Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Die Intrige verwickelt sich.

D'Artagnan, gestimmt, der zärtlichste Liebhaber zu sein, war mittlerweile der ergebenste Freund. Er vergaß mitten unter den verliebten Plänen auf die Gemahlin des Krämers doch auch seine eigenen nicht; die hübsche Madame Bonacieux war so ganz die Frau, die man auf der Ebene Saint-Denis oder auf dem Platze Saint-Germain spazieren führen konnte, und zwar in Begleitung des Athos, Porthos und Aramis, denen d'Artagnan seine Eroberung mit Stolz zeigen wollte. Würde man nun lange herumspazieren, so käme der Hunger, wie es d'Artagnan lange schon bemerkt hatte. Sofort wäre d'Artagnan in dringenden Momenten und in drückenden Lagen der Retter seiner Freunde.

Und was ist's mit Herrn Bonacieux, den d'Artagnan in die Hände der Häscher stieß, den er laut verleugnete und dem er im stillen Rettung versprach. Wir müssen es unsern Lesern bekennen, daß er ganz und gar nicht daran dachte, oder daß er, wenn er auch daran dachte, höchstens bei sich selber sprach: er sei dort recht gut, wo er sich befinde, wo das auch sein möge. Die Liebe ist die eigennützigste aller Leidenschaften.

Paris war seit zwei Stunden düster und fing bereits an, öde zu werden. Es schlug elf Uhr auf allen Uhren von Saint-Germain; es war ein hübsches Wetter; d'Artagnan verlor sich in eine Gasse, die an der Stelle lag, wo jetzt die Gasse d'Assas liegt; er atmete die balsamischen Wohlgerüche, die der Wind von der Gasse de Vaugirard und den anstoßenden Gärten weht, die vom Abendtau erfrischt waren. Als d'Artagnan die Gasse Casette durchschritten hatte, erkannte er das Haustor seines Freundes, das unter Lauben von Maulbeerbäumen und Rebwinden versteckt war, die darüber ein Dickicht bildeten, und hier gewahrte er etwas wie einen Schatten, der sich aus der Gasse Servandoni näherte. Dieses Etwas war in einen Mantel gehüllt, und d'Artagnan glaubte anfangs, es sei ein Mann. Doch erkannte er an der Dünnheit des Leibes und der Art des Ganges bald, daß es ein weibliches Wesen sei. Als wäre dieser Ankömmling über das Haus nicht im reinen, das er suchte, hob er die Augen auf, um sich zurechtzufinden, blieb stehen, wandte sich um, ging einige Schritte vorwärts und wich wieder zurück. D'Artagnan ward an der Erscheinung irre. »Wenn ich ihr meine Dienste anbieten möchte,« dachte er, »man sieht es ihr an, daß sie jung ist, vielleicht ist sie auch hübsch. Aber eine Frau, die zu dieser Stunde die Gassen durchläuft, will höchstens nur ihren Liebhaber treffen. Pst! in meiner gegenwärtigen Lage stände es nicht hübsch, ein Rendezvous zu stören.« Indes schritt die junge Dame immer vorwärts und zählte die Häuser und die Fenster. Das war übrigens weder langwierig noch schwer. Es gab in diesem Teile der Gasse nur drei Hotels und zwei Fenster nach der Gassenseite; das eine war das eines Pavillons und parallel mit Aramis' Wohnung, das andere von Aramis selbst. »Bei Gott!« rief d'Artagnan, indem er an die Nichte des Theologen dachte, »bei Gott! es wäre drollig, wenn diese verspätete Taube das Haus unseres Freundes aufsuchte. Doch, bei meiner Seele, es hat ganz den Anschein. Ha, mein lieber Aramis, diesmal will ich mit dir ins reine kommen.