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Beethovens »Musik zu Goethes Egmont«.

Op. 84.

Es ist wohl eine erfreuliche Erscheinung, zwei große Meister in einem herrlichen Werke verbunden, und so jede Forderung des sinnigen Kenners auf das Schönste erfüllt zu sehen. Wahrscheinlich (Rez. sind die näheren Umstände gänzlich unbekannt) wurde B. zum Behuf der Darstellung des Egmont aufgefordert, die dazu gehörige Musik zu komponieren, und er hat bewiesen, daß er gewiß unter vielen Komponisten der war, welcher die zarte und zugleich kräftige Dichtung tief in seinem Innern auffaßte: jeder Ton, den der Dichter anschlug, klang in seinem Gemüte, wie auf gleichgestimmter, mitvibrierender Saite, wieder, und so bildete sich die Musik, die nun, wie ein, aus strahlenden Tönen gewobenes, leuchtendes Band, das Ganze durchschlingt und verknüpft. Um so mehr ist diese Komposition ein hoher Gewinn für die Kunst, als wirklich, sonderbarerweise, ein größeres Goethesches, für die Musik, oder auch nur für den musikalischen Schmuck berechnetes Werk, sich noch keiner gediegenen, klassischen Komposition zu erfreuen hat. So sinnig z. B. ein Meister der Tonkunst manches gemütliche Lied von Goethe gesetzt hat, so wahrhaft klassisch in dieser Art die Gesänge zum Wilhelm Meister geraten sind: so mißlungen ist doch die Musik der überaus zarten, lieblichen, dem Komponisten recht in die Hand gearbeiteten Claudine von Villa Bella. Rez. darf dies frei sagen, da das Publikum durch gänzliches Nichtbeachten und Vergessen längst über die Komposition den Stab gebrochen hat. Die Lilla, so wie der Triumph der Empfindsamkeit, beides vielleicht mit geringer Änderung herrliche Operntexte, sind, so viel Rez. weiß, niemals komponiert worden. Die Musik zu Erwin und Elmire ist veraltet, und nur die lustige, echt italiänische Buffonade Scherz, List und Rache, erinnert sich Rez. vor mehreren Jahren in Posen von der Gesellschaft des Schauspiel-Direktors, Carl Döbbelin, die sich damals dort befand, mehrmals mit der geratenen Komposition eines unbekannten Meisters aufführen gehört zu haben. Partitur und ausgeschrieben Orchesterstimmen sollen nachher zufällig verbrannt und durchaus nicht mehr zu haben gewesen sein. – Mancher gute Komponist der neuesten Zeit ist um Operntexte verlegen: möge er sich doch zu den klassischen Werken des großen Dichters wenden, und durch eine Komposition, in der wahre Begeisterung glüht, den noch nicht gewonnenen Kranz zu erringen suchen. – Rez. kommt, nach dieser Abschweifung, die ihm wohl erlaubt war, zu dem vorliegenden Werke selbst. –

Das, was in Goethes Egmont eines jeden Gemüt vornämlich tief anregen muß, ist Egmonts und Clärchens Liebe. Über ihre nächste Umgebung hoch erhaben, kann das herrliche Mädchen sich nur mit einer Inbrunst, die wahrhaft überirdisch, die kleinlichen Verhältnisse des Lebens verachtend, über alles diesseits hinausschreitet, an den Helden des Vaterlandes fest anschließen – nur in ihm leben; und, ohne daß er es deutlich ahnet, ist sie ihm selbst das höhere Wesen, das das himmlische Feuer nährt, welches in seiner Brust für Freiheit und Vaterland lodert. Seinen Tod will das Verhängnis, wenn der höchste seiner Wünsche erfüllt werden soll: aber sie geht ihm voran, und in himmlischer Verklärung, als die Freiheit selbst, sichert sie ihm den herrlichen Lohn seines Märtyrertums zu. Er erkennt, daß die beiden süßesten Freuden seines Herzens vereinigt sind, daß er für die Freiheit stirbt, für die er lebte und focht, und mutig geht er dem Tode entgegen, da er noch kurz vorher von der »süßen, freundlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens« nicht scheiden mochte. Mancher Komponist hätte eine kriegerische, stolz daherschreitende Ouvertüre zum Egmont gesetzt: aber an jene tiefere echt romantische Tendenz des Trauerspiels – kurz, an Egmonts und Clärchens Liebe, hat sich unser sinniger Meister in der Ouvertüre gehalten. In der düstern Tonart, F moll, spricht sich ebenso Clärchens schwärmerische Liebe aus, als in den verwandten Tonarten, As dur und Des dur, die überirdische Verklärung in hellem Leuchten erglänzt. – Die Ouvertüre fängt mit einem Sostenuto, 3/2-Takt, und dem von allen Instrumenten, mit Ausschluß der Pauke und der kleinen Flöte, ausgehaltenen F an, und dann tritt ein choralmäßiger Gedanke ein, der in seiner hohen Einfachheit von der herrlichsten Wirkung ist, indem er, wie man es von dem genialen Komponisten schon gewohnt worden, den Charakter des Ganzen im voraus getreulich verkündigt:

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Schon im funfzehnten Takte tritt das Thema des folgenden Allegro in Des dur ein, welches alsdann im ¾-Takt 25 Takte darauf die erste Violine und das Violoncell anfangen:

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In derselben Einfachheit, wie er angefangen, erhält sich der Komponist die ganze Ouvertüre hindurch, indem die beiden Themata des Sostenuto oft wiederkehren und sich mit dem Allegro verweben. Rez. kann ohne weitere Entwicklung des Einzelnen, von dem er nur sagen darf, daß es sich ganz nach der klassischen Manier des Meisters zum Ganzen verschlingt und ordnet, den Leser auf das aufmerksame Anhören der gediegenen Komposition verweisen. Er glaubt nämlich, die Tendenz, nach der der Meister arbeitete, so richtig aufgestellt zu haben, daß dem, von der Ouvertüre ergriffenen Zuhörer bei manchen Reden Clärchens, vorzüglich gleich in der ersten Szene mit Brackenburg und der Mutter, und noch in den ersten Szenen des fünften Akts, die in das Innerste dringenden Töne der Klage, so wie die, das höhere Leben verkündenden Akkorde bei den Übergängen in die, dem Haupttone in Moll verwandten Dur-Tonarten, von selbst wiederklingen werden. Rez. erwähnt in dieser Hinsicht nur den Gedanken, der von dem 18ten Takte des Allegro anhebt, sowie den Übergang in As dur im 50sten Takte, und die enharmonischen Verwechslungen nach der Wiederholung des Thema, das im Sostenuto vorkam:

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Am Schluß des Allegro tritt noch einmal dieses Thema in der Haupttonart F moll ein, und nun erstirbt der Satz in ppp. von Hoboe, Klarinette und Fagott ausgehaltenen Akkorden.

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Aber nun hebt, erst pp., dann immer steigend und steigend, ein Allegro con brio, F dur, an, das, kriegerisch und lärmend, sich zunächst auf die tumultuarischen Auftritte im Anfange des Stücks bezieht, und womit die Ouvertüre schließt. Auch dieses letzte Allegro ist, ohne alle kontrapunktischen Wendungen, einfach gehalten, und nur ganz, wie es sein soll, auf den richtigen Effekt berechnet.

Zum ersten Akte gehört noch das Liedchen: Die Trommel gerührt etc. Die Melodie ist sehr einfach, F moll, 2/4-Takt; nur erhält sie eine sehr pittoreske Begleitung durch die wirbelnde Pauke, die anschlagende kleine Flöte, und durch die kurzen Akkorde der Klarinetten, Fagotte und Hörner. Für die Operette würde das Lied ein Meisterstück sein; für das Schauspiel ist es, nach des Rez. Meinung, viel zu sehr geschmückt. Es ist unausstehlich, wenn in der Oper irgend ein anderes Motiv zum Singen gesucht wird, als das, was überhaupt der ganzen Oper zur Basis dient; nämlich, der erhöhte poetische Zustand, welcher bewirkt, daß des Menschen Sprache in leidenschaftlichen Augenblicken von selbst Gesang wird. Alle die: »Wollen wir nicht ein Liedchen singen?« »Singe einmal mein Leiblied, liebe Tochter« usw. sind daher ungemein lächerlich, da sie in der Oper selbst die Oper vernichten. Im Schauspiel dagegen soll das Lied wirklich ein Lied sein, wie man es wohl im Leben anstimmt, und da vernichtet die Mitwirkung des Orchesters, als etwas ganz fremdartig Hinzutretendes, den eigentlich beabsichtigten Effekt des Ganzen, Hört man daher, wenn Clärchen im stillen Hause ein Kriegslied vom Rühren der Trommel und Ertönen des Pfeifchens singt, beides wirklich: so ist es, als würde man plötzlich aus dem Stübchen, in das zu schauen vergönnt war, hinausgerissen in ein freies Blachfeld, auf dem Brackenburg und Clärchen in weiter Ferne verschwinden. Rez. würde zu solchen, in Schauspielen verkommenden Liedern höchstens die Begleitung setzen, welche von den, auf dem Theater befindlichen Personen, wenigstens scheinbar, ausgeführt werden kann.

