Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Eine Botschaft vom Kardinal.

Drei Tage darauf befanden sich die vier Musketiere wieder in Paris. Sie waren in den Grenzen ihres Urlaubs geblieben, und statteten noch an demselben Abend Herrn von Tréville ihren Besuch ab. »Nun, meine Herren,« fragte sie der würdige Kapitän, »habt Ihr Euch bei Eurem Ausflug gut unterhalten?« »Vortrefflich,« antwortete Athos in seinem und im Namen seiner Freunde. Am sechsten des nächsten Monats verließ der König, seinem Versprechen gemäß, das er hinsichtlich seiner Rückkehr nach La Rochelle dem Kardinal gemacht hatte, die Stadt Paris, noch ganz betäubt von der Kunde, die sich über Buckinghams Ermordung verbreitet hatte. Obschon die Königin von der Gefahr wußte, die ihrem Günstling drohte, so glaubte sie doch nicht an die Nachricht seines Todes, und erklärte sie für falsch, da er ihr kurz zuvor noch geschrieben hatte. Allein am folgenden Tage mußte sie wohl dieser Nachricht Glauben beimessen. Laporte wurde, wie alle Menschen in England, auf den Befehl des Königs Karl I. zurückgehalten, und kam als Überbringer des letzten traurigen Geschenks an, das Buckingham der Königin zusandte. Der König war über die Botschaft ungemein erfreut. Er suchte nicht einmal die Freude zu verbergen, sondern äußerte sich sogar absichtlich in Gegenwart der Königin; denn Ludwig XIII. gebrach es an Edelmut. Doch bald darauf ward der König wieder düster und übelgelaunt. Seine Stirn ließ sich nie auf längere Zeit aufheitern. Er fühlte wohl, daß er sich wieder in seine Sklaverei begab, wenn er in das Lager zurückkehrte, und dennoch reiste er dahin ab. Auch war die Rückkehr nach La Rochelle ungemein trübselig. Insbesondere setzten unsere Freunde ihre Waffengefährten in Erstaunen. Sie ritten eng nebeneinander, düsteren Blickes und gesenkten Hauptes. Athos allein hob von Zeit zu Zeit seine breite Stirn, ein Blitz funkelte in seinen Augen, ein bitteres Lächeln schwebte über seine Lippen hin, und er versank abermals, wie seine drei Freunde, in seine finsteren Traumgedanken. Wenn die Eskorte in einer Stadt anlangte, begaben sich die vier Freunde, sobald sie den König nach seiner Wohnung begleitet hatten, entweder in ihre Quartiere, oder zogen sich in eine abgelegene Herberge zurück, wo sie weder spielten noch auch zechten, sondern sich leise unterredeten und dabei herumspähten, ob sie niemand belausche. Als der König eines Tages anhielt, um Elstern zu beizen, und die vier Freunde, statt der Jagd beizuwohnen, wie gewöhnlich in einer Schänke an der Landstraße saßen, kam ein Mann von La Rochelle mit verhängten Zügeln herangesprengt, hielt vor der Tür, um ein Glas Wein zu trinken, und blickte in das Innere der Stube, wo die vier Musketiere saßen. »Hallo, Herr d'Artagnan!« rief er, »seid Ihr es nicht, den ich dort sitzen sehe?« D'Artagnan sah empor und erhob ein Jubelgeschrei. Der Unbekannte, der ihm zurief, war sein Gespenst, jener Fremde von Meung, von der Gasse Fossoyeurs und von Arras. D'Artagnan entblößte den Degen und stürzte nach der Tür. Doch der Unbekannte sprang, statt zu entfliehen, vom Pferde herab und schritt d'Artagnan entgegen, »Ha, mein Herr,« rief der junge Mann, »endlich treffe ich Euch, und diesmal werdet Ihr mir nicht entkommen.« »Das ist auch diesmal gar nicht meine Absicht, indem ich Euch selber aufsuchte. Ich verhafte Euch in des Königs Namen.« »Wie, was sprecht Ihr da?« sagte d'Artagnan. »Ihr habt mir Euren Degen auszuliefern, mein Herr, und zwar ohne alle Widersetzlichkeit. Ich sage Euch, es handelt sich um Euren Kopf.« »Wer seid Ihr denn?