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Beethovens Missa Solemnis (C dur).

Op. 86.

Dem Rez. ist keine frühere Messe B.s bekannt: um so gespannter war seine Erwartung, wie der geniale Meister die einfachen, herrlichen Worte des Hochamts behandelt haben würde. – Das Gebet, die Andacht, regt gewiß das Gemüt, nach seiner eigentümlich in ihm herrschenden oder auch augenblicklichen Stimmung, wie sie von physischem und psychischem Wohlsein oder von ebensolchem Leiden erzeugt wird, auf. Bald ist daher die Andacht innere Zerknirschung bis zur Selbstverachtung und Schmach, Hinsinken in den Staub vor dem vernichtenden Blitzstrahl des dem Sünder zürnenden Herrn der Welten, bald kräftige Erhebung zu dem Unendlichen, kindliches Vertrauen auf die göttliche Gnade, Vorgefühl der verheißenen Seligkeit. Die Worte des Hochamts geben in einem Zyklus nur den Anlaß, höchstens den Leitfaden der Erbauung, und in jeder Stimmung werden sie den richtigen Anklang in der Seele erwecken. Im Kyrie wird die Barmherzigkeit Gottes angerufen; das Gloria preiset seine Allmacht und Herrlichkeit, das Credo spricht den Glauben aus, auf den die fromme Seele fest bauet, und nachdem im Sanctus und Benedictus die Heiligkeit Gottes erhoben und Segen denen verheißen worden, die voll Vertrauen sich ihm nahen, wird im Agnus und im Dona noch zum Mittler gefleht, daß er Beruhigung und seinen Frieden schenke der frommen, glaubenden, hoffenden Seele. Schon dieser Allgemeinheit wegen, die der tieferen Beziehung, der inneren Bedeutung, welche jeder nach seiner individuellen Gemütsstimmung dareinlegt, nicht vorgreift, schmiegt sich der Text der mannigfaltigsten musikalischen Behandlung an und eben deshalb gibt es so ganz in Charakter und Haltung von einander abweichende Kyrie, Gloria etc. oft von demselben Meister. Man vergleiche nur z. B. die beiden Kyrie in den Messen aus C dur und D moll von Joseph Haydn und ebenso seine Benediktus. – Schon hieraus folgt, daß der Komponist der, wie es stets sein sollte, von wahrer Andacht ergriffen zur Komposition eines Hochamts schreitet, die individuelle religiöse Stimmung seines Gemüts, der sich jedes Wort willig schmiegt, vorherrschen und sich durch das Miserere, Gloria, Qui tollis usw. nicht zum bunten Gemisch des herzzerschneidenden Jammers der zerknirschten Seele mit jubilierendem Geklingel verleiten lassen wird. Alle Arbeiten dieser letzten Art, wie sie in neuerer Zeit auf höchst frivole Weise gemacht sind, seit es zur Mode wurde, Messen zu komponieren, verwirft Rez. als Mißgeburten, von einem unreinen Gemüt erzeugt: aber ehe er den herrlichen Kirchen-Kompositionen Michael und Josef Haydns, Naumanns u. a. Lob und Bewunderung zollt, kann er nicht umhin, der alten Werke der frommen Italiäner (Feo, Durante, Benevoli, Perti etc.) zu gedenken, deren hohe würdige Einfachheit, deren wunderbare Kunst, ohne bunte Ausweichungen eingreifend ins Innerste zu modulieren, in neuerer und neuester Zeit ganz verloren gegangen zu sein scheint. Daß, ohne an dem ursprünglichen reinen Kirchenstil schon deshalb festhalten zu wollen, weil das Heilige den bunten Schmuck irdischer Spitzfindigkeiten verschmäht, auch schon jene einfache Musik in der Kirche musikalisch mehr wirkt, ist nicht zu bezweifeln, da die Töne, je schneller sie aufeinander folgen, desto mehr im hohen Gewölbe verhallen und das Ganze undeutlich machen. Daher zum Teil die große Wirkung guter Choräle in der Kirche. Ein genialer Dichter (Tieck, im zweiten Teile des Phantasus) verwirft alle neuere Kirchenmusik ganz und läßt ausschließlich nur die alten Italiäner gelten.

