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Alte und neue Kirchenmusik.

Die Klage der wahren Musikverständigen, daß die neuere Zeit arm an Werken für die Kirche blieb, ist nur zu gerecht. Viele haben als Ursache dieser Armut angegeben, daß die jetzigen Komponisten das tiefe Studium des Kontrapunktes, welches durchaus nötig ist, um im Kirchenstil zu schreiben, gänzlich vernachlässigten; daß es ihnen nur darum zu tun sei, zu glänzen, der Menge zu imponieren, oder wohl gar, des schnöden Geldgewinnes wegen, dem augenblicklichen Zeitgeschmack zu frönen, und, statt ein gründlicher tiefer, nur ein beliebter Komponist zu werden: alle diese untergeordneten, leichtsinnigen Zwecke könne aber nur das Theater, nicht die Kirche erfüllen; daher, statt eines einzigen Kirchenwerks die hundert, meistenteils mißglückten Versuche von Opern, die erschienen und verschwänden. Es ist auch in der Tat nicht zu leugnen, daß wohl schon seit länger als zwanzig Jahren ein Leichtsinn ohnegleichen in jedes Kunststudium einriß. Der wackre Fleiß der Alten, der die Gediegenheit ihrer Werke begründete, verschwand, und, statt der kräftigen, lebendigen Gestalten, die sonst der Zauber der Künstler hervorrief, wurde nur glänzender Staat gewebt, dessen Flimmer der toten Puppe den Schein des Lebens verleihen sollte. Die tiefere Ursache des Leichtsinnes in der Kunst lag in der Tendenz der Zeit überhaupt. Als regierten dämonische Prinzipe, strebte alles dahin, den Menschen festzubannen in das befangene ärmliche Leben, dessen Tun und Treiben es für den höchsten Zweck des Daseins hielt: so wurde er abtrünnig allem Höheren, Wahrhaften, Heiligen; der göttliche Funken, den nur Glaube und Liebe nährt, mußte erlöschen, und niemals konnte der kalte Strahl der Truglichter, die in der hoffnungslosen Öde aufflammten, die Glut im Innern, aus der das wahre Kunstwerk in unvergänglichem Feuer emporsteigt, entzünden. Freilich ließ auch in dieser unglücklichen Zeit die unsichtbare Kirche, welche ewig waltet, ihren treuen Dienern volle Gnade angedeihen, so daß sie es vermochten, das tief im Innersten Empfundene auszusprechen: aber wie wenige widerstanden der Unbill der Gegenwart! Ihr irdischer Untergang war indessen die geistige Verklärung, in der sie mit den Getreuen in beständiger Gemeinschaft bleiben. – Man denke nur an den noch jetzt nicht nach Verdienst allgemein anerkannten Mozart: an den, unerachtet er ein Deutscher war, in Deutschland gar nicht gekannten Vogel (Johann Christoph Vogel, Komponist der wahrhaft tragisch erhabenen Oper »Demophoon«), an den herrlichen, frommen, jetzt beinahe vergessenen Fasch.

Daß dieser Leichtsinn, dieses ruchlose Verleugnen der über uns waltenden Macht, die nur allein unserm Wirken, unsern Werken, Gedeihen und Kraft gibt, die spöttelnde Verachtung der heilbringenden Frömmigkeit von jener Nation herrührte, die so lange Zeit auf unglaubliche Weise der verblendeten Welt in Kunst und Wissenschaft als Muster galt, liegt am Tage. Aus blinder Nachäfferei ihrer Werke, die sie mit kecker Frechheit als ewige Muster aufstellte, kam jenes ekle Schöntun in die Wissenschaft; jene Spielerei, jene Verrenktheit und Verrücktheit, in der der Opiumrausch für Begeisterung gilt, in die Kunst. – Der namenlose Frevel dieser Nation führte endlich die gewaltigen Revolutionen herbei, die wie ein verwüstender Sturm über die Erde hinbrausten: aber dieser Sturm hat die finstern Wolken auseinander getrieben und die Morgenröte, die schon durch das nächtliche Dunkel manchen ihre Nähe verkündenden Strahl sandte, der tröstend in die wunde Brust des gläubigen Menschen fiel, bricht herrlich hervor in unserer verhängnisvollen Zeit. Ja, diese Zeit, in der, wie mit tausendstimmigem donnerndem Posaunenton, sich die Allgewalt der ewigen über uns thronenden Macht verkündet, so daß der in dumpfes Hinbrüten versunkene Mensch, aus der Betäubung geweckt, den Ton vernehmend und das Wort verstehend, wieder an sich selbst glaubt – diese Zeit, in der sich die Ohnmacht alles verkehrten Strebens, aller Befangenheit im irdischen Treiben um irdischen Zweck so deutlich offenbart, in der der Geist, wie durch einen Himmelsstrahl erleuchtet, seine Heimat erkennt, und in dieser Erkenntnis Mut und Kraft erwirbt, die Bedrängnisse des Irdischen zu ertragen, ja ihnen zu widerstehen – diese uns jetzt aufgegangene Zeit wird jeder leichtsinnigen Entartung in der Kunst Einhalt tun, und ihrer tiefsten, geheimnisvollsten Einwirkung durch die Musik des Menschen Brust sich willig öffnen. – Jetzt darf von der Musik, in der tiefsten Bedeutung ihres eigentümlichsten Wesens, nämlich wenn sie als religiöser Kultus in das Leben tritt – von der Kirchenmusik geredet werden: denn nicht mehr verklingen die Worte unbeachtet, wie sonst, wo selbst die besser und höher Gestimmten der bittere Unmut zur regungslosen Gleichgültigkeit abstumpfte.

