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Unter solchen Gedanken brach der Tag an. Noch rührte sich nichts, und Zebede sagte zu mir:
»Welches Glück, wenn der Feind nicht den Muth hätte, uns anzugreifen!«
Die Officiere sprachen unter sich von einem Waffenstillstande. Gegen neun Uhr aber kamen plötzlich unsere Streifreiter mit verhängtem Zügel zurückgesprengt und meldeten, daß der Feind sich auf der ganzen Linie rege. Gleich darauf begann auch die Kanonade auf unserer Rechten, an der Elster. Wir standen bereits unter dem Gewehr und marschirten nun querfeldein nach der Parthe hin, um nach Schönefeld zurückzukehren. Das war der Anfang der Schlacht.
Auf den Anhöhen vor dem Flusse erwarteten zwei oder drei Divisionen den Feind; ihre Batterien waren in den Abständen zwischen den Regimentern, die Kavallerie auf den Flanken aufgestellt. Ueber die Spitzen der Bajonette hinweg sah man weiter hinten die Preußen, Schweden und Russen in tiefen, dicht geschlossenen Kolonnen auf allen Seiten vorrücken – das nahm gar kein Ende.
Zwanzig Minuten später rückten wir zwischen zwei Hügeln in die Schlachtlinie und erblickten vor uns fünf- oder sechstausend Preußen, die mit dem Rufe: »Vaterland! Vaterland!« über den Fluß kamen. Dies Geschrei und Getöse ähnelte dem Lärm und Krächzen jener Rabenschwärme, die sich versammeln, um nach dem Norden zu ziehen.
Im selben Augenblick begann hüben und drüben das Kleingewehrfeuer, zuweilen übertönt vom Donner der Kanonen. Das Thal, in welchem die Parthe sich hinschlängelt, füllte sich mit Rauch. Die Preußen waren schon an uns, als wir sie kaum erst mit ihren wuthfunkelnden Augen, aufgerissenen Mäulern und wilden Mienen erblickten. Wir stießen jetzt ein bis zum Himmel aufdonnerndes »Es lebe der Kaiser!« aus und stürzten auf sie los. Das Handgemenge wurde entsetzlich. In zwei Minuten kreuzten sich unsere Bajonette zu Tausenden: man stieß sich, sprang zurück, feuerte aus nächster Nähe, schmetterte einander mit Kolbenschlägen zu Boden. Die Reihen wirrten durcheinander, man schritt über die Gefallenen weg, die Kanonen donnerten. Der Pulverdampf, der über das düstere Gewässer zwischen den beiden Anhöhen hinzog, das Pfeifen der Kugeln und das Knattern des Kleingewehrfeuers machten das Thal einem Ofen ähnlich, in den die Menschen wie Holzscheite hineinstürzten, um verzehrt zu werden.
Uns stachelte die Verzweiflung an, die Wuth, uns zu rächen, ehe wir starben; die Preußen beseelte der Stolz, der ihnen sagte: »Dies Mal werden wir Napoleon besiegen!« Diese Preußen sind die hochmüthigsten Menschen von der Welt: die Siege bei Groß-Beeren und an der Katzbach hatten sie rein toll gemacht! Aber es blieb mancher von ihnen im Flusse – ja, mancher! Drei Mal passirten sie das Wasser und drangen in geschlossenen Kolonnen auf uns ein. Wegen ihrer großen Anzahl waren wir zum Weichen gezwungen, und was für ein Gebrüll stießen sie da aus! ... Es war gerade, als ob sie uns fressen wollten ... Es ist eine niederträchtige Race ... Ihre Officiere, mit geschwungenem Degen zwischen den starrenden Bajonetten, wiederholten unzählige Male das Wort: »Vorwärts! Vorwärts!« und Alle rückten mit großem Muthe – das kann man nicht läugnen! – wie eine Mauer vor. Unsere Kanonen mähten sie reihenweise nieder – sie drangen immerfort vor. Auf der Höhe des Hügels aber nahmen wir einen neuen Anlauf und warfen sie bis an den Fluß zurück. Ohne eine ihrer Batterien vor Möckern, die uns in die Flanke nahm und uns hinderte, sie allzu weit zu verfolgen, würden wir sie alle niedergemacht haben.
