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16.

Wieviel Neues sollten wir an diesem Tage kennen lernen! Im Lazareth macht man sich über nichts Gedanken. Wenn man morgens Dutzende von Verwundeten ankommen und abends eben so viel auf der Bahre hinaustragen sieht, so ist das für jeden das All im Kleinen, und man denkt: »Nach uns das Ende der Welt!«

Draußen aber ändern sich die Ansichten. Beim Anblick der großen Hallischen Straße, dieser alten Stadt mit ihren Magazinen, der weiten, mit Waaren gefüllten Thorwege, der alten, weit vorspringenden Dächer, der breiten, niedrigen, mit Waarenballen beladenen Wagen, kurz, des ganzen Schauspiels der lebendigen Thätigkeit der Handeltreibenden gerieth ich in großes Erstaunen. Ich hatte nie dergleichen gesehen und sagte daher bei mir selbst:

»Das ist wahrhaftig eine Handelsstadt, wie man sie sich vorstellt – voll betriebsamer Leute, die Unterhalt, Wohlstand und Reichthum zu gewinnen suchen, wo Jeder sich emporschwingen kann, nicht auf Kosten Anderer, sondern durch Arbeit und unablässiges Nachsinnen über die Mittel zum Fortkommen seiner Familie, was Niemanden hindert, aus Erfindungen und Entdeckungen Vortheil zu ziehen. Hier findet sich wirklich mitten in einem furchtbaren Kriege das Glück des Friedens!«

Und der Anblick der armen Verwundeten, die, den Arm in der Binde oder, auf ihre Krücken gestützt, das Bein nachschleppend umhergingen, that mir weh.

Ganz träumerisch ließ ich mich von meinem Freunde Zimmer führen, der sich in allen Winkeln der Stadt zurecht fand und mir sagte:

»Das da ist die Nikolaikirche, jenes große Gebäude die Universität, dies hier das Rathhaus.«

Er erinnerte sich an Alles, da er Leipzig schon im Jahre 1807, vor der Schlacht bei Friedland, gesehen hatte, und wiederholte mir unaufhörlich:

»Wir befinden uns hier gerade so gut, als ob wir in Metz, Straßburg oder anderswo in Frankreich wären. Die Leute wollen uns wohl. Nach dem Feldzuge von 1806 that man uns alle Ehren an, die man uns nur anthun konnte. Die Bürger führten uns zu dreien und vieren zum Mittagessen in ihre Häuser, sogar Bälle veranstaltete man für uns und nannte uns die ›Helden von Jena‹. Du sollst sehen, wie gern man uns hat! Treten wir ein, wo wir wollen – überall wird man uns wie Wohlthäter empfangen, weil wir ihren Kurfürsten zum König von Sachsen ernannt und ihm obendrein ein schönes Stück von Polen gegeben haben.«

Plötzlich machte Zimmer vor einer kleinen, niedrigen Thür Halt und rief:

»Holla, da ist die Brauerei zum Goldenen Hammel! Die Vorderseite befindet sich in der andern Straße, aber wir können hier hineingehen. Komm.«

Ich folgte ihm in eine Art gewundenen Gang, der uns bald auf einen alten Hof führte, welcher rings von hohen, aus Lehm aufgeführten Gebäuden umgeben war; unter dem Giebel liefen kleine, wurmstichige Galerien hin. und oben auf demselben stand eine Wetterfahne, ganz wie im Gerbergraben in Straßburg. Zur Rechten befand sich die Brauerei: man erblickte die Kufen mit eisernen Reifen auf den dunkelfarbigen Ständern, ganze Berge von bereits gesottenem Hopfen und Gerste und in einer Ecke ein großes Kurbelrad, in welchem ein gewaltiger Hund arbeitete, um das Bier in alle Etagen zu pumpen.