« D'Artagnan machte sich so schmal wie möglich und versteckte sich an der dunkelsten Seite der Gasse neben einer steinernen Bank, die sich im Hintergrund einer Nische befand. Die junge Frau schritt immer weiter vor; außer der Leichtigkeit ihres Ganges, der sie verraten hatte, ließ sie ein leises Husten vernehmen, wodurch sich eine sehr frische Stimme kundgab. D'Artagnan meinte, dieses Husten wäre ein verabredetes Zeichen. Allein, war es nun, daß dieses Husten durch ein ähnliches Zeichen erwidert wurde, das der Unentschlossenheit der nächtlichen Sucherin einen Zielpunkt setzte, oder daß sie ohne fremde Hilfe erkannte, sie habe das Ziel ihres Ganges erreicht – sie näherte sich entschlossen dem Fensterbalken des Aramis und klopfte mit gekrümmtem Finger dreimal in gleichen Zwischenräumen an. »Es ist wirklich bei Aramis,« murmelte d'Artagnan. »Ah, mein Herr Heuchler! so betrete ich Euch bei Euern theologischen Studien!« Das dreimalige Klopfen war kaum verhallt, als das innere Fenster aufging und ein Licht durch die Balken flimmerte. »Ha, ha!« rief der Lauscher, »nicht durch die Türen, sondern durch die Fenster; ha, der Besuch war also erwartet. Nun, der Balken wird aufgehen und die Dame hineinsteigen. Sehr wohl.« Der Balken blieb jedoch zu d'Artagnans großer Verwunderung geschlossen. Ferner verschwand das Licht, das einen Augenblick geflimmert hatte und die vorige Dunkelheit trat ein. D'Artagnan dachte, das könne nicht lange so dauern und fuhr fort, mit aller Achtsamkeit zu schauen und zu horchen. Er hatte recht; nach Verlauf von wenigen Sekunden erschollen von innen zwei dumpfe Schläge. Die junge Frau auf der Gasse antwortete mit einem Klopfen, und der Balken ging auf. Man denke sich, mit welcher Spannung d'Artagnan blickte und lauschte. Unglücklicherweise wurde das Licht in ein anderes Zimmer getragen. Doch die Augen des jungen Mannes waren an die Nacht gewöhnt. Außerdem haben die Augen der Gascogner, wie die der Katzen, die Eigenschaft, im Dunkeln zu sehen. D'Artagnan sah also, wie die junge Frau aus ihrer Tasche einen gewissen Gegenstand zog, den sie rasch entfaltete und der sofort die Form eines Sacktuches annahm. Hierauf zeigte sie der andern Person eine Ecke dieses entfalteten Gegenstands. Das erinnerte d'Artagnan an jenes Sacktuch, das er zu den Füßen der Frau Bonacieux gefunden, und dies wieder an jenes, das zu Aramis' Füßen gelegen hatte. Was Teufel konnte denn dieses Sacktuch zu bedeuten haben? Von der Stelle, wo d'Artagnan stand, konnte er das Gesicht des Aramis nicht sehen, wir sagen des Aramis, weil der junge Mann ganz und gar nicht daran zweifelte, es sei sein Freund, der innen stehe und mit der Dame außen spreche; die Neugierde siegte über die Klugheit, und indem er die Aufmerksamkeit benutzte, welche die zwei in Rede stehenden Personen dem Anblick des Sacktuches zu widmen schienen, trat er aus seinem Schlupfwinkel hervor und drückte sich mit Blitzesschnelle, aber das Geräusch seiner Tritte dämpfend, an eine Mauerecke, von wo sich sein Auge ganz in das Innere von Aramis' Wohnung vertiefen konnte. Als nun d'Artagnan da hineinblickte, war er nahe daran, einen Schrei der Überraschung auszustoßen; es war nicht Aramis, der mit der nächtlichen Besucherin plauderte, es war eine Frau. D'Artagnan sah genug, um die Form ihrer Kleidung, aber nicht genug, um deren Gesichtszüge auszunehmen. In diesem Moment zog die Frau in der Wohnung ein zweites Sacktuch aus ihrer Tasche und vertauschte es mit dem, das man ihr zeigte. Dann wurden zwischen den beiden Frauen einige Worte gewechselt; endlich schloß sich der Fensterbalken, die Frau, die außen am Fenster stand, wandte sich, zog die Kapuze ihres Mantels herab, und ging auf vier Schritte bei d'Artagnan vorüber; doch diese Vorsichtsmaßregel kam schon zu spät, denn d'Artagnan erkannte Madame Bonacieux. Daß es Madame Bonacieux sei, ahnte ihm schon, als sie das Sacktuch aus ihrer Tasche herauszog; welche Wahrscheinlichkeit war aber vorhanden, daß Madame Bonacieux, die nach Herrn Laporte geschickt