Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Von dem Nutzen der Ofenröhren.

Unsere drei Freunde hatten offenbar, ohne es zu ahnen, und bloß nur durch ihren ritterlichen und abenteuerlichen Charakter jemandem einen Dienst erwiesen, den der Kardinal mit seinem besonderen Schutze beehrte. Nun, wer war aber dieser Jemand? Diese Frage stellten die drei Musketiere an sich selbst; da sie aber sahen, es sei keine der Antworten zureichend, die ihnen der Verstand geben konnte, so rief Porthos den Wirt und verlangte Würfel. Porthos und Aramis setzten sich an einen Tisch und spielten; Athos ging gedankenvoll auf und nieder. Während nun Athos tiefsinnig auf und ab schritt, kam er wiederholt an einer Ofenröhre vorüber, von der die eine Hälfte abgebrochen war, indes der andere Teil nach einem oberen Zimmer ging; und so oft er vorbeischritt, vernahm er ein Gemurmel von Worten, das zuletzt seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Athos trat hinzu, und hörte da einige Worte, die ihm zweifelsohne so große Teilnahme zu verdienen schienen, daß er seinen zwei Freunden ein Zeichen gab, sie möchten ebenfalls herankommen, während er sein Ohr an die Mündung der Röhre hielt. »Hören Sie, Mylady,« sagte der Kardinal, »die Sache ist ungemein wichtig; setzen Sie sich, wir wollen darüber reden.« »Mylady?« murmelte Athos. »Ich höre Ew. Eminenz mit der gespanntesten Aufmerksamkeit,« erwiderte eine Frauenstimme, die den Musketier zittern machte. »Ein kleines Schiff mit englischer Mannschaft, dessen Kapitän mir ergeben ist, erwartet Sie an der Mündung der Charente, bei dem Fort la Pointe. Es geht morgen schon unter Segel.« »Somit muß ich mich noch in dieser Nacht dahin begeben?« »In diesem Moment, wenn ich Ihnen nämlich meine Instruktion gegeben habe. Zwei Männer, die Sie bei Ihrem Fortgehen am Tore finden, werden Ihnen zum Geleit dienen. Mich lassen Sie jedoch zuerst von hinnen, und reisen erst in einer halben Stunde ab.« »Wohl, Monseigneur. Kommen wir aber auf die Sendung zurück, mit der Sie mich beauftragen wollen und da mir fortwährend daran liegt, das Vertrauen Ew. Eminenz zu verdienen, so erklären Sie mir gnädigst die Sache ganz deutlich, auf daß ich nicht irren könne.« »Sie reisen sogleich nach London ab,« fuhr der Kardinal fort, »und sind Sie in London angekommen, so suchen Sie Buckingham auf.« »Ich erlaube mir, Ew. Eminenz, zu bemerken,« entgegnete Mylady, »daß Seine Herrlichkeit Mißtrauen in mich setzt seit jener Geschichte mit den diamantenen Nestelstiften, wegen welcher mich der Herzog immer in Verdacht gezogen hat.« »Auch diesmal«, erwiderte der Kardinal, »handelt es sich nicht darum, sein Vertrauen zu gewinnen, sondern sich ihm auf offene und gerade Weise als Unterhändlerin zu nähern.« »Auf offene und gerade Weise?« wiederholte Mylady mit einer Betonung, die zweideutig klang. »Ja, offen und gerade,« erwiderte der Kardinal in demselben Tone; »diese ganze Sache werde offen abgetan.« »Ich werde die Aufträge Ew. Eminenz buchstäblich befolgen, und bin derselben gewärtig.« »Sie gehen zu Buckingham in meinem Namen und sagen ihm, daß mir alle Vorkehrungen bekannt sind, die er trifft, daß ich mich jedoch ganz und gar nicht darum kümmere, denn die erste Bewegung, die er machen würde, solle der Königin zum Verderben werden.« »Wird er auch glauben, daß Ew. Eminenz diese Drohung zu erfüllen vermögen?« »Ja, weil ich die Beweise habe.« »Doch, soll ich diese Beweise seiner Prüfung vorlegen können?