Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Des Nachts sind alle Katzen grau.

Endlich kam der Abend heran, dessen Porthos und d'Artagnan so ungeduldig harrten. D'Artagnan hatte sich, wie gewöhnlich, gegen neun Uhr bei Mylady eingestellt. Er traf sie in der heitersten Stimmung, nie hatte sie ihn so empfangen. Unser Gascogner sah auf den ersten Blick, daß Ketty das vermeintliche Briefchen des Grafen von Wardes ihrer Gebieterin eingehändigt habe, und daß dasselbe seine Wirkung tat. Ketty trat ein und brachte Erfrischungen. Ihre Herrin machte ihr die huldreichste Miene und lächelte sie auf das liebevollste an; doch die Arme war über die Anwesenheit d'Artagnans bei Mylady so betrübt, daß sie auf das Wohlwollen der letzteren gar nicht achtete. Um zehn Uhr fing Mylady an, beunruhigt zu scheinen; d'Artagnan erhob sich, nahm seinen Hut, und Mylady bot ihm die Hand zum Kusse. Der junge Mann fühlte, daß sie ihm die Hand drückte und sah ein, das geschehe nicht aus Koketterie, sondern aus einem Gefühl von Dankbarkeit, weil er sich entferne. »Sie liebt ihn rasend,« murmelte er, und ging fort. Ketty saß, ihr Gesicht in den Händen verborgen, und weinte. Sie hörte d'Artagnan wohl eintreten, richtete aber ihr Köpfchen nicht empor.

Wie es d'Artagnan vermutete, hatte Mylady, als sie jenen Brief erhielt, den sie für eine Antwort des Grafen von Wardes hinnahm, in ihrer überströmenden Freude der Zofe alles eingestanden, und für die gute Erfüllung des Auftrags eine Börse zum Lohn gegeben. Als nun Ketty in ihr Zimmer zurückkehrte, warf sie die Börse in einen Winkel, wo sie auch liegenblieb neben drei ober vier Goldstücken, die herausgefallen waren. Bei d'Artagnans Stimme blickte das arme Mädchen in die Höhe. D'Artagnan erschrak über die Veränderung in ihren Gesichtszügen; sie faltete die Hände mit flehender Miene, wagte aber kein Wort laut werden zu lassen. Übrigens ließ sich der Plan d'Artagnans um so leichter ausführen, als Mylady aus Gründen, die man nicht ermitteln konnte, die aber sehr wichtig zu sein schienen, Ketty den Auftrag erteilt hatte, sowohl in ihrem Zimmer, als auch in dem der Zofe alle Lichter auszulöschen. Nach einem kleinen Weilchen hörte man Mylady in ihr Gemach zurückkehren. D'Artagnan schlüpfte sogleich in den Schrank, und kaum befand er sich in demselben, als das Glöckchen ertönte.

Als endlich die Stunde der Ankunft des Grafen nahte, ließ Mylady wirklich alle Lichter bei sich auslöschen, und befahl Ketty, in ihr Zimmer zurückzukehren und den Grafen von Wardes bei ihr einzuführen, sobald er käme. Ketty brauchte nicht lange zu warten. Kaum hatte d'Artagnan durch das Schlüsselloch seines Schrankes gesehen, daß im ganzen Zimmer Finsternis herrschte, so sprang er aus seinem Schlupfwinkel in dem Moment hervor, wo Ketty die Verbindungstür zuschloß. »Was ist das für ein Geräusch?« fragte Mylady. »Ich bin es,« sprach d'Artagnan mit verstellter Stimme, »ich, Graf von Wardes.« »O, mein Gott! mein Gott!« stammelte Ketty, »er vermochte nicht einmal die Stunde abzuwarten, die er selbst bestimmt hat.« »Nun,« sagte Mylady mit zitternder Stimme, »warum tritt er denn nicht ein? Graf, Graf, Sie wissen, daß ich auf Sie warte.