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Der Bey von Elba in Paris.

Sendschreiben des Türmers in der Hauptstadt an seinen Vetter Andres.

Die Stadt frühstückte. Aus ihrem tiefen Grunde stieg allerlei häßlicher, schmutzig grauer Dampf zu mir herauf. Als der zusammengeballt sich nun über meinen Turmknopf hinweg zu dem leichten goldnen Morgengewölk gesellte, als sei er seinesgleichen, da konnte ich sehen wie das Volk unter mir in den Straßen sich schwirrend drängte und trieb. Die Zeitungsbuben quiekten und kreischten, als trügen sie was Wunderbarliches zu Markte. »Neues Extrablatt, neues Extrablatt!« vernahm ich deutlich, das übrige behielt der Wind für sich, ohne es mir herauf zu tragen. »Lene« rief ich, und ließ den Strick, den ich schon zum Sturmläuten erfaßt, wieder fahren, »Lene, daß sie mir gut acht giebt, wenn es wo brennen sollte, und die Schläge richtig abzählt! – Reiche sie mir meinen Überrock und meine Sammtmütze.« Lene that es. Du weißt, lieber Vetter Andres, daß man der Magd, die fünfundzwanzig Jahre in Notfällen den Türmerdienst versehen, so etwas wohl vertrauen kann, getrost stieg ich daher herab von meiner Höhe. Als ich nun auf die Straße hinausschritt, da stürzte mir gleich der Gevatter entgegen und rief keuchend: »Wissen Sie es? – wissen Sie es bereits? – Er ist in Paris eingezogen – ungehindert!« – Wer denn? wer? frug ich ganz erstaunt. – »I mein Gott, Napoleon – Buonaparte – der Dey von Elba!« – So schrie der Gevatter und rannte von dannen. Du kannst glauben, lieber Andres, daß mir bei dieser Nachricht ganz besonders zu Mute wurde, ich kann es gar nicht sagen, welch eigne Gedanken mich durchkreuzten. Damals als ich Buonapartes Flucht von Elba erfuhr, beneidete ich zuerst meine Kollegen an den Küsten, die den entfesselten Drachen, wie er mit seinen Segeln, gleich aufgespreizten Schwingen, übers Meer fuhr, in weiter Ferne erspähten. Ich weiß es, meine Kollegen konnten sich gar nicht täuschen, denn kräuselten sich sonst die Wellen freundlich um Albions leicht beflaggte Gallionen, so fuhren sie jetzt zornig brausend auseinander, als der entfliehende Feind tiefe schwarze Wunden in der Mutter Brust einfurchte. Das sahen die klugen Kollegen und erkannten den Drachen und seine Brut die ihm folgte: – kleine gefräßige Tiere, Mückenfänger für des Drachen leckres Maul, die er, nachdem er die Beute genossen, am Ende selbst verspeiset. Ach Andres! – die Kollegen hatten große Freude, weil es nun wieder einmal nicht das Alltägliche, vielmehr etwas Besonderes war, was sie auf der Höhe erlugten, und wie geht es denn nun mit uns allen? – Überall regt und bewegt es sich im Volke. – Das Unerwartete, das Außerordentliche ist geschehen! Wahrhaftig, die große verhängnisvolle Zeit, die mit furchtbaren, zerschmetternden Donnerschlägen vorüberging, hat uns so robust gemacht, daß wir den Krystall des milden Morgenthaus nicht mehr achten, weil er nur funkelt und nicht brennt, nicht tötet wie der herabfahrende Blitz. Diese Zeit hegt nicht allein den uns angeborenen Sinn fürs Wunderbare, unsere Gier nach unerwarteten Ereignissen – nein – sie that mehr; sie überflügelte mit dem Ungeheuren, was sie geschehen ließ, unsre kühnste Einbildungskraft, sie hob uns gewaltsam empor und, gewöhnt an die schwindelnde Höhe, glauben wir nun schon zu sinken, wenn wir nicht immer und immer aufsteigen. –

