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Vermischte Schriften.

Über die Aufführung der Schauspiele des Calderon de la Barca auf dem Theater in Bamberg.

Als die Schauspiele des Calderon de la Barca durch die meisterhafte Schlegelsche Übersetzung in Deutschland bekannter wurden, erregten sie eine nicht geringe Sensation, wiewohl in ihre tiefe Romantik nur die wenigen eingehen konnten, welche mit wahrhaft poetischem Gemüt sich zu der unsichtbaren Kirche bekennen, die mit göttlicher Gewalt gegen das Gemeine, wie gegen den Erbfeind kämpft, und die triumphierende sein und bleiben wird. Die mehrsten und vorzüglich die Anhänger des jetzt herrschenden Bühnengeschmacks, konnten zwar den gewaltigen Geist, der in den Calderonschen Schauspielen mit grauenerregendem Kontrast sich ihrer Kleinlichkeit entgegenstellte, nicht wegdemonstrieren, betrachteten sie aber als eine Rarität aus der Zeit, wo nach ihren Begriffen die Schauspielkunst noch in der Wiege lag, und um so weniger ist es zu verwundern, daß kein Bühnendirektor die Bereicherung des Repertoirs durch Schlegels Meisterwerk auch nur ahnete. – Die Weimarer Bühne, die schon seit geraumer Zeit es sich recht ernstlich angelegen sein läßt, unser Theater aus der tiefen Erniedrigung, in die es versunken, zu erheben, und schon oft die Möglichkeit und Wirkung irgend einer scheinbar ganz außer der Sphäre unseres Theaters liegenden Produktion, den in Sinn und Geist beengten Direktoren größerer Bühnen praktisch bewiesen hat, gab bekanntlich zuerst den standhaften Prinzen mit Beifall, und nicht lange darauf wagte es die noch kleinere Bühne in Bamberg mit der Andacht zum Kreuz, und dann auch mit dem standhaften Prinzen und der Brücke von Mantible hervorzutreten. Unter kenntnisreichen gemütvollen Freunden des Theaters in Bamberg wurde, als die Aufführung der Calderonschen Schauspiele im Werke war, lange die Frage debattiert: ob man wohl auf ihre Einwirkung auf das Publikum rechnen könne, und welches von jenen Schauspielen am mehrsten dazu geeignet sei. Gerade die Andacht zum Kreuz, welche bestimmt war, zuerst auf die Bühne gebracht zu werden, erregte den größten Zweifel, und gerade dieses sprach in der Folge das große Publikum, von dem doch bei dem Urteil über Theatereffekt nur die Rede ist, am mehrsten an. – Ein Publikum, das Schauspiele, wie die des Calderon, in ihrer vollen Schönheit und Stärke auffaßt, das in das Ganze und Einzelne tief eingeht, dürfte wohl nicht so leicht gefunden werden, indessen möchte doch eins vor dem andern fähiger und williger sein, die Idee, die Tendenz des Stücks zu begreifen, und sich von der Gewalt der Sprache, von dem Fluge der kühnen, fantastischen Bilder fortreißen zu lassen; und eben diese größere Fähigkeit, vorzüglich aber den bessern Willen glaubte man bei dem Bamberger Publikum voraussetzen zu können, weil es nicht verbildet, von dem theatralischen Genuß noch nicht übersättigt, und – katholisch fromm ist. Eben dieses letztere, der in Bamberg herrschende Katholizism, war die Ursache, daß die Galerie, ebensogut wie Logen und Parterre, gleich bei der Exposition vorzüglich nach der Herz und Gemüt gewaltsam ergreifenden Erzählung des Eusebio von den Wundern des Kreuzes, die der Andacht zum Kreuz zum Grunde liegende echtkatholische Idee verstand, und mit steigendem Interesse den Faden des Stücks sich entwickeln sah. Unter dem Kreuze wurden Eusebio und Julie geboren, das Kreuz flehte die Mutter in der angstvollen Stunde der Geburt um Hülfe an, und sichtbar empfingen sie das Zeichen der Gnade in der Gestalt des blutroten Kreuzes auf der Brust. Nun war das Leben mit seinen feindseligen Verwicklungen nur der finstere Weg zu der Sonnenhelle, die ihnen entgegen leuchtete. Vergebens kämpfte der Feind, und stürzte sie überall in Not und Gefahr; dem Kreuze blieben sie treu, und ihre Verklärung aus allem Tod und Leiden war der Sieg, der Triumph des Kreuzes. Ist diese Idee des Stücks verstanden, so tritt auch dem großen Publikum seine Einheit, sein innerer Zusammenhang und sein hohes historisches Interesse lebhaft hervor, und es behauptet auch in dieser Hinsicht seinen über