Das dauerte bis zwei Uhr. Die Hälfte unserer Officiere war kampfunfähig: Commandant Gémeau war verwundet, Oberst Lorain gefallen, und längs des Flusses sah man nichts als aufgethürmte Leichen und Verwundete, die sich mühsam aus dem Getümmel fortzuschleppen suchten. Einige richteten sich wüthend auf den Knieen empor, noch einen Bajonettstich auszutheilen oder einen letzten Schuß abzufeuern. Man hat nie Aehnliches gesehen. Im Flusse schwammen die Todten in langer Reihe vorüber; die einen zeigten das Gesicht, andere den Rücken, noch andere die Beine. Wie Holzstöße folgten sie auf einander, und niemand achtete auch nur darauf. Es war gerade, als ob uns dasselbe Loos nicht in jedem Augenblicke ebenfalls treffen könnte.
Dies Gemetzel zog sich die Parthe entlang von Schönefeld bis Graßdorf.
Die Preußen und Schweden marschirten schließlich am Flusse hinauf, um uns weiter oben zu umgehen, und russische Kolonnen ersetzten uns gegenüber die Preußen, die nicht gerade ärgerlich darüber waren, anderswohin zu kommen.
Die Russen ordneten sich in zwei Kolonnen, stiegen Gewehr in Arm in bewunderungswürdiger Ordnung in die Schlucht hinunter und stürmten zwei Mal mit großer Tapferkeit gegen uns heran, ohne jedoch ein solch thierisches Gebrüll auszustoßen wie die Preußen. Ihre Kavallerie wollte inzwischen die alte Brücke oberhalb Schönefeld nehmen. Der Kanonendonner wurde immer stärker. Auf allen Seiten, wohin man auch im Pulverdampf die Augen wandte, sah man nichts als sich enger zusammenschließende Feinde. Wenn wir eine ihrer Kolonnen zurückgeworfen hatten, rückte eine andere aus frischen Truppen vor: wir mußten immer wieder von vorn anfangen.
Zwischen zwei und drei Uhr erfuhr man, daß die Schweden und die preußische Kavallerie den Fluß oberhalb Graßdorf überschritten hätten und uns in den Rücken kämen. Das behagte ihnen besser, als uns von vorn anzugreifen. Marschall Ney nahm sofort eine Frontveränderung vor, indem er den rechten Flügel zurückzog. Unsere Division behielt noch immer Schönefeld als Stützpunkt, alle andern zogen sich von der Parthe zurück, um sich in der Ebene auszubreiten. Die Armee bildete jetzt nur noch eine einzige Linie um Leipzig.
Gegen drei Uhr rüsteten sich eben die Russen hinter der Chaussee nach Möckern zu einem dritten Angriff, und unsere Officiere trafen neue Vorkehrungen zu ihrem Empfange, als eine Art Beben die Armee von einem Ende bis zum andern durchlief, und in wenigen Minuten jeder erfuhr, daß die sechzehntausend Sachsen und die württembergische Kavallerie, die im Centrum unserer Linie standen, soeben zum Feinde übergegangen und sogar so ehrlos und niederträchtig gewesen wären, die vierzig Geschütze, die sie bei sich hatten, gegen ihre alten Waffenbrüder von der Division Durutte zu kehren, noch ehe sie in die angemessene Entfernung gelangt waren.
Anstatt aber unsern Muth niederzuschlagen, fachte dieser Verrath unsere Wuth derart an, daß wir, hätte man uns gewähren lassen, über den Fluß gestürmt sein würden, um Alles zu vernichten.
Die Sachsen behaupten, daß sie ihr Vaterland vertheidigten – nun, das ist falsch! Sie brauchten uns ja nur auf der Dübener Straße zu verlassen, wer hinderte sie denn daran? Sie brauchten es nur zu machen wie die Baiern und sich vor der Schlacht zu erklären ... sie konnten neutral bleiben, sie konnten auch den Dienst verweigern – nein, sie verriethen uns, weil das Glück sich gegen uns wandte. Hätten sie gesehen, wir würden gewinnen, so würden sie stets unsere guten Freunde gewesen sein, um ihren Antheil zu erhalten wie nach Jena und Friedland. So dachte jeder von uns, und eben deshalb werden die Sachsen für alle kommenden Zeiten als Verräther dastehen: sie verließen nicht nur ihre Freunde im Unglück, sondern griffen sie sogar noch heimtückisch an, um sich einen guten Willkomm bei den Gegnern zu sichern. Gott ist gerecht: ihre neuen Verbündeten hegten eine solche Geringschätzung gegen sie, daß sie die Hälfte ihres Landes nach der Schlacht unter sich theilten. Die Franzosen haben über die Dankbarkeit der Preußen, Oesterreicher und Russen weidlich gelacht.
