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Beethovens Oratorium »Christus am Ölberge«.

Das Oratorium, sein Begriff, Sinn und Zweck wird uns klärer, wie es scheint, wenn wir es mit dem Drama zusammenstellen und die gegenseitigen Verhältnisse beider etwas näher betrachten. Es verhält sich dasselbe nämlich zum Drama wie die Erzählung zur Begebenheit; und der Dichter und Tonsetzer desselben wie der Redner zum Schauspieler. Das Drama stellt uns eine Begebenheit vor, die wir erst in der Vorstellung kennen lernen sollen, die uns überraschen muß, wie etwas, das soeben vor unsern Augen geschieht: das Oratorium hingegen spricht von einer Begebenheit, als einer solchen, die uns schon bekannt ist, von der uns aber nun die innern Beweggründe, die sie begleitenden Gefühle, anschaulich gemacht werden – ist eine lebhaftere Erinnerung an schon Vernommenes.

Nimmt man dieses an: so ergeben sich daraus die Verhältnisse des Dichters und Tonsetzers. Während beide beim Drama unvorbereitet zu sprechen, in ihren Empfindungen vom Gange der Handlung geleitet und abhängig scheinen wollen, zeigen sich beide im Oratorium absichtlich als vorbereitet, wie der Redner, und nach einem vorher entworfenen Plane mit bestimmten Gefühlen den Gang der Begebenheit auf bestimmte Gefühle leitend. – So neigt sich das Oratorium, indem es nicht eine unbekannte Begebenheit erzählen, sondern eine bekannte als Mittel gebrauchen will, gewisse Empfindungen zu erregen – mehr zu erschöpfender Tiefe, während das Drama mehr das Weite und Breite der Darstellung im Vergegenwärtigen der Begebenheit sucht. – Daher muß der Stoff des Oratoriums einfacher, und keine eigentliche Begebenheit in weitem, ausführlichem Zusammenhange, sondern vielmehr ein wichtiger, belehrender, tiefe Gefühle anregender Moment, aus der Begebenheit aufgegriffen, sein. Er soll konzentrisch bearbeitet werden; das Drama hingegen eine exzentrische Entwicklung von Sukzessionen aus genügendem Grunde und Anfangspunkte darbieten, die sich nun in eine anschauliche Peripherie verbreitet.

Wir sehen demnach den Wirkungskreis des Künstlers hier bei weitem beschränkter als in dem Drama, und folglich auch in der Oper; und weder Poesie noch Musik darf in dem Grade und Sinne dramatisch sein, wie sie es dort ist. Die Oper stellt uns Begebenheiten und die sie begleitenden Gefühle dar: das Oratorium leitet die Begebenheit auf ein Hauptgefühl; es bestimmt den Künstler, das Mannigfaltige der Begebenheit zur Einheit eines Gefühls zu vereinbaren. Wenn schon hierdurch die Aufgabe erschwert wird, so wird sie es noch mehr dadurch, daß das Oratorium bloß durch sich selbst befriedigen muß, indem ihm die Künste der Mimik, und was zur äußern Versinnlichung gehört, nicht zur Seite stehen. Dichter und Tonkünstler haben es ganz allein mit dem Publikum zu tun. Der Dichter wird nun zuerst den Plan des Ganzen so entwerfen müssen, daß der Komponist mit Leichtigkeit die Einheit des Gefühls auffassen und durchführen kann; dann muß er diesem Gelegenheit bieten, jener Einheit, durch Mannigfaltigkeit, auf sie bezogen, Neuheit, Reiz und Abwechslung zu geben, durch Kontraste das Hauptgefühl zu heben usw., ohne jedoch durch diese Abwechslung jene Einheit des herrschenden Gefühls selbst zu stören. Versäumt er das Erste, so kann der Komponist auf nichts Bestimmtes, auf kein Ganzes, kein Werk hinarbeiten, folglich den Empfindungen der Zuhörer keine positive Richtung geben, mit allem zusammen keinen sichern und bleibenden Totaleindruck erreichen; läßt er es am Zweiten fehlen (an Abwechselung, an Kontrasten etc.), so muß Leere, Trockenheit, Langweiligkeit entstehen, welches denn auch nur allzu oft der Fehler gewöhnlicher Oratorien und Kirchenkantaten ist – der Fehler, durch welchen die ganze herrliche Gattung nach und nach leider so viele ihrer Freunde verloren hat.