hatte, um sich nach dem Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr des Nachts in den Straßen umherlaufe, auf die Gefahr, wieder festgenommen zu werden? Es mußte sich somit um eine sehr wichtige Angelegenheit handeln, und was kann es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren Wichtiges geben: die Liebe! Doch hatte sie sich im eigenen Interesse ober für Rechnung einer anderen Person solchen Zufällen ausgesetzt? Darüber befragte sich der junge Mann selbst; denn der Dämon der Eifersucht stachelte sein Herz nicht mehr und nicht weniger als einen erklärten Liebhaber. Es gab da ein sehr einfaches Mittel, sich zu versichern, wohin Madame Bonacieux ginge. Er brauchte ihr nur auf dem Fuße nachzufolgen, und d'Artagnan wandte auch dieses einfach-natürliche Mittel instinktmäßig an. Bei dem Anblick des jungen Mannes aber, der sich von der Mauer trennte, wie ein Standbild von seiner Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die Madame Bonacieux hinter sich vernahm, stieß sie einen Schrei aus und entfloh. D'Artagnan lief ihr nach. Es war für ihn gar nicht schwierig, eine Frau einzuholen, die durch ihren Mantel verhindert wurde. Er hatte sie also schon bei dem ersten Drittel der Gasse erreicht, in die sie eingebogen hatte. Die Arme war erschöpft, nicht vor Ermattung, sondern vor Schreck, und als d'Artagnan die Hand auf ihre Schulter legte, fiel sie auf die Knie und rief mit erstickter Stimme: »Tötet mich, wenn Ihr wollt, doch erfahren werdet Ihr nichts!« D'Artagnan faßte sie unter dem Arm und hob sie auf: doch da er an ihrem Gewicht bemerkte, daß sie ohnmächtig zu werden drohe, so beeilte er sich, sie durch Beteuerung seiner Ergebenheit zu beschwichtigen. Diese Beteuerungen galten Madame Bonacieux für nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Gesinnungen von der Welt machen; allein der Ton der Stimme galt ihr alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen; sie öffnete die Augen wieder, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so große Furcht einjagte, und als sie d'Artagnan erkannte, erhob sie ein Freudengeschrei: »Ah, Sie – Sie sind es!« stammelte sie, »Gott sei Dank!« »Ja, ich bin es,« entgegnete d'Artagnan, »ich, den Gott gesendet hat, um über Sie zu wachen.« »Sind Sie mir deshalb nachgegangen?« fragte mit einem koketten Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder ein bißchen hervortrat und bei der alle Angst von dem Moment an verschwunden war, wo sie in dem Manne, den sie für einen Feind hielt, einen Freund erkannte. »Nein, erwiderte d'Artagnan, »nein, ich gestehe es, mich führte der bloße Zufall auf Ihre Wege; ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde pochen.« »Eines Ihrer Freude?« fiel Madame Bonacieux ein. »Ja, Aramis gehört zu meinen besten Freunden.« »Aramis? wer ist das?« »Ei, gehen Sie – Sie wollen mir sagen, daß Sie Aramis nicht kennen?« »Ich höre seinen Namen zum erstenmal aussprechen.« »Kamen Sie also auch zum erstenmal zu jenem Hause?« »Gewiß.« »Und wußten Sie nicht, daß es ein junger Mann bewohne?« »Nein.« »Ein Musketier?« »Ganz und gar nicht.« »Also haben Sie nicht ihn aufgesucht?« »Nicht im geringsten. Außerdem haben Sie wohl gesehen, daß die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.« »Das ist wahr, aber diese Frau ist gewiß eine Freundin von Aramis.« »Das weiß ich nicht.« »Weil sie bei ihm wohnt.« »Das geht mich nichts an.« »Wer ist sie aber?« »O, das ist ganz und gar nicht mein Geheimnis.« »Liebe Madame Bonacieux! Sie sind reizend, aber auch zugleich die geheimnisvollste Frau . . .« »Und verliere ich deshalb?