Rez., so sehr er auch den erhabenen Kirchengesängen der älteren Zeit schon ihres wahrhaft heiligen, immer festgehaltenen Stils wegen den Vorzug einräumt, ist aber doch der Meinung, daß man mit dem Reichtum, den die Musik, was hauptsächlich die Anwendung der Instrumente betrifft, in neuerer Zeit erworben, in der Kirche zwar nicht prunkenden Staat treiben dürfe, ihn aber doch auf edle, würdige Weise anwenden könne. Das gewagte Gleichnis, daß die Kirchenmusik der Italiäner sich zu der neueren deutschen verhalte, wie die Peterskirche zum Straßburger Münster, möchte ziemlich treffend sein. Die grandiosen Verhältnisse jenes Baues erheben das Gemüt, indem sie kommensurabel bleiben: aber mit einer seltsamen, inneren Beunruhigung staunt der Beschauer den Münster an, der sich in den kühnsten Windungen, in den sonderbarsten Verschlingungen bunter, phantastischer Figuren und Zieraten hoch in die Lüfte erhebt; allein selbst diese Unruhe regt ein, das Unbekannte, das Wundervolle ahnendes Gefühl auf, und der Geist überläßt sich willig dem Traume, in dem er das Überirdische, das Unendliche zu erkennen glaubt. Nun, und eben dies ist ja der Eindruck des Rein-Romantischen, wie es in Mozarts, in Haydns phantastischen Kompositionen lebt und webt! Daß sich jetzt ein Komponist nicht so leicht daranmachen wird, in jenem hohen, einfachen Stil der alten Italiäner ein Amt oder sonst einen Kirchengesang zu setzen, ist leicht erklärlich: meistens unterbleibt es aus Unvermögen, denn eben in dieser höchsten Einfachheit regt der tiefe Genius seine kräftigsten Schwingen: dann unterbleibt es aber auch oft aus Mangel an Selbstverleugnung. Wer läßt nicht gern den Reichtum, der ihm zu Gebote steht, vor aller Augen glänzen, und ist zufrieden mit dem Beifall des einzelnen Kenners, dem auch ohne Glanz das Gediegene das liebste, oder vielmehr das einzig liebe ist? Dadurch, daß man anfing, sich überall derselben Mittel des Ausdrucks zu bedienen, ist es nun beinahe dahin gekommen, daß es gar keinen Stil mehr gibt. In der komischen Oper hört man oft feierliche, gravitätisch daher schreitende Sätze, in der ernsten Oper tändelnde Liedchen und in der Kirche Oratorien und Ämter nach Opernzuschnitt. Aber es gehört auch eine seltene Tiefe des Geistes, ein hoher Genius dazu, selbst bei der Anwendung des figuriertesten Gesanges, des ganzen Reichtums der Instrumental-Musik, ernst und würdevoll, kurz, kirchenmäßig zu bleiben! Mozart, so galant er in seinen beiden bekannteren Messen aus C dur ist, hat im Requiem jene Aufgabe herrlich gelöst: es ist dies in Wahrheit eine romantisch-heilige Musik, aus seinem Innersten hervorgegangen. Wie vortrefflich auch Haydn in manchen seiner Ämter von dem Heiligsten und Erhabensten in herrlichen Tönen redet, darf Rez. wohl nicht erst anführen, obgleich ihm Einige hier und da manche Spielerei vorwerfen wollen. Daß sich nun, rücksichtlich des Stils und der Haltung, Beethoven an diesen Meister reihen werde, vermutete Rez. noch ehe er eine Note des vorliegenden Werks gelesen oder gehört hatte, wiewohl er sich in Ansehung des Ausdrucks, des Auffassens der Worte des Hochamts in seiner Erwartung getäuscht sah. Beethovens Genius bewegt sonst gern die Hebel des Schauers, des Entsetzens. So, dachte Rez., würde auch die Anschauung des Überirdischen sein Gemüt mit innerem Schauer erfüllen, und er dies Gefühl in Tönen aussprechen. Im Gegenteil aber hat das ganze Amt den Ausdruck eines kindlich heitern Gemüts, das, auf seine Reinheit bauend, gläubig der Gnade Gottes vertraut und zu ihm fleht, wie zu dem Vater, der das Beste seiner Kinder will und ihre Bitten erhört. Nächst diesem allgemeinen Charakter der Komposition ist die innere Struktur, sowie die verständige Instrumentierung, wenn man nun einmal von der Tendenz, die Rez. oben in Hinsicht auf den in der Kirche anzuwendenden musikalischen Reichtum aufstellte, ausgeht, ganz des genialen Meisters würdig. – Es gibt in dem ganzen Werke keinen Satz, der nicht manche Imitationen und kontrapunktische Wendungen enthielte, wiewohl keine einzige streng gearbeitete Fuge anzutreffen ist, und alte, an den reinsten Kirchensatz gewöhnte Meister manchen Verstoß gegen denselben rügen werden. Z. B. falsche Quintenfolgen (nämlich der falschen Quinte auf eine reine), Oktavenschlüsse, unharmonische Querstände u. dergl., deren Rez. aber gar nicht weiter erwähnen will, da er in dieser Hinsicht selbst, wenn nur von keinem Choral die Rede ist, wo jeder Akkord schwer in das Ohr fällt, ein musikalischer Freigeist zu sein gesteht, indem er sich darauf stützt, was der alte gemütliche Haydn sagte, als Albrechtsberger aus dem reinsten Satze alle Quarten verbannen wollte. –