Der Dämon entsprang aus dem Kreise in den ihn zu bannen endlich gelungen war, und mit dieser That schlug er an die ehernen Pforten seines entsetzlichen Reichs an, daß die Höllengeister aus der Ohnmacht erwachen und ihre blutigen Krallen ausstrecken sollen, nach allem Wahren, Rechten, Heiligen! – Das Spiel dunkler Mächte um Leben und Freiheit soll wieder beginnen, jenes grause Spiel, in dem innerer Kraft Hohn gesprochen wird und nur ein glücklicher Wurf gilt, der uns vom Verderben rettet. – Aber solche ernste finstre Gedanken sprachen doch gewiß nicht aus all den Gesichtern, die mir heute begegneten, und ich weiß selbst auch nicht, wie ich darauf gekommen bin, da ein besonderer heiterer Lebensmut leuchtend in mir aufgegangen war, als ich meinen Turm heraufstieg. Wollte Gott, lieber Andres, Du hättest gestern, vom höhern Geiste angeregt, den genialen Gedanken gefaßt, Stiefeln anzuziehen und zu mir herzuwandeln. Recht gesehnt habe ich mich nach Dir, als ich so einsam auf den Straßen umherlief, denn ich weiß, Du würdest die bunten tollen Erscheinungen die das emporgestiegene Gespenst hervorgelockt, mit manchem klugen Wort begrüßt haben. Ich für mein Teil blieb ganz stille, und verschloß alles in der innersten Brust: aber nachts darauf, lieber Andres, nachts darauf, als ich auf der Galerie meines Turmes stand, da trat es auf mich ein, wie ein seltsames seelisches Abenteuer, und ich weiß in der That nicht, wie ich Dir das so recht erzählen soll, damit Du nicht alles für eine von den Einbildungen halten mögest, von denen ich, wie Du behauptest, oft befangen werde, seitdem ich Türmer worden. – In dem dumpfen Sausen des Nordwindes hört' ich über mir tausend heulende Stimmen, es hallte aus der Ferne daher wie das Toben, wie das entsetzliche Mordgeschrei wilder Schlacht. Aus den finstern Wolken fuhren blinkende Heerhaufen heraus, anstürmend gegen den Mond, der wie eine Gottesstadt mit leuchtenden Zinnen fest und unbezwinglich ins blaue Himmelsmeer gebaut dastand. In wildem Getümmel kehren sich Schwerter, Lanzen gegen einander; Reiterscharen stürzen vernichtet in den Abgrund; überall Tod und Verderben! – Ach, Andres! all die grausigen Bilder der vergangenen Kriegesjahre gingen lebendig vor mir auf. Ich glaubte in den wundersamen Gebilden der Wolken über mir, tiefsinnige Zeichen der verschlossenen Zukunft zu erblicken. Ein kalter Todesschauer glitt durch mein Inneres und schnell wandte ich den Blick hinab auf die Stadt unter mir. Mein Turm warf einen langen schwarzen Riesenschatten über den Markt und über die Häuser, indem heller die Lichter aus den Fenstern herausleuchteten. Unerachtet Mitternacht schon längst vorüber, ging es doch noch überall lustig her, ich hörte Gläser erklingen und das verworrene Getöse des lauten Gesprächs. Wohl konnte ich denken, daß der der Rache entflohene Feind im Munde aller war, gar zu gern hätte ich in die Häuser hineinschauen und alles was gesprochen wurde deutlich vernehmen mögen. Belesenen Leuten, wie ich einer bin, fällt gleich alles am rechten Fleck ein; das weißt Du, lieber Andres! glaublich ist es Dir also, daß ich gleich an Le Sage's hinkenden Teufel dachte, der das Problem des Hineinschauens in die Häuser dadurch geschickt zu lösen wußte, daß er die Dächer der Häuser abhob. Hei! rief ich, wie müßt' es herrlich sein, wenn Freund Asmodi Hinkebein mir ein wenig die Dächer da wie einscharnierte Dosendeckel aufklappen wollte! »Das können Sie haben, werter Türmer,« schnarrte es neben mir. Es hatte sich längst neben meinem linken Arm so glänzend hinüber gelegt, ich hielt das für einen Mondstrahl, als ich aber jetzt nach der Stimme seitwärts hinblickte, sah ich wohl, daß das kein Mondstrahl, sondern ein kleines, kurioses, ganz gelb gekleidetes Männlein war, das mit spitzer, rötlich funkelnder Nase nur gerade übers Geländer der Galerie reichte und mich mit freundlich blinkenden Augen anlächelte, » Prenez, Bester,« rief er, indem er mir einen sauberen Dollond hinhielt. – Ich weiß nicht, ob Du, lieber Andres, schon jemals mit solchem wunderlichen Gefährten auf der Galerie eines Turmes gestanden hast, und Dich daher so ganz in meine Lage zu versetzen vermagst; vorstellen wirst Du Dir aber wohl, daß mir es ordentlich was weniges zu frösteln anfing.