Keine Kunst, glaube ich, geht so rein aus der inneren Vergeistigung des Menschen hervor, keine Kunst bedarf so nur einzig reingeistiger, ätherischer Mittel, als die Musik. Die Ahnung des Höchsten und Heiligsten, der geistigen Macht, die den Lebensfunken in der ganzen Natur entzündet, spricht sich hörbar aus im Ton, und so wird Musik, Gesang, der Ausdruck der höchsten Fülle des Daseins – Schöpferlob! Ihrem innern eigentümlichen Wesen nach ist daher die Musik, wie eben erst gesagt wurde, religiöser Kultus und ihr Ursprung einzig und allein in der Religion, in der Kirche zu suchen und zu finden. Immer reicher und mächtiger ins Leben tretend, schüttete sie ihre unerschöpflichen Schätze aus über die Menschen und auch das Profane durfte sich dann, wie mit kindischer Lust in den Glanz putzen, mit dem sie nun das Leben selbst in all seinen kleinen und kleinlichen irdischen Beziehungen durchstrahlte: aber selbst dieses Profane erschien in dem Schmuck wie sich sehnend nach dem göttlichen Reich und strebend einzutreten in seine Erscheinungen. – Eben dieses ihres eigentümlichen Wesens halber konnte die Musik nicht das Eigentum der antiken Welt sein, wo alles auf sinnliche Verleiblichung ausging, sondern mußte dem modernen Zeitalter angehören. Die beiden einander entgegengesetzten Pole des Antiken und des Modernen, oder des Heidentums und des Christentums, sind in der Kunst die Plastik und die Musik. Das Christentum vernichtete jene und schuf diese, sowie die ihr zunächst stehende Malerei. In der Malerei kannten die Alten weder Perspektive noch Kolorit: in der Musik weder Melodie (im höhern Sinn genommen, als Ausdruck des innern Affekts, ohne Rücksicht auf Worte und ihren rhythmischen Verhalt), noch Harmonie. Aber es ist nicht diese Mangelhaftigkeit, die etwa nur die geringere Stufe, auf der damals Musik und Malerei standen, bezeichnet, sondern, wie in unfruchtbarem Boden ruhend, nicht entfalten konnte sich der Keim dieser Künste, der im Christentum herrlich aufging und Blüten und Früchte trug in üppiger Fülle. Beide Künste, Musik und Malerei, behaupteten in der antiken Welt nur scheinbar ihren Platz: sie wurden von der Gewalt der Plastik erdrückt, oder vielmehr, in den gewaltigen Massen der Plastik konnten sie keine Gestalt gewinnen; beide Künste waren nicht im mindesten das, was wir jetzt Malerei und Musik nennen, so wie die Plastik durch die, jeder Verleiblichung entgegenstrebende Tendenz der christlichen Welt gleichsam zum Geistigen verflüchtigt, aus dem körperlichen Leben entwich. Aber selbst der erste, rohe Keim der Musik in dem das heilige, nur der christlichen Welt auflösbare Geheimnis verschlossen, konnte schon der antiken Welt nur nach seiner eigentümlichsten Bestimmung, d. h. zum religiösen Kultus dienen; denn nichts anders als dieser waren ja selbst in der frühsten Zeit ihre Dramen, welche Fest-Darstellungen der Leiden und Freuden eines Gottes enthielten. Die Deklamation wurde von Instrumentisten unterstützt und schon dieses beweist, daß die Musik der Alten rein rhythmisch war, wenn sich nicht auch anderweitig dartun ließe, daß, wie schon erwähnt wurde, Melodie und Harmonie, die beiden Angeln, in denen sich unsere Musik bewegt, der antiken Welt unbekannt blieben. Mag es daher sein, daß Ambrosius und später Gregor (591) alte Hymnen den christlichen Hymnen zum Grunde legten und daß wir die Spuren jenes bloß rhythmischen Gesanges noch in dem sogenannten Canto fermo, in den Antiphonien antreffen: so heißt das doch nichts anders, als daß sie den Keim, der ihnen überkommen, benutzten, und es bleibt gewiß, daß das tiefere Beachten jener antiken Musik nur für den forschenden Antiquar Interesse haben kann; dem ausübenden praktischen Komponisten geht aber die heiligste Tiefe seiner herrlichen echtchristlichen Kunst erst da auf, als in Italien das Christentum in seiner höchsten Glorie strahlte und die hohen Meister in der Weihe göttlicher Begeisterung das heiligste Geheimnis der Religion in herrlichen nie gehörten Tönen verkündeten.

Merkwürdig ist es, daß bald nachher, als Guido von Arezzo tiefer in die Geheimnisse der Tonkunst eingedrungen, diese den Unverständigen ein Gegenstand mathematischer Spekulationen und so ihr eigentümliches inneres Wesen, das kaum begonnen sich zu entfalten, verkannt wurde. Die wunderbaren Laute der Geistersprache waren erwacht und hallten hin über die Erde; schon war es gelungen, sie festzubannen, die Hieroglyphe des Tons in seiner melodischen und harmonischen Verkettung war gefunden (die Noten); aber nun galt die Bezeichnung für das Bezeichnete selbst; die Meister vertieften sich in harmonische Künsteleien und auf diese Weise hätte die Musik, zur spekulativen Wissenschaft entstellt, aufhören müssen, Musik zu sein. Der Kultus wurde, als endlich jene Künsteleien aufs höchste gestiegen waren, durch das, was sie ihm als Musik aufdrang, entweiht, und doch war dem, von der heiligen Kunst durchdrungenen Gemüt nur die Musik wahrer Kultus. So konnte es also nur ein kurzer Kampf sein, der mit dem glorreichen Siege der ewigen Wahrheit über das Unwahre endete. Ausgesöhnt mit der Kunst wurde nämlich der Papst Marcellus der zweite, der im Begriff stand, alle Musik aus den Kirchen zu verbannen, so aber dem Kultus den herrlichsten Glanz zu rauben, als der hohe Meister Palestrina ihm die heiligen Wunder der Tonkunst in ihrem eigentümlichsten Wesen erschloß; auf immer wurde nun die Musik der eigentlichste Kultus der katholischen Kirche, und so war damals die tiefste Erkenntnis jenes innern Wesens der Tonkunst in dem frommen Gemüt der Meister aufgegangen und in wahrhaftiger heiliger Begeisterung strömten aus ihrem Innern ihre unsterblichen unnachahmlichen Gesänge. Die sechsstimmige Messe, die Palestrina damals (im J. 1555) komponierte, um den erzürnten Papst wahre Musik hören zu lassen, ist dem Namen nach ( Missa Papae Marcelli) sehr bekannt geworden. – Mit Palestrina hob unstreitig die herrlichste Periode der Kirchenmusik (und also der Musik überhaupt) an, die sich beinahe zweihundert Jahre bei immer zunehmendem Reichtum in ihrer frommen Würde und Kraft erhielt, wiewohl nicht zu leugnen ist, daß schon in dem ersten Jahrhundert nach Palestrina jene hohe unnachahmliche Einfachheit und Würde sich in eine gewisse Eleganz, um die sich die Meister bemühten, verlor.

