Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Das Ballett der Merlaison.

Am folgenden Morgen war in ganz Paris von nichts die Rede, als von dem Ball, welchen die Herren Schöppen der Stadt zu Ehren des Königs und der Königin gaben, wo Ihre Majestät das berühmte Ballett der Merlaison, das Lieblingsballett des Königs, tanzen würden. In der Tat hatte man schon seit acht Tagen im Rathaus alle Vorkehrungen zu diesem Festabend getroffen. Um zehn Uhr früh erschien der Sieux de la Coste, Fähnrich der königlichen Garden; ihm folgten zwei Gefreite und mehrere Leibbogenschützen, und verlangten vom Stadtschreiber, namens Clement, alle Schlüssel der Tore, der Amtszimmer und Gemächer des Rathauses. Die Schlüssel wurden ungesäumt übergeben. An jedem derselben befand sich ein Zettel, der zur Weisung diente, und von diesem Moment an hatte de la Coste die Bewachung der Türen und Zugänge über sich. Um elf Uhr kam du Hallier, Gardekapitän, mit fünfzig Bogenschützen, die sich sogleich an die Türen stellten, die ihnen bezeichnet wurden. Um drei Uhr trafen zwei Gardekompagnien ein, eine französische und eine schweizerische. Die französische bestand zur Hälfte aus Leuten des Herrn du Hallier, zur Hälfte aus jenen des Herrn des Essarts. Um sechs Uhr kamen bereits die ersten von den Eingeladenen. Nach Maßgabe, als sie eintrafen, wurden ihnen Plätze auf den Gerüsten zugewiesen. Um neun Uhr erschien die Gattin des ersten Präsidenten. Da diese nach der Königin die ansehnlichste Person des Festes war, so wurde sie von den edlen Herren der Stadt empfangen und in die Loge geführt, die jener, die für die Königin bestimmt war, gegenüber lag.

Um Mitternacht vernahm man großen Lärm mit vielfältigen Zurufungen. Es war der König, der durch die Straßen zog, die vom Louvre nach dem Rathaus gingen, und durchaus von farbigen Laternen erhellt wurden. Alsogleich eilten die Herren Schöppen, in ihre Tuchwamse gekleidet und voraus die Sergeanten, mit Flambeaux in den Händen, dem König entgegen. Jeder gewahrte, daß der König düster und gedankenvoll war.

Es war ein Kabinett für den König und ein anderes für Monsieur bereitet. In jedem derselben befanden sich Maskenkleider. Ebendasselbe geschah für die Königin und die Frau Präsidentin. Die Herren und Damen aus dem Gefolge Ihrer Majestäten sollten sich je zwei in Zimmern ankleiden, die schon zu diesem Zweck eingerichtet waren. Ehe der König in sein Kabinett ging, befahl er, daß man ihm sogleich melde, wann der Kardinal ankomme.

Eine halbe Stunde nach dem Eintreffen des Königs erschallten neue Zurufungen; sie verkündeten die Ankunft der Königin. Die Stadtschöppen taten hier dasselbe wie zuvor, sie schritten, die Sergeanten voran, ihrem erhabenen Gast entgegen. Die Königin trat in den Saal; man bemerkte, daß sie ebenso wie der König düster aussah und angegriffen schien. In dem Moment, wo sie eintrat, entfaltete sich der Vorhang einer kleinen Tribüne, die bisher geschlossen war, und man sah den blassen Kopf des Kardinals, der den Anzug eines spanischen Ritters genommen hatte. Er richtete seine Blicke auf die Königin, und ein Lächeln furchtbarer Freude schwebte nun um seine Lippen; die Königin hatte ihre diamantenen Nestelstifte nicht an sich.

Auf einmal zeigte sich der König mit dem Kardinal an einer von den Türen des Saales. Der Kardinal sprach mit ihm ganz still, und der König war sehr blaß. Der König schritt durch das Gedränge; er trug keine Maske, und kaum waren die Bänder seines Wamses festgeknüpft. Er ging auf die Königin zu und sagte zu ihr mit bewegter Stimme: »Madame, sagen Sie mir doch gefälligst, warum tragen Sie Ihre diamantenen Nestelstifte nicht, die ich doch so gern gesehen hätte?« Die Königin wandte sich umher und sah hinter sich den Kardinal, wie er schadenfroh lächelte. »Sire,« antwortete die Königin mit bebender Stimme, »ich fürchte, daß mir damit unter diesem großen Menschengewühl ein Unglück zustoßen möchte.« »Sie haben unrecht, Madame; wenn ich Ihnen damit ein Geschenk machte, so tat ich es, daß Sie sich mit demselben schmücken sollten. Ich sage also, daß Sie unrecht taten.« Die Stimme des Königs bebte vor Zorn; jeder sah und hörte mit Verwunderung und niemand wußte, was vorging. »Sire,« versetzte die Königin, »ich kann sie vom Louvre holen lassen, wo sie sind, und so werden die Wünsche Ew. Majestät befriedigt sein.« »Tun Sie das, Madame, tun Sie das, und so schnell als möglich, denn das Ballett fängt in einer Stunde an.« Die Königin verneigte sich zum Zeichen ihrer Ergebenheit und ließ sich von ihren Damen in ihr Kabinett begleiten. Auch der König kehrte wieder zurück nach dem seinigen.