« rief d'Artagnan, indem er den Degen senkte, ohne ihn auszuliefern. »Ich bin der Chevalier von Rochefort, der Stallmeister des Herrn Kardinal von Richelieu, und habe den Auftrag, Euch vor Se. Eminenz zu führen.« »Wir kehren zurück zu Seiner Eminenz, Herr Chevalier,« versetzte Athos. »und Ihr werdet wohl dem Worte des Herrn d'Artagnan trauen, daß er sich unmittelbar nach La Rochelle verfügt.« »Ich habe ihn den Händen der Wachen zu übergeben, daß sie ihn nach dem Lager bringen.« »Wir werden seine Wache sein, mein Herr, bei unserm edelmännischen Ehrenwort! Doch sage ich Euch auch,« fügte Athos mit gerunzelter Stirn hinzu, »ich sage Euch, Herr d'Artagnan wird sich nicht von uns trennen.« Der Chevalier von Rochefort schleuderte einen Blick zurück und bemerkte, daß sich Porthos und Aramis zwischen ihn und die Tür gestellt hatten. Er sah ein, daß er ganz der Willkür dieser vier Männer preisgegeben sei. »Meine Herren,« sprach er, »wenn mir d'Artagnan seinen Degen überliefern und Eurem Worte das seinige beifügen will, so begnüge ich mich mit Eurem Versprechen, daß Ihr Herrn d'Artagnan in das Quartier von Monseigneur, dem Herrn Kardinal führen werdet.« »Ihr habt mein Wort,« sagte d'Artagnan, »und hier ist mein Degen!« »Mir ist das um so lieber,« versetzte Rochefort, »als ich meine Reise fortsetzen muß.« »Wenn Ihr es tut, um Mylady aufzusuchen,« sprach Athos kalt, »so gebt Euch keine Mühe, da Ihr sie nicht finden würdet.« »Was ist denn mit ihr geschehen?« fragte Rochefort heftig. »Kommt zurück in das Lager, dort sollt Ihr es erfahren.« Rochefort blieb ein Weilchen in Gedanken vertieft. Da man aber nur noch eine Tagereise von Surgères entfernt war, bis wohin der Kardinal dem König entgegenziehen wollte, so entschloß er sich, Athos zu folgen, und mit ihm zurückzukehren. Außerdem hatte er bei dieser Rückkehr den Vorteil, daß er seinen Gefangenen selbst bewachen konnte. Man setzte sich in Bewegung.

Am folgenden Tag um drei Uhr nachmittags gelangte man nach Surgères. Der Kardinal harrte dagegen auf Ludwig XIII. Der König und der Minister sagten sich viel Schmeichelhaftes und beglückwünschten sich über den günstigen Zufall, der Frankreich von dem erbitterten Feinde befreite, der gegen dasselbe ganz Europa in Bewegung gesetzt hatte. Als das geschehen war, beurlaubte sich der Kardinal, der durch Rochefort d'Artagnans Ankunft erfahren hatte, und diesen auf der Stelle vernehmen wollte, von dem König, wobei er ihn einlud, am nächsten Tage die fertig gewordenen Dammarbeiten in Augenschein zu nehmen. Als der Kardinal abends in sein Quartier an der Brücke Pierre zurückkehrte, fand er d'Artagnan ohne Degen und die drei Musketiere bewaffnet vor dem Hause, das er bewohnte. Da er ihnen mehr Kräfte entgegenzusetzen hatte, so faßte er sie streng ins Auge, und gab d'Artagnan mit dem Blick und der Hand einen Wink, daß er ihm folge. D'Artagnan gehorchte. »Wir warten deiner, d'Artagnan!« rief Athos so laut, daß es der Kardinal hören konnte. Seine Eminenz faltete die Stirn, hielt einen Augenblick an, und setzte erst dann wieder stillschweigend seinen Weg fort. D'Artagnan trat hinter dem Kardinal, Rochefort hinter d'Artagnan ein. Die Tür wurde bewacht. Seine Eminenz verfügte sich in sein Arbeitskabinett und gab Rochefort einen Wink. daß er d'Artagnan zu ihm führe. Rochefort gehorchte und entfernte sich. D'Artagnan stand allein dem Kardinal gegenüber. Es war das seine zweite Zusammenkunft mit Richelieu, und später äußerte er, er sei überzeugt gewesen, daß es auch seine letzte sei. Richelieu blieb am Kamin stehen. Ein Tisch war zwischen ihm und d'Artagnan. »Mein Herr,« sagte der Kardinal, »Ihr wurdet auf meinen Befehl verhaftet.