Es wird hier rechten Ortes, ja notwendig sein, tiefer in das Wesen der Komposition dieses Altvaters der Musik einzugehen. – Ohne allen Schmuck, ohne melodischen Schwung folgen meistens vollkommene, konsonierende Akkorde aufeinander, von deren Stärke und Kühnheit das Gemüt mit unnennbarer Gewalt ergriffen und zum Höchsten erhoben wird. – Die Liebe, der Einklang alles Geistigen in der Natur, wie er dem Christen verheißen, spricht sich aus im Akkord, der daher auch erst im Christentum zum Leben erwachte; und so wird der Akkord, die Harmonie, Bild und Ausdruck der Geistergemeinschaft, der Vereinigung mit dem Ewigen, dem Idealen, das über uns thront und doch uns einschließt. Am reinsten, heiligsten, kirchlichsten muß daher die Musik sein, welche nur als Ausdruck jener Liebe aus dem Innern aufgeht, alles Weltliche nicht beachtend und verschmähend. So sind aber Palestrinas einfache, würdevolle Werke in der höchsten Kraft der Frömmigkeit und Liebe empfangen, und verkünden das Göttliche mit Macht und Herrlichkeit. Auf seine Musik paßt eigentlich das, womit die Italiäner das Werk manches, gegen ihn seichten, ärmlichen Komponisten bezeichneten; es ist wahrhafte Musik aus der andern Welt ( musica del altro mondo.) Der Gang der einzelnen Stimmen erinnert an den Canto fermo; selten überschreiten sie den Umfang einer Sexte, und niemals kommt ein Intervall vor, das schwer zu treffen sein, oder, wie man zu sagen pflegt, nicht in der Kehle liegen sollte. Es versteht sich, daß Palestrina, nach damaliger Sitte, bloß für Singstimmen, ohne Begleitung irgend eines Instruments, schrieb: denn unmittelbar aus der Brust des Menschen, ohne alles Medium, ohne alle fremdartige Beimischung, sollte das Lob des Höchsten, Heiligsten strömen. – Die Folge konsonierender, vollkommener Dreiklänge, vorzüglich in den Molltönen, ist uns jetzt in unserer Verweichlichung so fremd geworden, daß mancher, dessen Gemüt dem Heiligen ganz verschlossen, darin nur die Unbehülflichkeit der technischen Struktur erblickt; indessen, auch selbst von jeder höheren Ansicht abgesehen, nur das beachtend, was man im Kreise des Gemeinen Wirkung zu nennen pflegt, liegt es am Tage, daß in der Kirche, in dem großen weithallendem Gebäude, gerade alles Verschmelzen durch Übergänge, durch kleine Zwischennoten, die Kraft des Gesanges bricht, indem sie ihn undeutlich macht. In Palestrinas Musik trifft jeder Akkord den Zuhörer mit der ganzen Gewalt, und die künstlichsten Modulationen werden nie so, wie eben jene kühnen, gewaltigen, wie blendende Strahlen hereinbrechenden Akkorde, auf das Gemüt zu wirken vermögen. – Palestrina ist einfach, wahrhaft, kindlich, fromm, stark und mächtig – echtchristlich in seinen Werken, wie in der Malerei Pietro von Cortona und unser Dürer; sein Komponieren war Religionsübung. Reichardt hat im fünften Stück seines Kunstmagazins ein herrliches, vierstimmiges Gloria aus einer Messe von Palestrina abdrucken lassen, das alles Gesagte bestätigt. Der Verfasser hat in diesem Augenblick Palestrinas Responsorien vor sich, die in den drei letzten Tagen der Charwoche vom Chor gesungen wurden. Die Responsorien des Chors unterbrechen nämlich den Canto fermo der Priester, und tragen so, mit diesem wechselnd, die Leidensgeschichte Jesu in biblischen Worten vor. Eben diese Einrichtung findet auch, nur auf andere Weise, bei dem Miserere statt, und es sei dies nur beiläufig für die, mit dem katholischen Kultus Unbekannten bemerkt. Um den Canto fermo, dessen schon früher gedacht wurde, im Beispiel dem Leser vor Augen zu bringen, möge hier der Teil eines uralten gregorianischen Gesanges stehen, sowie sich später die Gelegenheit zum Einrücken eines Palestrinaschen Responsoriums darbieten wird.

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Ist nun der hohe, einfache Stil Palestrinas der wahrhafte, würdige Ausdruck des, von der inbrünstigsten Andacht entzündeten Gemüts; ist die Kirche seine wahre, einzige Heimat: so nimmt es nicht wunder, daß er so lange sich erhalten mußte, als die Kirche in dem vollen Glanz ihrer ursprünglichen Hoheit und Würde strahlte. Das berühmte zweichörige Miserere von Allegri ist noch ganz in dem Stil des Palestrina geschrieben, wiewohl es an Kühnheit und Kraft diesen Werken nachsteht, und unerachtet seiner Berühmtheit, die auch wohl durch den wundervollen Vortrag der Sänger in der sixtinischen Kapelle entstanden sein mag, sogar Leos späterem Miserere weichen muß. –

Die Meister der damaligen Zeit erhielten sich rein von allem Schmuck und trachteten nur dahin, in frommer Einfalt wahrhaftig zu sein, bis nach und nach der melodische Schwung den die Kompositionen nahmen, die erste Abweichung von jenem tiefern Ernst bereitete. Aber wie würdig, wie einfach und kräftig dennoch der Kirchenstil blieb, zeigen die Werke eines Caldara, Bernabeï, A. Scarlatti, Marcello, Lotti, Porpora, Leonardo Leo, Valotti u. a. Noch war es in der Ordnung, bloß für Singstimmen, ohne Begleitung anderer Instrumente, höchstens der Orgel zu setzen, und schon dieses erhielt die Einfachheit des choralartigen Gesanges, der durch keine bunten Figuren der Begleitung übertäubt wurde. Zu weit würde es für den Raum dieser Blätter führen, und die nur zum Verständnis dessen, was über das Verhältnis der alten zur neuen Kirchenmusik gesagt werden soll, nötigen Andeutungen würden sich zur pragmatischen Geschichte der Kirchenmusik ausdehnen, wenn das stufenweise Übergehen in den neueren und neuesten Stil durch die Folge der Meister und ihrer Werke gezeigt werden sollte: es sei daher vergönnt, nur noch einzelnes über jene alten Meister, die ewig unsere Muster bleiben werden, und deren herrliche Periode wohl bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts reicht, zu sagen. –