Aus einem Saale zur Rechten, der nach der Tillystraße Fingirter Name. D. Uebers. hinaus lag, scholl das Klingen von Gläsern und zinnernen Kannen, und unter den Fenstern dieses Saales lag ein tiefer Keller, in welchem die Schläge des Böttcherhammers wiederhallten. Der Duft des Märzbieres erfüllte die Luft, und Zimmer, dessen Blick zu den Dächern emporschweifte, rief mit vor Genugthuung glänzendem Gesichte:

»Ja, hier waren wir, der lange Ferrs, Kanonier an der linken Seite des Geschützes, der dicke Roussillon und ich. Gott im Himmel! wie freue ich mich, das Alles wiederzusehen, Josephel! Und doch ist es schon sechs Jahre her. Der arme Roussillon! ... er hat seine Knochen im vergangenen Jahre bei Smolensk gelassen, und der lange Ferrs muß jetzt in seinem Dorfe in der Nähe von Toul sein, denn bei Wagram wurde ihm das linke Bein weggeschossen. Wie einem Alles wieder einfällt, wenn man daran denkt!«

Dabei stieß er die Thür auf, und wir traten in einen hohen, mit Tabaksrauch gefüllten Saal. Ich brauchte einige Augenblicke, um in dieser graublauen Dampfwolke eine lange, mit Trinkern besetzte Reihe von Tischen zu unterscheiden. Die Mehrzahl der Gäste trug einen kurzen Ueberrock, die übrigen die sächsische Uniform. Es waren Studenten, junge Leute von gutem Herkommen, die Leipzig besuchen, um dort Jurisprudenz und Medicin zu studiren und Alles, was man lernen kann, wenn man tüchtig trinkt und ein lustiges Leben führt, das sie in ihrer Sprache »Fuchscommers« nennen. Das Fremdwort spielt da den Autoren einen bösen Streich, ihr Irrthum ist aber verzeihlich, wenn man bedenkt, wie fremd und zum Theil unbegreiflich den Ausländern das deutsche Corpsstudententhum ist, und welche Anschauungen andere Schriftsteller, z. B. der ältere Dumas in seinem » Dieu dispose«, darüber zu Tage fördern. D. Uebers. Sie duelliren sich häufig unter sich mit einer Art eiserner Stangen, die oben rund und nur einige Zoll weit geschliffen sind, so daß sie sich wohl Schmarren ins Gesicht hauen, wie mir Zimmer erzählte, aber nie einander tödten können. Dieser Umstand bezeugt den gesunden Verstand jener Studenten, die recht gut wissen, was das Leben für eine kostbare Sache ist, und daß es besser ist, sechs, sieben oder noch mehr Schmarren im Gesicht zu haben, als es ganz und gar einzubüßen.

Zimmer lachte, als er mir diese Einzelheiten erzählte – seine Ruhmbegierde verblendete ihn. Er behauptete, man könne eben so gut die Kanonen mit gekochten Aepfeln laden, als sich mit jenen oben stumpf geschliffenen Eisenstangen schlagen.

Kurz und gut, wir traten in den Saal und sahen den ältesten von den Studenten – einen langen, hagern Kerl mit eingesunkenen Augen, rother Nase und blondem Barte, der in Folge der vielen Biersaufen gelb zu werden anfing – auf einem Tische stehen und mit lauter Stimme eine Zeitung vorlesen, die wie eine Schürze aus seiner rechten Hand auf den Tisch herabhing. In der andern Hand hielt er eine lange Porzellan-Pfeife.

Alle seine Genossen mit ihrem blonden Haar, das in langen Locken auf den Kragen ihrer kurzen Röcke herabwallte, hielten ihre Krüge empor und hörten ihm zu. Bei unserm Eintritte hörten wir, wie sie unter sich die Worte: »Vaterland! Vaterland!« wiederholten.

Sie tranken den sächsischen Soldaten zu, während der Vorleser sich herunterbeugte, um ebenfalls seinen Schoppen zu ergreifen. Und der dicke Brauer mit seinem grauen, krausen Haar, platter Nase, runden Augen und kürbisdicken Backen schrie mit fetter Stimme:

»Gesundheit! Gesundheit!«

Kaum hatten wir in der Rauchwolke vier Schritt vorwärts gethan, als Alles schwieg.

»Ei, ei, Kameraden, genirt euch nicht!« rief Zimmer. »Lest weiter, zum Teufel! Auch uns soll es nicht unlieb sein, Neuigkeiten zu hören.«

Aber die jungen Leute wollten von unserer Aufforderung keinen Gebrauch machen, und der Alte stieg vom Tisch herunter, faltete seine Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche. »Es war zu Ende,« sagte er, »war zu Ende.«

»Ja, es war zu Ende,« wiederholten die Uebrigen, indem sie sich mit eigentümlicher Miene ansahen.