Der Kleine nickte mir indessen mit solch komischer Gutmütigkeit zu, daß ich alles ängstliche Mißtrauen fahren ließ, den mir dargebotenen Dollond ergriff, und ihn sogleich auf ein hell erleuchtetes Kaffeehaus richtete, aus dem ein lautes Gespräch zu mir heraufschallte. Ich kann Dir gar nicht sagen, lieber Andres, wie herrlich das Perspektiv war, ich schaute nicht allein durch die Mauern hindurch, als wären sie von reinem Krystall, in die Häuser hinein, sondern ich verstand auch jedes Wort, als säße ich mitten in der Gesellschaft. »Nun werden die Zeitungen wieder interessant,« sprach ein kleiner dicker Mann, indem er, höchst zufrieden lächelnd, das neueste Blatt dem Nachbar hinreichte, der es mit begierigen Augen verzehrte. Noch ein anderer schien mit Ungeduld darauf zu warten, indem er ausrief: »Ja, ja, ja! nun giebt es wieder was Ordentliches zu lesen.« Während der eine nun das Zeitungsblatt in sich hineinarbeitete, schauten die beiden andern schweigend, und den Tabak in großen, krausen Wolken wegblasend sich mit zufriedenen freundlichen Blicken an. »Erlauben Sie, werter Türmer,« sprach Freund Mondstrahl, »erlauben Sie, daß während Sie sich mit Schauen belustigen, ich, als ein sachverständiger Cicerone, jedes Bild erkläre und erläutere auf das Sie Ihren Dollond gerichtet. Die drei Herren, welche dort das Zeitungsblatt so gierig einschlucken und über den Dey von Elba so höchlich erfreut sind, gehören zu dem sonderbaren Geschlecht der geistesarmen Müßlinge, die jede Neuigkeit auffangen wie einen bunten Strahl, der wenigstens auf den Augenblick ihr trübes, erdfahles Leben erleuchtet. Sonst waren sie mit dem Türkenkriege, mit einem Erdbeben, mit einer Feuersbrunst, mit dem gelben Fieber, wohl gar mit einer merkwürdigen Festivität oder Hinrichtung zufrieden, jetzt sind sie aber verwöhnt worden durch die Zeit, die oft mehr geschehen ließ als ihr blödes Auge erfassen konnte, aber sie ergötzten sich doch, wenn immer wunderbarer die verhängnisvollen Ereignisse sich drängten. Die Feierlichkeiten des Kongresses wurden ihnen langweilig, einigen tollen Tumult verlangten sie dringend, und haschten daher begierig in den Nachrichten jeden Moment auf, der wohl darauf hindeuten könnte. Jetzt hat der Dey von Elba dafür gesorgt. Ob Not und Elend sich in der Welt verbreiten, das ist ihnen höchst gleichgültig, solange ihr teures Selbst unangetastet bleibt. Sie müssen nämlich wissen, liebster Türmer, daß diese neuigkeitshungrigen, müßigleeren Gemüter die ärgsten Ichlinge sind, die es nur geben kann. – Doch Sie wenden den Dollond ab!« – Ich that das wirklich, denn ich empfand, indem ich die Zeitungsleser noch einmal scharf ins Auge faßte, in der That einigen Abscheu und Ekel. Bald traf mein Perspektiv eine andere Gesellschaft, in der es sehr laut herging. »Soeben,« rief mein kleiner Freund, »erblicken Sie, Werter, die höhere Potenz jener Mißlinge, nämlich wirkliche Politiker. Was kann ich aber da viel erläutern, da Sie doch wahrscheinlich den politischen Zinngießer auf dem Theater gesehen haben. Bemerken Sie wie jener, der soeben gesprochen hat und nur von dem Tumultuanten, der plötzlich aus der Ecke heraus die grimmigsten Hypothesen losknallte, übertäubt wurde, so ganz überaus schlau seinen Nachbar anlächelt. Dieser Schlaueste aller Schlauen hat alles längst vorausgesehen, seinem Blick werden die geheimen Fäden offenbar, die sich durch die ganze Welt ziehen. Er