»Stirb Armer! Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen gestohlen haben, heilsames Gift! du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese Todesschweiße auf einmal verschlingen und lösen.« –

Mit diesen Worten des unglücklichen Brackenburg schließt bekanntlich der erste Akt, und auch diese Klage, so sehr verschieden von Clärchens Schmerz, hat der Komponist in dem Zwischenakt sehr sinnig in Tönen darzustellen gewußt. Brackenburg, ein braver, tieffühlender, aber für die Verhältnisse, in die ihn das Verhängnis warf, viel zu weicher Jüngling, sucht mehr in dem Gedanken, sich den Tod zu geben, Trost, als daß er ihn wirklich auszuführen Kraft und Mut haben sollte. Er hat sich schon in das Wasser gestürzt, aber wieder durch Schwimmen gerettet: er führt Gift bei sich, das ihm Clärchen scherzend wegnimmt: als sie aber schon hingeschieden und ihm den Überrest des tötenden Tranks gelassen, wählt er doch das Leben. Ein Andante, A dur, mit einem weichen Thema, malt in abgebrochenen Sätzen sehr treffend Brackenburgs Zustand:

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Die Klage verhallt in einzelnen Tönen, und nun fangen die Violoncelle in Sechszehnteilen das Allegro con brio, A dur, an, welches die innere Gärung im Volke, die Unruhe, die Bestürzung der Gemüter, wie sie die ersten Szenen des zweiten Akts darstellen, bezeichnet.

Das merkwürdige Gespräch Oraniens mit Egmont, worin dieser die warnende Stimme des Freundes nicht hören mag, schließt den zweiten Akt, und ein Larghetto, Es dur, mit anschlagenden Hörnern und Pauken, malt nicht allein Egmonts großes, jedes kleinliche Mißtrauen verachtende Gemüt, sondern führt auch in gleichem Gange zu dem dritten Akt, der wieder mit Staatsverhandlungen beginnt. – Rücksichtlich des Liedes: Freudvoll und leidvoll – bezieht sich Rez. auf das, was er bei dem ersten Liede bereits gesagt hat und muß nur hinzusetzen, daß auch, in Hinsicht der Melodie, ihm dieses Lied zu gedehnt, zu opernmäßig behandelt zu sein scheint. Viel besser, und, in der höchsten Einfachheit, mit dem tiefsten innigsten Gefühl, hat es Reichardt gesetzt. Der Schluß der Beethovenschen Komposition artet beinahe ganz in eine Arie aus. –

» So laß mich sterben: die Welt hat keine Freuden auf diese!« ruft Clärchen, und ein jauchzender Satz, Allegro, C dur, tritt ein: aber schon im zweiten Takt eine Fermate; die Hoboe macht eine Kadenz, wieder ein rauschender Takt, und die Hoboe hat eine zweite Kadenz. – Wäre es nicht ein glücklicher Gedanke gewesen, hierauf die Melodie des Liedes: Freudvoll und leidvoll – eintreten zu lassen? – In der Tat hat der Anfang des Allegretto auch Ähnlichkeit mit jenem Thema, weicht aber gleich ganz ab. – Der darauf folgende Marsch ist in der Tat ein Meisterstück. Er hat so etwas Feierliches, Grauenvolles, selbst, in den stärkern Stellen, furchtbar Fröhliches, daß man Albas Mietlinge, sich auf Raub und Mord freuend, einrücken sieht. Der Marsch währt in C moll noch fort, wenn der Vorhang schon aufgezogen ist, und indem er in kleinen, abgebrochenen Sätzen erstirbt, schließt er sich der dramatischen Handlung, die nun beginnt, nämlich der Darstellung des beängstenden Zustandes der Bürger, auf das Beste an.