« Auf diesen Ruf schob d'Artagnan die Zofe sanft zur Seite und ging schnell in das Gemach der Mylady. Er war nun in einer martervollen Lage, die er nicht voraussah; die Eifersucht folterte sein Herz, und er litt ebensoviel wie die arme Ketty, die dort im anstoßenden Zimmer weinte. »Ja, Graf!« versetzte Mylady mit ihrer sanftesten Stimme, indem sie ihm dabei eine Hand drückte, »ja, ich bin glücklich in der Liebe, die mir Ihre Blicke und Ihre Worte verkündeten. Aber ich liebe Sie ebenfalls. Morgen, ja, morgen, will ich von Ihnen irgend ein Unterpfand zum Beweis, daß Sie an mich denken, und da Sie meiner vergessen könnten, so nehmen Sie hier –« Sie zog einen Ring vom Finger und steckte ihn an den von d'Artagnan. Es war ein herrlicher Saphir, von Brillanten eingefaßt. Die erste Regung d'Artagnans war, ihr denselben zurückzustellen, allein Mylady fügte hinzu: »Nein, nein! behalten Sie mir zuliebe diesen Ring. Außerdem, wenn Sie ihn annehmen, leisten Sie mir einen wichtigeren Dienst, als Sie sich vorstellen können –« fügte sie mit bewegter Stimme bei. »Diese Frau ist doch voll von Geheimnissen,« dachte d'Artagnan. Er hatte in diesem Moment Lust, alles zu entdecken. Er öffnete schon den Mund, um Mylady zu sagen, wer er sei, und mit welcher Rachelust er gekommen war, allein sie fügte hinzu: »Armer Engel! den dieses Ungetüm von einem Gascogner beinahe getötet hätte.« Dieses Ungetüm war er. »O,« fuhr Mylady fort, »schmerzen Sie Ihre Wunden noch?« »Ja, sehr!« antwortete d'Artagnan, der nichts weiter zu sagen wußte. »Seien Sie ruhig,« entgegnete Mylady in einem Tone, der für ihren Zuhörer wenig beruhigend war, – »ich will Sie rächen, grausam rächen.« »Pest!« murmelte d'Artagnan bei sich, »der Augenblick des Geständnisses ist noch nicht gekommen.« Indes hatte es ein Uhr geschlagen; man mußte sich trennen. Als d'Artagnan von Mylady schied, fühlte er nur ein lebhaftes Bedauern, daß er von ihr scheiden mußte, und bei dem leidenschaftlichen Lebewohl, das sie sich sagten, verabredeten sie für kommende Woche eine neue Zusammenkunft. Ketty hoffte noch mit d'Artagnan sprechen zu können, wenn er durch ihr Zimmer ging, doch Mylady begleitete ihn selbst in der Finsternis bis zur Treppe.

Am folgenden Morgen eilte d'Artagnan zu Athos. Er hatte sich in ein so seltsames Abenteuer verstrickt, daß er ihn um seinen Rat bitten wollte, weshalb er ihm alles, was vorgefallen war, mitteilte. Athos legte abermals die Stirn in Falten. »Ihre Mylady«, sprach er, »erscheint mir als ein garstiges Geschöpf. Doch war es von Ihnen nicht minder unrecht, sie zu betrügen, und so haben Sie auf die eine oder die andere Weise eine Feindin am Hals.« Athos blickte während des Redens unablässig auf den mit Diamanten eingefaßten Saphir, der am Finger d'Artagnans die Stelle des Ringes der Königin eingenommen hatte, den er sorgsam in ein Kästchen verschloß. »Sie blicken diesen Ring an,« sprach der Gascogner und war stolz darauf, daß er vor den Augen seines Freundes ein so schönes Geschenk konnte blicken lassen. »Ja,« versetzte Athos, »er erinnert mich an ein Familienkleinod.« »Der Ring ist herrlich, nicht wahr?« fragte d'Artagnan. »Er ist prachtvoll,« entgegnete Athos, »ich dachte nicht, daß zwei Saphire von so schönem Wasser existieren. Haben Sie ihn gegen Ihren Diamanten umgetauscht?