Alexander Dumas
Die drei Musketiere
Alexander Dumas

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Die Belagerung von La Rochelle

Die Belagerung von La Rochelle war eines der wichtigsten Ereignisse während der Regierung Ludwigs XIII. Die politischen Absichten des Kardinals hinsichtlich dieser Belagerung waren bedeutsam. Von den beträchtlichen Städten, die Heinrich IV. den Hugenotten als Sicherheitsplätze einräumte, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Kalvinismus vernichten. La Rochelle, das durch den Fall der andern kalvinistischen Städte eine neue Wichtigkeit erlangt hatte, war übrigens auch der letzte Hafen, der für die Engländer in Frankreich noch übrig war; und verschloß er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, so krönte er das Werk der Johanna d'Arc und des Herzogs von Guise. Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose der Gesinnung nach, und der als Kommandeur vom Heiligen Geiste bei der Belagerung von La Rochelle ein besonderes Amt bekleidete, hat auch gesagt, als er an der Spitze mehrerer protestantischer Herren die Waffen schwang: »Sie werden sehen, meine Herren, daß wir dumm genug sind, La Rochelle zu nehmen.« Und Bassompierre hatte recht. Die Beschießung der Insel Ré weissagte ihm die Auftritte in den Cevennen, und die Einnahme von La Rochelle war das Vorspiel zum Edikt von Nantes. Richelieu wußte, wenn er England bekriegte, so triumphierte er über Buckingham, und wer England in Europas Augen demütigte, der demütigte auch Buckingham in den Augen der Königin. Indes Buckingham nur die Verfechtung der Ehre Englands zum Vorwand nahm, ließ er sich von Interessen bestimmen, die denen des Kardinals ähnlich waren, da er gleichfalls eine Privatrache verfolgte. Buckingham hatte sich als Botschafter auf keine Weise wieder Eingang in Frankreich zu verschaffen gewußt. Der erste Vorteil war dem Herzog von Buckingham zugefallen; er kam unvermutet vor die Insel Ré mit neunzig Schiffen und etwa zwanzigtausend Mann, überrumpelte den Grafen von Toiras, der statt des Königs auf der Insel kommandierte, und brachte nach einem blutigen Kampfe seine Landung zustande. Wir erwähnen im Vorübergehen, daß bei diesem Kampfe der Baron von Chantal umkam, der eine Enkelin von achtzehn Monden als Waise zurückließ. Diese Enkelin wurde nachmals Frau von Sévigné. Der Graf von Toiras zog sich mit der Besatzung in die Zitadelle Saint-Martin zurück, und warf ungefähr hundert Mann in ein kleines Fort, welches Fort de la Prée hieß. Dieser Vorfall beschleunigte die Entschlüsse des Kardinals; er schickte, bis er und der König der Absicht gemäß bei der Belagerung von La Rochelle den Oberbefehl übernehmen würden, Monsieur dahin ab, damit er die ersten Operationen leite, und alle Truppen, über die er zu verfügen hatte, marschierten nach dem Kriegsschauplatz. Bei dieser Abteilung, die als Vorhut abgeschickt wurde, befand sich auch unser Freund d'Artagnan.

Wie gesagt, sollte der König nachkommen, sobald seine Gerichtsangelegenheiten abgetan waren. Als er sich am fünfundzwanzigsten Juni von diesen erhob, fühlte er sich wieder vom Fieber ergriffen. Nichtsdestoweniger wollte er abreisen, jedoch sein Übel verschlimmerte sich, und er war gezwungen, in Villeroy anzuhalten. Wo aber der König anhielt, da mußten auch die Musketiere bleiben; infolgedessen sah sich d'Artagnan, der natürlich bei den Garden blieb, mindestens für den Augenblick getrennt von seinen drei Freunden Athos, Porthos und Aramis. Diese Trennung, die für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihn sicher mit ernstlicher Unruhe erfüllt haben, hätte er die unbekannten Gefahren zu ahnen vermocht, von denen er umgeben war. Er langte aber ohne Unfall in dem Lager an, das vor La Rochelle aufgeschlagen war. Alles befand sich noch in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Herren der Insel Ré fort, wiewohl ohne Erfolg, die Zitadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu beschießen, und die Feindseligkeiten begannen seit zwei oder drei Tagen in Hinsicht auf das Fort, das der Herzog von Angoulême nahe der Stadt ausführen ließ. Die Garden unter dem Befehl des Herrn des Essarts nahmen ihr Quartier in einem Kloster.