Unter den älteren Meistern jener Periode leuchtet der große Alessandro Scarlatti mächtig hervor. Bekanntlich schrieb er schon am Ende des siebzehnten Jahrhunderts mehrere Opern. Wie wenig Einfluß aber damals das Theater auf die Kirche hatte, oder vielmehr, wie es dem Meister gar nicht in den Sinn kommen konnte, weltlichen Prunk ins Heiligtum zu tragen, zeigen die Kirchenwerke dieses Komponisten, die, unerachtet ihres melodischen Schwunges, doch rücksichtlich der kühnen Akkordenfolge und der inneren Kraft sich an Palestrinas Werke anschließen. Der Verfasser hat eine fünf- und siebenstimmige, alla Cappella, ohne alle Instrumentalbegleitung gearbeitete Messe vor Augen, die zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts (1703) komponiert, und ein Muster des wahren, mächtigen Kirchenstils ist. – Ebenso herrlich sind Leos Werke und wer möchte nicht, außer dem großen Händel, noch unsern tiefsinnigen Sebastian Bach zu der heiligen Schar jener Periode rechnen? Seine Messe für zwei Orchester, acht Haupt- und vier Ripienstimmen gehört zu den wenigen klassischen Kirchenkompositionen, die durch den Stich ins größere Publikum gedrungen sind. – Um noch einmal mit einem Worte den Geist der Kompositionen aller der genannten großen Meister auszusprechen, ist es nur zu sagen nötig, daß die Kraft des Glaubens und der Liebe ihr Inneres stärkte, und die Begeisterung schuf, in der sie mit dem Höheren in Gemeinschaft treten, und entflammt wurden zu den Werken, die nicht weltlicher Absicht dienen, sondern nur Lob und Preis der Religion, des höchsten Wesens, sein sollten. Daher tragen jene Werke das Gepräge der Wahrhaftigkeit, und kein ängstliches Streben nach sogenannter Wirkung; keine gesuchte Spielerei und Nachäffung entweiht das rein vom Himmel Empfangene; daher kommt nichts vor von den sogenannten frappierenden Modulationen, von den bunten Figuren, von den weichlichen Melodien, von dem kraftlosen verwirrenden Geräusch der Instrumente, das den Zuhörer betäuben soll, damit er die innere Leere nicht bemerke, und daher wird nur von Werken dieser Meister und der wenigen, die noch in neuester Zeit treue Diener der von der Erde verschwundenen Kirche blieben, das fromme Gemüt wahrhaft erhoben und erbaut. Mag hier noch einmal der Name des herrlichen Fasch stehen, der im ganzen Sinne des Worts ein Meister der alten frommen Zeit war, und dessen tiefsinnige Werke nach seinem Tode von der leichtsinnigen Menge so wenig beachtet wurden, daß die Herausgabe seiner sechzehnstimmigen Messe aus Mangel der Unterstützung nicht einmal zustande kam! – Das Ärgste in dieser Hinsicht ist indessen in der neuesten Zeit geschehen, wiewohl, wie oben schon bemerkt wurde, früher die Verweichlichung der Melodie nach und nach eintrat.

Ehe der Verfasser tiefer eingeht in die Ursachen des allmählichen Verfalls der Kirchenmusik, glaubt er, daß es dem Leser interessant sein müsse, mit einem Blick den allmählichen Abfall von der alten Wahrhaftigkeit und Kraft zur modernen Geziertheit und Weichlichkeit zu übersehen, und er gibt daher zwei Beispiele verschiedener Perioden, die noch nicht einmal bis in die neueste Zeit reichen, und also das eigentliche Arge, was geschehen, noch unberührt lassen.

Palestrina lebte und schrieb im sechzehnten Jahrhundert (geb. 1529), Valotti im achtzehnten (geb. 1705): hier sind zwei Responsorien dieser Meister über dieselben Worte.

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Wer fühlt nicht den Abstand, und wer bemerkt nicht in Valottis Komposition doch noch der Kirche angemessene Würde und Einfachheit?

Leonardo Leo ist geboren ums Jahr 1694, Sarti im Jahre 1730, beide haben ein Miserere komponiert und des Sartische ist überdem noch berühmt geworden. Hier ist die Komposition über die Worte: Miserere mei, deus, secundum magnam misericordiam tuam.

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Wie kräftig, wie erhaben ertönt Leonardos Chor, und wie weichlich nimmt sich die Sartische Komposition dagegen aus! –

Bisher war nur von der Kirchenmusik in ihrem eigentlichsten Wesen, wenn sie nämlich selbst Kultus ist, die Rede: schon in früher Zeit entstand aber das geistliche Drama, und so wurde eine Kirchenmusik gebildet, die, ohne Kultus zu sein, als geistliche Oper das Gemüt mit den Gegenständen der heiligen Geschichte erfüllen, und so Erbauung, religiöse Erhebung des Geistes, bewirken sollte; späterhin aber wohl den ersten Anlaß zum Verfall des wahren Kirchenstils gab. Aus der Kirche wanderte die Musik in das Theater und kehrte aus diesem, mit all dem nichtigen Prunk, den sie dort erworben, dann in die Kirche zurück.

Zu den ältesten Werken dieser Art, die, rücksichtlich der melodischen Ausbildung, auf einer hohen Stufe stehen, gehören unstreitig die Oratorien von Caldara, der am Schluß des siebzehnten Jahrhunderts und im Anfange des achtzehnten lebte und komponierte. Ein hohes bewunderungswürdiges Oratorium Caldaras ist z. B. das geistliche Drama: Morte e sepoltora di Cristo. Die Einrichtung dieses Oratoriums, in dem Rezitative mit Arien, Duetten, Chören wechseln, ist ganz dieselbe, wie sie damals in den Opern stattfand: nur mochten sich die geistlichen Dramen durch größeren Reichtum der Chöre auszeichnen. Manches in diesem Oratorium ist ganz dramatisch gehalten. So z. B. kommt eine Turba di Popolo darin vor, die das Rezitativ zweimal hintereinander unterbricht und in folgender Art ausgedrückt ist:

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Außer der herrlichen, wundervollen, harmonischen Ausarbeitung der Chöre sind die Melodien der Arien, die eine wahre, aus dem Innersten kommende Frömmigkeit atmen, nicht genug zu beachten. Selbst die uns jetzt dürftig erscheinende Instrumentierung ist voll hohen Geistes und Sinnes, und man erkennt schon den Keim des überschwenglichen Reichtums, der sich in der Instrumentalmusik der neueren Zeit aufgetan hat. Gleich z. B. die erste Arie über die Worte:

deh scorgieti o mesti lumi
l'alma afflitta inonde amare
or ch'estinto il mio signor etc.

wird nur von zwei Violen begleitet, die die Akkorde anschlagen, während die Fagotts mit den Bässen eine Figur imitieren, die erst in den letzten acht Takten von den Violinen aufgegriffen wird.