« »Nein,« erwiderte d'Artagnan. »es ist ein Geschenk von meiner schönen Engländerin, oder vielmehr von meiner schönen Französin, denn obgleich ich sie nicht darum fragte, so bin ich doch versichert, daß sie in Frankreich geboren ist.« »Diesen Ring, haben Sie von Mylady bekommen?« rief Athos mit einer Stimme, in der sich eine große Gemütsbewegung kundgab. »Von ihr selbst, sie gab mir denselben in dieser Nacht.« »Zeigen Sie doch den Ring,« sagte Athos. »Hier ist er,« entgegnete d'Artagnan und nahm ihn vom Finger. Athos prüfte denselben und wurde sehr blaß. Dann versuchte er ihn am Ringfinger seiner linken Hand. Er paßte so gut, als wäre er dafür gemacht. Eine Wolke des Zornes und der Rache schattete über der sonst so ruhigen Stirn des Athos und er sagte: »Es ist unmöglich derselbe! Wie sollte nur dieser Ring in die Hände der Mylady Clarick kommen! und doch hält es schwer, zu glauben, daß zwischen zwei Juwelen eine solche Ähnlichkeit herrsche.« »Kennen Sie diesen Ring?« fragte d'Artagnan. »Ich glaube ihn zu kennen,« antwortete Athos, »doch habe ich mich zweifelsohne geirrt.« Er stellte d'Artagnan den Ring zurück, behielt ihn aber stets im Auge. Nach einem Weilchen sprach er: »Ich bitte Sie, d'Artagnan! ziehen Sie doch den Ring vom Finger, oder wenden Sie den Edelstein nach innen. Er erweckt in mir so grausame Erinnerungen, daß ich unvermögend wäre, mit Ihnen darüber zu sprechen. Wollten Sie nicht einen Rat von mir? Sagten Sie nicht, daß Sie sich in Verlegenheit befinden, was Sie tun sollen? Doch halt! geben Sie mir den Ring wieder. Derjenige, von dem ich sprechen wollte, muß infolge eines Vorfalls eingeritzt sein.« D'Artagnan nahm den Ring abermals vom Finger und reichte ihn Athos. Athos schauderte und sprach: »Sehen Sie, ob das nicht seltsam ist.« Er zeigte d'Artagnan die Ritze, deren er gedacht hatte. »Von wem hatten Sie aber diesen Saphir, Athos?« »Von meiner Mutter, die ihn von ihrer Mutter geerbt hat. Wie gesagt, es ist ein Kleinod, das von der Familie nie wegkommen sollte.« »Und Sie haben ihn doch verkauft?« fragte d'Artagnan zögernd. »Nein,« versetzte Athos mit einem seltsamen Lächeln; »ich habe ihn bei einem Liebesabenteuer verschenkt, wie Sie ihn erhalten haben.« D'Artagnan wurde gleichfalls tiefsinnig; es dünkte ihn, als sähe er im Leben der Mylady Abgründe düsterer, schreckenvoller Art. Er steckte den Ring nicht mehr an den Finger, sondern in die Tasche, »Hören Sie,« sprach Athos, ihn bei der Hand fassend, »Sie wissen, d'Artagnan, daß ich Sie liebe, hätte ich einen Sohn, könnte ich ihn nicht mehr lieben. Gut, glauben Sie mir, entsagen Sie dieser Frau. Ich kenne sie zwar nicht, jedoch eine gewisse Ahnung sagt mir, sie sei ein verlorenes Geschöpf und habe etwas Unseliges an sich.« »Sie haben auch recht,« sagte d'Artagnan, »glauben Sie mir, ich trenne mich von ihr und gestehe, daß sie auch mich mit Schrecken erfüllt.« »Werden Sie diesen Mut haben?« fragte Athos. »Ich werde ihn haben, und das auf der Stelle,« antwortete d'Artagnan. »Ganz gut, mein Kind, Sie haben recht,« versetzte der Edelmann und drückte dem Gascogner die Hand mit fast väterlicher Zuneigung. »Und Gott gebe, daß diese Frau, die kaum in Ihre Lebensbahn eingetreten ist, darin keine traurige Spur zurücklasse.« Athos begrüßte d'Artagnan mit einem Kopfnicken, wie ein Mann, der damit sagen wollte, er möchte mit seinem Gedanken gern allein bleiben.

