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Vorläufiger Bericht über Maria von Webers »Freischütz«.

Die freudige Erwartung, die alle Freunde der Weberschen Muse – und wer wäre nicht ein Freund jener Muse, die eine Fülle der genialsten Lieder- und Instrumental-Kompositionen, die die unsterblichen Kriegsgesänge, »Leier und Schwert« erschaffen, und die längst ihren Liebling unter die Ersten und Bedeutungsvollsten seiner Kunst und seiner Zeit gestellt – die freudige Erwartung, die wir alle gehegt hatten, da uns eine neue Oper des Meisters angekündigt war, ward endlich am 18ten d. durch die erste Vorstellung erfüllt, die alle Hoffnungen, wie hoch sie auch gespannt waren, noch weit überflügelte. Weber, der in seinen früheren Arbeiten noch jene Auswüchse zeigte, die das wahre Genie bei seinem ersten Durchbruch nun einmal charakterisieren, steht jetzt in seiner interessanten Eigentümlichkeit klar und reif da, und in diesem seinem neuesten großen Werke hat er sich ein Ehrendenkmal gesetzt, das in der Kunstgeschichte der deutschen Oper Epoche machen dürfte. Das Publikum erkannte den Wert der genialen Musik von Anfang bis zu Ende an, und von der Ouvertüre bis zum Schlußchor ward jedes einzelne Stück ohne Ausnahme lebhaft beklatscht, und der Komponist zuletzt stürmisch gerufen. Der bescheidene Meister erschien, und führte sehr zartsinnig die Damen Seidler und Eunicke mit hervor, mit ihnen den Jubel des Publikums teilend. Es flogen Gedichte und Kränze in verdienter Fülle, und da der Ref. an keinem von beiden Teil hatte, so will er wenigstens auch sein Scherflein dem längst von ihm verehrten Komponisten durch diesen »vorläufigen Bericht« darbringen, dem bald ein ausführlicher folgen soll.

*

Montag, Mittwoch und Freitag: Der Freischütz,

Oper von Kind und von Weber.

Wie überall die Extreme sich berühren, so haben wir es auch alle in der jüngst verflossenen Zeit erlebt, daß auf eine Periode der tiefsten Erniedrigung, der erbärmlichsten Erschlaffung in unsrer vaterländischen Poesie unmittelbar eine andere folgte, die die faden Geister wieder in ein neues Leben zu rufen versuchte, das freilich aber soweit von dem wahren Ziele abweicht, als jenes glücklicherweise nun ausgelebte; kurz, wir sahen, sowie der Werther-Zeit die Zeit des Götz folgte, der zuckerbreiigen Karfunkel-Periode unsrer Neo-Romantiker eine derbe Pack- und Schüttel-Periode unmittelbar auf dem Fuße folgte. Die jüngst noch so zarte, nervenschwache Muse befreundete sich plötzlich mit dem Satan, der Hölle, mit einer Fratze, die sie Schicksal nannte, und Galgen und Rad wurden ihr Toiletten-Spielwerk. Das Theater, das lange von ihr versäumte Theater, war es besonders, das ihr nun wieder einmal heimzusuchen beliebte, und sie fing an es zum Tummelplatze von alle dem »Kribskrabs der Imagination« zu machen (um mit Goethe zu reden) den ihr Eigensinn für den Augenblick an ihren Hof gezogen hatte. So sahen wir Februarsnächte, Ahnfrauen, Teufelsbeschwörer, von Zigeunern behexte Brudermörder, und der Schwindel des Zeitgeistes hielt ordentlich dieses Zeug einen Augenblick oben; es kam hinzu, daß ein wahres Genie, aber auch nur eines, Lord Byron, gleichfalls diesen Weg einschlug, und es war um die Köpfe der meisten Zeitgenossen geschehen! Das Höchste, worauf der exaltierteste Geist auf dieser Richtung gelangen konnte, ward ersonnen in der Erzählung: »der Vampyr«, und dieser Vampyrismus ist es denn, der in der Poesie des Augenblickes (und nicht nur in Deutschland) allmächtig spukt. Man will nicht ergriffen, nicht gerührt, man will gepackt, geschüttelt werden, es soll sich das Haar sträuben, der Odem stocken – und die Poesie hat ihre Wirkung gethan!