« »Nein, im Gegenteil, Sie sind anbetungswürdig.« »Nun, reichen Sie mir den Arm.« »Recht gern; und nun?« »Jetzt führen Sie mich.« »Wohin?« »Wohin ich gehen werde.« »Doch wohin gehen Sie?« »Sie werden das sehen, da Sie mich an der Tür verlassen werden.« »Muß ich auf Sie warten?« »Das wird unnötig sein.« »Sie werden somit allein zurückkommen? »Vielleicht ja, vielleicht nein.« »Aber ist die Person, die Sie begleiten wird, ein Mann oder eine Frau?« »Das weiß ich noch nicht.« »Ich werde das wohl erfahren.« »Ich will warten, bis ich Sie herauskommen sehe.« »In diesem Falle leben Sie wohl.« »Wie das?« »Ich bedarf Ihrer nicht.« »Doch Sie ersuchten mich . . .« »Um den Beistand eines Edelmannes, aber nicht um die Belauschung eines Spions.« »Das Wort ist ein bißchen hart.« »Wie nennt man jene, die den Leuten wider ihren Willen nachgehen?« »Unbescheidene.« »Das Wort ist zu gelinde.« »Nun, Madame, ich sehe wohl, man muß alles tun, was Sie verlangen.« »Warum beraubten Sie sich des Verdienstes, das auf der Stelle zu tun?« »Gibt es nicht noch eine Reue?« »Sie bereuen also wirklich?« »Das weiß ich selbst noch nicht. Ich weiß nur, daß ich alles zu tun gelobe, was Sie verlangen, wenn ich Sie bis dahin, wohin Sie gehen, begleiten darf.« »Dann wollen Sie mich verlassen?« »Ja.« »Ohne mich, wenn ich zurückkomme, zu belauschen?« »Ja.« »Auf Ihre Ehre?« »Auf Edelmannswort.« »Nehmen Sie meinen Arm, und somit vorwärts.« D'Artagnan bot Madame Bonacieux seinen Arm, an den sie sich halb lächelnd, halb zitternd hing, und so gelangten beide zu der Höhe der Gasse de la Harpe. Hier schien die junge Frau zu zögern, wie sie das schon in der Gasse Baugirard getan hatte. Indes schien sie an gewissen Zeichen eine Tür zu erkennen, trat zu derselben hin und sagte: »Nun, mein Herr! hier habe ich meine Geschäfte. Ich danke Ihnen tausendmal für die ehrbare Begleitung, die mich vor allen Gefahren schirmte; doch der Augenblick ist gekommen, Ihr Wort zu halten. Ich bin bei meinem Ziel angelangt.« »Und haben Sie, wenn Sie zurückkommen, nichts mehr zu befürchten?« »Ich habe nur die Diebe zu fürchten.« »Ist das nichts?« »Was könnten sie mir auch nehmen, da ich keinen Pfennig bei mir trage?« »Sie vergessen das schön gestickte Sacktuch mit dem Wappen –« »Welches?« »Das ich zu Ihren Füßen gefunden und wieder in Ihre Tasche gesteckt habe.« »Schweigen Sie, Unglückseliger! schweigen Sie; wollen Sie mich ins Verderben stürzen?« »Sie sehen also, es gibt für Sie immer noch Gefahren, da Sie auf ein einziges Wort zittern und bekennen, daß Sie verloren wären, wenn man dieses Wort hörte, Ha, Madame!« fuhr d'Artagnan fort, indem er sie bei der Hand faßte und mit flammenden Augen anblickte, »seien Sie aufrichtiger, vertrauen Sie sich mir an; haben Sie denn nicht in meinen Augen gelesen, daß in meinem Herzen nur Ergebung und Sympathie wohnt?« »Das wohl,« erwiderte Madame Bonacieux; »verlangen Sie meine Geheimnisse zu wissen und ich will sie Ihnen sagen, doch verhält es sich anders mit fremden Geheimnissen.« »Gut,« versetzte d'Artagnan, »da diese Geheimnisse Einfluß auf Ihr Leben nehmen können, so muß ich sie erfahren.« »Hüten Sie sich davor!« rief die junge Frau mit einem Ernste, vor dem d'Artagnan unwillkürlich erbebte. »O, mengen Sie sich durchaus nicht in das, was mich betrifft, bemühen Sie sich nicht, mir in der Erfüllung dessen, was ich zu tun habe, behilflich zu sein, ich bitte Sie darum bei jener Teilnahme, die ich Ihnen einflöße, bei jenem Dienste, den Sie mir bereits geleistet haben, und den ich durch mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Glauben Sie vielmehr das, was ich Ihnen sage. Befassen Sie sich nicht mehr mit mir; lassen Sie mich jetzt ganz außer acht, als hätten Sie mich niemals gesehen.