« »Man sagte mir das, Monseigneur.« »Wisset Ihr auch weshalb?« »Nein, Monseigneur, denn der einzige Umstand, weshalb ich verhaftet werden könnte, ist Seiner Eminenz noch unbewußt.« Richelieu blickte den jungen Mann fest an und sprach: »Hm, was wollet Ihr damit sagen?« »Will mir Monseigneur zuerst die Verbrechen bekanntgeben, die man mir zur Last legt, so will ich sagen, was ich getan habe.« »Man legt Euch Dinge zur Last,« sagte der Kardinal, »wegen die schon höhere Häupter gefallen sind, als das Eurige ist.« »Welche denn, Monseigneur?« fragte d'Artagnan mit einer Ruhe, worüber der Kardinal erstaunte. »Man beschuldigt Euch des Verkehrs mit den Feinden des Landes; man klagt Euch an, Staatsgeheimnisse belauscht zu haben; man gibt Euch Schuld, daß Ihr die Pläne Eures Generals zu vereiteln getrachtet habt.« »Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?« fragte d'Artagnan in der Vermutung, daß die Anklage von Mylady sei. »Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geehelicht, ein Weib, das seinen zweiten Gemahl vergiftet und auch mich zu vergiften gesucht hat.« »Ha, was redet Ihr da?« rief der Kardinal erstaunt, »von welchem Weibe sagt Ihr das?« »Von Mylady Winter,« versetzte d'Artagnan, »deren Verbrechen Eure Eminenz gewiß nicht kannte, als Sie dieselbe mit Ihrem Vertrauen beehrte.« »Mein Herr,« versetzte der Kardinal, »hat sich Mylady dieser Verbrechen, die Ihr da angebt, schuldig gemacht, so soll sie bestraft werden.« »Sie ist bestraft.« »Wer hat sie bestraft?« »Wir.« »Ist sie im Gefängnis?« »Sie ist tot.« »Tot!« rief der Kardinal, der an das, was er hörte, nicht gleich glauben konnte. »Habt Ihr nicht gesagt, daß sie tot sei?« »Sie hat es dreimal versucht, mich umzubringen, und ich vergab ihr; allein sie vergiftete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen wir sie, meine Freunde und ich, gefangen, hielten Gericht und verurteilten sie.« Nunmehr erzählte d'Artagnan die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen zu Bethune, das Gericht in dem einsam gelegenen Haus und die Exekution am Ufer der Lys. Der Kardinal war im ganzen Leibe durchschauert, obwohl das sonst bei ihm so leicht nicht geschah. Jedoch, als erfaßte ihn plötzlich ein stiller Gedanke, erhellte sich allgemach sein bisher so düsteres Antlitz und ward endlich völlig aufgeheitert. »Ihr habt Euch somit«, sprach er mit einer Stimme, deren Weichheit mit der Strenge seiner Worte seltsam kontrastierte, »Ihr habt Euch somit das Richteramt angemaßt, ohne zu bedenken, daß diejenigen Mörder sind, die ohne höheren Auftrag strafen.« »Monseigneur! ich schwöre, daß es nicht einen Augenblick lang meine Absicht war, gegen Sie meinen Kopf zu verteidigen; ich will mich der Strafe unterwerfen, die Eure Eminenz über mich verhängt. Mir ist das Leben nicht in dem Grade lieb, daß ich den Tod fürchten sollte.« »Ja, ich weiß, daß Ihr beherzt seid,« sagte der Kardinal in einem fast gutmütigen Ton; »ich kann Euch also im voraus melden: man wird über Euch Gericht halten, Euch sogar verurteilen.« »Ein anderer könnte Seiner Eminenz erwidern, er trage seine Begnadigung in der Tasche, ich aber antworte bloß: Monseigneur! ich bin Ihres Befehles gewärtig.« »Eure Begnadigung? fragte Richelieu verwundert. »Ja, Monseigneur,« versetzte d'Artagnan. »Von wem unterfertigt? Etwa vom König?« »Nein, von Eurer Eminenz.« »Von mir? Ha, mein Herr, Ihr seid verrückt!« »Monseigneur, Sie werden sicher Ihre Handschrift kennen.« Mit diesen Worten reichte d'Artagnan dem Kardinal jenes kostbare Papier, das Athos Mylady abgenötigt und d'Artagnan zugestellt hatte, damit es ihm als Schutzwehr diene. Seine Eminenz las es langsam und betonte jede Silbe. »In meinem Auftrag und zur Wohlfahrt des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gehandelt. Im Lager von La Rochelle, 3. August 1628. Richelieu.« Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen; doch gab er das Papier, nachdem er es gelesen, d'Artagnan nicht wieder zurück. »Er erwägt, durch welche Strafe er mich dem Tod überliefern soll,« sprach der Gascogner zu sich selbst. »Wohl, er sehe, wie ein Edelmann stirbt.« Der junge Musketier war in der besten Gemütsstimmung, um sich heldenmütig vom Leben zu trennen. Richelieu blieb immer gedankenvoll, und rollte das Papier in seiner Hand auf und zu. Dann richtete er seinen Adlerblick auf diese edlen, offenen und geistvollen Züge, auf dieses Gesicht, das infolge eines monatelangen Leidens von Tränen durchfurcht war, und dachte zum dritten- und viertenmal, welche Zukunft dieser Knabe von zwanzig Jahren vor sich habe, und welche Mittel seine Regsamkeit, sein Mut und sein Geist einem guten Gebieter an die Hand geben könnten. Von der andern Seite hatte ihn die Zahl der Verbrechen, die Macht und der höllische Geist Myladys öfter als einmal mit Schreck erfüllt. Er empfand gleichsam eine geheime Freude darüber, daß er diese gefährliche Gläubigerin für immer los war. Sonach zerriß er langsam das Papier, das ihm d'Artagnan so edelmütig überlassen hatte. »Ich bin verloren.« sagte d'Artagnan zu sich selbst. Er verneigte sich tief vor dem Kardinal, wie ein Mensch, der da sagt: »Gnädiger Herr, es geschehe Ihr Wille!« Der Kardinal trat an den Tisch und schrieb, ohne daß er sich setzte, ein paar Zeilen auf ein Pergament, das schon zu zwei Dritteln vollgeschrieben war, und drückte darunter sein Siegel. »Das ist meine Verdammnis,« dachte d'Artagnan, »er verschont mich mit den Martern der Bastille und einem langwierigen Gerichtsgang. Ich finde es von ihm noch recht edelmütig. »Nehmt hier,« sprach der Kardinal zu dem jungen Mann, »ich nahm Euch ein Blankett, und gebe Euch dafür ein anderes. Der Name fehlt. Ihr mögt ihn selbst darauf setzen.« D'Artagnan faßte das Papier zögernd an und blickte darauf. Es war ein Leutnantspatent bei den Musketieren. D'Artagnan stürzte dem Kardinal zu Füßen und stammelte: »Monseigneur, von nun an gehört mein Leben Ihnen; verfügen Sie darüber; allein ich bin dieser zugestandenen Gnade nicht wert – ich habe drei Freunde, die würdiger wären . . .« »Ihr seid ein wackerer Junker, d'Artagnan,« fiel der Kardinal ein und klopfte ihm, entzückt, diese halsstarrige Natur überwunden zu haben, traulich auf die Schulter. »Macht mit dieser Vollmacht, was Euch beliebt, da der Name weiß ist; nur erinnert Euch, daß ich sie Euch erteile.« »Ich will nie darauf vergessen, dessen darf sich Ew. Eminenz versichert halten.« Der Kardinal wandte sich um und rief mit lauter Stimme: »Rochefort.« Der Chevalier verweilte wahrscheinlich vor der Tür, denn er trat sogleich ein. »Rochefort,« sprach der Kardinal, »Ihr seht hier Herrn d'Artagnan, ich versetze ihn unter die Zahl meiner Freunde. Man umarme sich somit, und sei vernünftig, wenn man sein Leben liebt.« Rochefort und d'Artagnan berührten sich mit den Spitzen ihrer Lippen, doch der Kardinal war hier und faßte sie scharf ins Auge. Sie entfernten sich zugleich aus dem Zimmer. »Wir treffen uns wieder, nicht wahr, mein Herr?« sagten sie. »Wann es beliebig ist,« entgegnete d'Artagnan. »Die Gelegenheit wird kommen,« versetzte Rochefort. »He doch!« rief Richelieu, indem er die Tür öffnete. Die Männer lächelten sich zu, drückten sich die Hände und verneigten sich vor Seiner Eminenz.


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