D'Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen besonderen Geist; er entdeckte plötzlich hinter einem Felsen die Mündung eines Gewehrs und begriff, daß das Gewehr nicht allein gekommen sei, und daß derjenige, der es trug, keine freundschaftlichen Gesinnungen hinter der Hecke verberge. Er entschloß sich demnach, das Weite zu gewinnen, als er auf der andern Seite, hinter einem Felsen, die Mündung eines zweiten Gewehrlaufes gewahr wurde. Das war augenblicklich ein Hinterhalt. Der junge Mann warf einen Blick auf das erste Gewehr und bemerkte mit einer gewissen Unruhe, daß es sich in der Richtung gegen ihn niederneige. Wie er aber sah, daß die Mündung eines Gewehrlaufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauch auf die Erde. In dem Augenblick ging der Schuß los, und er hörte über seinem Kopf eine Kugel dahinsausen. Da war keine Zeit zu verlieren; d'Artagnan richtete sich mit einem Satz auf, und in dem Moment riß die zweite Kugel da, wo er vorher gelegen war, die Kieselsteine in die Höhe. D'Artagnan war kein Mann, der unnütz Mut besaß wie andere, die einen lächerlichen Tod suchen, damit es von ihnen heiße, sie seien keinen Schritt weit zurückgewichen. Außerdem handelte es sich hier nicht mehr um Mut, denn d'Artagnan war in einen Hinterhalt geraten. »Fällt noch ein dritter Schuß,« sprach er zu sich, »so bin ich ein toter Mann.« Er entfloh auf der Stelle nach dem Lager, mit der Schnelligkeit der Menschen aus seiner Heimat, die wegen ihrer Behendigkeit in Ruf gekommen sind. Allein, wie rasch er auch gelaufen war, so hatte doch jener, der zuerst gefeuert, Zeit gefunden, seine Büchse zu laden; und er schickte ihm einen zweiten Schuß nach, der so gut gezielt war, daß die Kugel seinen Hut durchbohrte und zehn Schritte weit schleuderte. Da d'Artagnan keinen andern Hut besaß, so raffte er diesen während des Laufens vom Boden auf, und kam ganz blaß und atemlos in seiner Wohnung an. Hier setzte er sich nieder, ohne mit jemandem ein Wort zu sprechen, und stellte seine Betrachtungen an. Diesem Vorfall konnten drei Ursachen zu Grunde liegen. Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern annehmen, die froh gewesen wären, hätten sie einen Gardisten des Königs getötet; denn sie würden sich damit eines Feindes entledigt haben, und dieser Feind hätte eine volle Börse bei sich tragen können. D'Artagnan prüfte an seinem Hut das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel kam nicht von einer Muskete, sondern von einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses erweckte in ihm schon den Gedanken, er wäre aus einem Privatgewehr gekommen. Somit war es kein militärischer Hinterhalt, wie es sich aus der Beschaffenheit der Kugel erwies. Auch konnte es ein gutes Andenken von seiten des Kardinals sein. Wir erinnern uns, daß er in dem Moment, wo er durch einen glücklichen Sonnenstrahl begünstigt, den Gewehrlauf bemerkte, selbst erstaunt war über die Langmut Seiner Eminenz in Hinsicht auf ihn. Allein d'Artagnan schüttelte den Kopf mit zweifelhafter Miene, denn der Kardinal nahm bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken brauchte, seine Zuflucht selten zu solchen Mitteln. Es konnte eine Rache der Mylady sein. Diese Vermutung hatte mehr Grund. Er suchte sich umsonst an die Züge und die Tracht der Mörder zu erinnern. Noch war er gezwungen, sich so schnell fortzumachen, daß er nicht mehr Zeit zu einer Beobachtung hatte. »Ach, meine armen Freunde,« seufzte er, »wo seid ihr, und wie sehr geht ihr mir ab!«

Am zweiten Tag um neun Uhr wurden die Trommeln gerührt. Der Herzog von Orleans musterte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen; d'Artagnan nahm seinen Platz ein unter seinen Kriegsgenossen. Monsieur ritt an der Front des Heeres vorüber; dann traten die Oberoffiziere zu ihm, worunter auch Herr des Essarts war. Gleich darauf dünkte es d'Artagnan, daß ihm Herr des Essarts einen Wink gebe, zu ihm zu kommen. Er wartete auf ein neues Zeichen seines Vorgesetzten, aus Besorgnis, er könnte sich irren und als dieses Zeichen wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vorwärts, um den Befehl zu vernehmen. »Monsieur begehrt Freiwillige zu einer gefahrvollen Sendung, die aber denen, die sie erfüllen, Ehre einträgt, und ich gab Ihnen einen Wink, sich hierzu bereit zu halten.