« »Muß auch Aramis das tun, Madame?« fragte d'Artagnan gereizt. »Sie nannten diesen Namen schon ein paarmal, mein Herr, und ich sage Ihnen doch, daß ich ihn nicht kenne.« »Sie kennen den Mann nicht, an dessen Fensterbalken Sie anpochten, Madame? Sie halten mich doch für zu leichtgläubig.« »Gestehen Sie ein, daß Sie diese Geschichte erfinden und diese Person erdichten, um mich zum Sprechen zu bringen.« »Ich erfinde nichts, ich erdichte nichts, Madame, ich rede die lautere Wahrheit.« »Und Sie sagen, in diesem Hause wohne einer Ihrer Freunde?« »Ich sage und wiederhole es zum drittenmal, in diesem Hause wohnt mein Freund, und dieser ist Aramis.« »Das wird sich später alles offenbaren,« murmelte die junge Frau, »jetzt, mein Herr, schweigen Sie.« »Könnten Sie doch offen in mein Herz blicken,« sagte d'Artagnan, »so würden Sie darin so viel Neugierde lesen, daß Sie Mitleid mit mir hätten, und so viele Liebe, daß Sie dieser Neugierde allsogleich Genüge leisten würden. Von denen, die Sie lieben, haben Sie nichts zu fürchten.« »Sie sprechen ein wenig schnell von der Liebe, mein Herr!« entgegnete die junge Frau und schüttelte den Kopf. »Weil mich die Liebe so schnell zum erstenmal entzündet hat, und weil ich noch nicht zwanzig Jahre zähle.« Die junge Frau blickte ihn verstohlen an. »Hören Sie, ich bin auf der Spur,« versetzte d'Artagnan. »Vor drei Monaten stand ich auf dem Punkte, mich mit Aramis wegen eines Sacktuches zu schlagen, das ganz dem ähnlich ist, das Sie der Frau in seiner Wohnung gegen ein auf dieselbe Art gesticktes Tuch vorzeigten; dessen bin ich gewiß.« »Mein Herr!« sagte die junge Frau, »ich schwöre es Ihnen, daß Sie mich mit diesen Fragen ermüden.« »Aber, Madame! bedenken Sie doch bei Ihrer Klugheit, wenn man Sie verhaften und dieses Sacktuch bei Ihnen treffen würde, kämen Sie dadurch nicht in Gefahr?« »Warum das? sind die Anfangsbuchstaben nicht die meines Namens. C. B., Constanze Bonacieux?« »Oder Camille von Bois-Tracy.« »Schweigen Sie, mein Freund! noch einmal, schweigen Sie; wenn Sie die Gefahren, denen ich selbst ausgesetzt bin, nicht zurückhalten, so bedenken Sie jene, die Ihnen drohen.« »Mir?« »Ja, Ihnen. Ihre Freiheit ist gefährdet. Ihr Leben steht sogar auf dem Spiel, wenn Sie mich kennen.« »Nun, so weiche ich nicht mehr von Ihnen.« »Mein Herr!« entgegnete die junge Frau flehend und die Hände ringend, »im Namen des Himmels, im Namen der Ehre eines Kriegers, im Namen der Artigkeit eines Edelmannes! entfernen Sie sich; hören Sie die Stunde der Mitternacht schlagen, das ist die Stunde, wo man mich erwartet.« »Madame!« erwiderte der junge Mann, sich verneigend, »wenn man mich auf solche Art bittet, kann ich nichts verweigern; seien Sie beruhigt, ich will von hinnen gehen.« »Sie folgen mir also nicht? Sie lauschen nicht?« »Ich kehre augenblicklich nach Hause zurück.« »O, ich wußte es ja, daß Sie ein wackerer junger Mann sind,« rief Madame Bonacieux, indem sie ihm die eine Hand reichte und mit der andern nach dem Klopfer einer Tür langte, der tief in der Mauer verborgen war. D'Artagnan erfaßte die ihm dargebotene Hand und küßte sie mit Innigkeit. »Ach! mir wäre es lieber, wenn ich Sie nie gesehen hätte,« stammelte er mit jener naiven Derbheit, die die Frauen oftmals den künstlichen Redensarten der Höflichkeit vorziehen, weil sie den Grund des Herzens aufdeckt und den Beweis liefert, daß das Gefühl stärker sei als der Verstand. »Nun,« entgegnete Madame Bonacieux, »ich will nicht soviel sagen wie Sie; was für heute verloren ist, das ist es nicht auch für die Zukunft. Wer weiß, ob ich nicht Ihre Neugierde befriedige, wenn ich eines Tages frei von allen Fesseln bin.