Das Mittel zwischen der Musik des eigentlichen Kultus und dem geistlichen Drama halten in gewisser Art die berühmten Psalmen des Marcello, die größtenteils zwei- und dreistimmig, seltner vier- und fünfstimmig, bloß mit Begleitung des Basses gearbeitet sind. Dieses tiefsinnige Werk steht wohl an der Spitze jener geistlichen Hymnen, die später so vielfältig komponiert wurden, wie z. B. die Litaneien von Durante, das Stabat mater von Pergolese, das sogenannte Miserere von Jomelli (Pietã, Pietã, Signor) u. a. Zu weit würde es führen, tiefer in jenes große Werk des berühmten Marcello einzugehen: nur soviel sei bemerkt, daß ein Schatz von melodischer Wahrheit und Kraft darin geborgen, der immer mehr in voller Glut hervorleuchtet, je schärfer man das Ganze und das Einzelne ins Auge faßt. –

Nach diesen Meistern (Palestrina, Caldara, Marcello etc.) stieg mit dem melodischen Reichtum auch der Prunk der Instrumente, und es ist wohl nur zu gewiß, daß die Theatermusik dazu Veranlassung gab, der das Oratorium den Eintritt in die Kirche geöffnet hatte. Schon sehr früh wurde den Saiteninstrumenten ein Blasinstrument hinzugefügt, dessen Ursprung sich in das tiefste Dunkel des Altertums verliert, und unerachtet es noch in der Form vorhanden, doch von bequemeren, wohlklingenderen verdrängt, oder vielmehr in eine ganz andere Region verwiesen worden ist – nämlich die Trompete. Wie man damals (am Ende des siebzehnten Jahrhunderts) die Trompete brauchte, mag eine Stelle aus einem Te deum von Ziani beweisen:

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Daß die Trompete, wie sie jetzt von den Komponisten gebraucht wird, an kräftiger, edler Wirkung unendlich gewonnen hat, ist nicht zu leugnen. Außer der Trompete verstärkt das Fagott meistenteils nur den Baß, so wie die Hoboen die Violine, im unisono gehend, verstärkten; im dreistimmigen Satz vertrat die Viole die zweite Violine, da diese mit der ersten in Einklang gesetzt war.

Viel reicher in der Instrumentierung als sein Vorgänger war Händel: doch lebte in den Werken des hochherrlichen Meisters der Geist der Frömmigkeit und Wahrhaftigkeit; und wer denkt nicht hier an seinen Messias, an das Oratorium aller Oratorien, rücksichtlich des rein biblischen Textes, des melodischen Ausdrucks, der harmonischen Arbeit, und der ergreifenden Würde und Kraft? Wer möchte da das kleinste Thema finden, das, unerachtet des melodischen Reichtums, ja mancher musikalischen Malerei, im höheren Sinne genommen, auch nur im mindesten an das Theatralische erinnern sollte? – Diesem hohen Meister schließt sich der unsterbliche Hasse, wenngleich auf verschiedenem Wege das Ziel erreichend, an. – Eines wenig bekannten Werkes von Händel darf hier Erwähnung geschehen, das zwar an Kraft und Würde dem Messias gar nicht gleichzustellen ist, da schon die dramatische Einrichtung des Ganzen dem im Wege steht, aber doch so manches Herrliche, Unvergleichliche enthält. Dies ist das Oratorium: Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus, das einzige, welches Händel ursprünglich deutsch komponierte, und das nur jetzt der Änderung des hin und wieder zu niedrigen, gemeinen Textes bedürfte, um aufs neue mit der größten Wirkung aufgeführt zu werden. In Gerbers Tonkünstler-Lexikon ist dieses Oratorium unter Händels Werken nicht aufgeführt, und es ist dasselbe überhaupt in Deutschland gar nicht bekannt geworden. Haydn bekam bei seiner Anwesenheit in London die Original-Partitur von der Königin von England zum Geschenk, und diese Partitur befindet sich wahrscheinlich mit dem übrigen handschriftlichen Nachlaß Haydns im Besitz des Fürsten Esterhazy. Von Haydn erhielt die Härtelsche Handlung in Leipzig eine Abschrift jener Originalpartitur, und so besitzt Hr. Härtel jenen seltenen Schatz, dessen Mitteilung durch den Druck – sollte es auch nur der Chöre sein – jeden Verehrer wahrer Kirchenmusik, vorzüglich aber den in die heilige Tiefe der Tonkunst eingehenden Musiker, auf das höchste interessieren müßte. Nur der Abänderung des Textes, der hin und wieder zu sehr in das Gemeine und Geschmacklose fällt, bedürfte es; wie schon oben erinnert worden. d. Verf.

Sehr groß und kräftig, vorzüglich in seinen Chören, war auch der jetzt beinahe vergessene Fux, und man begreift, daß nach seiner Art zu setzen, seine Opera seria, Virtú e costanza, die von einem ungeheuern Orchester im Freien aufgeführt wurde, von großer Wirkung sein mußte.