weiß alles und noch etwas mehr. Daher kommt es, daß ihm nichts rein als das was es ist erscheint, sondern immer erschaut er anderes, was allen verborgen geblieben. Dabei ist er natürlich mit jedem, was von Staats wegen geschieht, höchst unzufrieden, er kann es gar nicht begreifen, daß keinem der an der Spitze steht, sein hohes Ingenium einwohnt; daß kein Auge, dem seinigen an Kraft gleich, eben jene Fäden zu erblicken vermag. In der Gesellschaft die Sie soeben beschauen, lieber Türmer, finden Sie mancherlei Abarten der politischen Sucht. Jener Mann, der mit seltsamen Meinungen und fabelhaften Kombinationen die andern verblüfft und in gewisser Art den Präsidentenstuhl einnimmt, ist von zwei einander ganz entgegengesetzten Charakteren eingefaßt, wie Sie es auch schon aus den ganz verschiedenen Mienen beider ersehen können, da der eine ganz froh lächelt, der andere aber ein seltsames tiefsinniges Gesicht schneidet. Der Frohe ist ein gutes Gemüt, aus jeder Begebenheit spintisiert er lauter unerwartet Glückliches heraus. Er übertreibt das nun freilich, das Bittere der Täuschung trifft ihn jedoch nur selbst. Der andere ist ein trüber, häßlicher Unglücksvogel. Er hat bereits ein paar Karikaturen auf den Feind, die ihm zufällig zugekommen waren, da er dergleichen niemals kauft, heimlich verbrannt und Gold eingewechselt. Der Feind ist los, das ist genug, nun schon überall, selbst im entfernten Vaterlande, Krieg, Elend und Not zu wittern. Er glaubt, die fremden Soldaten die dort draußen erschlagen und eingeackert sind, werden, geweckt von dem Klange der zersprungenen Kette ihres Hauptmanns, wieder aufstehen und lustig mit dem Quickmarsch einziehen. Er ist überzeugt, daß« – Ach, unterbrach ich den Kleinen, ich mag diesen Unglücksvogel nicht länger anschauen. – »Wollen Sie aber,« fiel der Kleine ein, »noch schnell einen Blick auf jenen besondern Mann werfen, der soeben mit ängstlich fragender Miene hineintritt? – Dies ist einer von den kränkelnden Charakterlosen, die auf dem wogenden Meere der politischen Welt von jedem Lüftchen hin und hergetrieben werden. Er hofft, er verzweifelt, er ist beruhigt, erschrocken, voller Freude, voller Angst, er jubelt, er heult, alles in wenigen Momenten. Eigentlich ist es auch nur sein zartes Selbst, das er immer gefährdet glaubt, sonst könnte es gehen wie es wollte! – Sehen Sie doch ferner jene dunkeln Gestalten in der Ecke, die so bitter, so schadenfroh lächeln! Das sind« – Nein! nein! nein! rief ich schnell, indem ich den Dollond absetzte, diese mag ich nicht schauen, nicht aussprechen den verfluchten Höllennamen der sie bezeichnet, diese Teufel – Hier zwickte mich der Kleine am Arm, indem er schnarrte: »Ei, liebster Türmer, ich hoffe Sie brauchen dies Wort nur als rhetorische Figur! – Jene schwarzen Geister dort, erkenne ich durchaus nicht für solche an, die mit gutmütigen, nur etwas schalkhaften Leuten meines Standes« – Andres! mir lief es eiskalt über den Rücken, ich hörte gar nicht, was der Kleine weiter sprach, sondern richtete meinen Dollond auf einen hell erleuchteten Saal, in dem sich eine große Gesellschaft erlustigte. Ich erblickte junge Offiziere mit Ordenskreuzen geschmückt, bürgerlich Gekleidete, auf deren Brust jenes aus feindlichem Geschütz geprägte Ehrenzeichen prangte, an dem sich alle, die den großen Kampf um Vaterland und Freiheit kämpften, wie an einem Wahlspruch erkennen. Die Jünglinge ließen hell