Von diesem Augenblick an bis zum Abend war der Kampf, den man mit einander führte, kein menschlicher mehr – es war ein Vernichtungskampf. Die Ueberzahl mußte uns erdrücken, aber die Alliirten sollten ihren Sieg theuer bezahlen.
Bei Anbruch der Nacht, während zweitausend Geschütze im Einklang brüllten und donnerten, wurden wir in Schönefeld zum siebenten Male angegriffen. Von der einen Seite drängten uns die Russen, von der andern die Preußen in das große Dorf zurück. Wir stemmten uns in jedem Hause, in jeder Gasse ihnen entgegen. Die Mauern stürzten unter dem Anprall der Kugeln ein, die Dächer brachen zusammen. Man schrie jetzt nicht mehr wie beim Beginne der Schlacht – man war kalt und blaß vor maßloser Wuth. Die Officiere hatten Flinten aufgerafft, die alte Patrontasche wieder umgehängt und bissen die Patrone ab wie der gemeine Soldat. Nach den Häusern vertheidigte man die Gärten und den Kirchhof, auf dem ich in der Nacht vorher geschlafen hatte. Es lagen jetzt dort mehr Todte auf als unter dem Rasen. Die Fallenden stießen keinen Klageschrei aus, und die Ueberlebenden schaarten sich hinter einer Mauer, einem Schutthaufen, einem Grabe von Neuem zusammen – jeder Zoll Terrain kostete Jemandem das Leben.
Es war bereits Nacht, als der Marschall Ney, ich weiß nicht woher, Verstärkungen d. h. die Ueberreste der Division Ricard und der zweiten Division Souham heranführte. Die Trümmer unseres Regiments schlossen sich ihnen an, und man warf die Russen über die alte Brücke zurück, die in Folge des Kartätschenfeuers das Geländer eingebüßt hatte. Auf dieser Brücke wurden sechs Zwölfpfünder aufgepflanzt, und nun beschoß man sich gegenseitig. Die Ueberreste unseres und einiger andern Bataillone unterstützten die Geschütze im Rücken, und ich erinnere mich noch, wie die Schüsse gleich Blitzen den untern Theil der Brücke beleuchteten und man in solchen Momenten die getödteten Menschen und Pferde sich in wirrem Durcheinander unter den düstern Bogen verlieren sah: das dauerte freilich nur einen Moment, aber es waren entsetzliche Visionen.
Um sieben einhalb Uhr, als auf unserer Linken Kavalleriemassen anrückten, die man um zwei große Karrees schwärmen sah, welche Schritt für Schritt zurückwichen, erhielten wir endlich Befehl, uns zurückzuziehen. Nur noch zwei bis dreitausend Mann und die sechs Geschütze blieben in Schönefeld. Wir kamen nach den Kohlgärten zurück, ohne daß man uns verfolgt hatte, und bivouakirten um Reudnitz herum. Zebede lebte noch. Nachdem wir, auf die Kanonade horchend, die trotz des Dunkels noch immer an der Elster fortdauerte, etwa zwanzig Minuten neben einander hinmarschirt waren, sagte er plötzlich zu mir:
»Wie kommt's, Joseph, daß wir noch leben, während so viele tausend Andere neben uns gefallen sind? Jetzt können wir nicht mehr sterben!«
»Was für eine Schlacht!« fuhr er fort. »Hat man vor uns jemals so gefochten? Das ist unmöglich!«
Er hatte Recht, es war eine Riesenschlacht. Von zehn Uhr Morgens bis sieben Uhr Abends hatten wir dreihundertundsechzigtausend Mann die Stirn geboten, ohne einen Fußbreit zurückzuweichen, und waren doch nur hundertunddreißigtausend Mann! Nie hat man etwas Aehnliches gesehen. – Gott behüte mich, daß ich Böses von den Deutschen spreche: sie kämpften für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes – ich finde aber, daß sie Unrecht haben, alljährlich den Jahrestag der Schlacht bei Leipzig zu feiern: wenn drei gegen einen standen, hat man keine Ursache, sich zu rühmen!