Dies nun vorausgesetzt, kommen wir auf das hier dargebotene Werk selbst, und machen von der letzten unsrer Bemerkungen gleich zuerst die Anwendung.

So schwer sich der uns unbekannte Dichter in manchem andern Betracht versündigt hat, wovon wir bald weiter sprechen müssen: so gestehen wir ihm doch gern zu, daß er vornämlich den zweiten Fehler, wahrscheinlich der Musik mehr kundig, als der Poesie, klüglich vermieden habe. Im Gegenteil hat er dem Komponisten häufig Gelegenheit gegeben, eine Mannigfaltigkeit lebendiger und tiefer Gefühle auszudrücken, wodurch denn auch das Ganze einen seltenen Reichtum, eine große Fülle, viel Abwechslung, und ein Interesse erhält, das nie sinkt, im Gegenteil immer höher und höher gesteigert wird.

Ein so kräftiger, vielumfassender, in seiner Kunst tiefsinniger Geist, ein so warmes, reizbares, lebensvolles Herz, wie Beethovens, konnte nun keine, auch der geringern Andeutungen des Dichters unbeachtet lassen; und wir sehen den Komponisten auch wirklich durch das ganze Werk alles, wozu jener nur einen leichten Fingerzeig gab, auffassen, und lebendig und wahr darstellen. Aus dieser rühmlichen Übereinstimmung nun ist zuvörderst die Wärme, Frischheit, Kraft und Fülle entstanden, die jeden ergreifen muß, der das Werk würdig ausführen hört, und in dessem Innern sich nur die allgemeinen Bedingungen, durch Dicht- und Tonkunst gerührt und begeistert zu werden, vorfinden. – Daß übrigens das Gedicht an sich, abgesehen vom Verhältnis zur Komposition, in Hinsicht der Anordnung des Ganzen und der Ausführung des Einzelnen, besonders gegen den Schluß, sehr leicht um vieles hätte besser gemacht werden können; daß auch Diktion, und oftmals sogar Szansion, wesentliche Mängel zeigen, die man beklagen muß, ist unleugbar. Sowohl in der Ansicht und Auffassung des Ganzen, als eines Werks der Poesie, als auch in Ansehung der Sprache, hätte der Dichter weit besser getan, wenn er geradezu dem adeligen Klopstock in denselben Szenen nachgegangen wäre. Wir werden des Gedichts in der Folge nur insoweit gedenken, als es bei näherer Betrachtung der Musik unumgänglich ist.