Der König ging zuerst aus seinem Kabinett. Er trug ein überaus gefälliges Jagdgewand, und Monsieur und die andern Großen waren wie er gekleidet. Dieser Anzug stand auch dem König am besten, und in dieser Tracht schien er fürwahr der erste Edelmann seines Reiches zu sein. Der Kardinal näherte sich dem König und überreichte ihm ein Kistchen; der König schloß es auf und fand darin zwei diamantene Nestelstifte. »Was soll das heißen?« fragte er den Kardinal. »Nichts,« entgegnete dieser, »nur sage ich, wenn die Königin Nestelstifte trägt, woran ich zweifle, Sire, so zählen Sie dieselben, und finden Sie deren nur zehn, so fragen Sie Ihre Majestät, wer ihr wohl diese zwei Nestelstifte hier weggenommen haben könne?« Der König blickte den Kardinal gleichsam fragend an, allein er hatte nicht Zeit, ihn wirklich zu fragen, denn ein Schrei der Verwunderung drang aus dem Munde aller. Wenn der König der erste Edelmann seines Reiches zu sein schien, so war die Königin offenbar die reizendste Frau in Frankreich. In der Tat stand ihr der Anzug einer Jägerin allerliebst; sie trug einen Felberhut mit blauen Federn, ein durch diamantene Agraffen befestigtes Oberkleid von perlenfarbigem Samt und ein blauseidenes Unterkleid, durchaus mit Silber gestickt. Auf ihrer linken Schulter schimmerten die Nestelstifte und wurden von einer Schleife getragen, welche die Farbe der Federn und des Unterkleides trugen. Der König zitterte vor Freude, der Kardinal voll Ingrimm, doch standen sie zu entfernt von der Königin, um die Nestelstifte zählen zu können; die Königin hatte sie an sich, nur fragte es sich noch, ob es zehn oder zwölf seien.

In diesem Moment erschallten die Geigen zum Zeichen, daß das Ballett beginne. Der König trat zur Frau Präsidentin, mit der er tanzen sollte, und Seine Hoheit Monsieur näherte sich der Königin, um mit ihr zu tanzen. Man stellte sich in Reih und Glied, und das Ballett fing an. Der König figurierte der Königin gegenüber, und so oft er an ihr vorüberglitt, verschlang er ihre Nestelstifte mit den Augen, konnte sie jedoch nicht abzählen. Kalter Schweiß stand dem Kardinal auf der Stirn. Das Ballett dauerte eine Stunde, es hatte sechzehn Gänge. Als es zu Ende war, geleitete jeder unter dem Beifallsklatschen der ganzen Versammlung seine Dame auf ihren Platz. Allein der König nützte sein Vorrecht, und ließ seine Dame da stehen, wo sie sich eben befand, und schritt lebhaft gegen die Königin vor. Er sprach zu ihr: »Madame, ich danke Ihnen, daß Sie sich meinen Wünschen so willfährig gezeigt haben, allein ich glaube, es fehlen Ihnen zwei Nestelstifte, die ich Ihnen hier überbringe.« Bei diesen Worten übergab er der Königin die zwei Nestelstifte, die ihm der Kardinal gebracht hatte. »Wie doch, Sire,« rief die Königin, die Erstaunte spielend, »Sie geben mir noch zwei, Sie schenken mir somit vierzehn?« Der König zählte in der Tat, und es fanden sich die zwölf Nestelstifte an den Schultern der Königin. Der König berief den Kardinal und fragte in strengem Tone: »Nun, Herr Kardinal, was soll denn das bedeuten?« »Sire,« entgegnete der Kardinal, »dies bedeutet, daß ich den Wunsch hegte, Ihre Majestät wolle diese zwei Nestelstifte annehmen, und da ich es nicht wagte, dieselben selbst anzubieten, so schlug ich diesen Weg ein.« »Und ich bin dafür Ew. Eminenz um so mehr mit Dank verbunden,« erwiderte Anna von Österreich mit einem Lächeln, das bewies, daß sie sich von dieser sinnreichen Artigkeit ganz und gar betören ließ, »indem ich überzeugt bin, diese zwei Nestelstifte kommen Ihnen teurer zu stehen, als die zwölf andern Seiner Majestät gekostet haben.« Hierauf begrüßte die Königin den König und den Kardinal, und begab sich zurück in ihr Zimmer, wo sie sich angezogen hatte, und jetzt entkleidet werden sollte.

