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Phantasie für das Pianoforte,

mit Begleitung des ganzen Orchesters und Chor, in Musik gesetzt von Louis van Beethoven. 80stes Werk.

Wenn die Phantasie der eigentliche Kulminationspunkt des aus sich selbst schaffenden Genius ist, der hier sein eigenes Seelengemälde zeichnet und die Form der Kunst zum bloßen Reflektierspiegel seines Innern macht, aus dem die Fülle in Klarheit hervortritt: so muß dem Kunstfreunde ein solches Werk um so schätzbarer sein, je reiner sich in ihm der Genius des Schöpfers selbst, und ohne fremde Beihülfe, ohne Zwang irgend einer aufgegebenen Form, darstellen kann. Die Phantasie ist der Monolog des Künstlers, in dem er das Eigene, Selbstempfundene rein ausspricht, während er sich zu den gegebenen Formen – zum Oratorium, zur Oper u. s. f. – nur dialogisierend verhalten, das heißt, nur das geben kann, wozu ihn die gebotenen Formen veranlassen. Wenn er, begrenzt durch aufgestellte Formen, nur immer nach diesen zu sprechen, sich auf diese Art mit Fremden zu vermischen und Fremdes in seine Schöpfung aufzunehmen, mehr oder minder genötigt wird: so sind im Gegenteil in der freien Phantasie alle Fesseln gebrochen und der Genius des Künstlers ist in seine Urrechte – älter als die Formen – wieder eingesetzt, als Schöpfer, als Herrscher, im Reich der Klänge. Benutzte jeder Künstler diesen Wink – oder richtiger, gewöhnte sich der Genius der meisten Künstler minder an die Formen und verstände sich auf seine eigene Geistesemanzipation ins Reich der Freiheit: so würde jede Phantasie – vorausgesetzt, der Künstler sei wirklich der Selbstdenkenden und nicht Nachahmenden einer – eine wahre Selbstbiographie, und der hellste Blick in sein schaffendes Innere sein, aus dem man sein Walten und Wirken beschauen, sich gleichsam in seine Gedankenwerkstätte schleichen könnte.

In diesem Sinne ist nun das gegenwärtige Stück eine Phantasie und ist es, wie kaum irgend eine andere. In ihr hat der reiche und große Genius des Verfassers sich selbst mit aller Reinheit und Klarheit gezeichnet, ohne auch nur einen einzigen Zug zu verfehlen; ja, er ist sogar, und gewiß unwillkürlich, ein treuer Porträtmaler gewesen, der nicht schmeichelt – was sich aus mehreren Stellen ergibt, und die Phantasie eigentlich, als solche, desto wahrhafter bezeichnet.

Auf den ersten Anblick des Ganzen ergibt sich das mächtige Emporstreben eines tiefdenkenden Genius aus dem Meere unendlicher Harmonien zur höchsten Klarheit und Selbstbeschaulichkeit. Es eröffnet sich diese Phantasie mit einem Solo des Fortepiano, einem Adagio in C moll, das mit einer Kraft und Fülle den unerschöpflichen Reichtum von B.'s Gedanken ausspricht – nicht ohne chaotische Verwirrung, die den Zuhörer anfangs fürchten läßt, der Geist werde sich in sich selbst verlieren, und, in seiner Fülle vergehend, nie zutage ausgehen. Man kann sich dies als eine Vorrede des Künstlerlebens zu seiner Laufbahn denken. Bilder und Träume drängen sich unter und durcheinander, verlieren sich im dicht geschlungenen Wechseltanz, und die Entwicklung ist noch vorbehalten – das Selbstbewußtsein scheint noch zu fehlen. Aber wie dieses nur eine dunkle Vorhalle ist, aus der uns der leuchtende Genius in das eigentliche Pantheon der Harmonien einführen will: so löset sich auch dieses Adagio als Vorhalt in einigen Figuren der höchsten Oktaven zu einem konzertierenden Final auf, welches – kontrastierend genug! – der Kontrabaß in marschmäßiger Bewegung von 4½ Takten Solo beginnt; worauf das Fortepiano, wieder einsetzt, aber schon, wie ein bloß gewagter Aufflug, im zweiten Takte unter einem Ruhepunkte verhallt. Jetzt treten die Geigen mit dem Thema, was vorher der Baß angegeben hatte, ebenfalls in 4½ Takten ein, und das Fortepiano wagt nochmals einen Aufflug, der zwar ebenfalls unter dem zweiten Takte, doch kräftiger als das vorige Mal, verhallt. Nun treten Hörner, Hoboen und Fagotte ein, unter Begleitung einiger Noten, pizzicato, auf den Geigen angegeben. Nicht lange hält der vorwärtsstrebende Genius diesen Schritt. Ein Allegretto von der originellsten Art nimmt ihn auf. Die ersten sechs Takte, jeder unter einem Ruhepunkte gehalten, in denen sich bloß Hörner und Hoboen im wechselnden Echo necken, ist so neu, als sonderbar. Jetzt tritt das Fortepiano, bloß von den Hörnern begleitet, wieder ein, bis ihm sein Spiel, nach einer Kadenz, von einem Flötensolo abgenommen wird, mit welchem die Hoboen und andre Instrumente auf das frappanteste wechseln, von kräftigen Tutti-Sätzen unterbrochen und gestützt. Äußerst überraschend ist das sangbare Adagio ma non troppo, aus A dur, das mit einem schmeichelnden Satze von Klarinetten und Fagotten beginnt, während das Fortepiano die Dominante in einem, drei Takte langen Triller in der obern Oktave, überschwebend hält. Wunderbar anmutig wechselt jetzt das Solo des Fortepiano mit Begleitung eines einzigen Violoncells. Dieses Adagio wird durch einen Marsch (aus F) auf eine wahrhaft erschütternde Art unterbrochen, der mit einenmale die sanften Klänge des Vorgehenden mit ächt militärischem Frost verscheucht. Das Fortepiano wagt nur hier und da mit einzelnen Takten, durch das Getöse der Instrumente sich hervorzudrängen. Doch endlich verhallt der Lärmen, und das Fortepiano fällt mit volltönenden Akkorden unter Begleitung der Geigen und eines Violoncello ein, welches echt beethovisch die None überspringen läßt. Ein kurzer Allegro-Satz, bloß zu Kadenz und Übergange zu dem folgenden Chor bestimmt, schließt die Phantasie, die mit diesem nun wirklich in Wortsprache übergeht – wie das Genie, das zum Selbstbewußtsein gelangt ist, sich nun wirklich in der möglichsten Klarheit zu geben drängt.