Das Ganze ist für eine Tenorstimme, Christus, eine Sopranstimme, ein Seraph, und eingeflochtene Chöre der Engel, der Kriegsknechte und der Jünger, eingerichtet. – Wenn die Ouvertüre das Hauptgefühl konzentriert aussprechen soll, welches das ganze übrige Stück zunächst beleben wird: so ist, schon in dieser Hinsicht, die vorliegende ein Meisterstück. Christus am Ölberge ist der Inhalt des Werks; Christus mithin in dem Moment, wo der Entschluß, sich selbst zu opfern, zwar fest in ihm steht, aber die menschliche Natur, bei der drängenden Nähe des entscheidenden Augenblicks, sich dagegen sträubt, vor dem Tode, und den schmählichen Verhältnissen eben dieses Todes, schaudert; der Kampf des Göttlichen und Menschlichen sein Höchstes erreicht, und endlich jenes dies glorreich besiegt. Dieses, so wie das Dunkele, Erhabene, Heilige dieses ganzen Moments der Erlösungsgeschichte, hat der Komponist unverkennbar vor Augen und im Gefühl gehabt, indem er diese, wiewohl nicht eben lange Ouvertüre verfasset. Mit wahrhaft feierlichem Ernst verweiset er beim Anfange alle höhere Instrumente zum Schweigen, und läßt nur die Fagotte, in ihrer tiefsten Oktave, die Hörner, die Tenor- und die, erst mit dem letzten Viertel hinzutretende Baß Posaune, sämtlich im Einklange, einen gebrochenen Akkord angeben; und zwar den Akkord der Tonart, von welcher Schubart (Charakteristik der Töne) in seiner energischen Sprache bemerkte, wenn Gespenster reden könnten, so müßten sie aus dieser Tonart, mit ihren frostig packenden, erschütternden Klängen, sprechen – nämlich Esmoll: |  Es, ges, Symbol, piano. Die Wirkung dieser wenigen – der einfachsten Noten bei der Ausführung ist wahrhaft wunderbar und groß; sie fordern unabweislich zur feierlichen Erwartung von etwas Erhabenem und Heiligem auf. Nun deutet der Künstler, in einem Satze von vier Takten, Adagio, mit einem Ruhepunkte, auf die sanfte Ergebung im Charakter des Erlösers. Der Satz ist im Sechsachteltakt in einer zarten, singbaren Figur geschrieben, und seine Wirksamkeit wird noch um vieles dadurch erhöhet, daß er eben auf jene Takte, Grave, folgt und erst nur durch die vier Saiteninstrumente, ganz schwach, gebunden, und mit Dämpfung, vorgetragen wird. Im 3ten Takte treten die Blasinstrumente hinzu und geleiten den Satz zum Ruhepunkte in der Dominante. Aber wie sich in dem Gemüte des Leidenden gegen den nun ruhig gefaßten Entschluß der Aufopferung seiner selbst die begrenzte menschliche Natur mächtig erregen muß: das ist vom Komponisten, erschütternd und schön, durch starke und wieder geschwächte Hornstöße, mit geschärften und punktierten Noten, im Einklang auf der Tonika, angedeutet, welches nur durch die Saiteninstrumente, ohne Kontrabaß, gedeckt wird, und zwar in nachgezogenen Achteln, wozu das eindringliche Horn immer die guten Taktteile, stark markiert, vorschlägt. So gibt es gleichsam das Signal zum Kampf beider Naturen: denn gleichsam auf dies Anrufen werden die Instrumente unruhig; die Blasinstrumente treten herzu, und es erfolgt ( Crescendo nel forte) ein anschwellender, immer mehr dringender Zusammenklang, der zwar gleich in der ersten Note des 4ten Takts abbricht, aber nur, damit die Pausen dieses Takts durch sechs einzelne, dumpfe Paukenschläge desto schauerlicher ausgefüllt werden können: worauf klagend, singbar, die Saiteninstrumente wieder eintreten. War die Spannung bisher schon hoch, so wird sie durch die tonlosen Pausen des 3ten Takts, die abermals von sechs dumpfen Paukenschlägen ausgefüllt werden, noch höher. Nun aber muß sie auch gelöset werden, um nicht ans Peinliche zu grenzen. Sie wird gelöset, und zwar auf eine überraschende Weise. Ein schauerliches Erzittern ( tremolo) der Saiteninstrumente in Vierundsechzigteil-Noten brauset fortissimo durch die mittlern Oktaven herauf, und wird durch die lauten und scharfen Klagetöne der Blasinstrumente unterbrochen. Der Streit in effektvollen Gegensätzen wird fortgeführt, und besonders hinreißend, wo die Saiteninstrumente zwar erzittern, aber die Blasinstrumente in abwechselnden Solosätzen unbeschreiblich zarte Melodien auffassen, und sie bald in Verbindung mit einander, bald einzeln, fortführen. So wird das Ganze gleichgroß und trefflich erscheinen, man mag es als Seelengemälde oder als Kunstwerk an sich betrachten. Die Ouvertüre verhallet endlich ganz schwach in der Schlußnote, welche zugleich den Vorschlag zum ersten Rezitativ ausmacht.