»Dies war die Absicht? dazu hast du mich berufen? – Bin ich denn wehrlos?« – Diese Worte Egmonts hört man noch in den ersten drei Takten, womit der vierte Zwischenakt beginnt.

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Das folgende Larghetto, ¾-Takt, mit der dumpf anschlagenden Pauke, verkündigt den Untergang des Helden; das darauf folgende Allegro agitato bezieht sich aber ganz auf Clärchens Zustand und auf die ersten Szenen des folgenden, fünften Akts. Rez. setzt den, in den einfachsten Tönest Herz und Gemüt ergreifenden Schluß her, währenddessen der Vorhang schon aufgezogen und Clärchen mit Brackenburg schon aufgetreten ist:

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Die rührendste Klage spricht die Musik aus, welche Clärchens Tod bezeichnet. Es ist ein Larghetto, D moll, 9/8-Takt, welches die Hörner allein pp. anfangen. Dann treten Hoboen, Klarinetten, später die Fagotte, und erst im siebenten Takte die Saiteninstrumente hinzu. Beim Verlöschen der Lampe schlagen wieder die Hörner allein, und endlich zu dem, von Hörnern und Klarinetten ausgehaltenen D moll-Akkord, die Saiteninstrumente einzelne Töne pizzicato an. Das Ganze ist in dem tiefsten Sinn des Dichters, der hier die Mitwirkung der Musik ausdrücklich in Anspruch nahm, aufgefaßt und dargestellt.

In der Schlußszene hat der Komponist, von der Stelle an, wo der Dichter Musik vorschreibt – nämlich, als Egmont sich aufs Ruhebett setzt, um zu schlafen – Egmonts Reden melodramatisch behandelt, und, nach Rez. Meinung, sehr wohl getan. Die musikalischen Phrasen, welche die Reden unterbrechen, sind, mit Einsicht, nicht im mindesten hervorstechend, sondern ganz den Worten sich anschmiegend, behandelt; von irgend einer bunten Malerei ist gar nicht die Rede. Im lichtvollen A dur-Akkord, und zwar in Sechzehnteiltriolen der Blasinstrumente, wird die himmlische, glänzende Erscheinung der Freiheit verkündigt. Die weitere Musik ist der vorgeschriebenen Pantomime angemessen, vorzüglich malerisch aber von da an, wo die Erscheinung dem schlafenden Helden andeutet, daß sein Tod den Provinzen die Freiheit verschaffen werde, und ihm den Lorbeerkranz des Siegers reicht. Die Trompete fällt ein und eine Art kriegerischen Marsches, jedoch in einfachen, gehaltenen Akkorden, drückt mit hohem Pathos die Apotheose des, siegreich für die Freiheit fallenden Helden aus. Man hört die Trommel; bei dem più allegro, in dem die Bläser Achteltriolen anschlagen, verschwindet die Erscheinung und der Satz zerfließt in einzelnen Noten. Ganz in dem Sinne des Dichters schließt der Komponist mit einer rauschenden Symphonie, die nur 55 Takte lang, und beinahe ganz aus Schlußfiguren gewebt ist. –

Man ist sonst in beethovenscher Instrumental-Musik an eine reiche Ausbeute genialischer kontrapunktischer Wendungen, kühner Ausweichungen usw. gewöhnt; wie sehr der Meister aber mit seinem Reichtum hauszuhalten und ihn zu rechter Zeit zu spenden versteht, beweiset die hier in Rede stehende Komposition, die, ohne im mindesten für sich selbst glänzen zu wollen, ganz dem Sinne des Dichters folgt, und sich seiner Tendenz anschmiegt. Rez. bemühte sich daher auch, die gelungene ästhetische Behandlung des, dem Komponisten gegebenen Stoffs gehörig ins Licht zu stellen und zu würdigen.

Die Klavier-Auszüge der Ouvertüre und der Zwischenakte sind zweckmäßig, mit Geschmack und Einsicht eingerichtet; sie verdienen in den Händen jedes sinnigen Liebhabers der Tonkunst zu sein, so wie jede Theater-Direktion, die den Egmont zu geben willens ist, sich in den Besitz der Beethovenschen Musik setzen sollte, da sie, mit dem Ganzen so innig verschmolzen, und als wesentlicher Teil desselben, der durchaus nicht fehlen darf, anzusehen ist.

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