Zwei oder drei sächsische Soldaten verließen sofort den Saal, als ob sie auf dem Hofe Luft schöpfen wollten, und verschwanden.

Der dicke Wirth fragte uns:

»Sie wissen vielleicht nicht, daß der große Saal an der Tillystraße liegt?«

»O doch, wir wissen es wohl,« entgegnete Zimmer. »Aber dieser kleine Saal hier ist mir lieber, weil wir, zwei alte Kameraden und ich, unserer Zeit hierher kamen, um einige Schoppen zu Ehren Jenas und Auerstädts zu leeren. Dieser Saal ruft schöne Erinnerungen in mir wach.«

»Ah! – Nun, wie Sie wollen ... wie Sie wollen,« erwiderte der Brauer. »Wünschen Sie Märzbier?«

»Ja, zwei Schoppen und die Zeitung.«

»Schön! Schön!«

Er brachte uns die beiden Schoppen, und Zimmer, der nichts merkte, versuchte mit den Studenten ein Gespräch anzuknüpfen. Diese aber entschuldigten sich und gingen einer nach dem andern fort. Ich fühlte, daß alle diese Leute einen Haß gegen uns in sich trugen, der um so schlimmer war, je weniger sie ihn auf der Stelle zu zeigen wagten.

In der Zeitung, die aus Frankreich kam, war von nichts Anderm die Rede als von einem nach zwei neuen siegreichen Schlachten bei Bautzen und Würzen abgeschlossenen Waffenstillstande. Wir erfuhren jetzt, daß dieser Waffenstillstand am 6. Juni begonnen habe, und daß zu Prag in Böhmen Conferenzen wegen des Friedensschlusses stattfänden.

Das freute mich natürlich: ich hoffte, daß man nun wenigstens die Krüppel und Verwundeten nach Hause schicken würde. Zimmer aber mit seiner Gewohnheit, seine Gedanken laut auszusprechen, schrie seine Reflexionen durch den ganzen Saal. Er unterbrach mich bei jeder Zeile. »Ein Waffenstillstand?« ... rief er. »Brauchen wir denn einen Waffenstillstand? Müßten wir diese Preußen und Russen, nachdem wir sie bei Lützen, Bautzen und Wurzen niedergeschmettert haben, nicht mit Haut und Haaren vernichten? Würden sie uns etwa einen Waffenstillstand bewilligen, wenn sie uns geschlagen hätten? – Siehst du, Joseph, so ist des Kaisers Charakter. Er ist zu gut ... er ist zu gut! Das ist sein einziger Fehler. Nach Austerlitz machte er es eben so, und wir waren genöthigt, die Partie wieder von Frischem anzufangen. Ich sage dir, er ist zu gut. Ach, wenn er nicht so gut wäre, würden wir Herrn von ganz Europa sein!«

Dabei schaute er nach rechts und nach links, um die Andern um ihre Meinung zu fragen. Aber man schnitt uns verteufelte Gesichter, und Niemand wollte antworten.

Am Ende stand Zimmer auf.

»Laß uns gehen, Joseph,« sagte er. »Ich verstehe mich nicht auf Politik, behaupte aber, daß wir diesen Halunken keinen Waffenstillstand bewilligen durften. Da sie zu Boden geschmettert waren, mußte man sie auch vernichten.«

Nachdem wir bezahlt hatten, gingen wir fort, und Zimmer bemerkte:

»Ich weiß nicht, was die Leute heute haben. Wir haben sie bei irgend etwas gestört.«

»Das ist sehr möglich,« erwiderte ich. »Sie sahen auch nicht so freundlich und gutmüthig aus, wie du sie schildertest.«

»Nein,« entgegnete er. »Diese jungen Burschen da, siehst du, stehen weit unter den alten Studenten, wie ich sie gesehen habe. Die brachten gewissermaßen ihr Leben in der Brauerei zu. Sie tranken zwanzig oder sogar dreißig Schoppen den Tag über – ich selbst, Joseph, konnte nicht gegen solche Kerle aufkommen. Fünf oder sechs von ihnen, die man Senioren nannte, hatten große Bärte und ein ehrwürdiges Aussehn. Wir sangen zusammen » Fanfan-la-Tulipe« Name eines tapfern und galanten Soldaten in französischen Volksliedern. D. Uebers. und den ›König Dagobert‹, was keine politischen Lieder sind. Die hier aber kommen den alten nicht gleich.«

Ich habe seitdem oft über das an jenem Tage Gesehene nachgedacht und bin überzeugt, daß jene Studenten zum Tugendbund gehörten.