so manches moderne Machwerk, das vor lauter Effekt effektlos wird, so hoch erhabenen Rang. Um dem Schauspiel einen desto gewisseren Eingang zu verschaffen, mußte für äußeren Schmuck gesorgt werden, der jener Idee, in der sich das ganze Stück konzentriert, nicht allein angemessen sein, sondern dieselbe auch noch mehr herausheben sollte. Wie beschränkt kleine Theater sind, wo der Platz und das Geld so zu Rate gehalten werden muß, weiß wohl jeder Kenner der Bühne, indessen erreicht das Anständige, wodurch jede Störung der Illusion vermieden wird, und manche sinnige Einrichtung oft mehr den Zweck der theatralischen Erhebung und Täuschung bei dem Zuschauer, als prächtige Dekorationen und Maschinerien, die nicht am Orte stehen, oder der Tendenz des Stücks nicht entsprechen. – Auf jene Weise wurde der Tod des Eusebio, seine Beichte und Absolution, sowie seine und Julias Verklärung, dem Zuschauer durch folgende Einrichtung versinnlicht. Eusebio erscheint in der rauhen, felsigten Gegend, zu deren Muster dem Dekorateur eine Partie aus der Sierra Morena gedient hatte, von den Landleuten verfolgt, auf der Spitze eines Felsen, der im Mittelgrunde des Theaters angebracht, beinahe dessen Höhe erreichte, und stürzt hinab. Die Landleute finden den zerschmetterten Leichnam, und begraben ihn unter dichten Zweigen, aus denen das dumpfe angstvolle: »Alberto!« hervortönt. – Als Alberto die Zweige weggenommen, richtete sich mittelst einer durchaus nicht bemerkbaren Maschinerie Eusebio langsam in die Höhe, und sank ebenso, nachdem er die Absolution erhalten, in sein Grab zurück. Die Wirkung dieser einfachen Idee war, nach der tiefen Totenstille, die jedesmal im Theater bei dieser übrigens stummen Scene herrschte, zu berechnen. – Als Julia zuletzt das Kreuz, welches in dem Hintergrunde des Theaters angebracht war, umfaßte, verschwand ihr männlicher Anzug, und man sah sie in Nonnentracht an dem Kreuze knieen, das sich mit ihr in die Lüfte erhob. Die Wolken teilten sich, und wie in einer Strahlenglorie erschien Eusebio mit sehnsuchtsvoll nach Julia ausgestreckten Armen. Um so zweckmäßiger und so wirkungsvoller war diese im Schauspiel nicht angedeutete Einrichtung, als der eigentliche Schluß desselben, nämlich Eusebios und Julias Verklärung als ein Mirakel sinnlich dargestellt wurde, und es ganz in dem Geist des Katholizism liegt, die Sinne bei der symbolischen Darstellung des Übersinnlichen in Anspruch zu nehmen. – Merkwürdig war es gewiß, wie der Ruf von dem heiligen Schauspiel sich nach jeder Aufführung mehr verbreitete, und ein Publikum in das Theater zog, das man sonst nie darin gesehen hatte. Alte Bürger mit ihren Frauen, die es sonst für sündlich geachtet hätten, das Theater zu besuchen, entschlossen sich, hineinzugehen, wobei sie nicht vergaßen, den Rosenkranz mitzunehmen, und mehrere Bänke des Parterres waren oft mit Geistlichen besetzt. Überhaupt fand bei jeder Aufführung eine sichtbare Rührung und Erhebung statt, und um so mehr ist dies nur dem Schauspiel, und nicht vielleicht der glanzvollen Darstellung der Schauspieler zuzuschreiben, als, außer dem Eusebio, der trefflich ausgeführt wurde, die übrigen Partien, vorzüglich der Gil, gar viel zu wünschen übrig ließen. Kurz, die Andacht zum Kreuz erregte eine wahre Andacht, und dies möchte zur Zeit wohl eine seltene Erscheinung im Theater sein. Unter den neuen sogenannten gangbaren Stücken findet dieses Schauspiel gar keinen Maßstab, nach dem es gemessen werden könnte: die Personen sind nicht mit Stand und Charakter individualisiert, und erhalten dadurch eine gewisse Allgemeinheit; um so weniger wird aber der Zuschauer zerstreut, und von der Haupttendenz zur Betrachtung des Einzelnen hingezogen. Darin mag es eben liegen, daß die Tendenz des standhaften Prinzen nicht so allgemein, nicht so klar von dem großen Publikum aufgefaßt wurde. Hier erscheinen Fürsten, Könige etc.; der Zuschauer (es ist immer von der Masse des Publikums die Rede) denkt an ein Ritterstück, und sein Urteil ist befangen. Manche fanden es für einen Prinzen und Helden, wie Don Fernando, nicht anständig, sich so tief vor dem König zu