« »Dank, mein Kapitän!« erwiderte d'Artagnan, dem nichts so erwünscht kam, als eine Gelegenheit, sich unter den Augen des Generalleutnants auszuzeichnen. Während der Nacht hatten die Rocheller wirklich einen Ausfall gemacht und eine Bastei weggenommen, deren sich die royalistische Armee zwei Tage zuvor bemächtigt hatte; es handelte sich nun darum, auszukundschaften, wie diese Bastei bewacht werde. Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach: »Ich brauche zu dieser Sendung drei oder vier Freiwillige, geführt von einem zuverlässigen Mann.« »Was den zuverlässigen Mann betrifft, so habe ich ihn schon bei der Hand, Monseigneur,« rief Herr des Essarts und zeigte auf d'Artagnan. »und in Hinsicht auf die Freiwilligen braucht Monseigneur nur den Willen auszusprechen, und es wird nicht an Männern fehlen.« »Vier Freiwillige, um mit mir in den Tod zu gehen!« rief d'Artagnan, seinen Degen schwingend. Es stürzten alsogleich zwei Gardekameraden vor, mit ihnen vereinigten sich zwei Soldaten, und so war die Zahl voll. D'Artagnan wies somit alle andern zurück, da er denen, die sich zuerst stellten, das Recht des Vorzugs nicht entziehen wollte.

Man wußte es nicht, ob die Rocheller diese Bastei nach der Einnahme geräumt, oder ob sie darin eine Besatzung gelassen hatten. Sonach mußte man den bezeichneten Ort ziemlich nahe auskundschaften, um Gewißheit zu erlangen. D'Artagnan entfernte sich mit seinen vier Gefährten und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden hielten mit ihm gleichen Schritt, und hinter ihm marschierten die Soldaten. So kamen sie wohlgeborgen bis auf hundert Schritte zur Bastei; doch als sich hier d'Artagnan umwandte, bemerkte er, daß die Soldaten abhanden gekommen seien. Er dachte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben und drang noch weiter vor. An der Biegung der Gegenmauer waren sie von der Bastei etwa nur noch sechzig Schritte entfernt. Man sah niemanden, die Bastei schien verlassen. Die drei Verlorenen hielten Rat, ob sie weitergehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke aufstieg, und ein Dutzend Kugeln um d'Artagnan und seine Gefährten zischten. Sie wußten nun, was sie wissen wollten; die Bastei war bewacht, ein längeres Verweilen an diesem gefährlichen Platze wäre also unnütz und unklug gewesen. D'Artagnan und die zwei Garden wandten sich und begaben sich auf den Rückzug, der einer Flucht glich. Als sie an die Ecke des Laufgrabens kamen, der ihnen als Brustwehr dienen sollte, stürzte einer von den Garden; eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt, der andere war unversehrt und setzte seinen Lauf nach dem Lager fort. D'Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen, er neigte sich zu ihm nieder, um ihn aufzuheben; in diesem Moment aber fielen zwei Schüsse; eine Kugel zerschmetterte dem schon verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte am Felsen ab, nachdem sie zwei Zoll an d'Artagnan vorübergezischt war. Der junge Mann wandte sich um, denn dieser Anfall konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens gedeckt war. Er gedachte der zwei Soldaten, die ihn verlassen, und erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm vor zwei Tagen nach dem Leben gestrebt hatten. Er beschloß also, diesmal zu untersuchen, woran er sich halten sollte, und stürzte auf den Leichnam seines Kameraden nieder, als wäre er gleichfalls tot. Er sah gleich darauf, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werk erhoben, etwa dreißig Schritte von ihm. Es waren unsere zwei Soldaten. D'Artagnan hatte sich nicht geirrt. Diese Männer waren ihm bald gefolgt, um ihn zu töten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feind angerechnet werden. Da er indes nur verwundet zu sein und ihr Verbrechen angeben konnte, so kamen sie heran, um ihn vollends niederzumachen. Zum Glück waren sie durch d'Artagnans List berückt und unterließen es, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie sich auf zehn Schritt genähert hatten, sprang d'Artagnan, der bei seinem Falle