Unstreitig hätte der Dichter besser getan, wenn er das Oratorium mit einem Trauerchor der Engel beginnen lassen; ein Rezitativ bleibt immer ein nüchterner Anfang. Er hält sich an das ganz gewöhnliche Kirchenbild: Christus allein im Gebet, der herabsteigende Engel, die Jünger schlafend im Hintergrunde. Weit bedeutender und wirksamer wäre es gewesen, beim Anfang die Engel vom großen Werk der Erlösung in geheimnisvoller Trauer sprechen zu lassen; worauf Christus mit den Jüngern sich genahet, diese (in einem Ensemble) ihn ihrer Treue versichert, Er ihnen Wachsamkeit empfohlen hätte usw., eben wie die Szene beim Matthäus einfach, edel und spannend erzählet wird. Selbst durch das dreimalige Gebet und Zurückkehren des Heilands zu den Jüngern, bis er sie zum letztenmal schlafend findet, wäre die Szene am Ölberge nicht nur recht eigentlich dargestellt, sondern zugleich eine Menge kräftiger und mannigfaltiger Motive für den geistreichen Komponisten entwickelt worden. – Allein, dies ist nun einmal nicht geschehen; und selbst das erste Wort, womit der Dichter den Heiland seinen himmlischen Vater anreden läßt, (Jehovah! nicht, wie es sein mußte, und auch beim Matthäus ist: mein Vater –), wurde unglücklich gewählt. Man kann wohl annehmen, daß Beethoven das Nüchterne dieses Anfangs empfunden, und eben darum die Ouvertüre nicht nur überhaupt so bedeutend, sondern auch so bestimmt charakterisiert geschrieben hat; so daß sie allerdings als Entschädigung und Eröffnung der Szene selbst angesehen werden kann. In dem Rezitativ selbst hat indessen der Komponist, vorzüglich in Ansehung der Instrumentation, ein Meisterstück geliefert. Der erste Satz: Jehovah, du mein Vater! o sende Trost und Kraft und Stärke mir! geht durch drei Takte ohne alle Begleitung: und nun treten ganz leise die Saiteninstrumente ein und füllen im Zwölfachteltakt die bedeutende Pause in der Rede mit gehörigem Ausdruck aus. Von tiefer Wirkung durch neue und eigentümliche Instrumentation ist der folgende Satz: Sie nahet nun, die Stunde meiner Leiden. Das Rezitativ bewegte sich in C moll; das Wort, Leiden, kömmt aber auf die Noten ges, ges, und mit ihnen lassen sich ganz schwach sieben einzelne Paukenschläge hören, wodurch die kleine Terz gebildet wird. Erst das siebente Achtel wird durch das ges der Saiteninstrumente, mit gelöseten Dämpfern, aufgenommen, und der Kontrabaß gibt nachdrücklich sein ces in wiederholten Achteln an, und leitet mit dem letzten B in das folgende Allegro ein, wo das Rezitativ, bei den Worten: Von mir erkoren schon, noch eh' die Welt auf dein Geheiß dem Chaos sich entwand – einen raschern Gang in Es dur annimmt. Es folgt ein trefflicher, in einem hier anwendbaren Sinne des Worts, dramatischer Instrumentalsatz, welcher in den ersten vier Takten ( Allegro, crescendo nel forte) das Gesagte bezeichnet und in dem folgenden ( maestoso, fortissimo) in geschärften Noten mit allen Instrumenten auf das Kommende vorbereitet: Ich höre deines Seraphs Donnerstimme! Sie fordert auf, wer statt der Menschen sich vor dein Gericht jetzt stellen will. Dieser Rede folgt dieselbe erschütternde Bewegung der Instrumente, wie vorher. Nun, unter Begleitung von halben und ganzen Schlägen der Saiteninstrumente: Vater! ich erschein' auf diesen Ruf! Vermittler will ich sein – ich büße – ich allein – (den Nachdruck der Worte: ich allein, zu bezeichnen, tritt Allegro ein, mit drei stark abgestoßenen Viertelnoten –) der Menschen Schuld. Schön und sehr bezeichnend werden die folgenden Worte in einem Adagio durch ein Tremolo der Geigen und Viole in Zweiunddreißigteil-Noten begleitet: Wie könnte dies Geschlecht, aus Staub gebildet, ein Gericht ertragen, das mich – ( crescendo) mich, deinen Sohn, ( ) zu Boden drückt? Während dieses Tremolo behaupten die erste Flöte, die erste Hoboe und der erste Fagott in abgebrochenen, scharfen Figuren im Einklange mit dem Basse eine eigene, durch halbe Töne fortschreitende und Mitleid ausdrückende Melodie, die, durch Pausen unterbrochen, nur desto eindringlicher wird. Ein Adagio agitato von fünf Takten, bloß für die Saiteninstrumente, in nachgeschlagenen Achteln, bei verschlagendem Baß, bezeichnet treffend die Worte: Ach sieh, wie Bangigkeit, wie Todesangst, mein Herz mit Macht ergreift. Eben so wahr gedacht und tief empfunden ist der Satz zu den Worten: Ich leide sehr, mein Vater! o sieh, ich leide sehr! erbarm' dich mein! ( Adagio molto, a tempo). Die Violinen haben in jedem ersten halben Takte schwach gezogene Viertelnoten, die in jeder andern Hälfte auf einem halben Schlage ruhen, der dann jedesmal von Hoboen, Viole und Violoncell verstärkt wird, indes die Bässe in jedem Takte nur das erste gute Taktteil vorschlagen. Diese Figur behauptet sich durch den ganzen Satz und wird nur in der letzten Hälfte durch Beitritt der Flöten und Fagotte, und im Fortissimo, noch mehr gehoben.