In der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts brach nun endlich jene Verweichlichung, jene ekle Süßlichkeit in die Kunst ein, die, mit der sogenannten, allen tieferen religiösen Sinn tötenden Aufklärerei gleichen Schritt haltend, und immer steigend, zuletzt allen Ernst, alle Würde aus der Kirchenmusik verbannte. Selbst die Musik, die in den katholischen Kirchen den Kultus bildet, die Messen, Vespern, Passionshymnen usw. erhielten einen Charakter, der sonst selbst für eine opera seria, zu seicht, zu würdelos gewesen sein würde. Mag es hier unverhohlen gesagt werden, daß selbst der, in seiner Art so große, unsterbliche J. Haydn, selbst der gewaltige Mozart, sich nicht rein erhielten von dieser ansteckenden Seuche des weltlichen, prunkenden Leichtsinns. Mozarts Messen, die er jedoch bekanntlich auf erhaltenen Auftrag nach der ihm vorgeschriebenen Norm komponierte, sind beinahe seine schwächsten Werke. Er hat indessen in einem einzigen Kirchenwerke sein Inneres aufgeschlossen: und wer wird nicht von der glühendsten Andacht, von der heiligsten Verzückung ergriffen, die daraus hervorstrahlt? Sein Requiem ist wohl das Höchste, was die neueste Zeit für den kirchlichen Kultus aufzuweisen hat. So körnig, so tief oft Haydn die Worte des Hochamts gesetzt hat, so vortrefflich die harmonische Ausarbeitung ist: so gibt es doch beinahe keines dieser Werke, das ganz frei von manchen Spielereien, ja von mancher, der Würde des Kirchenstils ganz unangemessenen Melodie wäre, und selbst, daß der Meister die menschliche Stimme zuweilen gar zu sehr als Instrument behandelt, welches man ihm mit Recht vorwirft, fließt aus dem gar zu Hüpfenden, Springenden des melodischen Ganges. Daß die Schöpfung durchaus kein im reinen Kirchenstil durchgehaltenes Oratorium ist, wurde von denen, die jenen Stil wahrhaft im Innern tragen, längst erkannt: indessen tut man dem Meister großes Unrecht, wenn man seinen beiden Werken, der Schöpfung und vorzüglich den Jahreszeiten, den Maßstab der reinen Kirchenmusik anlegt. Das pedantische Sichten und Klassifizieren in der Kunst tut selten gut. Jene Musik des Meisters bezieht sich in keiner Art auf kirchlichen Kultus, und jene Oratorien sind nichts anderes, als der herrliche Ausdruck, wie dem Meister das Leben – die Welt – in der Musik aufgegangen. Nur in beengter Ansicht genommen sind die Jahreszeiten manchem in schiefem Lichte erschienen. Es gibt kein herrlicheres, farbenreicheres Bild des ganzen menschlichen Lebens, als wie es der Meister in den Jahreszeiten musikalisch aufgestellt hat, und selbst manche geniale Spielerei färbt nur glühender die bunten Gestalten der Welt die uns in flimmernden Kreisen umtanzen. Derselbe ewige Wechsel des Ernsten, Grauenhaften, Schrecklichen, Lustigen, Ausgelassenen, wie das irdische Sein ihn treibt, herrscht in jener wundervollen Musik die auf die Kirche sich höchstens nur insofern bezieht, als auch fromme Betrachtungen in den Kreis des täglichen Lebens gezogen werden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Individualität des Meisters sich auch hier, wie vorzüglich in seiner Instrumentalmusik, in einer gewissen humoristischen, neckhaften Lustigkeit ausspricht: aber selbst in seinen ernstesten Werken für die Kirche hört sich manches so, wie jene sich unter dem Tisch des Herrn beißenden Hunde erscheinen.

Sind nun, auf die reine Kirchenmusik zurückzukommen, auch die Haydnschen Messen und kirchlichen Hymnen, vorzüglich im Vergleich jener alten, wahrhaft heiligen, von der Erde verschwundenen Musik, durchaus nicht Muster des Kirchenstils zu nennen: so versteht es sich doch von selbst, daß sie über die neuesten Produktionen dieser Art hoch hervorleuchten, wiewohl sie freilich dem Unverstande zu allem theatralischen Prunk Tür und Angel öffneten. Wie oft wurde der große Haydn nachgeahmt, oder vielmehr nachgeäfft: aber bloß an der Schale nagten die sogenannten Kirchenkomponisten, ohne den Kern zu erbeuten, und der tiefe Geist der Harmonik, der in seinen Werken verschlossen, konnte ihnen nicht aufgehen. Daher entstanden die abgeschmackten, seichten, kraftlosen Kirchenkompositionen, wie sie der Verfasser in neuester Zeit in den Kirchen des katholischen, südlichen Deutschlands und in Böhmen und Schlesien hörte. – Mancher sonst wackre Komponist verleugnete sich, so wie er es unternahm, ein Kirchenstück zu setzen, und es ist in dieser Hinsicht merkwürdig, daß selbst ein neuerer, tiefsinniger, in die Harmonik tief eingeweihter Meister nicht mehr im Kirchenstil leistete. Cherubinis dreistimmige Messe, so viel Geist und Kunst übrigens daran verwendet, erfüllt doch nicht im mindesten die Bedingungen wahrer Kirchenmusik, da mehrere Sätze ganz theatralisch sind. – Ein nicht nach Verdienst beachteter Kirchenkomponist ist der wackre Michael Haydn, der in diesem Fache ganz an seinen berühmten Bruder reicht, ja ihn oft in ernster Haltung weit übertrifft. –

Diese Andeutungen – denn nur dafür wünscht der Verfasser, daß man alles bisher Gesagte ansehen möge – reichen hin, die Resultate dessen, was in der jetzt angebrochenen Zeit für die Kirchenmusik geschehen kann, aufzustellen. – Rein unmöglich ist es wohl, daß jetzt ein Komponist so schreiben könne, wie Palestrina, Leo, und auch wie später Händel u.A. – Jene Zeit, vorzüglich wie das Christentum noch in der vollen Glorie strahlte, scheint auf immer von der Erde verschwunden, und mit ihr jene heilige Weihe der Künstler. Ein Miserere, wie das von Allegri oder Leo, komponiert jetzt ebensowenig ein Musiker, als ein Maler eine Madonna wie Raphael, Dürer oder Holbein malt. Indessen bieten beide Künste, Malerei und Musik, rücksichtlich ihres Fort- oder Weiterschreitens in der Zeit verschiedene Ansichten dar. Wer mag daran zweifeln, daß die großen Maler jener alten Zeit in Italien es bis zur höchsten Stufe der Kunst gebracht hatten? Die höchste Kraft und Anmut lag in ihren Werken, und selbst in technischer Fertigkeit übertrafen sie die neuen Meister, die in jener Hinsicht vergebens darnach streben, sie zu erreichen. In Zeichnung, Kolorit – kurz, in jedem der Teile, die sich zum vollendeten Ganzen bequem zusammenfügen müssen, sind die alten Meister den Neuern überlegen, und der Vorurteilfreie wird dies in jeder Galerie, die alte und neue Gemälde zusammenstellt, bestätigt finden. Mit der Musik ist es aber anders. Der Leichtsinn der Menschen konnte den waltenden Geist nicht aufhalten, der im Dunkeln fortschritt, und nur der tiefer Eindringende, der seinen Blick abwandte von dem sinnverwirrenden Bilde, in dem die von allem Heiligen und Wahrhaftigen losgerissenen Menschen sich bewegten, wurde die Strahlen gewahr, die, des Geistes Dasein verkündend, durch das Dunkel brachen, und glaubte an ihn. Das wunderbare Streben, jenes Walten des belebenden Naturgeistes, ja unser Sein in ihm, unsere überirdische Heimat, zu erkennen, das sich in der Wissenschaft offenbart, wurde durch die ahnungsvollen Töne der Musik angedeutet, die immer vielfältiger und vollkommner von den Wundern des fernen Reichs sprach. Es ist nämlich wohl gewiß, daß die Instrumentalmusik sich in neuerer Zeit zu einer Höhe erhoben hat, die die alten Meister nicht ahneten, sowie an technischer Fertigkeit die neuern Musiker die alten offenbar weit übertreffen.