die Gläser erklingen und jubelten hoch auf. – Eingehegt lag das Untier, dem man die beißigen Zähne ausgestoßen. – Gönnt dem Ohnmächtigen das öde Lager, hieß es, da schlichen die Jäger trübe und unmutig umher. »Nicht zu Tode gehezt? Kein Streich hat das Untier tödlich getroffen? Kein Jagen mehr in milder Fröhlichkeit? Traut ihm nicht, traut ihm nicht! es lauscht und lauert im Gehege. – Da springt es heraus mit erneuerter Schnellkraft, und steht, im Walde zähnbläkend den Jägern gegenüber! – Frisch auf! frisch auf! – Neue Jagdlust! – Hussah! los auf das Untier! Durch Wald und Kluft – trefft es zum blutigen Tode!«

Im Zimmer neben an saßen ältere Männer. Auch hier gab es Uniformen und bürgerliche Kleider mit Orden und Ehrenzeichen. »Hören Sie, sagte ein bejahrter Mann zu seinem Nachbar, einem Offizier höheren Ranges: »hören Sie wie die jungen Leute jubeln, ohne zu bedenken wie viel uns die feindselige Krisis, die wieder aufs neue eingetreten, kosten kann. Sie freuen sich nur auf den Kampf, in dem sich freilich die innere Kraft, der jugendliche Lebensmut frischer regt und schüttelt.« Die elektrische Wirkung von Buonapartes gut berechneter, mit Blitzesschnelle ausgeführter That, erwiderte der Offizier, ist nicht zu verkennen. Der Jubel jener Jünglinge ist die reine Freude darüber, daß der letzte Akt des großen Schauspiels, in das sie handelnd eingriffen, nun wirklich aufgeführt werden soll. »Ich glaube Sie ganz zu verstehen, Herr Obrister,« sagte der alte Mann. Daß Sie wissen, was ich meine, nahm der Obriste wieder das Wort, davon bin ich überzeugt, denn auch Sie haben gewiß gefühlt, daß jene große Katastrophe nur mit des heillosen Tyrannen gänzlicher Vernichtung enden dürfte. Woher kam denn die Verstimmung, die uns alle niederdrückte, als der Tyrann besiegt war und seine Hauptstadt uns willig ihre Thore geöffnet hatte? Woher kam sie anders, als daß wir damals die großen entscheidenden Ereignisse vermißten, die wir als Schlußscene des ungeheuren Kampfspiels erwartet hatten. Wir fühlten damals deutlich, daß noch nicht alles geschehen war. Der Weltgeist belehrt uns jetzt, daß das, was wir für den unbefriedigenden Schluß der verhängnisvollen Periode zu halten geneigt waren, nur als kurzes Zwischenspiel galt, in das jene Mäßigung der Sieger, die manchen bittern Tadel erregte, gerade hineinpaßte. Vielleicht werden wir wiederum auf diese oder jene Art in den Strudel hineingerissen, den der arglistige Feind so bald er sich seiner nächsten Umgebungen ganz versichert hat, gewiß erregen wird. Aber hoch geht mir das Herz auf in froher Hoffnung, denn, mag es nun kommen wie es will, immer herrlicher wird der Geist des frommen treuen Heldenmuts sich offenbaren, der von uns ausging, die deutschen Völker um uns her entzündend. Immer mehr wird man erkennen was wir thaten und thun, und heller des Vaterlandes Glorie strahlen!« – »Wie sehr stimme ich Ihnen bei«, nahm ein anderer, der dem Obristen gegenüber saß, das Wort. »Wie sehr stimme ich Ihnen bei! – Noch steht es dahin, ob der Feind, bei allem anscheinenden Glück, doch nicht, auf diese oder jene Weise in seinen Unternehmungen plötzlich gehemmt, untergehen wird. Geschieht das, so gestehe ich, daß es mir so vorkommt als sei des Feindes unerwartete Erscheinung notwendig gewesen, um gewisse Räder der politischen Maschinen, die zu stocken schienen, in rascheren Gang zu bringen. Gelingt es aber dem Feinde aufs