Rez. darf nun, nachdem er sich über Charakter und Struktur des Werks im allgemeinen ausgesprochen, nur in das Einzelne eingehen, insofern es nötig ist, sein Urteil zu rechtfertigen, und auf manchen wahrhaft vortrefflichen Moment, in dem des Komponisten Genius herrlich leuchtet, aufmerksam zu machen.

Ohne alles Ritornell intonieren die Baßsänger allein das Kyrie, dessen liebliches Thema ganz die Bitte eines, von der ihm werdenden Gnade und Erhörung überzeugten Kindes ist. Rez. setzt die ersten elf Takte in ganzer Partitur her.

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Die dem Meister Haydn eigentümliche Bewegung der Violinen geht durch den ganzen Satz, ja meistenteils durch das ganze Werk. Im 15ten Takte fängt der Sopran eine Figur an, womit der Satz in E moll moduliert, und welche Baß, Tenor und Alt kanonisch in der Rückung eines Takts imitieren. Choralmäßig singen dann ohne weitere Begleitung in E dur Sopran, Alt und Tenor, erst Soli, dann der Chor, ebenso das Christe eleison, welches von ungemeiner Wirkung ist. Jener imitierende Satz kommt nur noch einmal als Solo des Soprans kurz vor dem Schlusse vor, der auf eine originelle Weise behandelt ist, indem sämtliche Singstimmen auf der Dominante G beharren, während die Instrumente den ersten Takt des Themas wiederholen. Übrigens hat dieser Satz eine ganz eigne Modulation, da er sich nur von C dur in E moll, dann, in E dur – in welcher Tonart kurz auseinander vier ganze Schlüsse folgen – und dann, nachdem das Thema nochmals in E dur wiederholt worden, sehr schnell nach C dur zurückbewegt:

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Zur Nachahmung kann Rez. diese Modulation eben nicht empfehlen. –

Das Gloria fängt ebenfalls ohne Ritornell mit dem, von Sängern und Bläsern ausgehaltenen C dur-Akkord an, zu dem sich die Violinen in Achteln hinaufschwingen. Feurig, glanzvoll rauscht es bis zum 17ten Takte hin, wo plötzlich Sänger und Instrumente schweigen und nur die erste Violine mit dem Violoncell in Vierteln hinabsteigt. Es ist die Vorbereitung zu dem: Et in terra pax, und diese Stelle ist von zu eingreifender Wirkung, ist in ihrer Einfachheit zu glücklich gedacht, als daß Rez. sie nicht zur augenblicklichen Ansicht der Leser hersetzen sollte:

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Die kanonische Imitation in der Oktave, die nun eintritt, wird, nachdem sie durch die vier Stimmen geführt, abgebrochen und der Satz mit abwechselnden Tuttis und Solos durch gar manche Modulation bis in das F moll zum Qui tollis geführt, das in einer rührenden Melodie von dem Altsolo vorgetragen wird. Mit dem Miserere fällt das Tutti ein, und der Baß solo führt den Satz in As dur. Das Suscipe ist mit tiefem Gefühl,

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sowie die bald darauf eintretende Imitation, in der sich im Miserere die vier Stimmen bewegen, echt kirchenmäßig gesetzt. Das Quoniam ist ein recht jubilierendes Unisono und mit dem Cum sancto spiritu tritt ein kräftiges Fugenthema, C dur, ein.

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Nachdem aber dieses Thema auf die gewöhnliche Weise durch die vier Stimmen geführt worden, wird der Satz wieder schnell abgebrochen, und der Baß allein wiederholt das Thema des Quoniam; die übrigen Stimmen nehmen den ersten Takt des Thema al rovescio auf, und der Satz geht durch:

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in G dur, worin ein ganz fremder Zwischensatz von 15 Takten, dessen Motiv in der Fuge durchaus nicht enthalten ist, eintritt. Dann nimmt, zu einem neuen Gegensatze des Basses, der Tenor das Fugenthema von neuem auf, und nachdem es durch die vier Stimmen und zwar nach A moll geführt, fängt der Tenor eine Engführung an, die zwar nicht strenge dem ursprünglichen Thema gemäß gehalten, aber sehr sinnreich angeordnet ist:

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Mit der kanonischen Imitation des zweiten und dritten Taktes vom Thema kehrt der Satz in C dur zurück und macht einen ganzen Schluß, von dem die Stimmen sich unmittelbar zu einem neuen Satze in halben Noten im Amen fortbewegen. Jetzt tritt noch einmal das Quoniam mit dem frühern Thema ein; dann folgt das Fugenthema in Terzen, Sopran und Alt, Baß und Tenor folgen ebenfalls in Terzen, und dann wieder ein ganzer Schluß in C dur. Die erste Violine geht im Fugenthema fort, und der Sopran tritt solo imitierend ein. Das Tutti singt das Amen in ganzen Noten und zwar im ersten Takt das Thema der Fuge

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Jetzt kommt eine Art Orgelpunkt auf der Dominante, der aber nur drei Takte anhält, indem der Baß nachher in der Imitation des Thema fortgeht. Nun kehrt im Tutti, und zwar in ganzen Noten, das Amen wieder, womit der ganze Satz schließt. Es ist dies Cum sancto der einzige Satz, welcher sich der eigentümlichen Fuge am meisten nähert. Rez. verweilte daher dabei länger, um sein vorhin ausgesprochenes Urteil zu rechtfertigen, und er setzt nur noch hinzu, daß er manchen kleinen Verstoß gegen den strengen Satz deshalb nicht rügen mochte, weil die einmal usurpierte Freiheit, die man dem Genius, der durch anderes so schadlos hält, wohl verstattet, keinen Zwang mehr duldet, und das freie Regen und Bewegen im Gefühl eigner Kraft unmöglich für eine Sünde gegen dieses oder jenes, vielleicht wohl gar nur konventionelle Gesetz halten zu können scheint. Diese Bemerkung soll auch nur die gar zu strengen Kunstrichter beruhigen, welche sich sonst kopfschüttelnd nicht genug hätten wundern können, wie man dieses oder jenes übersehen habe, u. s. w.

