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Die Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden.

Auf den dampfenden Ruinen des Feldschlößchens stand ich und sah hinab in die mit blutigen Leichen, mit Sterbenden bedeckte Ebene. Das dumpfe Röcheln des Todeskampfes, das Gewinsel des Schmerzes, das entsetzliche Geheul wütender Verzweiflung durchschnitt die Lüfte, und wie ein ferner Orkan brauste der Kanonendonner, die noch nicht gesättigte Rache furchtbar verkündend. Da war es mir, als zöge ein dünner Nebel über die Flur, und in ihm schwamm eine Rauchsäule, die sich allmählich verdickte zu einer finstern Gestalt. Näher und näher schwebend stand sie hoch über meinem Haupte, da regte und bewegte sich alles auf dem Schlachtfelde; zerrissene Menschen standen auf und streckten ihre blutigen Schädel empor, und wilder wurde das Geheul, entsetzlicher der Jammer! Ein wunderbarer roter Schein blitzte, wie aus der Tiefe der Erde fahrend, durch die Luft, und aus Osten und Westen kamen lange – lange Züge leuchtender Gerippe heran, in den knöchernen Fäusten Schwerter tragend, und sie erhebend gegen die Gestalt – und immer wilder wurde das Geheul – entsetzlicher der Jammer! Aufs neue blitzte der rote Schein aus tiefer Erde, und aus Mittag und Mitternacht zogen zahllos die Gerippe heran mit glühenden Schwertern der Gestalt drohend. Und immer wilder und wilder wurde das Geheul, entsetzlicher der Jammer:

»Rache – Rache – unsere Qual über dich, blutiger Mörder!« Aus den blutigen Augen der Leichname, aus den knöchernen Augenhöhlen der Gerippe schoßen Strahlen hinauf, die wie in emporflackernden Flammen die Gestalt erleuchteten. – Es war der Tyrann! – Er streckte seine Rechte aus über die Ebene und sprach:

»Was wollt ihr, Thörichte, bin ich nicht selbst die Rache, bin ich nicht selbst das Verhängnis, dem ihr dienend gehorchen müßt?«

Da schrieen die Stimmen von der Ebene herauf:

»Verworfener! höhne nicht die Macht, die hoch über dir schwebt – schaue über dich, Verblendeter!«

Aber der Tyrann senkte sein Haupt noch tiefer herab und sprach:

»Erkennt ihr mich? – ich bin der Tod!«

Da heulten noch wütender die Stimmen:

»Verworfener! höhne nicht die Macht, die den Tod sendet. Schaue über dich!«

Doch nicht aufwärts richtete der Tyrann seinen Blick, sondern zur Erde starrend sprach er:

»Wahnsinnige! was sucht ihr über meinem Haupt? – über mir [ist] nichts! – öde ist der finstere Raum da droben, denn ich selbst bin die Macht der Rache und des Todes, und wenn ich meine Arme ausstrecke über euch, verstummt euer Jammer, und ihr sinkt vernichtet in den Staub!«

Und als er dies gesprochen, streckte er seine Arme, wie im roten Feuer glühende Sicheln weit über die Ebene, und es war, als öffne die Erde den schwarzen bodenlosen Abgrund, die Leichname und Gerippe versanken und ihr Geheul, ihr schneidender Jammer verhallte in der Tiefe. Da fuhr es herauf im tosenden Ungestüm wie eine Windsbraut, die Erde bebte, und in dem Sturme heulte und winselte die tiefe Klage von tausend Menschenstimmen. Nun quollen Blutstropfen aus der Tiefe, die das Wiesengrün färbten, und bald gleich rauschenden Bächen im schäumenden Strom zusammensprudelten, der über die Ebene brauste. Immer stärker, immer höher stürmten seine Wellen, und aus dem zischenden gärenden Blut hob bald ein fürchterlicher riesiger Drache sein entsetzliches Haupt empor. Bald tauchte der glühende schuppige Schlangenleib aus den Blutwellen, und mit den schwarzen Fittichen gewaltig rauschend, daß, wie vor dem mächtigen Orkan, die Wälder sich beugten, flog der Drache auf in die Lüfte, und er faßte den Tyrannen mit den spitzigen Krallen, die er tief in seine Brust eingrub. – Da schrie der Tyrann, von dem gräßlichen Schmerz gepackt, auf im Krampf der Verzweiflung, daß seine Stimme im heulenden Mißton durch des Sturmes Brausen gellte, aber es erscholl wie Posaunen von oben herab:

»Erdenwurm! der du dich erhoben aus dem Staube – wähntest du nicht vermessen, die Macht zu sein, die den Schmerz, die den Tod sendet? – Erdenwurm, die Stunde der Erkenntnis, der Vergeltung ist da! – Aus denen, die du opfertest im frevelnden Hohn, wurde die Qual geboren, die dich zerfleischt im ewigen Jammer!«

Nun umschlang, fester und fester sein Gewinde schnürend, der Drache den Tyrannen, und überall gingen aus seinem Leibe spitze glühende Krallen hervor, die er wie Dolche in das Fleisch des Tyrannen schlug. Da wand der Tyrann, wie durch namenlose Folter verrenkt, das Haupt empor, und sah über sich die in blendendem Funkeln strahlende Sonne, den Fokus des ewigen Verhängnisses, und entsetzlicher, schneidender wurde der heulende Jammer:

»Erlösung – Erlösung von dieser Qual – Tod – Ruhe in der tiefsten Tiefe der Erde!«

Da erscholl aus dem Fokus aufs neue die Stimme im Posaunenton:

»Entarteter! Verworfener! – die Erde ist nicht deine Heimat, die dir Ruhe giebt, denn nur dem Menschen, den du frech verhöhntest, ist es vergönnt, in ihrem Schooße zu ruhen, bis er durchstrahlt vom ewigen Lichte emporkeimt zum hohem Sein, aber im ödem Raum ist dein Sein ewige Qual.«

»Ach, nur Linderung, nur Trost in meinem Jammer,« heulte der Tyrann.

»Schau herab,« sprach die Stimme: »ob du in eines Menschen Brust Trost für dich finden magst, und deine Qual soll gelindert sein!«

Da trug das Ungeheuer den Tyrannen tiefer herab zur Erde, und es rauschten im nächtlichen Dunkel finstere gräßliche Gestalten – Nero – Dschingiskhan – Tilly – Alba waren unter ihnen, sie schauten mit tiefem Entsetzen die Marter des Tyrannen und dumpf murmelten ihre Stimmen: »was ist unsere Qual gegen seine Marter, denn uns ward noch Trost von der Erde, der wir angehörten.«

Der Tyrann schaute um sich im wahnsinnigen Verlangen, aber öde blieb es auf der Ebene.

»Ist denn in keines Menschen Brust Trost für meine Qual!« schrie er in gräßlicher Verzweiflung, aber seine Stimme verhallte in den weiten Gründen, und kein menschlicher Ton des Trostes auf der ganzen weiten Erde unterbrach das dumpfe Schweigen der furchtbaren Öde.

Da faßte ihn gewaltiger der Drache, und bohrte tiefer die glühenden Krallen in seine Brust, daß schrecklicher das Geheul seines namenlosen Jammers der wütendsten Verzweiflung durch die Lüfte raste, aber aus dem Fokus strahlte die Posaunenstimme:

»Für dich kein Trost auf der Erde, der du im frevelnden Hohn entsagtest. Ewig ist die Vergeltung und deine Qual.«

Als ich, wie aus schwerem Traum erwacht, die Ruinen verließ, hatte sich schon tiefe Dämmerung über die Flur gelegt; der Raub schlich gierig spähend dem Morde nach – winselnde Sterbende wurden geplündert. Es hielt schwer durch den Schlag zu kommen, denn der Tumult herein- und herausziehender Soldaten drückte die Menschen zusammen. – Noch hallte die Stimme der ewigen Macht, die das Urteil über den Verdammten gesprochen, in meiner Brust, als ich schon in friedlicher Wohnung von den Schrecknissen des Tages ausrastete. – Ruhiger wurde es endlich in meiner Seele, und bald war es mir, als sei das glänzende Sternbild der Dioskuren segensreich über der Erde aufgegangen, die erquickt den mütterlichen Schooß öffnete, um die Früchte des Friedens in nie versiegendem Reichtum zu spenden. Ich erkannte die strahlenden Helden, die Söhne der Götter: – Alexander und Friedrich Wilhelm!

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