« »Und machen Sie meiner Liebe dasselbe Versprechen?« fragte d'Artagnan in überströmender Wärme. »Ha, in dieser Hinsicht will ich mich zu nichts verpflichten, das hängt von den Empfindungen ab, die Sie mir einflößen werden.« »Also heute, Madame . . .?« »Heute, mein Herr! stehe ich nur erst bei der Dankbarkeit.« »Ach, Sie sind zu reizend,« entgegnete d'Artagnan trübselig, »und Sie spielen mit meiner Liebe.« »Nein, ich bediene mich Ihres Edelmutes, das ist alles. Aber glauben Sie mir, bei gewissen Menschen findet sich alles wieder.« »O, Sie machen mich zum glücklichsten Menschen! vergessen Sie nicht auf diesen Abend! vergessen Sie nicht auf Ihr Versprechen!« »Seien Sie unbekümmert; zur rechten Zeit und am rechten Ort werde ich mich an alles erinnern. Doch gehen Sie jetzt, gehen Sie in des Himmels Namen, man erwartet mich um Mitternacht, und ich komme schon später.« »Um fünf Minuten.« »Ja, aber in gewissen Fällen sind fünf Minuten fünf Jahrhunderte.« »Wenn man liebt.« »Nun, wer sagt Ihnen denn, ob ich nicht mit einem Liebhaber zu tun habe?« »Ein Mann wartet auf Sie?« stammelte d'Artagnan, »ein Mann?« »Ei doch! wollen Sie den Zank aufs neue anfangen?« erwiderte Madame Bonacieux mit einem halben Lächeln, das nicht ganz frei von Unruhe war. »Nein, nein! ich gehe, ich eile. Ich vertraue Ihnen, und will das ganze Verdienst meiner Ergebenheit haben, ob es auch Blödsinn wäre. Leben Sie wohl, Madame! leben Sie wohl!« Und als ob er nicht die Kraft in sich fühlte, sich von der Hand zu trennen, die ihn hielt, außer auf gewaltsame Weise, lief er rasch von hinnen, indes Madame Bonacieux, wie bei jenem Fensterbalken, dreimal in denselben Zwischenräumen anpochte. An der Straßenecke wandte er sich; die Tür ging auf und wieder zu; die schöne Krämerin war verschwunden. D'Artagnan setzte seinen Weg fort; er hatte sein Wort verpfändet, Frau Bonacieux nicht zu belauschen.

»Armer Athos!« sagte er, »er wird nicht wissen, was das zu bedeuten hat. Er wird, indem er mich erwartete, eingeschlafen sein, oder er ging nach Hause, und dort wird er erfahren haben, daß eine Frau in seine Wohnung gekommen sei. Bei Athos eine Frau! Nun,« fuhr d'Artagnan fort, »es war ja auch eine bei Aramis. Das ist höchst seltsam, und ich bin sehr neugierig, wie das ausgehen wird.« »Schlimm, mein Herr, schlimm!« versetzte eine Stimme, die der junge Mann als die des Planchet erkannte; denn er hielt ganz laut mit sich ein Selbstgespräch wie sehr beschäftigte Leute, und so gelangte er zu der Allee, in deren Hintergrund die Treppe lag, die zu seinem Zimmer führte. »Wie, schlimm? was willst du damit sagen, Einfältiger!« fragte d'Artagnan; »was ist denn vorgegangen?« »Alle Arten von Unglücksfällen.« »Welche?« »Fürs erste ist Athos verhaftet worden.« »Verhaftet – Athos verhaftet? warum?« »Man hat ihn bei Ihnen gefunden, und ihn an Ihrer Statt festgenommen.« »Durch wen wurde er verhaftet?« »Durch die Wache, welche die schwarzen Männer holten, die Sie in die Flucht getrieben haben.« »Warum hat er sich nicht genannt? warum hat er nicht gesagt, daß ihm diese ganze Sache fremd sei?« »Davor hat er sich gehütet, im Gegenteil trat er zu mir und sagte: ›Dein Herr braucht in diesem Augenblick seine Freiheit, ich nicht, da er von allem weiß, ich aber von nichts. Man wird meinen, er sei schon verhaftet, und damit gewinnt er Zeit. In drei Tagen werde ich sagen, wer ich bin, und damit wird man mich wohl müssen fortgehen lassen.‹« »Braver Athos! edles Herz!