Nachdem wir im Wirthshaus zur Traube in der Tillystraße gut gegessen und jeder eine Flasche guten Weißwein getrunken hatten, kehrten wir ins Lazareth zurück und erfuhren, daß wir, Zimmer und ich, noch am selben Abend in der Rosenthaler Kaserne schlafen sollten. Diese Kaserne war nämlich eine Art Depot für die bei Lützen Verwundeten, sobald sie sich zu erholen begannen. Man lebte dort auf die gewöhnliche Art ganz wie in einer Garnison und mußte abends und morgens zum Appell erscheinen. Den Rest des Tages über war man frei. Alle drei Tage machte der Arzt seinen Besuch, und wenn man hergestellt war, empfing man einen Marschbefehl, um sich wieder seinem Truppencorps anzuschließen.

Man mag sich nun die Lage von zwölf- bis fünfzehnhundert armen Teufeln vorstellen, die mit grauen Mänteln mit Bleiknöpfen, weiten, blumentopfförmigen Tschakos und vom Marschiren mitgenommenen Schuhen bekleidet, dabei blaß, krank und zum größten Theile ohne einen Heller sind, und das in einer Stadt, die so reich ist, wie Leipzig. Wir spielten gerade keine große Rolle unter diesen Studenten, Bürgern und jungen, lachenden Frauen, die uns trotz alles unseres Ruhms als Habenichtse betrachteten.

Die schönen Dinge, von denen mein Kamerad mir erzählt hatte, machten diese Lage nur noch trauriger für mich.

Es ist wahr, man hatte uns eine Zeit lang gut aufgenommen. Aber unsere Vorgänger hatten sich nicht immer ehrenhaft und anständig gegen Leute betragen, von denen sie als Brüder behandelt wurden, und jetzt schloß man uns die Thür vor der Nase zu. Wir mußten uns begnügen, vom Morgen bis zum Abend die öffentlichen Plätze, die Kirchen und die Schaufenster der Schlächter zu bewundern, die in jener Gegend sehr schön ausgestattet sind.

Wir suchten uns auf alle Weise zu zerstreuen: die Alten spielten Klemm-Peter, die Jungen Kork und Münze. Auch hatten wir vor der Kaserne das Katz- und Rattenspiel. Dies besteht ans einem in die Erde gerammten Pfahl, an welchem zwei Stricke befestigt sind; den einen nimmt die Ratte und die Katze den andern. Beiden sind die Augen verbunden. Die Katze ist mit einem Stock bewaffnet und sucht die Ratte zu ertappen, die ihrerseits die Ohren spitzt und ihr soviel als möglich ausweicht. So schleichen die Beiden denn auf den Fußspitzen herum und belustigen die ganze Gesellschaft durch ihre Kniffe und Pfiffe.

Zimmer erzählte mir, daß die guten Deutschen diesem Spiele früher massenhaft zugesehen hätten, und daß man sie eine halbe Meile weit lachen gehört habe, wenn die Katze mit ihrem Stocke die Ratte traf. Aber die Zeiten hatten sich sehr geändert. Die Leute gingen vorüber, ohne nur den Kopf zu wenden, und die Mühe, die wir uns gaben, um sie zu unsern Gunsten zu interessiren, war verloren.

Während der sechs Wochen, die wir im Rosenthale zubrachten, machten Zimmer und ich häufig einen Gang um die Stadt, um uns die Langeweile zu vertreiben. Wir gingen den Ranstädter Steinweg hinaus und dehnten unsern Spaziergang bis nach Lindenau an der Straße nach Lützen aus. Dabei erblickten wir eine unabsehbare Menge von Brücken, Sümpfen und kleinen, bewaldeten Inseln. Im Wirthshaus zum Karpfen aßen wir dann einen Eierkuchen mit Speck und feuchteten ihn mit einer Flasche Weißwein an. Auf Credit, wie nach der Schlacht bei Jena, gab man uns nichts mehr, ich glaube im Gegentheil, der Wirth hätte uns zu Ehren des deutschen Vaterlandes Alles doppelt und dreifach bezahlen lassen, hätte mein Kamerad nicht den Preis des Specks, der Eier und des Weins eben so genau gekannt wie der erste beste Sachse.