das Schwert fest in der Hand behalten, rasch empor und stand mit einem Satze bei ihnen. Die Mörder sahen ein, wenn sie nach dem Lager flöhen, ohne ihren Mann getötet zu haben, so würden sie von diesem angeklagt werden, somit war es ihr erster Gedanke, zu den Feinden überzugehen. Der eine von ihnen bediente sich seines Gewehrs als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Streich nach d'Artagnan, der ihm aber durch einen Seitensprung auswich; allein er ließ durch diese Bewegung dem Mörder freien Raum, und dieser eilte sogleich der Bastei zu. Na die wachthaltenden Rocheller nicht wußten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen komme, so gaben sie auf ihn Feuer, und er stürzte nieder, weil ihm die Schulter zerschmettert ward. Mittlerweile warf sich d'Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf dauerte nicht lange, der Elende hatte zu seiner Verteidigung nichts als die abgefeuerte Büchse. D'Artagnans Degen glitt ab an dem Laufe des unnütz gewordenen Gewehrs und fuhr dem Mörder in den Schenkel, wonach er zu Boden stürzte. »O, töten Sie mich nicht!« schrie der Bandit, »Gnade, Gnade, Herr Offizier. ich will Ihnen alles sagen.« »Gilt dein Geheimnis so viel, daß ich dir das Leben schenke?« fragte der junge Mann. »Ja, wenn das Leben einen Wert für Sie hat, wo man erst zwanzig Jahre alt ist, und brav und schön ist wie Sie, und alles erreichen kann.« »Elender,« rief d'Artagnan, »sprich schnell, wer gab dir den Auftrag, mich zu töten?« »Eine Frau, die ich nicht kenne, und die man Mylady nannte.« »Aber wenn du diese Frau nicht kanntest, wie weißt du ihren Namen?« »Mein Kamerad kannte sie und hat sie so genannt. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er trägt von dieser Person sogar einen Brief bei sich, der für Sie, wie ich sagen hörte, von Wichtigkeit sein soll.« »Wie hast du aber teilgenommen an diesem Hinterhalt?« »Er tat mir den Vorschlag, diesen Streich zu zweien auszuführen, und ich ging es ein.« »Und wieviel gab sie Euch für dieses schöne Unternehmen?« »Hundert Louisdor.« »Recht hübsch,« sprach der junge Mann lächelnd; »sie legt denn doch einigen Wert auf mich. Hundert Louisdor, das ist eine Summe für Schurken deines Gelichters; auch begreife ich wohl, daß du eingewilligt hast, und ich begnadige dich, aber nur unter einer Bedingung.« »Unter welcher?« fragte der Soldat beängstigt, da er sah, es sei noch nicht alles abgetan. »Daß du mir den Brief holst, den dein Kamerad bei sich trägt.« »Doch das ist nur eine andere Art, mich zu töten,« versetzte der Bandit. »Wie kann ich diesen Brief holen unter dem Feuer der Bastei?« »Du mußt den Entschluß fassen, ihn zu bringen, oder ich schwöre dir, daß du von meiner Hand fällst.« »Gnade, Barmherzigkeit, o Herr! im Namen der jungen Frau, die Sie lieben, die Sie vielleicht für tot halten, und die es nicht ist,« stammelte der Mörder, indem er sich auf die Knie erhob und mit der Hand anstemmte, da er mit dem Blut allmählich auch die Kräfte verlor. »Wie weißt du es, daß es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und daß ich diese junge Frau für tot hielt?« fragte d'Artagnan. »Ich weiß es aus dem Briefe, den mein Kamerad in der Tasche trägt.« »Du siehst nun, daß ich diesen Brief haben muß,« rief d'Artagnan. »Zaudere nicht länger, oder, wie sehr es mich auch anwidert, meine Klinge zum zweitenmal in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie du bist, so schwöre ich dir, so wahr ich ein Mann bin . . .« Bei diesen Worten machte d'Artagnan eine so bedrohliche Miene, daß sich der Verwundete erhob, und indem ihm der Schrecken wieder Mut einflößte, rief er: »Halten Sie ein, ich gehe, ich gehe.« D'Artagnan ergriff die Büchse des Soldaten, hieß ihn vorausgehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, während er ihn von Zeit zu Zeit mit der Degenspitze in die Seite stieß. Es war schrecklich anzuschauen, wie dieser Unglückliche, der seinen Weg mit einer langen Blutspur bezeichnete, blaß von dem bevorstehenden Tode, sich ungesehen bis zum Leichnam seines Gefährten hinzuschleppen bemühte, der zwanzig Schritt weit entfernt lag. Auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Antlitz war der Schrecken so gewaltig ausgeprägt, daß ihn d'Artagnan mitleidvoll und verächtlich anblickte. »Nun,« rief er, »ich will dir zeigen, welch ein Unterschied ist zwischen einem beherzten und einem feigen Menschen, der du bist. Bleib, und ich will dahin gehen.