Es schien nötig, diesen augenblicklichen Zustand kurz anzudeuten, wenn von der neuen Oper die Rede sein soll, die soeben die Theaterfreunde Berlins beschäftigt, denn es ist dieselbe so ganz ein Kind dieses Augenblicks, daß man mit der Schilderung ihrer Abstammung sie selbst schon charakterisiert hat. Und in dieser Hinsicht ist ihre Erscheinung auch historisch-poetisch merkwürdig, denn das Reich der Oper ist vor ihr, unsers Wissens, von jener Muse noch nicht betreten worden. Wer uns als Entgegnung den Don Juan u. s. w. citieren wollte, für den müssen wir bedauern ganz unverständlich geblieben zu sein. Hr. Kind in Dresden ist also mit seinem Gedicht grade zur rechten Stunde gekommen, es ist nicht zu leugnen, aber es ist zu fürchten, daß er eben eine Stunde später, wenn dieser schwere Rausch vorüber – zu spät gekommen wäre: diese Stunde wird aber, und giebt's Gott, bald schlagen, und man wird dann das belachen, was heute die Überspannten fesselt, sowie wir jetzt die Siegwartlinge, die Ritter- und Räuberromane, die Karfunkler belächeln. Sollte »der Freischütz« mit unzählig andern Effekt-Jägern dann vielleicht gar mitbegraben werden – um Hrn. Kinds Anteil daran würde die Nachwelt nicht zu trauern haben; aber der unsterbliche Lebenshauch, den v. Weber dem wunderlichen Gesellen einblies, schützt diese sicher vor dem Untergange.

Mit dieser ausgesprochenen Überzeugung von der Grundidee und dem Plan der Oper (die wir übrigens nicht näher entwickeln wollen, um die Überraschung der Leser beim Anschauen des Stückes nicht zu stören) müssen wir noch den Tadel verbinden, der die Zeichnung und Physiognomie der Rollen und fast die ganze dramatische Scenerei betrifft. Wem die Geschichte des Stückes nicht früher aus andern Quellen geläufig ist, der wird sie nur sehr schwer bei der Aufführung fassen, und der durchaus hinkende schleppende Schluß, wo der Knoten, und nicht einmal geschickt, zerhauen wird, beweist wohl ebenso wenig, als die erstere Behauptung für ein dramatisches Geschick von Seiten des Dichters. Die Charaktere aber sind in stereotype Formen gegossen, und ein Gutmütiger, eine Naive (!!), eine fromme Liebende, ein wilder Taugenichts u. s. w. bewegen sich da nebeneinander hin, ohne daß man Grund hätte, eine nähere Bekanntschaft mit einem von ihnen zu wünschen. Mehr Lob verdient die Ausführung im einzelnen, wenn wir die mannichfachen Reminiscenzen abrechnen, unter denen die aus Klingemanns Faust (!) am unverzeihlichsten sind; aber in der Versifizierung der Musikstücke erkannten wir mit Freuden den Dichter Kind wieder. Auch der Dialog ist fließend, die Sprache rein.

Was die Musik betrifft, so müssen wir von vorn herein die Meinung aussprechen, daß seit Mozart nichts Bedeutenderes für die Deutsche Oper geschrieben ist, als Beethovens Fidelio und dieser »Freischütz«. Weber, so scheint es, habe alle in unzählige Lieder- und Instrumental-Kompositionen zerstreuten Strahlen seines erstaunenswerten Genius kühn in einen Brennpunkt gesammelt, denn mit allen seinen längst berühmten Eigentümlichkeiten finden wir den interessanten Geist hier wieder. Neuheit in Form und Ausdruck, Kraft und Keckheit, ja Übermut in den Harmonieen, seltener Reichtum der Fantasie, unübertroffne Laune, wo es gilt, bewundernswerte Tiefe in den Intentionen, und alle diese Eigenschaften mit dem Stempel der Originalität bezeichnet, dies sind die Elemente, aus denen Weber dies sein neuestes Werk gewebt hat. Mehr ins einzelne gehend, finden wir eine Fülle von Melodien, die sich sehr sangbar entwickeln, eine meisterhafte Kenntnis der Instrumental-Effekte, die zum tiefen Studium auffordert, und eine genaue Bekanntschaft mit der theatralischen Kraft der Musik, der Weber mit den kleinsten Motiven oft einen überraschenden Einfluß auf das Herz des Hörers abzugewinnen weiß, wie man sich aus seinen einfachsten Liedern wohl erinnert. Wenn andere ängstlich ringen und streben, so scheint Weber mit der Muse vertraulich zu scherzen, und doch weiß er ihr immer ihre besten Gaben abzulocken, denn er ist ihr Liebling.