« murmelte d'Artagnan, »daran erkenne ich ihn. Und was taten die Häscher?« »Vier haben ihn fortgeschleppt, ich weiß nicht, ob in die Bastille oder nach Fort-l'Evêque, zwei blieben bei den schwarzen Männern, die alles durchwühlt und alle Papiere zu sich genommen haben. Die zwei letzten endlich versahen während dieser Expedition die Wache, und als alles beendet war, gingen sie fort, und ließen das Haus leer und offen stehen.« »Und Porthos und Aramis?« »Ich habe sie nicht getroffen, sie sind nicht gekommen.« »Sie können aber jeden Augenblick kommen, denn ließest du ihnen nicht sagen, daß ich sie erwarte?« »Ja, mein Herr!« »Nun rühre dich nicht von der Stelle, und wenn sie kommen, sage ihnen, was mir begegnet ist, sie sollen mich in der Schenke zum Pomme-du-Pin erwarten; hier wäre es gefährlich, das Haus kann ausspioniert werden. Ich eile zu Herrn von Tréville, um ihm alles mitzuteilen, dann werde ich zu ihnen kommen.« »Ganz gut, mein Herr!« entgegnete Planchet. »Aber du wirst bleiben, und dich doch nicht fürchten,« sagte d'Artagnan, indem er noch einmal zurückkam und seinem Diener Mut einsprach. »O, seien Sie ruhig,« versetzte Planchet, »Sie kennen mich gar nicht; ich bin tapfer, wenn es einmal im Ernste gilt; ich brauche nur dareinzukommen; zudem bin ich ja ein Pikarde.« »Nun, dabei bleibt es,« sagte d'Artagnan; »du läßt dich eher töten, als du von deinem Posten weichst.« »Ja, mein Herr, es gibt nichts, was ich nicht täte, um Ihnen meine Anhänglichkeit zu beweisen.« Somit lief d'Artagnan fort mit der möglichsten Behendigkeit seiner Beine, obwohl sie durch die Anstrengungen dieses Tages schon etwas ermüdet waren, und wandte sich nach der Gasse Colombier.

Herr von Tréville befand sich nicht in seinem Hotel; seine Kompagnie hatte die Wache im Louvre und er war bei seiner Kompagnie. Es war sehr wichtig, zu Herrn von Tréville zu gehen und ihm zu melden, was vorgegangen war. D'Artagnan versuchte es, in den Louvre zu gelangen. Seine Gardeuniform von der Kompagnie des Herrn des Essarts sollte ihm als Paß dienen. Als er zu der Höhe der Gasse Quénégand kam, sah er aus der Gasse Dauphine zwei Personen herankommen, deren Gang ihm auffiel. Diese zwei Personen waren ein Mann und eine Frau. Die Frau hatte die Gestalt der Madame Bonacieux, und der Mann war Aramis sprechend ähnlich. Außerdem trug die Frau einen schwarzen Mantel von dem Zuschnitt, wie ihn d'Artagnan an dem Fensterbalken der Gasse Baugirard und an der Tür der Gasse de la Harpe bemerkt hatte. Ferner trug der Mann die Musketierumform. Die Kapuze der Frau war übergeschlagen; der Mann hielt ein Sacktuch vor sein Gesicht; beiden lag daran, nicht erkannt zu werden. Sie gingen der Brücke zu; das war auch d'Artagnans Weg, weil er sich nach dem Louvre begab. D'Artagnan ging ihnen nach. Er hatte noch nicht zwanzig Schritte getan, als er überzeugt war, diese Frau könne nur Madame Bonacieux, dieser Mann nur Aramis sein. In seinem Herzen regte sich sogleich aller Argwohn der Eifersucht. Er glaubte sich zweifach verraten, sowohl von seinem Freund, als auch von der, die er schon wie eine Geliebte betrachtete. Madame hatte ihm bei allen Göttern geschworen, daß sie Aramis nicht kenne, und eine Viertelstunde nach diesem Eidschwur traf er sie mit Aramis Arm in Arm. D'Artagnan zog nicht einmal in Überlegung, daß er die hübsche Krämerin erst vor drei Stunden kennengelernt hatte, daß sie ihm für nichts verbindlich war, als mit ein bißchen Dankbarkeit dafür, daß er sie aus den Händen der schwarzen Männer befreite, und daß sie ihm auch nichts versprochen habe. Er betrachtete sich als einen verschmähten, verachteten und beleidigten Liebhaber.