Als d'Artagnan nach Hause kam, traf er Ketty, die auf ihn wartete. Ein Monat Fieber hätte das arme Kind nicht mehr verändert, als der Schmerz und Eifersucht in einer Stunde getan haben. Sie ward von ihrer Gebieterin zum Grafen von Wardes geschickt. Ihre Gebieterin war toll vor Liebe, berauscht vor Freude. Sie wollte wissen, wann ihr der Graf eine Zusammenkunft gebe. Die arme Ketty erwartete blaß und zitternd d'Artagnans Antwort. Anstatt zu antworten, nahm er eine Feder und schrieb folgendes Briefchen, das er gleichfalls, wie das vorhergehende, nicht unterzeichnete: »Zählen Sie nicht auf mich, Madame, denn seit meiner Genesung habe ich so vielen Genüssen dieser Art nachzukommen, daß ich in diese Angelegenheiten eine gewisse Ordnung bringen muß. Wenn die Reihe an Sie kommt, werde ich die Ehre haben, es Ihnen bekanntzugeben. Meinen Handkuß.« Von dem Saphir sprach er kein Wort; der Gascogner wollte ihn bis auf weiteren Befehl als eine Waffe gegen Mylady bewahren. Übrigens täte man unrecht, wollte man die Handlungen einer Zeitperiode aus dem Gesichtspunkt einer andern betrachten. Was man heute als eine Schmach für einen Mann von Bildung ansehen würde, das war damals etwas ganz Einfaches und Natürliches gewesen. D'Artagnan gab Ketty den Brief unversiegelt; sie las ihn, ohne ihn sogleich zu verstehen, und wurde fast verrückt, als sie ihn zum zweitenmal las. Ketty konnte nicht an dieses Glück glauben. D'Artagnan mußte ihr mündlich die Versicherung wiederholen, die ihr der Brief schriftlich gab. Wie groß auch die Gefahr war, welche die Arme bei dem leidenschaftlichen Charakter der Mylady zu bestehen hatte, wenn sie ihr dieses Briefchen überbrachte, so kehrte sie doch, so schnell sie konnte, nach der Place-Royale zurück. Das Herz der besten Frau ist bei den Leiden einer Nebenbuhlerin unbarmherzig. Mylady entfaltete den Brief mit derselben Eilfertigkeit, mit der ihn die Zofe überbracht hatte; doch wurde sie schon bei den ersten Worten leichenfahl, dann zerkrümmte sie das Papier und sprach mit blitzenden Augen zu Ketty gewendet: »Was soll's mit diesem Brief?« »Nun, es ist die Antwort auf jenen der gnädigen Frau.« sagte Ketty ganz bebend. »Unmöglich,« rief Mylady, »unmöglich kann ein Edelmann einen solchen Brief an eine Frau geschrieben haben!« Dann rief sie auf einmal wieder: »Mein Gott! könnte er wissen!? . . .« Sie hielt plötzlich inne, knirschte mit den Zähnen und ihr Antlitz ward leichenfahl. Sie wollte sich dem Fenster nähern, um frische Luft zu schöpfen, doch vermochte sie nur den Arm auszustrecken, es versagten ihr die Kräfte, sie sank zurück auf einen Stuhl. Ketty dachte, sie befinde sich unwohl und eilte zu ihr, um ihr die Schnürbrust zu lüften. »Was willst du,« kreischte sie, »was legst du Hand an mich?« »Ich glaubte, daß sich Mylady unwohl befinde, und wollte Beistand leisten,« versetzte die Zofe ganz erschreckt über den entsetzlichen Ausdruck, den das Gesicht ihrer Herrin angenommen hatte. »Ich mich unwohl befinden – hältst du mich für ein schwächliches Wesen von einer Frau? Wenn man mich verletzt, so bin ich nicht unwohl, ich räche mich, hörst du?«


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