neue, alles in Gährung zu setzen, so ist mir das ein Beweis, daß noch starke Erschütterungen nötig sind, ehe die goldnen Früchte keimen und sich prangend erheben können in den reinen Äther. Überhaupt ist mir dieser Buonaparte immer das sichtbar schneidende Schwert der dunkeln geheimnisvollen Macht gewesen. Immer nur Werkzeug, nie Meister. Niemals habe ich in die schwindeligte Bewunderung geraten können, die, als er sich aufzuschwingen begann, alle Welt ergriffen hatte. In allem was er unternahm offenbarte sich mir zu dem anscheinend Großen eine seltsame Beimischung, die die Hauptfarbe der That in andere Farben schillern ließ, und den Eindruck zweideutig machte. Seine gigantischen Unternehmungen hatten etwas groteskes. Verlangen Sie nicht, daß ich das näher erläutern soll, aber Buonaparte ist mir oft vorgekommen wie ein umgekehrter Don Quixote und zwar in dem fortgesetzten Moment, wie er vor dem Käfig des Löwen steht und ihn herausfordert.« Wie viele, sagte der Alte, lassen sich aber noch jetzt von Buonapartes genialer Größe gar nichts abdingen. »Das ist natürlich«, antwortete der, der vorher gesprochen. »Das große dämonische Prinzip Buonapartes ist, daß alle Menschen entweder Schwächlinge oder Bösewichter sind, die mit Füßen getreten werden müssen auf diese oder jene Weise. Er hat die Kunst des Verblüffens in ein System gebracht und damit alles gethan; so wie er auf vereinten kräftigen Mut, auf wahrhafte Treue stieß, verfing er sich in seinen eigenen Schlingen. Aber jene Schwächlinge, jene elenden maulsperrenden Bewunderer der falschen Größe, die nicht aufhören können, wie Kaliban mit seinen trunknen Gesellen, nach dem Flittergold das auf der Schnur hängt zu laufen, und sollten sie darüber in den stinkenden Sumpf geraten, die können sich noch immer nicht von dem Erstaunen erholen, in das sie des arglistigen Abenteurers waghalsige Gewaltstreiche versetzten. Auf manchem Gesicht ist es jetzt wieder deutlich zu lesen: Ha! wie klug! wie kühn! wie wundervoll! Der Bettler, der den Schatz der ihm zu teil wurde auf eine Karte setzt, erregt Erstaunen; aber was kann ihm Schlimmeres begegnen, als daß er, schlägt die Karte um, auf sein Strohlager, in den gewohnten Zustand zurückkehrt. Der wahrhaft Reiche, von Jugend aus gewohnt des Lebens Güter zu genießen, wagt kaum solchen Wurf, denn er verliert, da jener nur gewinnen kann. Alles gleißende Gold, mit dem Buonaparte sich äußerlich zu schmücken versteht, kann sein innerliches moralisches Bettlertum nicht überstrahlen. In seiner Brust wohnt kein Vertrauen, kein Glaube, keine ritterliche Ehre – und doch –« »Ich weiß was Sie sagen wollen! – Können Sie es glauben, daß heute noch jemand mir ins Gesicht behauptete, Buonaparte sei nie geschlagen worden? Können Sie es glauben, daß man von seiner alles niederschmetternden Strategie sprach; daß man in dem Augenblick die auffallendsten Begebenheiten des letzten Krieges vergaß, wo Buonaparte nicht allein durch die bis in die fabelhafte Zeit des Rittertums gehende Tapferkeit unserer Truppen, sondern auch durch die strategische Kunst außer Fassung gesetzt und zur Flucht gezwungen wurde? Was soll man denn nun sagen?« – »Es sind eigentlich,« nahm der vorige wieder das Wort, »bemitleidenswerte Menschen, denn neben ihrer hohen Bewunderung stehen sie eine minorenne Angst aus, die sie nicht wenig peinigt. Noch ekelhafter sind mir aber die unlustigen kränkelnden Gemüter, die an allem Guten zu mäkeln und zu tadeln haben, die so lange wählen und wählen, bis sie die Stelle finden, wo sie das in ihrem Inneren reif gegorne Gift aushauchen können.