« »Gewiß, und Sie sollen ihm sagen: Erstens, werde ich den Bericht des Bois-Robert und des Marquis von Beautru über die Zusammenkunft veröffentlichen, die der Herzog mit der Königin auf einem Maskenball der Frau Connetable gehabt hat. Daß ihm ferner kein Zweifel übrigbleibe, so sagen Sie ihm, daß er selbst im Kostüm des Großmoguls erschienen ist, das der Chevalier von Guise hätte tragen sollen, dem er es für dreihundert Pistolen abgekauft hat.« »Wohl, Monseigneur.« »Mir sind alle Umstände bekannt über seinen Ein- und Austritt im Louvre in jener Nacht, wo er sich im Kostüm eines italienischen Wahrsagers eingeschlichen hat. Sagen Sie ihm also, damit er an der Echtheit meiner Nachrichten nicht zweifle: er trug damals unter seinem Mantel ein weites Gewand, das mit schwarzen Tränen, Totenköpfen und Knochen in Gestalt von Andreaskreuzen besät war; denn im Fall einer Überraschung sollte man ihn für das Gespenst der weißen Frau halten, die, wie jedermann weiß, im Louvre erscheint, sooft ein großartiges Ereignis geschieht.« »Ist das alles, Monseigneur?« »Sagen Sie ihm noch, daß ich alle Umstände von seinem Abenteuer in Amiens wisse! Ich will daraus einen kleinen sinnreichen Roman mit dem Plane des Gartens und den Porträts der Hauptpersonen dieser nächtlichen Szene verfassen.« »Ich will ihm alles das sagen.« »Auch sagen Sie ihm, daß ich Montaigu festhalte, daß er in der Bastille sitze, daß man bei ihm zwar keinen Brief fand, allein die Folter könne ihn zwingen, alles zu bekennen, was er weiß . . . und selbst das, was er nicht weiß.« »Ganz wohl.« »Endlich fügen Sie noch hinzu: Als Seine Herrlichkeit so eilig die Insel Ré verließ, habe er einen gewissen Brief der Frau von Chevreuse zurückgelassen, worin die Königin in keinem günstigen Lichte dargestellt wird.« »Allein,« sprach diejenige, an die der Kardinal diese Worte gerichtet hatte, »wenn sich der Herzog ungeachtet all dieser Gründe nicht fügt und fortfährt, Frankreich zu bedrohen?« »Der Herzog ist von Liebe ganz betört,« sprach Richelieu mit großer Bitterkeit. »Er hat diesen Krieg, wie die alten Paladine, nur deshalb unternommen, um von seiner Schönen nur einen Blick zu erobern. Wenn er nun weiß, daß dieser Krieg der ›Dame seiner Gedanken‹, wie er sich ausdrückt, die Ehre und vielleicht auch die Freiheit kosten kann, so wird er doppelt auf seiner Hut sein, des kann ich Sie versichern.« »Und doch –« versetzte Mylady mit einer Beharrlichkeit, die bewies, daß sie den erhaltenen Auftrag ganz und gar durchblicken wolle, »und doch, wenn er halsstarrig bleibt?« »Wenn er halsstarrig bleibt?« entgegnete der Kardinal, »o, das ist nicht wahrscheinlich.« »Es ist aber möglich,« sagte Mylady. »Wenn er halsstarrig bleibt –« Seine Eminenz hielt inne, und dann fuhr er fort: »Wenn er halsstarrig bleibt, nun so erwarte ich eines der Ereignisse, welche die Gestalt der Staaten verändern.« »Und jetzt,« sagte die Mylady, »jetzt, da ich die Instruktionen Ew. Eminenz in bezug auf Ihre Feinde erhalten habe, wird es mir Monseigneur erlauben, ein paar Worte in bezug auf die meinigen zu sagen?« »Sie haben also Feinde?« fragte Richelieu. »Ja, Monseigneur, gegen die Sie mir Ihren Schutz schuldig sind, da ich sie mir im Dienst Ew. Eminenz zugezogen habe.« »Wer sind diese?« fragte der Kardinal. »Zuvörderst eine kleine Intrigantin, namens Bonacieux.« »Sie sitzt im Gefängnis von Montes.« »Das heißt, sie war dort,« erwiderte Mylady, »doch hat die Königin einen Befehl von dem König zu erlangen gewußt, mittels dessen sie dieselbe in ein Kloster bringen ließ.