Das Credo ¾-Takt, C dur ist ein lebendiger, feuriger Satz, dessen mannigfache Imitationen, wohlgeordnet, herrlich hervortreten. Nachdem das Et incarnatus, in Es dur, dumpf mit dem Sepultus est beschlossen, hebt im ganzen Takt, von dem Unisono der Saiteninstrumente begleitet, der Baß solo das Et resurrexit an, und auch dieser Satz ist kraftvoll und geistreich mit abwechselnden Tuttis und Solos, sowie in mannigfachen Imitationen, die von der regen Phantasie des Meisters zeugen, durchgeführt. Mit dem Et vitam tritt wieder ein jauchzendes Fugenthema ein:

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Man wird auf die weitere Ausführung begierig und will sich gern den Wellen des dahin brausenden Stroms überlassen; aber auch hier bricht leider der Satz ab, nachdem er durch die vier Stimmen geführt ist, und außer einer Engführung und der Imitation des zweiten Taktes durch drei Stimmen, wird das herrliche Thema nicht weiter benutzt. –

Das Sanctus wird von den meisten Komponisten grandios, volltönend, pathetisch gehalten: dem Charakter des Ganzen getreu ist es aber hier sanft und rührend, in A dur, ganzer Takt, geschrieben. Das vier Takte lange Ritornell tragen Violen, Hoboen, A-Klarinetten, Fagotte und Violoncelle vor, und dann treten die Stimmen ohne alle Instrumental-Begleitung ein. Der originellen enharmonischen Ausweichung im siebenten Takte, sowie der ferneren kunstreichen Modulation und der wunderbaren Wirkung der, allein mit den Stimmen anschlagenden Pauke im dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Takte, gedenkt Rez. nur, um den Zuhörer auf die große Mannigfaltigkeit der Mittel aufmerksam zu machen, die dem genialen Meister zu Gebote stehen, um auf unser Inneres mit nicht gewöhnlicher Gewalt zu wirken. Das Pleni sunt coeli ist ein jauchzendes Allegro, und das Osanna in excelsis ein kleiner fugierter Satz, wieder mit einem herrlich erfundenen Thema:

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Ungern hört man den Satz so schnell vorüberrauschen: nach der Durchführung durch die vier Stimmen, und nachdem nur der Sopran anderthalb Takte des Anfangs wiederholt hat, bricht er nämlich schnell ab und es erfolgt der Schluß in fünf Takten. – Sehr sanft, fließend und melodiös fängt ein Quartett der Singstimmen, ohne alle Instrumentalbegleitung, Andante, F dur, das Benedictus an. Später tritt noch ein vierstimmiger Chor dazu, der die vier Solostimmen teils in kleinen Sätzen unterbricht, teils begleitet. Von ganz eigentümlicher Wirkung ist der erste Eintritt dieses Chors in tiefen, dumpfen Tönen, nachdem der Alt ganz allein ohne alle Begleitung geschlossen:

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Der Satz bewegt sich in künstlichen und sehr melodiösen Verschlingungen der vier obligaten Stimmen und des Chors fort. Der Ausdruck des Ganzen hat etwas unbeschreiblich Rührendes, und die Seele wird von der Ahnung des unendlichen Segens umfangen, der über den ausgeschüttet wird, der da kommt in dem Namen des Herrn. – Nach der gewöhnlichen Einrichtung wird nach dem Benedictus das Osanna in excelsis in seiner ersten Gestalt wiederholt. – Das Agnus Dei, C moll, 12/8-Takt, drückt das Gefühl inniger Wehmut aus, die aber das Herz nicht zerreißt, sondern ihm wohltut, und sich, wie der Schmerz, der aus einer andern Welt gekommen, in überirdische Wonne auflöst. Sehr originell und wirkungsvoll ist die Instrumentierung und die Struktur der ersten acht Takte, die Rez. um so mehr hersetzen darf, als sie den Charakter des Ganzen bestimmen.