Als wir uns Reudnitz näherten, führte uns unser Weg über Haufen von Todten fort. Bei jedem Schritte stießen wir auf demontirte Kanonen, umgestürzte Munitionswagen, vom Kartätschenhagel zerfetzte Bäume. Eine Division der jungen Garde und die reitenden Grenadiere hatten an dieser Stelle unter der persönlichen Führung des Kaisers die Schweden aufgehalten, welche in die durch den Verrath der Sachsen entstandene Lücke eindrangen. Der Brand von zwei oder drei alten Baracken vor dem Dorfe, die eben im Erlöschen begriffen waren, beleuchtete diese Scene. Die reitenden Grenadiere befanden sich noch in Reudnitz, auf der Dorfstraße aber trieb sich eine große Anzahl anderer versprengter Truppen umher. Man hatte keine Lebensmittel vertheilt, und Jeder suchte nun Speise und Trank.
Als wir an einem großen Posthause vorübermarschirten, erblickten wir hinter einer Hofmauer zwei Marketenderinnen, die von ihren Karren herab Branntwein verschenkten. Jäger, Kürassiere, Lanciers, Husaren, Garde- und Linien-Infanteristen in zerfetzten Uniformen und mit eingedrückten, von Hieben und Stichen durchlöcherten Tschakos und Helmen, an denen die Federbüsche fehlten, drängten sich dort bunt durcheinander. Alle diese Leute schienen ausgehungert zu sein. Auf der niedrigen Mauer standen zwei oder drei Dragoner in der Nähe eines mit brennendem Pech gefüllten Topfes und hatten unter ihren langen, weißen Mänteln die Arme verschränkt. Sie waren mit Blut bespritzt wie Schlächter.
Ohne ein Wort zu sagen, stieß mich Zebede mit dem Ellbogen an, und wir traten beide in den Hof, während die Uebrigen ihren Weg fortsetzten. Wir brauchten fast eine Viertelstunde, um zu dem Karren zu gelangen. Ich hielt einen Sechslivresthaler in die Höhe. Die Marketenderin, die hinter ihrem Fasse kniete, reichte mir ein großes Glas Branntwein und ein Stück Weißbrot und nahm dafür meinen Thaler. Ich trank, dann gab ich das Glas meinem Kameraden, der es leerte. Wir hatten Mühe, aus dieser Menge wieder herauszukommen. Man sah sich mit finsterer Miene an, machte sich mit den Schultern und Ellbogen Platz und konnte beim Anblick dieser harten Gesichter, hohlen Augen und fürchterlichen Mienen von Menschen, die eben tausend Todten getrotzt hatten, um morgen von Frischem zu beginnen, wahrhaftig sagen: »Jeder für sich ... Gott für uns Alle!«
Als wir die Dorfstraße hinaufgingen, sagte Zebede:
»Du hast Brot?«
»Ja.«
Ich brach das Brot in zwei Stücke und gab ihm die Hälfte. Wir aßen und beschleunigten währenddem unsere Schritte. In der Ferne hörte man noch immer schießen. Nach zwanzig Minuten hatten wir den Nachtrab der Kolonne eingeholt und erkannten das Bataillon an dem Hauptmann und Adjutanten Vidal, der nebenher marschirte. Wir traten wieder in das Glied, ohne daß Jemand unsere Abwesenheit bemerkt hatte.
Je mehr man sich der Stadt näherte, desto häufiger wurden die Artillerie- und Bagage-Detachements, die sich beeilten, nach Leipzig zu kommen. Gegen zehn Uhr marschirten wir durch die Reudnitzer Vorstadt. Der Brigadegeneral Fournier übernahm jetzt das Commando über uns und befahl uns, nach links abzuschwenken. Um Mitternacht gelangten wir in die großen Promenaden längs der Pleiße und machten unter den alten, entlaubten Linden Halt. Die Gewehre wurden zusammengestellt. Eine lange Reihe von Wachtfeuern flackerte im Nebel bis zur Ranstädter Vorstadt hin. Wenn die Flammen heller aufflackerten, beleuchteten sie Gruppen polnischer Lanzenreiter, Reihen von Pferden, Kanonen und Munitionswagen, und in bestimmten Zwischenräumen unbeweglich dastehende Schildwachen, die sich als dunkle Schatten im Nebel abzeichneten. In der Stadt erscholl lautes Getöse, das immerfort zu wachsen schien und mit dem dumpfen Rollen unserer Convois auf der Lindenauer Brücke verschmolz. Das war der Anfang des Rückzuges. – Jeder legte seinen Tornister am Fuße eines Baumes nieder und streckte sich, indem er den Arm unter den Kopf legte, darauf hin. Eine Viertelstunde später schlief Alles.