Dies sein neuestes Werk, das, wie wir sogleich sehen werden, aus den verschiedensten Bestandteilen zusammengesetzt ist, trägt doch durchgängig die Farbe des Bodens, aus dem es entsprossen, und die dumpfe, schwüle Gewitterluft des Gedichtes weht auch durch die ganze Musik, zwar konsequent, aber, gestehen wir es, beim ersten Hören nicht zu erfreulich. Freilich giebt dies gerade der Oper jenes Gepräge, das ihr den Platz in die Schule anweist, von der wir oben ausgingen, aber diesen Eindruck würden wir lieber den leidigen Kriminal- und Schicksalstragödien für sich gelassen haben.

Die Ouvertüre (in C) ist, was sie wohl immer sein soll: der Prolog der Oper, im Sinne der Alten. Sie bereitet das Ungewitter vor, und dieselben Wolken findet man später, wenn es Zeit ist, oft wieder; gegen das Ende erhebt sie sich freudig, wie die ganze Oper, denn das gute Prinzip siegt, in einem – Spontinischen Motiv. Dieser Schlußsatz der Ouvertüre, der später auch der der Oper wird, erinnert so offenbar an Spontinische Rhythmen, daß es unbegreiflich ist, wie dem Komponisten diese Reminiscenz entgehen konnte. Desto eigentümlicher wird er aber gleich im ersten Chor (6/8 in Es) dem besonders die Behandlung des Basses im »Victoria« ein frischkräftiges Leben giebt. Kilians Lied ( G Dur) »Schau der Herr« ist eins der wunderlichsten, originellsten Stücke der Oper; die Melodie ist fließend, ausdrucksvoll die Ausweichung in Moll in der Fermate »Mosje!« und ganz neu die Übertragung der Sekunde in den Mädchenchören »He, he, he!«, die die schnippische Dummheit unvergleichlich gut ausdrücken, wozu die Pizzicato- und Oboenbegleitung viel beiträgt. Das Terzett Nr. 3 ist uns besonders wert wegen des vortrefflichen Chores am Schlusse: »Laßt lustig die Hörner erschallen« ( F), wo die Tenöre wieder ganz neu behandelt sind, und an den sich ein Walzer anschließt, in welchem man Weber so wenig verkennen wird, als in jenem Chor. Auf die Arie Nr. 4, in welche das finstere Motiv aus der Ouvertüre gegen den Schluß wirksam eintritt, folgte das Lied in H Moll: »Hier im ird'schen Jammerthal«, die Krone aller Weberschen Lieder überhaupt, und der Brillant der Oper. Das ist die Lustigkeit der Hölle, die glühend dies Meisterlied durchdringt, und der erschütternde Effekt der Piccoloflöten beweist doch gewiß eine unserer obigen Behauptungen von der Kenntnis des musikalischen Effektes. Wild schließt der erste Akt mit Caspars Arie, die gewaltig instrumentiert ist, und glücklich an das eben genannte Lied erinnert.