« In diesem Augenblick trat durch die geöffneten Flügelthüren ein hoher, schöner Heldenjüngling mit dem gefüllten Pokal in der Hand hinein und rief: Ihr tapfern, mutigen Ritter des eisernen Kreuzes, laßt hoch leben den Königlichen Heerführer! – Vaterland und Freiheit! – Ein ehrwürdiger, mit vielen Orden geschmückter Greis hatte bis jetzt nicht gesprochen, sondern bald dem Gespräch zugehört, bald war er kräftigen jugendlichen Schrittes bis an des Saales Thüre gegangen und hatte mit funkelnden Blicken die jubelnden Jünglinge angeschaut; der stand jetzt auf und sprach mit feierlicher Stimme: Wohl ziemt es euch, ihr Ritter des eisernen Kreuzes, daß ihr wie ein auserwählter geprüfter Heerhaufen enger euern Kreis schließt. Euch war es beschieden, Thaten zu thun: aber wer von euren Waffenbrüdern hat nicht mit euch tapfer gekämpft, wer von ihnen hat nicht nach Thaten gedürstet? – Und auch der Bürger, der nicht mit euch in Kampf und Schlacht stand, hat getreu, wie es nun eben in seinem Berufe lag, an dem großen Werk unserer Befreiung vom schmachvollen ausländischen Joche gearbeitet? So sind wir denn nun alle durch die engsten Bande verknüpft – ein Volk! Keine Sonderung mehr! – Soldatenstand, Bürgerstand; wer kann sagen wo der eine aufhört und der andere anfängt? – Daher ihr Herren Ritter, schließt nur euren Kreis, aber ihr andern Herren allzumal umgebt im großen Kreise den kleinen Heerhaufen, der das Palladium des Vaterlandes trägt, welches ihr alle samt und sonders beschützen und Blut und Leben daran setzen werdet, es wider Gewalt und Arglist zu verteidigen. Und dann brüderlich euch umarmend, laßt hoch leben den königlichen Helden, Vaterland und Freiheit! Alles jauchzte auf in hellem Jubel. Es geschah wie der alte Heerführer gesprochen. Er trat in die Mitte, im engen Kreise um ihn herum hielten sich die Ritter des eisernen Kreuzes, und im größeren Kreise Bürger und Offiziere, bunt gemischt umschlungen. Die Gläser erklangen und im Saale erdröhnte es: Hoch, hoch, hoch lebe der königliche Held! Vaterland und Freiheit! – Da schrie ich von meinem Turm herab: Heil! Heil euch! Heil uns allen! – Wir haben eine feste Burg gebaut; hoch weht das Panier des Vaterlandes, ein Schrecken des arglistigen Feindes. Wie auch noch die dunkeln Mächte in das Leben treten mögen, mit heiterm Mut, den frommes Vertrauen, fester Glaube geboren, werden wir die finstern Schatten verjagen, und heller, höher auf funkelt des Vaterlandes strahlende Glorie!

Andres! nie habe ich es herrlicher, recht im Innersten gefühlt, was es heißt, solches erlebt zu haben, wie wir in der letzten Zeit.

Noch muß ich dir sagen, daß während ich vom Turm herabjubelte, mein kleiner Freund Mondstrahl mitsamt seinem wunderbarlichen Perspektiv verschwunden war, ich weiß selbst nicht wie? Den Dollond hätte ich gern behalten um dir ein besonderes Vergnügen zu machen, wenn du mich auf meinem Turme besuchst, aber, auch ohne das wunderbare Perspektiv meines kleinen Freundes, wirst du es erschauen können, daß es nur wenige unter uns giebt, die sich nicht in frischem, frohen Lebensmut regen und recht im Sonnenstrahl stehend, ruhig die fernen dunkeln Wolken aufziehen sehen. Lebe wohl, lieber Andres!

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