterung und ein neues Leben in Kunst und Wissenschaft zu erzeugen vermochte. Allerdings ist wahrscheinlich, daß sich das Landvolk ganz in schwärmende Banden aufgelöst hätte und daß die Städte niemals imstande gewesen wären, ein neues Volksleben hervorzubringen, wenn nicht drei Gewalten den deutschen Landmann vor der gänzlichen Zerstörung bewahrt hätten: seine Liebe zu dem väterlichen Acker, die Bemühungen seiner Obrigkeit und vor allem der Eifer seines Seelsorgers, des Dorfpfarrers. Des Bauern Liebe zur eigenen Flur, noch jetzt ein starkes Gefühl, welches gegen die wohltätigsten Ackergesetze feindlich arbeitet, war im 17. Jahrhundert noch um vieles mächtiger. Denn der Bauer kannte außerhalb der eigenen Dorfflur sehr wenig von der Welt, und die Schranken, welche ihn von einem andern Lebensberuf und anderer Herren Land trennten, waren schwer zu übersteigen. So lief er mit Zähigkeit immer wieder aus seinem Versteck nach dem zerstörten Hof und versuchte immer wieder, die zerstampften Ähren zusammenzulesen oder in das niedergetretene Land den wenigen Samen zu streuen, den er sich gerettet hatte. Wenn sein letztes Zugtier geraubt war, spannte er sich selbst an den Pflug. Er hütete sich wohl, seinem Hause ein wohnliches Aussehen zu geben, er gewöhnte sich in Schmutz und Ruinen zu hausen und verbarg das flackernde Feuer des Herdes vor den raubgierigen Blicken, welche vielleicht durch die Nacht nach einem warmen Nest suchten. Die kärgliche Speise versteckte er an Orten, vor welchen selbst dem ruchlosen Feind graute, in Gräbern, in Särgen, unter Totenköpfen. So hauste er unter dem Zwang der Gewohnheit, der allgewaltigen, wie gering auch die Hoffnung war, daß seine Arbeit ihm selbst zugute kommen werde. Hielt ein Gutsherr tapfer auf seinem Dorf aus, so begleitete er in den Zeiten der Ruhe bis an die Zähne bewaffnet seine letzten Zugtiere auf den Acker, bereit, mit ansprengenden Räubern um die Tiere zu kämpfen.

Kaum geringeres Interesse als der Bauer selbst hatten sein Landesherr und dessen Beamte, die Dörfer zu erhalten. Je geringer die Zahl der Steuerzahlenden wurde, desto höher stieg der einzelne im Wert. Von der Residenzstadt aus kümmerten sich die Regierungen durch ihre Amtleute, Vögte und Schösser während des ganzen Krieges um das Schicksal der Dörfer, ja der einzelnen. Die Aktenschreiberei wurde nur in der ärgsten Zeit unterbrochen und immer wieder angefangen. Zeugnisse, Berichte, Eingaben und Reskripte liefen bei all dem Elend hin und her, Eingaben und Kostenliquidationen wurden unermüdlich eingefordert, und manch armer Schulmeister verrichtete gehorsam seinen Dienst als Gemeindeschreiber, während der Schnee durch die ausgeschlagenen Fenster in seine Schulstube hineinwehte, die Gemeindekasse zerbrochen auf der Straße lag und die Dorfgemeinde, deren Rechnungen er schrieb, bewaffnet in den Wald gezogen war, mit finstern ungesetzlichen Anschlägen, welche der Landesregierung niemals berichtet wurden. So unnütz dies Schreiberwesen in vielen Fällen war, es zog doch zahllose Fäden, durch welche der einzelne an die Ordnung seines Staates gebunden wurde. Und daß der Mechanismus der Verwaltung sich erhielt, war in den Pausen und am Ende des Krieges von größter Bedeutung.