Jetzt beginnet die Arie: Meine Seele ist erschüttert – gewiß eine der ausdrucksvollsten aller Arien dieses Charakters und dieses Inhalts. Ein Ritornell von acht Takten malt diese Erschütterung tief ergreifend. Wir machen im einzelnen hier auf die übersteigende None und ihre Wirkung aufmerksam. Die erste Violin tremuliert durch das ganze Ritornell auf dem Doppelgriffe des tiefsten und mittlern g, während die zweite, Viole und Baß, in Achteln, ohne Vorschlag, aber mit der Vorstechpause, in as überspringen. Schade, daß wir in diesem vortrefflichen Satze einige Fehler in der Schreibart rügen müssen! Die ersten fünf Takte sind durch haltende Noten der Blasinstrumente, vorzüglich der Hörner, gegen die übersteigende None genugsam gedeckt: aber schon im vierten Takt verlassen Flöte, Hoboe und Fagotte ihre ruhige Stellung und fangen zu steigen an. Noch hat dieses nichts zu bedeuten, da die zweite Violin und Viole nur in der tiefen Oktave überstiegen: aber im sechsten Takte, wo sie ihre erste Stellung ganz verlassen und in der mittlern Oktave wirklich über die erste Violin treten, die Hörner aber, zwischen Pausen, nur die guten Taktteile anschlagen, bekömmt das Ganze etwas Hohles, Nacktes, Zerrissenes, was der Empfindung äußerst unangenehm auffällt. – Von imposanter Wirkung ist die Stelle, gleich nach den Worten: Wie ein Fieberfrost ergreifet mich die Angst beim nahen Grab. Klarinetten und Fagotten beginnen in auf- und absteigenden Achteln einen sehr traurigen Gesang, der dann von den Saiteninstrumenten allein fortgeführt, und von den Hörnern auf der verdoppelten Tonika, in Form eines Orgelpunkts, unterstützt wird. Hierzu nun die Worte, welche den ersten Abschnitt der Strophe schließen: Und von meinem Antlitz träufet, statt des Schweißes, (!) Blut herab! Gleich nach ihm folgt ein orgelmäßiger, sehr singbarer Satz, bloß den Blasinstrumenten anvertraut, welcher auf das unmittelbar Folgende vorbereitet, wo er nun von den Saiteninstrumenten und der Singstimme bearbeitet wird. Er bezeichnet schön und ausdrucksvoll die Worte: Vater, tief gebeugt und kläglich fleht dein Sohn hinauf zu dir. – Was hat wohl dem Dichter das höchst unschickliche Beiwort, ›kläglich‹, eingegeben? Doch nicht das darauf gereimte, ›möglich‹? Das wäre die kläglichste Möglichkeit oder möglichste Kläglichkeit! – Übrigens hat der Komponist diesen an sich schönen Satz, wo er ihn den Blasinstrumenten gegeben, in der Schreibart sehr vernachlässigt. Warum gab er ihn nicht hier eben so rein und korrekt, wie gleich darauf beim Eintritt der Singstimme und der Saiteninstrumente? –

Nach dieser Arie erscheint der Seraph. Unter einem Donner der Pauke von vier Takten auf der Tonika, in raschem, unvorbereitetem Wechsel der Tonart mit dem freundlichen A dur, kündigt sich diese Erscheinung überraschend, und, man kann sagen, malerisch an. Die Geigen bezeichnen unmittelbar darauf das Herabschweben des Engels; und nun beginnet dieser im Rezitativ: Erzittre, Erde etc. worauf eine schöne, sehr singbare Arie aus G dur – Preist des Erlösers Güte – mit bedeutungsvollem Wechselspiel der Instrumente folgt. Sie gehet dann in ein lebhaftes Allegro über: O Heil euch, ihr Erlösten – Herrlich und feierlich ist die Stelle behandelt: Wenn ihr getreu in Liebe, in Glaub' und Hoffnung seid.