Diese Idee ist nun offenbar ganz originell, neu, und auch glücklich. Der Künstler, seinem Gefühl überlassen, beginnt sich in seiner Schöpfung selbst erst allmählich zu ahnen und zu erkennen. Er wählt und wühlt, dahergetrieben im Meere der Töne. Allmählich konzentriert er sich auf ein Hauptgefühl, das er dem größern Zirkel verwandter Klänge mitzuteilen strebt. Dieses Streben erweitert sich und dringt in raschem Fluge vorwärts, immer deutlicher, immer bestimmter, und gelangt endlich zur vollen Wortsprache aus klarer Selbstbeschauung. Der Genius, der erst in unartikulierten Tönen unmittelbar zum Gefühl sprach, redet jetzt zugleich in artikulierten Worten zum Verstande, und beschäftigt das Gemüt mit einer Vielseitigkeit, der es nicht entgehen kann, in der es sich verlieren und in freudiger Teilnahme selbst in Töne sich auflösen muß. Glücklich ist daher die erste Strophe gewählt. Nachdem das Gemüt die Harmonien des Künstlers vernommen, und von ihnen hingerissen wurde, kann es seinen Beifall nicht länger halten, und der Verstand urteilt über das Vernommene:

Schmeichelnd hold und lieblich klingen
Unsers Lebens Harmonien,
Und dem Schönheitssinn entschwingen
Blumen sich, die ewig blühn,
Fried' und Freude gleiten freundlich,
Wie der Wellen Wechselspiel;
Was sich drängte, rauh und feindlich,
Ordnet sich zu Hochgefühl.
Großes, das ins Herz gedrungen,
Blüht dann neu und schön empor;
Hat ein Geist sich aufgeschwungen,
Hallt ihm stets ein Geister-Chor.

Der Künstler, nicht unempfindlich über den Ausspruch der empfindenden Zuhörer, erwidert nun:

Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen,
Froh die Gaben schöner Kunst;
Wenn sich Lieb' und Kraft vermählen,
Lohnt dem Menschen Göttergunst.

Die Wirkung dieses, bei einer Phantasie bis jetzt noch ganz unerwarteten Schlusses, ist herrlich; er muß allgemein erregen und in die schönste Seelenstimmung versetzen.

Das Ganze dieser Phantasie wird durch eine seltne Tiefe der Gedanken, wie durch Fülle und Kraft der Harmonie bezeichnet, die aber ein stetes Drängen und Streben des Geistes oft an der gehörigen Ausbreitung hindert, und nur allzuoft das Gefühl, das so gern das Breite sucht, in dem es sich selbst ausfühlen kann, mit einer wahrhaft despotischen Gewalt mit sich fortreißt. Sie muß den Zuhörer so sehr in die Neuheit und den Wechseltanz der Gedanken, denen er immer, jedoch vergebens nachzugehen versucht, verflechten, daß er sich endlich in ihren Zauberkreisen vergißt. Nächst dem Studium der Kunst ist hier eine reichhaltige Menge psychologischer Züge von Beethovens Künstlercharakter niedergelegt, deren Entwicklung freilich hier zu weit führen müßte, aber zu interessanten Aufschlüssen führen könnte. – Was den mechanischen Teil des Kunstwerks betrifft, so hat das Werk freilich für den minder Geübten, und auch für den Geübten, seine Schwierigkeiten, die indessen doch nicht unüberwindlich sind. Freilich erfordert sein Vortrag von seiten des Solospielers große Fertigkeit und Delikatesse, und von seiten des Orchesters eine seltne Präzision. Der einzige Vorwurf, der dem Künstler gemacht werden könnte und der ihn besonders gleich im ersten Adagio träfe, wäre das oft zu lange Verweilen bei einer und derselben Figur, und dann wieder ein oft allzuschnelles Abbrechen, wodurch auf der einen Seite Dehnung und auf der andern nicht selten Dunkelheit entstehen könnten – hätte B.s reicher Genius nicht gewußt, auch bei Wiederholung der Figuren eine Neuheit und Kraft unterzulegen, die das Interesse des Ganzen nie sinken läßt. Sonach wird das Werk nicht nur als durchaus originell, sondern auch als eine meisterliche Arbeit mit Recht anerkannt und gepriesen werden müssen.

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