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Die Macht des Gesanges

von Friedrich Schiller, in Musik gesetzt von Andreas Romberg.

Dichter und Redner alter und neuer Zeiten haben sich fast erschöpft, den Gesang als die schönste Gabe, welche die Himmlischen dem Menschen verliehen, zu preisen. Es ist nur ein Gedanke, den sie hatten, eine Empfindung, von der sie ausgingen, und die sie, einstimmig über die Sache, nur verschieden in der Einkleidung, bald in weiteren Darstellungen, bald in kurzen, sinnvollen Sätzen ausdrückten. Von Plato bis zu Wieland (besonders im 26. Bd. seiner Schriften, b. Göschen, S. 271), von Shakespeare bis zu Schiller, der selbst fast zu volltönend, um abgesungen zu werden, hören wir einen Preis der Macht des Gesanges. – So wunderlich aber es scheinen mag, so wahr ist es: es möchte wohl jedem schwer fallen, genau durch Begriffe zu bestimmen, was diese Weisen eigentlich unter dem Gesang (im engern Sinne) den sie so einmütig erheben, dachten; noch schwerer, daraus herzuleiten, wie es der Künstler angreifen müsse, um die allgemein wirkende Kraft desselben hervorzuzaubern. Eine zarte Pflanze ist er! ein Hauch erzeugt und verscheucht ihn! höchst verschieden seine Erscheinung, höchst veränderlich sein Einfluß! Marots Psalmen heilten vor zweihundert Jahren das Fieber; jetzt – es ist Rousseau, der das sagte – jetzt würden sie das Fieber verursachen. Was ist es denn also, das, an sich selbst so verschieden, so veränderlich, doch zu allen Zeiten das Menschenherz so innig gerührt, und auch den Verstand, ja alle Kräfte des Gemüts, in Anspruch genommen hat? –

Eine schöne Menschenstimme erregt schon für sich Aufmerksamkeit; sie spricht uns an, sie nimmt uns ein, wie ein schönes Gesicht, ebenfalls schon für sich. Auf unsere Affekte aber kann sie an sich nicht wirken, auch dann nicht, wenn sie mit aller Gewandtheit einer geübten Kehle ausgestattet, unsern lärmenden Beifall gewinnt. Und wäre nie etwas andres unter uns gewesen: Gedichte über die Macht des Gesanges würden schwerlich jemals erschienen sein. Durch andere Vorzüge, durch gewisse bestimmte Eigenheiten also muß sie wohl wirken. Der in uns lebende Geist spricht sich in ihr aus; was ihn reget, was er deutlich machen möchte, das geht in sie über. Nicht regellos läßt er sie herumschwanken. Durch Rhythmus wird sein bestimmtes Ebenmaß eingeschlossen, durch Melodie zur Selbständigkeit erhoben, und die Kantilena, dieses Eigentum der wiederhergestellten Tonkunst, gibt ihr jene Reize, jenes Eigentümliche, das unsere Seele ergreift. Aber diese Kantilena zu finden, ist eben das Schwierige. Rhythmus und Harmonie lassen sich erlernen: einen schönen Gesang in diesem engern Sinn, natürlich und ausdrucksvoll, kann man auch in der Schule des Meisters nicht immer antreffen. Wohl muß man entweder selbst gesungen haben, oder mit glücklichen Anlagen recht eigentlich für dies Fach geboren sein.

Ob es aber möglich sei, für deutsche Gedichte, die sie verlangen, eine ebenso sanfte, schmelzende Kantilena zu finden, als die Italiäner sie für die ihrigen gefunden, möchte jetzt nicht zur Unzeit gefraget sein. Denn daß die Sprache, daß das Wort sie bestimmt, sie beschränkt oder begünstigt, ist keinem Zweifel unterworfen. Eine Melodie, eine Kantilena, kann nicht von Wirkung sein, wenn sie auch nur im geringsten das Maß der Silben unnatürlich verändert, wenn sie nicht genau, grammatisch und rednerisch, den Satz darstellt – wenn man auch von dem innern Geist, den sie allein ausdrücken kann, noch nicht sprechen will, da es sich, was diesen betrifft, ohnehin versteht. Was schon oft gesagt worden, mag hier noch einmal erinnert werden. Der Italiäner zählt seine Silben nur, der Deutsche mißt sie, und muß es tun. Welchen mächtigen Unterschied muß nicht schon dieser Umstand in der Kantilena beider Sprachen hervorbringen? Von einem Schwarm Artikel, Hülfswörter und Bindungen, wie von einem Fischbeinrock umgeben, schreitet unsere Sprache mühsam einher, ohne noch die Menge harter Mitlauter in Erwähnung zu bringen, die dem Sänger so große Hindernisse schaffen. Zwar harmonische Dichter wissen diese Anstöße zu vermeiden, wenigstens zu mäßigen: aber was haben musikalische Dichter je getan, was tun sie noch, um jenes Geschlepp soviel möglich von sich zu werfen? Wie soll man es überhaupt anfangen, um diese Kürze, dieses Ebenmaß zu erreichen, worin allein eine schön gefühlte, richtig ausgesprochene Kantilena in Anmut sich zeigen kann? Man sehe nur die nächste Arie aus Metastasio: welche Rundung, welche Bestimmtheit des Ausdrucks! wie wenige Hülfs-, wie seltene Bindewörter, wie wenig Worte, wie viele Ideen! Bei alle dem unverkennbar Preiswürdigen, was für die höhere Ausbildung unsrer Sprache getan worden: was ist denn geschehen, sie mehr musikalisch zu machen? Ahmt man wohl Schillern nach, der Gedrängtheit und Harmonie in seinen Gedichten zu vereinen suchte? Aber ist es denn auch in dem Geist unsrer Sprache gegründet, durch den öfteren Gebrauch der Mittelwörter, den viele unsrer Schriftsteller versuchten und bald wieder verließen, unsre Sprache zu runden und uns so mehr in dieser Hinsicht den Alten zu nähern? Wenn nun dies trocken befunden wird – wenn Teutonia keine Toga tragen will, wenn es beim Alten bleiben muß: was soll der deutsche Komponist mit diesem Gepränge kleiner, nichtssagender Partikeln und dergl. anfangen? Weh ihm, wenn er Silbe für Silbe wie der Italiäner, seinem Dichter folgt: wenn er nicht kürzet, drängt, rundet über das Nichtssagende hineilet und nur bei jenem Worte verweilet, das seinem Gesang Nahrung und Sinn gibt! Aber so wird ja sein Gesang mehr musikalische Deklamation als reine Kantilena werden? Wohl möchte dies häufig der Fall und auch mitunter die Ursache sein, daß deutsche Komponisten, denen die Natur die Gabe des Gesanges verliehen hat, erst im Auslande ihren Ruhm gründen konnten! Ihr Vaterland bot ihnen nicht Stoff dar, um ihn nach ihrem Sinne zu bearbeiten. So kam es also, daß die italiänische Oper, uns an Sitte, an Sprache so fremd, nie ihre Herrschaft über uns verlor. Man hält sich an den Klang – denn wie wenige dringen in den Sinn der Sprache – um doch so wenigstens eine Kantilena zu hören, sollte man auch den Geist nicht fassen. Schulzens Lieder, einst von Deutschland hoch verehrt, sind wie vergessen. Jeder greift lieber nach Kanzonetten, Arietten und dergl. aus italiänischen Opern und Operettchen. Sie enthalten nämlich Gesang; erstere sind oft nur musikalische Deklamation …

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