Gleich nach dieser Arie wird derselbe Text vom Chor der Engel in einem freundlichen Gesange und lieblichen Wechsel der Instrumente wiederholt; zwischendurch konzertiert die Stimme des Seraphs. Tief ergreifend ist der zweite Teil dieses Chors: Doch weh, die frech entehren – wo die ersten zwei Worte anfangs von wechselnden Stimmen vorgetragen werden, und dann sich alle vereinigen in dem Spruche: Verdammung ist ihr Los! Man kann diese letzte Stelle, S. 47 folg., wahrhaft schrecklich und erschütternd nennen. Der Komponist verstattet dem Gemüt hierauf die ihm nötige Erholung, indem er nur die Saiteninstrumente in ganzen Schlägen, von wenigen Blasinstrumenten unterstützt, einen Nachhall bilden läßt. Dann faßt der Seraph wieder die Segensworte auf: Doch Heil euch etc. worein der Chor sanft tröstend einstimmt. Und so, in sanfter Beruhigung, schließt der Chor. Ein Rezitativ a due und ein Duett zwischen Christus und dem Seraph führt die Szene weiter. Dieser verkündigt den Willen des ewigen Vaters: So spricht Jehovah: eh' nicht erfüllet ist das heilige Geheimnis der Versöhnung, so lange (!) bleibt das menschliche Geschlecht verworfen und beraubt des ewgen Lebens! womit das Rezitativ schließt. Die Behandlung dieser Worte ist ganz originell, und die Musik wäre wahrhaft mystisch zu nennen; sie kann, ohne eine Art geheimen Schauders kaum vernommen werden. Die Violinen und die Viole schweigen diese sieben Takte hindurch, doppelte Violoncelle und der Kontrabaß treten an ihre Stelle, wodurch die Singstimme ungemein gehoben wird. Desto wunderbarer wirkt, bei jenem Schweigen, die Begleitung des Spruches selbst von Hoboen, Klarinetten, Fagotten und Posaunen, anfangs in ganzen Noten, dann in halben, aufsteigend, während die Singstimme in Achteln, aber ganze Takte lang monoton, fortspricht, und immer den aufsteigenden Hoboen um einen halben Takt nachkömmt. – Das folgende Duett ist ein würdiges Gemälde der Ergebung des Erlösers in den Willen seines Vaters, und, im wohlerwogenen Kontraste, des Erstaunens des Seraphs über diese Seelengröße. In diesem Wechselspiel der Empfindungen zeichnet sich besonders die Begleitung der Saiteninstrumente zu den Worten des Seraphs aus: Ich bebe, und mich selbst umwehen die Grabesschauer, die er fühlt.

Nach einem kurzen Rezitativ, bloß von Saiteninstrumenten begleitet, worin sich Christus, vollkommen ergeben, zu seinem Tode vorbereitet, nahet sich der Chor der Krieger. Er wird durch einen Marsch von zwanzig Takten ( C dur) angekündigt, und tönt erst ganz schwach aus der Ferne. Das Schleichen und ungewisse Umhersuchen der Krieger und ihrer Gefährten wird treffend gemalt. Die Singstimmen, Tenöre und Bässe, treten nun leise ein:

Wir haben ihn gesehen
Nach diesem Berge gehen;
Entfliehen kann er nicht.
Sein wartet das Gericht.

Die marschmäßige Bewegung der Begleitung dauert ungestört fort, um die Szene weiter vor das Auge zu führen; und die Figur geht selbst in den Anfang der Begleitung des folgenden Rezitativs über, wo Christus die Ankommenden bemerkt; Die mich zu fangen ausgezogen sind, sie nahen nun! Schön ist die Stelle des letzten Gebets: Mein Vater, o führ' in schnellem Flug der Leiden Stunden bei mir vorüber etc. Der Gesang hat Festigkeit, aber die Begleitung widerspricht ihr in tremulierenden Sechzehnteilen, wie die schaudernde menschliche Natur dem göttlichen Entschlusse. Singbar melodisch und in der Begleitung nun edel ergeben sind die Worte ( Adagio) behandelt: Doch nicht mein Wille; nein, dein Wille nur geschehe. – Kaum schließt dies Gebet, so hört man den Marsch und das Näherkommen der Krieger wieder. Jetzt treten sie wirklich herzu. Ihr Hereinbrechen schildert ein wilder Doppelchor. ( D dur, Allegro molto.) Bisher hatte der Komponist noch gar keine Trompeten angewendet: aber nun, wo durch das Herzutreten der rohen Macht die bisherige heilige Einsamkeit unterbrochen wird, fallen sie passend, und, mit Hörnern, Klarinetten, Flöten und Hoboen, wirksam in der Dominante haltend, ein. Erschütternd ist das erste Aufschreien der Krieger mit dem Ruhepunkte gleich auf der zweiten Note: Hier

ist

er! – Desto ungeschickter hat der Dichter die Jünger behandelt. Äußerst gemein und trivial fragen sie:

Was soll der Lärm bedeuten?
Es ist um uns geschehen!
Umringt von rauhen Kriegern,
Wie wird es uns ergehen?