Abends, wenn die Sonne hinter dem Röhricht der Elster und der Pleiße verschwand, kehrten wir dann beim schwermüthigen Geschrei der Frösche, die zu Tausenden in diesen Sümpfen leben, in die Stadt zurück.

Zuweilen machten wir dabei Halt, lehnten die gekreuzten Arme auf das Geländer einer Brücke und betrachteten die alten Wälle Leipzigs, seine Kirchen, seine mittelalterlichen Gebäude und sein Schloß, die Pleißenburg, während die Abendröthe Alles mit rothem Schimmer überflutete. Die Stadt erstreckt sich im spitzen Winkel bis zur Vereinigung der Pleiße und der Parthe, die oberhalb zusammentreffen, und bildet einen Fächer, an dessen Spitze sich die Hallische Vorstadt befindet, während die sieben andern Vorstädte die Stäbe dieses Fächers bilden. Wir betrachteten auch die unzähligen Arme der Elster und der Pleiße, die sich wie Fäden zwischen den Inseln kreuzten, welche schon im Dunkel lagen, während das Wasser noch wie flüssiges Gold blitzte und strahlte, und fanden den Anblick wunderschön.

Wenn wir freilich gewußt hätten, daß wir eines Tages, nachdem wir die fürchterlichste, blutigste Schlacht verloren, diese Flüsse unter dem Feuer der feindlichen Kanonen überschreiten sollten, und daß ganze Regimenter in diesen Gewässern, die jetzt unser Auge entzückten, verschwinden würden, so würde dieser Anblick, glaube ich, uns wohl trübe gestimmt haben.

Ein ander Mal gingen wir am Ufer der Pleiße hinauf bis nach Markkleeberg. Das war mehr als eine Stunde weit, und allenthalben war die Ebene mit reichen Feldfrüchten bedeckt, die man eiligst einzubringen trachtete. Die Leute auf ihren großen Erntewagen schienen uns gar nicht zu sehen, und wenn wir sie um eine Auskunft ersuchten, thaten sie, als ob sie uns nicht verständen. Zimmer wollte immer böse werden, ich hielt ihn aber zurück, indem ich ihm auseinander setzte, daß die Halunken nur einen Vorwand suchten, um über uns herzufallen, und daß wir überdies Befehl hätten, die Bevölkerung mit Schonung zu behandeln.

»Es ist gut!« sagte er. »Aber aufgepaßt, wenn der Krieg sich hierher zieht! ... Wir haben sie mit Wohlthaten überhäuft ... und nun sehe Einer, wie sie uns aufnehmen!«

Was aber die feindselige Stimmung der Leute gegen uns noch besser bezeichnet, ist der folgende Vorfall, der uns am Tage nach Ablauf des Waffenstillstands zustieß. Wir wollten uns an jenem Tage gegen elf Uhr in der Pleiße baden. Schon hatten wir unsere Kleidung abgeworfen, als Zimmer einen Bauer auf der Connewitzer Straße herankommen sah und ihm zurief:

»He, guter Freund! Es ist doch hier nicht gefährlich?«

»Nein, nein, geht nur unbesorgt hinein,« erwiderte jener Mensch. »Die Stelle ist gut.«

Und Zimmer, der ohne Mißtrauen hineingegangen war, sank fünfzehn Fuß tief unter! Er schwamm gut, aber sein linker Arm war noch schwach, und die Strömung riß ihn fort, ohne daß er Zeit hatte, sich an den Weidenzweigen festzuklammern, die ins Wasser hingen. Wenn sich nicht glücklicher Weise weiter unten eine seichte Stelle gefunden hätte, die ihm gestattete, Fuß zu fassen, würde er zwischen zwei Schlammbänke gerathen sein, zwischen denen er nie wieder heraus gekonnt hätte.

Der Bauer hatte inzwischen auf der Straße Halt gemacht, um zu sehen, was geschehen würde. Mich packte die Wuth, und ich kleidete mich schnell an, während ich ihm mit der Faust drohte. Er aber begann zu lachen und erreichte schnellen Schritts das Dorf. Zimmer war außer sich vor Entrüstung. Er wollte nach Connewitz laufen und den Schurken ausfindig machen. Unglücklicher Weise war das unmöglich: suche doch Einer einen Menschen, der zwischen drei- oder vierhundert Baracken versteckt ist! Und wenn man ihn auch gefunden hätte, was hätten wir ihm thun können?