« »In ein Kloster?« sprach der Herzog. »Ja, in ein Kloster.« »In welches?« »Ich weiß es nicht; das Geheimnis ist wohl verhüllt.« »Ich werde es erfahren.« »Und wird es mir Ew. Eminenz sagen, in welch ein Kloster diese Frau ist?« »Ich sehe kein Hindernis,« versetzte der Kardinal. »Wohl. Jetzt habe ich noch einen andern Feind, der mehr zu fürchten ist, als die kleine Madame Bonacieux.« »Wer ist das?« »Ihr Liebhaber.« »Wie nennt er sich?« »Oh, Ew. Eminenz kennt ihn recht gut,« sagte Mylady, von Zorn bewegt; »es ist der böse Dämon von uns beiden; es ist derselbe, der bei einem Zusammentreffen mit den Leibwachen Ew. Eminenz den Sieg zu Gunsten der Musketiere des Königs entschieden hat; es ist derselbe, der dem Grafen von Wardes, Ihrem Emissär, vier Degenstiche versetzte, und damit die Angelegenheit mit den Nestelstiften vereitelte; es ist der Mann, der mir den Tod zuschwor, weil er weiß, daß ich ihm Madame Bonacieux entrissen habe.« »Ah, ah,« murmelte der Kardinal, »ich weiß, wen Sie da meinen.« »Ich meine den elenden d'Artagnan.« »Er ist ein verwegener Geselle,« sprach der Kardinal. »Eben, weil er ein verwegener Geselle ist, hat man sich vor ihm noch um so mehr zu fürchten.« »Doch wäre ein Beweis von seinem Einverständnis mit Buckingham vonnöten,« sagte der Herzog. »Ein Beweis,« rief Mylady, »ich werde deren zehn haben.« »Nun, gut, so ist es die einfachste Sache von der Welt. Liefern Sie mir diesen Beweis, und ich schicke ihn in die Bastille.« »Gut, Monseigneur, und dann? . . .« »Wenn man in die Bastille kommt, gibt es kein ›dann‹,« erwiderte der Kardinal mit dumpfer Stimme. »Ha, bei Gott,« fuhr er fort, »wär' es mir doch so leicht, mich von meinen Feinden zu befreien, wie es mir leicht fällt, Sie des Ihrigen zu entledigen, und wenn Sie gegen solche Leute Straflosigkeit von mir ansprechen wollten . . .« »Monseigneur,« entgegnete Mylady, »Tausch um Tausch, Leben um Leben, Menschen um Menschen, geben Sie mir diesen und ich gebe Ihnen den andern.« »Ich weiß es nicht, was Sie da sagen wollen,« versetzte der Kardinal, »ja, ich mag es nicht wissen; allein ich nähre den Wunsch, Ihnen gefällig zu sein, und ich sehe nichts Ungereimtes darin, Ihnen zuzugestehen, was Sie in bezug auf ein so geringfügiges Wesen verlangen, zumal da dieser kleine d'Artagnan ein lockerer Zeisig, ein Raufbold und Verräter ist.« »Ein Elender, Monseigneur, ein Elender!« »Geben Sie mir Tinte, Feder und Papier,« sprach der Kardinal. »Hier, Monseigneur!« »Gut.« Es trat auf ein Weilchen Stillschweigen ein. »Nun, was willst du?« fragte Porthos, »und warum läßt du uns nicht das Ende der Unterredung noch behorchen?« »Still,« erwiderte Athos leise; wir haben alles gehört, was notwendig war; übrigens hindere ich Euch nicht, den Rest zu behorchen, aber ich muß fort.« »Du mußt fort?« fragte Porthos. »Wenn aber der Kardinal nach dir fragt, was sollen wir antworten?« »Wartet nicht darauf, bis er nach mir fragt, sondern sagt ihm, daß ich als Kundschafter vorausritt, weil mich gewisse Äußerungen des Wirtes auf den Gedanken brachten, daß der Weg nicht sicher sei. Außerdem werde ich dem Stallmeister des Kardinals ein paar Worte zuflüstern, das übrige betrifft mich, kümmere dich nicht.« »Sei besonnen, Athos,« versetzte Aramis. »Sei unbesorgt,« sagte Athos, »Ihr kennt doch mein kaltes Blut.« Porthos und Aramis nahmen wieder ihren Platz bei der Ofenröhre ein.


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