Der zweite Akt hat nur ein ganz vollendetes Musikstück aufzuweisen, die vortreffliche Scene der Agathe, die Mad. Seidler so schön singt, und die wir gern durch und durch kommentierten, wenn nicht unsre Relation unter der Feder schon so angewachsen wäre. Die jubilierende Freudenarie: »All' meine Pulse schlagen« im jauchzenden E Dur ist von tüchtiger Wirkung, und klingt sehr gut gedacht an die Ouvertüre an. In dem Anfangsduett dieses Aktes ist besonders der Schluß: »Grillen sind etc.« der Aufmerksamkeit wert, wo die beiden Soprane sehr kunstreich zusammengestellt sind, und in der Melodie des ersten der leibhaftige Weber nicht zu verkennen ist. Schwächer ist das folgende Ariettchen, aber reich an schönen Intentionen das Terzett in Es: »Wie? Was?« So kündigen die Bässe bei den Worten: »Ich bin vertraut mit jenem Grausen« sehr geschickt den zu erwartenden Sturm an und der kanonische Satz: »Doch hast du auch vergeben« mit der originell durchgeführten Unterstimme hat gewiß jenes Lob verdient. Es folgt nun der Kulminationspunkt der »romantischen« Oper, für welchen vor allen den Dekorateurs und Maschinisten der gefühlteste Dank gezollt werden muß, worin alle weiche Seelen einstimmen werden. Aber eben weil hier das Auge so übermäßig beschäftigt ist, hat das Ohr kaum Kraft ihm zu folgen, was doch bei den düster-wilden Musikstücken dieses Finals wohl not thäte: und der Komponist muß uns deshalb entschuldigen, wenn wir uns noch nach den wenigen Vorstellungen nicht getrauen, seine Absichten in dieser Scene ganz zu entwickeln. Viele derselben sind uns nicht entgangen; so z. B. die sinnige Wiederholung der Melodie aus dem ersten Spott- und Schimpfchor, den dem zaudernden Max der böse Dämon hämisch vorzuhalten scheint; aber eine musikalische Scene, wie diese, ist nie und nirgend geschrieben, und sie fordert darum nur verdoppelte Aufmerksamkeit, um gewürdigt zu werden.

Die Introduktion zum dritten Akte verkündet den nahen Sieg des guten Genius über den Bösen; freudig klingt schon der Jagdchor (Nr. 4) an, aber der böse Geist hat auch aus Neckerei die Vestalin mit eingeflochten! Agathens Cavatine in A ist zart, und reich an Modulation; mit der Zusammenstellung von Bässen, Hörnern und Fagotten hat der Komponist an diesem Orte wohl schicklich eine Orgel ahnen lassen wollen. Die folgende Romanze würden wir ohne Schmerz ganz entbehren; wie sie einmal da ist, zeichnen wir das von Herrn Semmler sehr gelungen ausgeführte Bratschen-Accompagnement aus. Dafür folgen ihr aber unmittelbar wieder zwei sehr seltene herrliche Stücke. Das allerliebste, einfache Volkslied ( C-Dur) »Wir winden dir den Jungfernkranz« bewährt aufs neue Webers längst anerkannten Beruf zum wahren Volksliederkomponisten. Die Naivetät, die Unschuld, die Neuheit dieser kleinen Komposition läßt sich nicht wiedergeben; man höre das Lied, und man wird es fühlen. Flöten und Oboen gehen geschickt mit. Der wirksame Theatercoup in dem Liede beweist, daß nicht immer Massen und äußere Mittel nötig sind, um zu ergreifen! Einen sehr genialen Übergang bereitet der Jägerchor ( D-Dur), in dem man, in seiner freien Fröhlichkeit, in seinem kecken Übermut, den Komponisten von » Lützows« berühmter Jagd gleich wieder erkennen wird.

Von nun an sinkt aber das Interesse der Oper, wegen des zu entsetzlich breiten und langen Schlusses und das Finale geht leider! in den Fehlern des Dichters so ziemlich mit verloren. Im allgemeinen wird man überhaupt bemerkt haben, daß die Lieder und Chöre in dieser Oper die größeren Ensembles an Vortrefflichkeit überwiegen; die Meisterschaft in jenem Teile der Musik ist aber auch so groß und bewundernswert, daß Weber sich durch sie jetzt gewiß seinen Platz für die Unsterblichkeit gesichert haben würde – wäre der ihm nicht längst gewiß.

Die Aufführung auf unserer Bühne, welche zugleich das Interessante darbot, daß sie das erste Singspiel im neuen Schauspiel-Hause gab, gelingt so vorzüglich, daß wir nur die Namen Seidler, Eunicke, Blume und Stümer nennen wollen, um allen gemeinschaftlich einen großen Dank zu bringen. Auch die Nebenpartieen sowie die Chöre, das Orchester, die Anordner und Maschinisten verdienen nur Lob.

Von der so glänzenden und ehrenvollen, als verdienten Aufnahme des Meisterwerkes und seines Schöpfers hat bereits ein früherer Artikel erzählt; es ist ein seltner Fall, daß eine dramatische Neuigkeit bei uns dreimal in einer Woche das Haus überfüllt, und jedesmal lebhaften Enthusiasmus erregt.

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