Endlich gingen wir nach dem Orte hinunter, wo man Grund fand, und die Frische des Wassers beruhigte uns.

Ich erinnere mich noch, daß Zimmer auf dem Rückwege nach Leipzig nur von Rache sprach.

»Das ganze Land ist gegen uns,« sagte er. »Die Bürger machen uns ein böses Gesicht, die Frauenzimmer drehen uns den Rücken, die Bauern wollen uns ersäufen, die Wirthe verweigern uns den Kredit, als ob wir sie nicht drei oder vier Mal erobert hätten! Und das Alles kommt von unserer ganz außerordentlichen Milde und Gutmüthigkeit: wir hätten erklären müssen, wir seien die Herrn! – Wir haben den Deutschen Könige und Prinzen bewilligt, wir haben ihnen sogar nach den Namen ihrer Städte Herzöge, Grafen und Barone geschaffen, wir haben sie mit Ehren überhäuft – und das ist jetzt ihre Dankbarkeit!

Anstatt uns Achtung vor der Bevölkerung zu befehlen, sollte man uns freie Hand bei den Leuten lassen, dann würden diese Banditen ein anderes Gesicht schneiden und uns freundlich ansehen wie Anno 1806. Gewalt ist Alles! Mit Gewalt macht man zuerst Rekruten, denn wenn man sie nicht zum Abmarsch zwänge, würden sie Alle zu Hause bleiben. Aus den Rekruten macht man durch Gewalt Soldaten, indem man ihnen Disciplin beibringt. Mit den Soldaten gewinnt man durch Gewalt Schlachten, und mit Gewalt geben Einem dann die Leute Alles: sie richten Triumphbogen für euch auf und nennen euch Helden, weil sie Furcht haben. Das ist's!

Aber der Kaiser ist zu gut! ... Wenn er nicht so gut wäre, wäre ich heute nicht in Gefahr gekommen, elend zu ersaufen. Beim bloßen Anblick meiner Uniform würde der Bauer vor dem Gedanken zurückgeschreckt sein, mir eine Lüge zu sagen!«

So sprach Zimmer, und die ganze Sache ist mir noch lebhaft im Gedächtniß. Sie trug sich am 12. August 1813 zu.

Als wir nach Leipzig hineinkamen, bemerkten wir auf den Gesichtern der Einwohner eine stille Freude. Sie brach nicht offen hervor, aber die Bürger standen beim Begegnen auf der Straße still und gaben sich die Hand, die Frauen, gingen hin und her, um einander zu besuchen, und sogar in den Augen der Mägde, der Bedienten und der elendesten Tagelöhner spiegelte sich eine Art innerer Genugthuung.

Zimmer sagte daher zu mir:

»Man sollte meinen, die Deutschen seien lustig. Sie haben alle eine heitere Miene.«

»Ja,« erwiderte ich, »das kommt von dem schönen Wetter und dem Einbringen der Ernte.«

Es ist wahr, das Wetter war sehr schön. Als wir aber nach der Rosenthaler Kaserne kamen, sahen wir unsere Officiere unter dem großen Thorweg stehen und lebhaft mit einander reden. Die Wachtmannschaften hörten zu, und die Vorübergehenden näherten sich, um zu horchen: man erzählte uns, daß die Prager Conferenzen abgebrochen wären, und daß auch die Oestreicher uns den Krieg erklärt hatten, was uns zweimalhunderttausend Mann mehr über den Hals brachte.

Später habe ich erfahren, daß wir damals dreimalhunderttausend, unsere Gegner aber fünfmalhundertundzwanzigtausend Mann stark waren, und daß sich unter den Feinden zwei ehemalige französische Feldherrn, Moreau und Bernadotte, befanden. Das kann Jeder in den Büchern nachlesen, wir aber wußten es damals noch nicht und waren siegesgewiß, weil wir noch keine Schlacht verloren hatten. Die schiefen Gesichter, die man uns machte, kümmerten uns übrigens nicht: in Kriegszeiten werden Bürger und Bauern gewissermaßen für nichts gerechnet. Man fordert nur Geld und Lebensmittel von ihnen, die sie immer hergeben, weil sie wissen, daß man ihnen beim geringsten Widerstande Alles bis zum letzten Heller nehmen würde.