« D'Artagnan ging behenden Schrittes, mit lauschendem Auge, um jede Bewegung des Feindes zu beobachten, und alle Vorteile des Terrains nützend, und gelangte bis zum zweiten Soldaten. Um seinen Zweck zu erreichen, gab es zwei Mittel: ihn entweder sogleich zu durchsuchen, oder sich aus seinem Leib einen Schild machend, ihn nach dem Laufgraben zu tragen, und ihn erst hier zu durchsuchen. D'Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Moment auf die Schulter, da der Feind Feuer gab. Eine leichte Erschütterung, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d'Artagnan, daß ihm derjenige das Leben bewahrte, der ihn vorher ermorden wollte. D'Artagnan gelangte wieder in den Laufgraben, und warf da den Toten neben den Verwundeten hin, der so blaß wie jener war. Er begann auf der Stelle die Untersuchung; eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin noch offenbar ein Teil der Summe war, die der Bandit bekommen hatte, ein Becher und Würfel waren die ganze Habseligkeit des Entseelten. Er ließ Becher und Würfel zur Seite fallen, warf die Börse dem Verwundeten zu und öffnete hastig die Brieftasche. Mitten unter unbedeutenden Papieren lag der folgende Brief, den er sich mit Lebensgefahr geholt hatte: »Nachdem Ihr die Spur jener Frau verloren habt, die jetzt in Sicherheit in jenem Kloster ist, wohin Ihr sie niemals hättet sollen kommen lassen, so trachtet wenigstens den Mann nicht zu verfehlen, da Ihr wißt, daß ich eine lange Hand habe, und daß Ihr mir meine hundert Louisdor teuer werdet bezahlen müssen.« Keine Unterschrift. Nichtsdestoweniger war es offenbar, daß dieser Brief von Mylady kam. Sonach behielt er ihn zum Behufe einer Überführung, und da er sich gerade hinter der Ecke eines Laufgrabens sicher fühlte, fing er an, den Verwundeten auszufragen. Dieser bekannte, er habe es mit seinem Kameraden, der eben getötet wurde, auf sich genommen, eine junge Frau zu entführen, die von Paris durch die Barrière de la Villette abreisen wollte, doch hätten sie den Wagen um zehn Minuten versäumt, weil sie sich in einer Schenke, um zu trinken, verweilt haben.« »Was hättet Ihr aber mit dieser Frau getan?« fragte d'Artagnan bekümmert. »Wir sollten sie in ein Hotel an der Place-Royale bringen,« entgegnete der Verwundete. »Ja, ja, so ist es, zu Mylady selbst,« murmelte d'Artagnan. Der junge Mann sah jetzt mit Schaudern ein, welch ein entsetzlicher Rachedurst diese Frau anstachelte, sowohl ihn, als auch diejenige, die ihn liebte, zu vernichten, und wie vertraut sie mit den Angelegenheiten des Hofes war, da sie alles ausgewittert hatte. Dagegen sah er auch mit wahrer Freude, daß die Königin das Gefängnis ausgekundschaftet hatte, worin die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit abbüßen mußte, und daß sie dieselbe aus diesem Gefängnis befreite. Nun war ihm der Brief, den er von der jungen Frau erhielt, und ihre Fahrt auf der Straße von Chaillot, die ihm wie eine Erscheinung vorkam, erklärlich geworden. »Vorwärts,« sprach er, »ich will dich nicht verlassen. Stütze dich auf mich, und laß uns in das Lager zurückkehren.« »Ja,« entgegnete der Verwundete, der kaum an so viel Großmut glauben konnte; »doch geschieht das nicht, um mich henken zu lassen?« »Ich gebe dir mein Wort, und schenke dir zum zweitenmal das Leben.« Der Verwundete fiel auf seine Knie, und küßte seinem Retter abermals die Füße. Allein d'Artagnan, der sich nicht gern mehr lange in der Nähe des Feindes aufhalten wollte, kürzte selbst diese Dankbezeigungen ab. In das Lager zurückgekehrt, gab er an, daß sein Gefährte den Degenstich bei einem Ausfall erhalten habe. Er erzählte den Tod des andern Soldaten, und die Gefahren, die sie bestanden haben. Sein Bericht erwarb ihm einen wahrhaften Triumph. Die ganze Armee sprach einen ganzen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm dafür seine Zufriedenheit bezeigen.


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