Man trauet seinen Augen kaum, und fällt aus den Wolken. Auch ist diese Stelle vom Komponisten – und wie konnte er anders? – sehr gewöhnlich behandelt. Indessen sticht, zum Glück, der wilde Chor der Krieger immer hervor; und so deckt der Komponist, soviel als möglich, die Blöße des Poeten. – Die Szene, wo der heuchlerische Verräter zu Christo tritt, ist vom Dichter übergangen; dagegen die – soweit die Geschichte in diesem Oratorio behandelt wird, ganz folgelose Aufwallung Petri mitgenommen. Doch wird sie vom Komponisten, mit gutem Bedacht, nur schnell vorübergeführt. – Ein an sich sehr gelungenes Terzett bildet der Komponist, aus den Äußerungen Petri, der seine Aufwallung noch nicht bezähmen kann, Christi, der ihn zur Duldung zurückführt, und des Seraphs, der – wunderbar genug! – ad spectatores beibringt:

Merk auf, o Mensch, und höre:
Nur eines Gottes Mund
Macht solche heil'ge Lehre
Der Nächstenliebe kund.

Hier vergaß also der Dichter offenbar – alles andere unerwähnt – die Grenzen des Oratoriums, und verleitete dadurch auch den Komponisten, dies Stück zu theatralisch zu behandeln. – Der Chor der Krieger und der Jünger schließt sich unmittelbar daran; der Heiland wird gebunden und fortgeführt, während die Jünger entfliehen, und wieder gemein genug zueinander sagen:

Ach wir werden seinetwegen
Auch gehaßt, verfolget sein!

Dieser Doppelchor wird von vortrefflichen Solosätzen des Heilands unterbrochen:

Meine Qual ist bald verschwunden,
Der Erlösung Werk vollbracht –

welche mit dem wilden Geschrei der Krieger in den wirksamsten Kontrast gestellt sind.

Ein majestätischer Chor der Engel schließt nun das ganze, merkwürdige Werk. Der Dichter stimmt zwar diesen Triumphgesang, als sei das Werk der Erlösung schon vollbracht, jetzt, wo die Szenen des Leidens erst begonnen haben, viel zu früh an: indessen brauchte er, und brauchte besonders auch der Komponist, freilich einen Schluß dieser Art; und er ist von diesem so vortrefflich ausgeführt, daß man dies Vorgreifen wohl zu entschuldigen geneigt sein wird. –

Nach alle dem können wir den Ausspruch nicht zurückhalten: der Komponist hat, in der Behandlungsweise, welche er erwählet, und die seinen eigentümlichen Vorzügen wohl auch die angemessenste war, ein vortreffliches, meisterhaftes Oratorium geliefert. Daß man hier, wie bei jedem wahrhaft originellen Werke, in die An- und Absicht des Meisters eingehen müsse, um ihm, richtend oder genießend, sein Recht angedeihen zu lassen, verstehet sich von selbst. Als Musiker vermissen wir an dem Werke – die einzelnen, oben erwähnten Schwächen, die jedoch von der Menge ausgezeichneter Schönheiten ohne allen Vergleich überwogen werden, abgerechnet – nichts, als eine so genialische und zugleich so gründliche Fuge, wie sie (daran zweifeln wir keineswegs) B. hätte liefern können, und wie sie dem Werke, als einem Kirchenstück, eigentlich gebühret hätte. Auch hatte der Dichter dazu mehrmals Gelegenheit gegeben. Es erscheinen zwar zuweilen einzelne fugierte Sätzchen: sie verschwinden aber gleich wieder, und bleiben unausgeführt.

Die Dauer des ganzen Werks kann sich höchstens auf drei Viertelstunden erstrecken. Es eignet sich mithin auch in diesem Betracht sehr gut, teils einen Hauptabschnitt eines großen Konzerts auszufüllen, teils als Passionsmusik in protestantischen Kirchen ausgeführt zu werden. Es kann also auch darum den Direktoren der Konzert- oder Kirchenmusiken bestens empfohlen werden.

Der Stich ist sehr sauber und auch korrekt.

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