Am Tage nach dem Bekanntwerden dieser wichtigen Nachricht fand eine ärztliche Generalvisite statt, und zwölfhundert von den Lützener Verwundeten, die noch kaum wiederhergestellt waren, erhielten Befehl, sich wieder zu ihren Corps zu begeben. Sie zogen compagnienweise mit Waffen und Gepäck ab, indem ein Theil der Altenburger Straße folgte, die an der Elster hinaufläuft, der andere sich mehr nach links zur Wurzener Straße wandte. Unter diesen befand sich Zimmer, der selbst mitzuziehen verlangt hatte. Ich begleitete ihn bis zum Thore hinaus und wir umarmten uns dann mit tiefer Rührung. Ich selbst blieb zurück, da mein Arm noch zu schwach war.

Wir waren in der Kaserne nur noch unserer fünf- oder sechshundert, darunter eine hübsche Anzahl von Fechtmeistern und Tanzlehrern, jenen fidelen Burschen, die gewissermaßen den eisernen Bestand aller Depots bilden. Ich gab nicht viel auf ihre Bekanntschaft, mein einziger Trost bestand vielmehr darin, daß ich an Katherine und zuweilen auch an meine alten Kameraden Klipfel und Zebede dachte, von denen ich gar keine Nachricht hatte.

Es war ein recht trauriges Leben. Die Leute betrachteten uns mit bösen Blicken. Sie wagten allerdings nichts zu sagen, da sie wußten, daß die französische Armee nur vier Tagemärsche von Leipzig, Blücher und Schwarzenberg aber viel weiter entfernt standen. Wie würden sie uns sonst beim Kragen genommen haben!

Eines Abends verbreitete sich das Gerücht, wir hätten bei Dresden einen großen Sieg erfochten. Diese Nachricht verursachte allgemeine Bestürzung: die Einwohner kamen gar nicht mehr aus ihren Häusern. Ich ging nach dem Wirthshaus zur Traube in der Tillystraße, um die Zeitung zu lesen. Die französischen Journale lagen alle unberührt auf dem Tische; ich war der Einzige, der sie aufschlug.

In der folgenden Woche aber – es war zu Anfang September – bemerkte ich auf den Gesichtern dieselbe Veränderung wie an jenem Tage, wo die Oestreicher sich gegen uns erklärt hatten. Ich ahnte, daß wir Unglück gehabt hatten, und hatte Recht, wie ich später erst erfuhr, denn die pariser Zeitungen berichteten nichts darüber.

Gegen Ende August war das Wetter umgeschlagen, und es hatte zu regnen begonnen. Das Wasser fiel in Strömen. Ich verließ jetzt die Kaserne nicht mehr. Oft, wenn ich auf meinem Bette saß und durch das Fenster die Elster unter den Regengüssen aufschäumen, die Bäume auf den kleinen Inseln sich unter der Gewalt der Windstöße beugen sah, dachte ich: »Arme Soldaten! ... Arme Kameraden! ... wo seid ihr jetzt? Vielleicht auf der Landstraße, mitten im freien Felde!«

Und so überdrüssig ich des Lebens in der Kaserne war, fand ich doch, daß ich weniger zu beklagen sei als sie. Eines Tages aber machte der alte Generalstabsarzt Tardieu seinen Rundgang und sagte zu mir:

»Ihr Arm ist gut und solide ... Sehen wir einmal zu ... Hier, heben Sie mir das auf ... Schön ... schön!«

Am folgenden Morgen beim Appell ließ man mich in einen Saal treten, der mit Ausrüstungs-Gegenständen, Tornistern, Patrontaschen und Schuhen vollgepfropft war. Ich empfing eine Flinte, zwei Paquete Patronen und eine Marschordre zum sechsten Regimente nach Gauernitz an der Elbe. Das war am 1. October. Wir setzten uns, zwölf oder fünfzehn Mann, zusammen in Marsch. Ein Fourier von den Siebenundzwanzigern, Namens Poitevin, führte uns.

Unterwegs schlug bald der Eine, bald der Andere eine andere Richtung ein, um zu seinem Corps zu gelangen. Poitevin aber, vier Infanteristen und ich setzten unsern Marsch bis zum Dorfe Gauernitz fort.


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