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Zwanglos reiht sich, indem der Sopran bis zur Septime von G steigt, dem Agnus das Dona nobis pacem, C dur, ganzer Takt, an. Auch dieser letzte Satz in seiner Kraft und Lebendigkeit ist des Meisters würdig. Ob aber Stellen, wie die folgende, welche auch schon bei dem Schluß des Agnus vorkommt, nicht opernmäßig klingen, läßt Rez. dahingestellt sein; wenigstens dachte er dabei lebhaft an eine ähnliche Figur in dem bekannten Duett der beiden Bässe in Matrimonio segreto.

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Bei dem Glanz und dem Reichtume des Werks, das der Meister sichtlich mit Liebe schuf, ist es doch nicht so schwer auszuführen, als es verhältnismäßig seine Instrumental-Kompositionen sind. Vorzüglich werden die, an den Vortrag Haydnscher Kirchensachen gewöhnten Sänger und Instrumentisten sich leicht den Gedanken des Komponisten fügen. Werden die Tempi übrigens nicht übereilt, so oft dies leider jetzt zu geschehen pflegt; bemühen sich Sänger und Instrumentisten, durch genaues Einhalten der Piano und Forte, und überhaupt aller Ausdrucksmittel, dem genialen Werk sein volles Recht widerfahren zu lassen: so wird es nicht allein den Kenner, sondern auch den, der in das eigentliche Wesen der Komposition nicht einzugehen vermag, auf eine eigentümliche Weise erheben und rühren. –

Noch sei dem Rez. erlaubt, einige Worte über den deutschen Text zu sagen, der den lateinischen Worten des Hochamts untergelegt und beigesetzt ist. Die drei Hauptteile der Messe sind bekanntlich das Kyrie, das Credo und das Sanctus: zwischen dem ersten und dem zweiten tritt das Graduale (meistenteils eine Kirchen-Symphonie), zwischen dem zweiten und dritten das Offertorium (gewöhnlich als Kirchen-Arie behandelt) ein. So ist, wahrscheinlich um der herrlichen Musik auch in protestantischen Kirchen und in Konzertsälen Eingang zu verschaffen, auch in der deutschen Bearbeitung das Ganze in drei Hymnen eingeteilt, welches in der Tat der Komposition sehr gut zusagt. Was nun die Worte betrifft, so müßten sie, um den Sinn, die Bedeutung des Ganzen nicht zu verletzen, so einfach als möglich, und zwar am besten und kräftigsten rein biblisch sein. Händel ließ bekanntlich dem Bischof, der sich antrug, ihm den Text zum Messias zu dichten, sagen: Glaubt er denn bessere Worte ersinnen zu können, als ich sie in der Bibel finde? Richtiger ist nie die wahre Tendenz der Kirchentexte ausgesprochen worden. Statt der höchsten Einfachheit sind aber die Worte der Hymnen ziemlich modern, gesucht, graziös und weitschweifig. Das einfache biblische Kyrie eleison, Christe eleison, ist also in die Breite gezogen:

Tief im Staub anbeten wir
Dich, den ew'gen Weltenherrscher,
Dich, den Allgewaltigen.
Wer kann Dich nennen, wer Dich fassen?
Unendlicher! – Ach, unermessen,
Unnennbar ist Deine Macht!
Wir stammeln nur mit Kindeslallen
Den Namen, Gott.

Von welcher üblen Wirkung gleich anfangs das »anbeten« ist, darf Rez. nicht erst bemerken. Der Dichter konnte, nach den Worten des Originals, vielleicht nur sagen: Tief im Staube beten wir: Herr, erbarme unser Dich. – Rez., der übrigens die Geschicklichkeit des deutschen Dichters gewiß nicht verkennt, findet auf allen Seiten Beweise seines obigen Urteils. Er bricht aber hier ab, da er überzeugt ist, daß jeder Musiker und jeder Kenner, der die wahre Tendenz der Kirchenmusik und des ihr zusagenden Textes in sich trägt, mit ihm einverstanden sein, und sich, wenn ihn nicht unabwendbare Verhältnisse bestimmen, lieber des lateinischen Originaltextes bedienen wird.

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