Das beste Verdienst aber um die Erhaltung des deutschen Volkes hatten die Landgeistlichen und ihr heiliges Amt. Zuverlässig war ihr Einfluß in den katholischen Landschaften nicht geringer als in den protestantischen, wenn uns auch wenig Nachrichten darüber geblieben sind, denn die katholischen Pfarrer waren damals ebenso dem Schreiben abhold als die evangelischen schreiblustig. Doch an der Bildung ihrer Zeit hatten die protestantischen Pfarrer einen weit größeren Anteil. Die deutsche gelehrte Bildung war durch die Reformatoren wesentlich theologisch geworden, und die Dorfgeistlichen repräsentierten diese Intelligenz gegenüber dem adligen Gutsherrn und den Bauern. Sie waren in der Regel in den alten Sprachen gut bewandert, geübt Latein zu schreiben und elegische Verse zu machen. Sie waren starke Disputierer, wohlerfahren in dogmatischen Streitigkeiten, voll eifrigen Zorns gegen Schwenckfeldianer, Theophrastianer, Rosenkreuzer und Weigelianer, hartnäckig, rechthaberisch, und ihre Lehre war stärker im Haß gegen die Ketzer als in der Liebe gegen ihre Mitmenschen. Ihr Einfluß auf das Gewissen der Laien hatte sie hochmütig und herrschsüchtig gemacht, und die begabteren unter ihnen kümmerten sich mehr um Politik als für ihre Tugend gut war. Wenn man einen Stand verantwortlich machen darf für Unvollkommenheiten der Zeitbildung, welche er nicht geschaffen hat, sondern nur repräsentiert, so hatte die lutherische Geistlichkeit eine schwere und verhängnisvolle Schuld an der Verödung des Gemütes, der unpraktischen Kraftlosigkeit, dem trockenen, langweiligen Formalismus, welche damals im deutschen Leben sehr oft zutage kamen. So waren die Geistlichen als Stand weder bequem noch besonders liebenswert, und selbst ihre Moralität war engherzig und inhuman. Aber all dies Unrecht sühnten sie in den Zeiten der Armut, der Trübsal und Verfolgung. Und unter ihnen am meisten die armen Dorfpfarrer. Sie waren den größten Gefahren ausgesetzt, den kaiserlichen Soldaten am meisten verhaßt, durch ihr Amt gezwungen, sich dem Feinde bemerkbar zu machen; die Roheiten, welche sie, ihre Frauen und Töchter zu erdulden hatten, trafen tödlich ihr Ansehen in der eigenen Gemeinde. Ihr Leben wurde durch die Beiträge ihrer Beichtkinder erhalten, sie waren nicht geübt und wenig geeignet, sich durch körperliche Arbeit die Tage zu fristen; unter jeder Verringerung des Wohlstandes, der Sittlichkeit, der Menschenzahl ihres Dorfes hatten sie am meisten zu leiden. Man muß einer sehr großen Mehrzahl von ihnen das Zeugnis geben, daß sie alle diese Gefahren als echte Streiter Christi ertrugen. Die meisten hielten bei ihren Gemeinden aus bis fast zum letzten Mann. Ihre Kirche wurde verwüstet und ausgebrannt, Kelch und Kruzifix gestohlen, der Altar durch eklen Unrat beschmutzt, die Glocken vom Turm geworfen und weggeführt. Da hielten sie den Gottesdienst in einer Scheuer, auf freiem Felde, im grünen Waldversteck. Wenn die Gemeinde zusammenschmolz, daß der Gesang der Zuhörer aufhörte und kein Kantor mehr die Bußlieder intonierte, da riefen sie den Rest ihrer Beichtkinder noch zur Betstunde zusammen. Sie waren stark und eifrig im Trösten und Strafen, denn je größer das Elend war, desto mehr Grund zur Unzufriedenheit fanden sie in ihrer Gemeinde. Häufig waren sie die ersten, welche von der Verwilderung der Dorfbewohner zu leiden hatten; Diebstahl und frecher Mutwille wurden am liebsten gegen solche geübt, deren zürnender Blick und feierliche Klage am meisten imponiert hatten. Ihre Schicksale sind daher vorzugsweise charakteristisch für jene eisernen Jahre, und wir sind glücklicherweise in der Lage, gerade von ihnen zahlreiche Aufzeichnungen zu besitzen, oft in Kirchenbüchern, denen sie ihr Leid klagten, während kein Mensch sie hören wollte. Aus solchen Notizen thüringischer und fränkischer Pfarrgeistlichen seien hier nur wenige Beispiele mitgeteilt.