Die junge Frau und der junge Mann bemerkten, daß man ihnen nachgehe, und verdoppelten ihre Schritte. D'Artagnan ging rascher, eilte ihnen vor, und wandte sich gegen sie in dem Moment um, wo sie sich vor der Samaritaine befanden, die durch eine Schildlaterne beleuchtet wurde, die ihre Strahlen auf diesen ganzen Teil der Brücke ausgoß. D'Artagnan blieb vor ihnen, und sie blieben vor ihm stehen. »Was wollen Sie, mein Herr?« fragte der Musketier, indem er einen Schritt zurückwich, und er sprach das mit einem Akzent, an dem d'Artagnan erkannte, daß er sich in einem Teile seiner Mutmaßung geirrt habe. »Das ist nicht Aramis!« rief er. »Nein, mein Herr! es ist ganz und gar nicht Aramis, und an Ihrem Ausruf erkenne ich, daß Sie mich für einen andern halten und verzeihe Ihnen.« »Sie verzeihen mir!« rief d'Artagnan. »Ja,« antwortete der Unbekannte; »lassen Sie mich also meine Wege gehen, da wir zusammen nichts zu tun haben.« »Sie haben wohl recht, mein Herr!« sagte d'Artagnan; »mit Ihnen habe ich nichts zu tun, doch mit dieser Frau.« »Mit Madame? o, die kennen Sie nicht,« versetzte der Fremde. »Sie irren, mein Herr, ich kenne sie.« »Ha,« rief Madame Bonacieux im Tone des Vorwurfs, »ha, mein Herr! ich hatte Ihr Ehrenwort als Krieger und Edelmann, und hoffte darauf rechnen zu kennen.« »Und ich, Madame,« erwiderte d'Artagnan verlegen, »Sie haben mir zugesagt . . .« »Nehmen Sie meinen Arm, Madame!« sagte der Fremde, »und setzen wir unsern Weg fort.« Indes blieb d'Artagnan betäubt, vernichtet durch alles, was ihm begegnete, mit gekreuzten Armen vor dem Musketier und Madame Bonacieux stehen. Der Musketier ging zwei Schritte vorwärts und schob d'Artagnan mit der Hand weg. D'Artagnan tat einen Sprung zurück und zog seinen Degen. Zugleich und mit Blitzesschnelle zog auch der Unbekannte den seinigen. »In des Himmels Namen! Mylord!« rief Madame Bonacieux, indem sie sich zwischen die Kämpfenden stürzte und ihre Klingen erfaßte. »Mylord!« rief d'Artagnan, auf einmal durch einen Gedanken erleuchtet; »Mylord! um Vergebung, mein Herr! wenn Sie es wären?« »Mylord, Herzog von Buckingham,« sagte Madame Bonacieux halblaut, »und jetzt können Sie uns alle ins Verderben bringen.« »Mylord! Madame! ich bitte um Vergebung, hundertmal um Vergebung! allein, ich liebe diese Dame, Mylord! und war eifersüchtig, und Sie wissen wohl, was lieben heißt, Mylord! Verzeihen und sagen Sie mir, wie ich mich kann töten lassen für Euer Gnaden!« »Sie sind ein wackerer junger Mann!« entgegnete Buckingham und bot d'Artagnan eine Hand, die dieser ehrerbietig drückte; »Sie bieten mir Ihre Dienste an, und ich nehme sie an; folgen Sie uns zwanzig Schritte nach in den Louvre, und wenn uns jemand belauert, so töten Sie ihn.« D'Artagnan nahm seinen entblößten Degen unter den Arm, ließ Madame Bonacieux und den Herzog zwanzig Schritte vorausgehen und folgte ihnen, ganz bereit, der Aufforderung des edlen und erhabenen Ministers Karls I. buchstäblich nachzukommen. Aber zum Glück hatte der junge Geleitsmann keine Gelegenheit, dem Herzog diesen Beweis seiner Ergebenheit zu liefern, und die junge Frau und der hübsche Musketier traten ohne alle Behelligung durch die Porte de l'Echelle in den Louvre. Was d'Artagnan betrifft, so verfügte er sich ungesäumt nach der Schenke Pomme-du-Pin, wo er Porthos und Aramis traf, die seiner schon harrten. Aber ohne ihnen eine Erklärung über die ihnen verursachte Störung zu geben, sagte er ihnen bloß, er habe die Sache allein abgetan, wozu er ihre Dazwischenkunft auf einen Augenblick nötig zu haben glaubte.


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