Die Königin befand sich wieder in ihrem Zimmer, und d'Artagnan wollte sich eben entfernen, als er sich leicht an der Schulter berührt fühlte. Er wandte sich um und sah eine junge Frau, die ihm einen Wink gab, ihr zu folgen. Diese junge Frau hatte ihr Gesicht mit einer Maske von schwarzem Samt überdeckt; allein ungeachtet dieser Vorsicht, die sie vielmehr gegen andere als gegen ihn gebrauchte, er kannte auf der Stelle seine gewöhnliche Führerin, die gewandte und sinnreiche Madame Bonacieux. Tags zuvor hatten sie sich kaum gesehen bei dem Schweizer Germain, wohin sie d'Artagnan entbieten ließ. D'Artagnan folgte Madame Bonacieux, von der doppelten Empfindung gedrängt, von der Liebe und von der Neugierde. Er wollte auf dem ganzen Weg und nach Maßgabe, als es in den Korridoren öder wurde, die junge Frau anhalten, fassen, betrachten, und wäre es auch nur für einen Augenblick gewesen; allein sie entschlüpfte stets rasch wie ein Vogel seinen Händen, und wollte er mit ihr reden, so wurde er durch ihren Finger, den sie mit einer etwas gebieterischen Miene an den Mund legte, daran gemahnt, daß er unter der Herrschaft einer Macht stehe, der er blindlings zu folgen habe, und die ihm auch die leiseste Klage verbot. Als nun die beiden ein paar Minuten lang bald links, bald rechts gegangen waren, öffnete Madame Bonacieux eine Tür und führte den jungen Mann in ein Kabinett, das völlig dunkel war. Hier gab sie ihm ein neues Zeichen, sich stumm zu verhalten, öffnete eine zweite Tür hinter einer Tapete, worauf plötzlich ein helles Licht hereindrang, und verschwand. D'Artagnan verhielt sich einen Augenblick regungslos und fragte sich selber, wo er sich befinde, jedoch ein Lichtstrahl, der aus jenem Zimmer drang, die laue und von Wohlgerüchen erfüllte Luft, die auf ihn heranwallte, das zugleich ehrfurchtsvolle und wohlklingende Gespräch mehrerer Frauen und das öfter wiederholte Wort »Majestät« machten es ihm auf einmal klar, daß er sich in einem Kabinett befinde, das an das Zimmer der Königin stieß. Der junge Mann blieb im Schatten stehen und harrte. Die Königin schien wohlgemut und glücklich und schob dies frohe Gefühl auf die Schönheit des Festes, auf die Unterhaltung, die sie bei diesem Ballett gefunden hätte, und da man einer Königin nicht widersprechen darf, wetteiferten alle in den Lobeserhebungen über die Artigkeit der Herren Stadtschöppen von Paris. Obwohl d'Artagnan die Königin nicht kannte, so unterschied er doch gar bald ihre Stimme von den andern Stimmen. Er hörte, wie sie sich der offenen Tür näherte und wieder entfernte, er bemerkte sogar ein paarmal den Schatten ihres Körpers, der das Licht auffing. Endlich zeigte sich eine Hand und ein Arm von wunderbarer Schönheit und Weiße an der Tapetentür; d'Artagnan erkannte, dies sei seine Belohnung; er ließ sich auf die Knie nieder, ergriff diese Hand und preßte seine Lippen ehrerbietig auf dieselbe. Hierauf zog sich die Hand zurück und ließ in der seinigen einen Gegenstand zurück, in dem er einen Ring erkannte. Gleich darauf schloß sich die Tür wieder, und d'Artagnan stand abermals ganz im Dunkeln.

D'Artagnan steckte den Ring an seinen Finger und wartete. Es war offenbar noch nicht alles abgetan. Auf den Lohn seiner Aufopferung sollte der Lohn seiner Liebe kommen. Das Ballett war wohl schon vorüber, allein die Festlichkeit hatte noch kaum angefangen; um drei Uhr sollte gespeist werden, und die Uhr von Saint-Jean schlug eben erst drei Viertel nach zwei Uhr. Das Geräusch der Stimmen hatte sich im nahen Zimmer wirklich allmählich verloren: es erschallte immer ferner, dann ging die Tür des Kabinetts auf, wo d'Artagnan stand, und Madame Bonacieux schlüpfte herein. »Endlich sind Sie hier!« rief d'Artagnan. »Stille,« sprach die junge Frau, ihre Hand an seine Lippen legend; »stille, jetzt kehren Sie dahin zurück, woher Sie gekommen sind.«

»Allein, wo und wann werde ich Sie wiedersehen?« rief d'Artagnan. »Ein Briefchen, das Sie zu Hause finden werden, wird es Ihnen melden. Nun gehen Sie, gehen Sie.« Bei diesen Worten öffnete sie die Tür zum Korridor und schob d'Artagnan hinaus. D'Artagnan folgte wie ein Kind ohne Einspruch, ohne Widersetzlichkeit, und das beweist, daß er in der Tat sehr verliebt war.


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