Magister Michael Ludwig war seit 1633 Pfarrer zu Sonnenfeld. Dort predigte er im Walde unter freiem Himmel seiner Gemeinde, ließ sie mit der Trommel statt mit der Glocke zusammenrufen, und Bewaffnete mußten Wache stehen, während er predigte; acht Jahre hielt er so aus, bis seine Gemeinde ganz verschwand. Da rief ein schwedischer Oberst den tapfern Mann als Prediger zum Regiment; er wurde später Präsident des Feldkonsistoriums bei Torstenson und Superintendent zu Wismar. – Georg Faber, Prediger zu Gellershausen, hielt mit drei, vier Zuhörern Betstunden bei steter Lebensgefahr, stand jeden Morgen um drei Uhr auf, studierte und lernte seine Predigten von Wort zu Wort auswendig, schrieb dabei noch gelehrte Abhandlungen über biblische Bücher.

In den benachbarten Landstädtchen hatten die Geistlichen nicht weniger zu ertragen. In Eisfeld z. B. war seit 1635 Rektor Johann Otto, ein junger Mann, der erst geheiratet hatte; er hat acht Jahre in der allerschlimmsten Zeit mit noch einem Lehrer die ganze Schule halten müssen und dabei das Kantorat gratis versehen. Was seine Einnahme gewesen, kann man aus Notizen sehen, die der tüchtige Mann in seinen Euklid geschrieben hat: »2 Tage gedroschen im Herbst, 1 Tag im Holz gearbeitet 1646. 2 Tage gedroschen im Januar. 5 Tage gedroschen im Februar 47. ½ Tag geschnitten. 4 Hochzeitsbriefe geschrieben, item ½ Tag Hafer gebunden, 1 Tag geschnitten« usw. Er dauerte aus und stand seinem Amt 42 Jahre in Ehren vor. Sein Nachfolger, der große Lateiner Johann Schmidt, Lehrer des berühmten Cellarius, war unter die Soldaten geraten und las einst auf der fürstlichen Schloßwache in einem griechischen Dichter; das sah sein Offizier mit Erstaunen und meldete es Ernst dem Frommen, der ihn zum Lehrer machte.

Der Superintendent Andreas Pochmann ebendaselbst war als elternlose Waise mit zwei kleinen Brüdern von den Kroaten geraubt worden. Er rettete sich mit den Brüdern in der Nacht. Später wurde er als lateinischer Schüler wieder von Soldaten aufgefangen, zum Furierschützen und dann zum Musketier gemacht. In der Garnison aber studierte er fort, fand unter seinen Kameraden Studenten aus Paris und London, mit denen er das Lateinische übte. Einst blieb er als Soldat krank am Wachtfeuer liegen, unter seinem Ärmel die Pulvertasche und anderthalb Pfund Pulver, die Flamme erreichte den Ärmel und verbrannte ihn zur Hälfte; die Pulvertasche blieb unversehrt. Als er aufwachte, sah er sich allein im verlassenen Lager ohne einen Pfennig Geld. Da fand er in der Asche zwei Taler. Damit schlug er sich auf Gotha zu; auf dem Wege kehrte er zu Langensalza in ein einsames Häuslein an der Mauer ein, eine alte Frau nahm den Totmüden auf und legte ihn auf ein Bett. Es war die Pestwärterin, das Lager ein Pestbett, und die Krankheit wütete damals in der Stadt: er blieb unversehrt. Wie sein Leben, ist das seiner meisten Zeitgenossen voll von wunderbaren Lebensrettungen, plötzlichen Übergängen, unerwarteter Hilfe ebenso wie von Todesgefahr, Mangel und häufiger Veränderung des Ortes. Solche Zeiten muß man genauer ansehen, um zu verstehen, wie sich gerade in einer Periode, in welcher Millionen untergegangen und verdorben sind, bei den Überlebenden ein fatalistischer Glaube an die göttliche Vorsehung, welche auf wunderbare Weise in das Leben des Menschen eingreift, ausgebildet hat.


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