erniedrigen, und bewiesen dadurch, daß sie die Idee des Stücks, das Märtyrertum Don Fernandos, der standhaft im Glauben jede Schmach erduldet, nicht aufgefaßt hatten. Übrigens fand indessen auch dieses Schauspiel bei dem Publikum den besten Eingang, und wurde mehrmals bei besetztem Hause wiederholt. Dekorationen und Maschinerien, die im Stücke nicht vorgeschrieben, aber im Geist des Ganzen angeordnet waren, dienten den Zuschauern zum besseren Verständnis, denn auch hier wurde Don Fernandos Verklärung sinnlich dargestellt. Dem Sarg entschwebte, sobald er von den Mauern von Tanger herabgelassen, sich in den Händen der Christen befindet, Fernandos Luftgestalt: gleich darauf rötet sich der Himmel, und man sieht die Gestalt des auf Wolken thronenden Christus, vor dem Fernando knieet. Diese Erscheinung war ganz luftig und durchsichtig, so daß man die Gegenstände hinter ihr (Mauern, Türme etc. von Tanger) wie im Nebel gewahr wurde, und so schien das Ganze nur der Reflex eines himmlischen Schauspiels, das die Mohren zu Boden schlug, von den Christen aber in knieender Anbetung betrachtet wurde. Sowie bei Julias Emporsteigen mit dem Kreuze, ertönten auch hier feierliche Accorde aus weiter Ferne. Weniger interessierte die Brücke von Mantible, und das wohl aus dem Grunde, weil der Geist der Chevalerie, den dieses Schauspiel atmet, dem großen Publikum ganz entfremdet ist; unsere Bühnenritter, die sich gar unziemlich gebärden, sind wohl nichts weniger als jene romantische Chevaliers, die sich so keck und mutig in Liebe und Krieg bewegen, und der Ritterzug Kaiser Karls gegen den prahlenden Mohren Fierabras, der grüne Fluß, die magische Brücke, alles kommt dem Zuschauer vor, wie es wirklich ist, nämlich – spanisch. Dieses herrliche, romantische Schauspiel mit seinen Maschinen und Dekorationen erfordert ein großes Theater, aber hier dürfte es seinen Effekt nicht verfehlen. Selbst auf der kleineren Bühne in Bamberg wirkte, unerachtet des beschränkten Raumes die entstehende und verschwindende Brücke, die Erscheinung des riesenhaften Fierabras in dem Kastell, das auf dem ungeheuern Kopf eines bronzenen Zwerges aus dem Wasser hervorragt, und den Schluß der Brücke macht, imposant, und dürfte im Großen nachgeahmt zu werden verdienen.

Die Bahn ist nun einmal gebrochen, und es wäre ein verstocktes Beharren bei dem gewöhnlichen Theaterschlendrian, wenn mehrere Bühnen sich nicht entschließen sollten, den in Bamberg mit glücklichem Erfolg gemachten Versuch zu wiederholen. Jedes kleinere Theater, dem auch nicht außerordentliche Kräfte zu Gebote stehen, wird die Andacht zum Kreuz mit Glück aufführen können, sobald es nur dahin gebracht wird, daß die Schauspieler ihre Rollen nicht konversationsmäßig, sondern mit Verstand, Gemüt und Beachtung des rhythmischen Verhalts sprechen, daß die ganze Darstellung ineinander greift, und daß der äußere Schmuck des Stücks anständig und sinnig angeordnet ist. Der standhafte Prinz ist für das Personal offenbar eine schwerere Aufgabe, und die Brücke von Mantible erfordert ein Publikum, dem die höhere Ausbildung, die Aneignung des romantischen Geschmacks, ein Auffassen des Geistes der Chevalerie das ersetzt, was bei den früher genannten Schauspielen in einem katholischen Publikum schon die Erziehung und der Glaube von selbst hervorbringt. Eben deshalb dürfte sich die Brücke von Mantible für das Theater einer großen Stadt eignen, welches statt mancher sinnlosen Mißgeburt, für die Neugierde des Volks erfunden, dieses geniale Meisterwerk als Spektakelstück geben, und so den Kenner und das Volk befriedigen, und sich um die Verbesserung des Bühnengeschmacks verdient machen könnte. In Bamberg wurde bei dem Schluß des Schauspiels nach der Besiegung des Fierabras die durch höllische Künste gebaute Brücke gesprengt, und dies ist nachzuahmen, denn mancher geht vielleicht bloß dieser Explosion zu Ehren in das Theater, und bekommt nebenher Dinge zu hören und zu sehen, die ihn am Ende ansprechen und erfreuen, sowie manche geistig Erstarrte bei fortdauernder schöner Musik aus ihrer Erstarrung erwachen.

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