Haydn, Mozart, Beethoven entfalteten eine neue Kunst, deren erster Keim sich wohl eben erst in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zeigte. Daß der Leichtsinn, der Unverstand mit dem erworbenen Reichtum übel haushaltete, daß endlich Falschmünzer ihrem Rauschgolde das Ansehen der Gediegenheit geben wollten, war nicht die Schuld jener Meister, in denen sich der Geist so herrlich offenbarte. Wahr ist es, daß beinahe in eben dem Grade, als die Instrumentalmusik stieg, der Gesang vernachlässigt wurde, und daß mit dieser Vernachlässigung, die von den Komponisten ausging, jenes völlige Ausgehen der guten Chöre, das von mancher kirchlichen Einrichtung (Aufhebung der Klöster usw.) herrührte, gleichen Schritt hielt; daß es unmöglich ist, jetzt zu Palestrinas Einfachheit und Größe zurückzukehren, wurde schon gesagt: inwiefern aber der neu erworbene Reichtum ohne unheilige Ostentation in die Kirche zu tragen sei In der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« steht scheint: ein offenbarer Druckfehler für sei. In den »Serapionsbrüdern« (siehe unsern Band VII, S. 158) hat Hoffmann geändert »getragen werden darf«., das fragt sich noch. –

Dem jungen Komponisten, der zu wissen begehrte, wie er es denn anfangen solle, wahre, würdige Kirchenmusik zu setzen, könnte man nur antworten, daß er sein Inneres wohl erforschen möge, ob der Geist der Wahrheit und der Frömmigkeit in ihm wohne, und ob dieser Geist ihn antreibe, Gott zu preisen und von den Wundern des himmlischen Reiches in den wunderbaren Tönen der Musik zu reden; ja ob sein Komponieren nur das Aufschreiben der heiligen Gesänge sei, die, wie in andächtiger Entzückung, aus seinem Innern strömten. Nur wenn dieses ist, werden seine Kirchengesänge fromm und wahrhaft sein. Jede äußere Anregung, jedes kleinliche Bemühen um irdischen Zweck, jedes eitle Trachten nach Bewunderung und Beifall, jedes leichtsinnige Prunken mit erworbener Kenntnis führt zum Falschen, zum Unwürdigen. Nur in dem wahrhaft frommen, von der Religion entzündeten Gemüt wohnen die heiligen Gesänge, die mit unwiderstehlicher Macht die Gemeinde zur Andacht entflammen. – Ist der junge Komponist nicht durch den Leichtsinn der Welt verdorben, so werden ihn die Werke der alten Meister auf wunderbare Weise erheben; ja, er wird es fühlen, wie das, was im eigenen Gemüte nur wie verworrene Ahnung lag, sich zum klaren Anschauen verdeutlicht. Das Studium des Kontrapunktes ist nichts, als die, jedem, der ein Gebäude aufführen will, zu erwerben nötige genaueste Kenntnis der innern Struktur: aber das tiefe, anhaltende Studium der Werke großer Meister wohl nur das, woraus der Künstler die Kraft des Bildens schöpfen, oder vielmehr in das lebendige Wirken rufen muß. Nicht genug kann daher der mit kindlichem, frommem Gemüt begabte Künstler jene Werke der alten Meister sich so zu eigen machen, daß er sie selbst ganz in Sinn und Gedanken trägt: dann wird ihm bald jeder fremdartige, unheilige Prunk leer und schal erscheinen, und er nie versucht werden, sein Werk damit zu putzen. – Die Erfindung der echtkirchlichen Melodien ist das, woran jeder nicht wahrhaftige Komponist scheitert – der Probierstein des innern Gemüts. Alles harmonische Ausarbeiten, dem Kirchenstil gemäß, verbirgt nicht das profane Thema; so kann eine, im theoretischen Sinn, rein gearbeitete Fuge gar nicht kirchenmäßig sein; so können oft kunstreiche Imitationen den hüpfenden, dem Konzertsaal oder dem Theater abgeborgten Satz nur noch mehr nach seinem ursprünglichen Charakter ins Licht stellen. Aber freilich muß ja auch eben die Melodie rein aus dem frommen Gemüte strömen; hier läßt sich nichts künstlich hervorrufen, hier gilt nur die wahre Begeisterung. – Nun ist es aber gewiß, daß dem heutigen Komponisten kaum eine Musik anders im Innern aufgehen wird, als in dem Schmuck, den ihr die Fülle des jetzigen Reichtums gibt. Der Glanz der mannigfachen Instrumente, von denen manche so herrlich im hohen Gewölbe tönen, schimmert überall hervor: und warum sollte man die Augen davor verschließen, da es der forttreibende Weltgeist selbst ist, der diesen Glanz in die geheimnisvolle Kunst des neuesten, auf innre Vergeistigung hinarbeitenden Zeitalters geworfen hat? Es ist nur der falsche Gebrauch dieses Reichtums, der ihn schädlich macht: er selbst ist ein wohlerworbenes, herrliches Eigentum, das der wahre, fromme Komponist nur zu größerer Verherrlichung des Hohen, Überirdischen, das seine Hymnen preisen, anwendet. Jene bunten, krausen Figuren, vorzüglich in den Saiteninstrumenten, die wie aufgeklebte, knisternde Goldflitter die Ruhe und Haltung des Ganzen stören, die den Gesang übertäuben, und vorzüglich in dem hohen, gewölbten Dom nur ein verwirrendes Geräusch machen, sind aller Kirchenmusik fremd, und nur der Unverstand kann sich ihrer bedienen; sowie alle weichlichen Konzertmelodien in der Kirche unkräftig und würdelos klingen. Allerdings ist es richtig, daß in starken Sätzen für die Violinen die geschwinden Noten von vieler Wirkung sind: aber dann ist das bloße Brechen der längeren Noten in geschwindere, z. B. der Viertel in Sechzehnteile, für die Kirche offenbar besser als jede andere, jede krause Figur. Z. B.:

Noten

Dieselbe Stelle auf folgende Weise instrumentiert:

Noten

streift mit den durchlaufenden, dissonierenden Tönen schon an das Theatralische und klingt in der Kirche verworren. Überhaupt sind wohl in der Kirche diejenigen Figuren die schicklichsten, die ohne dissonierende Noten bloß den Grund-Akkord durchlaufen, da sie der Kraft und Deutlichkeit des Gesanges am wenigsten Eintrag tun, vielmehr die Wirkung oft um vieles verstärken. – Daß die Blasinstrumente sich oft herrlich dem Gesange anschmiegen, und daß in ihrem Gebrauch die Meister der neuesten Zeit manches entdeckten, das man in alter nicht ahnte, mag niemand leugnen. Hier darf wohl das Meisterwerk nochmals erwähnt werden, das die Kraft, die heilige Würde der alten Musik mit dem reichen Schmuck der neueren verbindet, und das in dieser Hinsicht, vorzüglich auch in der so weise angeordneten Instrumentierung, den neuen Kirchenkomponisten als Muster dienen kann: das tiefe, überschwenglich herrliche Requiem von Mozart. Das Tuba mirum mag vielleicht der einzige Satz sein, der in das Oratorienartige fällt: sonst bleibt die Musik überall reiner Kultus, und nur als solcher ertönen die wunderbaren Akkorde, die von dem Jenseits sprechen, ja, die das Jenseits selbst sind, in ihrer eigentümlichen Würde und Kraft. – Das Requiem, im Konzertsaal ausgeführt, ist nicht dieselbe Musik; die Erscheinung eines Heiligen auf dem Ball! – Freilich ist der große Verfall der Kirchenmusik im katholischen Deutschland, und selbst in Italien, daran Schuld, daß die Werke der alten, hohen Meister gar nicht mehr, oder nur auf unwürdige Weise gehört werden, und nur noch im Konzert darf man hoffen, wenigstens einigermaßen würdig, manches ältere klassische Werk zu hören! Abgesehen davon aber, daß die für den Kultus bestimmte Musik ohne denselben bedeutungslos bleibt – denn diese Musik ist ja der Kultus selbst, und daher eine Missa im Konzert, eine Predigt im Theater: so ist es auch unmöglich, daß bei Konzert-Aufführungen, selbst guten, das Gemüt, durch tausend Dinge zerstreut, so in Andacht entzündet werden kann, als in der Kirche durch den feierlichen Kultus. Das Hervorrufen der alten Werke ersetzt daher keineswegs ihr Verschwinden aus den Kirchen. – Dem gänzlichen Verfall des Gesanges scheint durch die lobenswerte Einrichtung der Singakademien Einhalt zu geschehen; sollen indessen diese Akademien auf die Kirchenmusik von wahrem Einfluß sein, so müßten sie nicht Privat-Unternehmungen bleiben, sondern in religiöser Form vom Staate gebildet und unterstützt werden. An katholischen Örtern würden dann diese Akademien den kirchlichen, musikalischen Kultus, in evangelischen Örtern aber oftmals Kirchenmusiken während des Kultus ausführen. Von Konzerten in der Kirche, die man gegen einen Eintrittspreis besucht, ja wo es oft, wie im Theater, geringere und höhere Plätze gibt, Parterre und Galerie, dürfte dann, als etwas ganz Unwürdigem, aller christlichen Frömmigkeit Entgegenstrebendem, nichts mehr stattfinden, und der heilige Ort nicht mehr zum Tummelplatz der Arroganz und Ostentation entweiht werden. Selbst die Übungen dieser Akademien könnten an heiligen, geweihten Orten gehalten werden, und so aus ihnen sich Konservatorien bilden, wie sie sonst in Italien bestanden, und aus denen die großen Meister der damaligen Zeit hervorgingen. Es ist richtig, daß der evangelische Kultus eigentlich dem wahrhaft Musikalischen entgegenstrebt: aber mit dem Wiederaufblühen wahrer Kirchenmusik würde der Zeitgeist hier auch das Herrliche, Erfreuliche bilden, und die heilige Musik auch wieder eindringen in den Kultus der evangelischen Gemeinde.

Wie sehr nun auf jene Weise der Geist der wahren Musik auch weiter im Volk erweckt werden, so aber das Falsche, Unwürdige, was der Leichtsinn in die Kunst gebracht hat, verschwinden würde: das liegt am Tage. Für Tonkünstler und Komponisten, ja für jeden ächten Verehrer der wahren Kirchenmusik, wäre nichts erfreulicher, als wenn die Werke der alten Meister, die nur wie verborgene Schätze selten hin und wieder anzutreffen sind, durch Druck und Stich in das Publikum kämen; und sollte es anfangs auch nur bruchstückweise, etwa in der Form des Reichardtschen Kunstmagazins, geschehen. Denn selbst diese Anregung dürfte nicht ohne die ersprießlichsten Folgen bleiben. Wie mancher junge Komponist kennt einen Palestrina, Leonardo Leo, Scarlatti etc. nur dem Namen nach, und seine individuelle Lage verhindert ihn, sich die Abschrift ihrer selten gewordenen Werke zu verschaffen; und doch würden ihn erst jene Werke über die wahre Kirchenmusik aufklären. – Die Leichtigkeit, sich jene Werke zu verschaffen, würde aber auch selbst manche Aufführung erzeugen, die sonst unterblieben wäre. –

Immer weiter fort und fort treibt der waltende Weltgeist; nie kehren die verschwundenen Gestalten, so wie sie sich in der Lust des Körperlebens bewegten, wieder: aber ewig, unvergänglich ist das Wahrhaftige, und eine wunderbare Geistergemeinschaft schlingt ihr geheimnisvolles Band um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Noch leben geistig die alten, hohen Meister; nicht verklungen sind ihre Gesänge: nur nicht vernommen wurden sie im brausenden, tobenden Geräusch des ausgelassenen, wilden Treibens, das über uns einbrach. Mag die Zeit der Erfüllung unseres Hoffens nicht mehr fern sein, mag ein frommes Leben in Friede und Freudigkeit beginnen, und die Musik frei und kräftig ihre Seraphsschwingen regen, um aufs neue den Flug zu dem Jenseits zu beginnen, das ihre Heimat ist, und von dem Trost und Heil in die unruhvolle Brust des Menschen hinabstrahlt. –

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