Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Abbenburg den 24sten Juni 1843.

Ihren Brief, liebster Levin, habe ich grade bei meiner Abreise empfangen, oder vielmehr auf der ersten Station, in Münster, habe ihn gleich Elisen ganz und Schlüters größtenteils mitgetheilt und Letztere in der Confusion teilnehmender Verwunderung stehn lassen, um mich durch zwei regnichte Reisetage und nachher ein solches Volumen von Besuchen, Erzählen, sogar sehr ernsten Geschäften zu arbeiten, daß eben heute der erste freie Augenblick, und auch nur zufällig, eintritt, wo ich wenigstens den Anfang zu einer Antwort machen kann. Sie sind also Bräutigam, und zwar einer höchst wahrscheinlich sehr guten und ganz gewiß höchst liebenswürdigen Braut, die nach Ihrer Beschreibung wirklich grade das zu besitzen scheint, was zu Ihrem innern Glück und äußeren Wohle Noth thut, und wonach mein Auge lange ängstlich für Sie umher gesucht hat. Nun, Gott segne Sie und gebe Ihnen alles Glück, was Ihr Herz so reichlich verdient; wenn meine Wünsche für Sie nur erfüllt werden, dann will ich auch nicht zanken, daß Sie meinen warmen, angstvollen Rath, wie gewöhnlich, mit aller Hochachtung bei Seite geschoben und dem Schicksal den Handschuh gradezu ins Gesicht geworfen haben. Jetzt bittet Dein Mütterchen Dich aber noch einmal, und es ist die letzte Bitte, von deren Erfüllung noch Vieles abhängen kann; nachher ist Alles abgeschlossen, und was Dich Schweres treffen mag, muß hoffnungslos getragen werden: heurathe nicht so leichtsinnig, wie Du Dich verlobt hast. Hat der Himmel es gnädig mit Dir gemacht, statt Deiner geprüft und gewählt und Dir in Louisen ein Kleinod gegeben, was Du wohl ahnden, aber durchaus noch nicht als ächt erkennen konntest – bei Deiner Verlobung –, so fordre ihn nicht zum zweiten Male heraus, durch den Bau einer Häuslichkeit auf den armseligen lockern Triebsand bloß litterarischer Erfolge. Sieh Freiligrath an; Du sagst, er sei glücklich –, es mag sein; soviel weiß ich aber, daß er trotz seiner Pension, die Deiner Braut Vermögen ungefähr aufwiegt, und trotz seiner Kinderlosigkeit in sehr beengter Lage ist, und Alles, was Dich an ihm stört, seine veränderte Stimmung so wie die bittre seiner Frau, sind ohne Zweifel theilweise, wo nicht ganz Folgen derselben. Ach Levin, mir sinkt unter dem Schreiben aller Muth, wenn ich selbst fühle, wie schwach meine Stimme unter dem Jubel des Glücks und der Leidenschaft an Dein Herz rühren wird. Wär ich eine Millionairin, wie ich Deinetwegen, einzig Deinetwegen sehnlichst wünschte, so ließ ich Dich gewähren und wartete ruhig den Augenblick ab, wo der Sohn sich mit einem »mea culpa« in die immer offnen Arme seiner Mutter flüchtete; aber meine eigne Hülflosigkeit für den schlimmsten Fall macht mir das Herz centnerschwer. Ich bitte Dich mit gefalteten Händen: suche festen Grund, ehe Du Dein Haus baust; vergegenwärtige Dir nur einmal recht lebhaft Deine frühere Lage, und doch hattest Du da für keine Familie zu sorgen. Ich mag nicht mehr darüber sagen, mein letzter Brief enthält Alles, was sich darüber sagen läßt, und diesen hast Du wahrscheinlich schon verworfen oder mindestens gewiß vergessen, und so wird es diesem auch gehn, und ich finde mehr Trost in dem von Dir gerühmten praktischen Sinne Deiner lieben Braut, die von selbst meine Ansichten theilen muß, als daß ich hoffte, großen Eindruck auf Dich zu machen. Du wirst es natürlich finden, daß ich mich mit dem höchsten Interesse nach dem Gegenstande Deiner Wahl erkundigt habe, jedoch ohne Jemand treffen zu können, der mehr von ihr kannte als ihre Arbeiten im Morgenblatt; so bleiben außer Deinem Zeugniß, dem ich gern und freudig trauen will, ihre wenigen, aber Gottlob höchst herzlichen und einfachen Zeilen an mich das Einzige, was meiner Phantasie und den Hoffnungen für Deine Zukunft die Richtung giebt. Sag Louisen, daß ich ihr danke, daß ich sie schon jetzt herzlich liebe und das feste Vertrauen habe, sie immer mehr zu lieben, weil sie Dich immer glücklicher machen wird. Wann und wie uns das Schicksal zusammen führen wird, weiß Gott allein; aber der hoffentlich gegenseitige lebhafte Wunsch wird die Gelegenheit schon herbei zu führen wissen. Sag ihr, daß ich sehr viel an sie denke und ihr Bild mir so vertraut und lieb vor Augen steht, wie die vereinte Liebe eines Bräutigams und einer Mutter es nur malen können, und daß ich sie bitte, mir für das persönliche Zusammenfinden einen offnen Platz in ihrem Herzen zu bewahren, wie ich ihr mit aller Treue einen in dem meinigen bewahren werde. Du, Levin, mußt ihr bezeugen, daß dies keine leeren Worte sind, und wie wenig ich mich überall mit leeren Worten befasse. Und somit Gottes Segen über Euch Beide!

Von Münster kann ich Ihnen wenig sagen. Schlüters sind gesund und, seit die Geldsorgen von ihnen gewichen sind, sehr heiter; sie thun sich etwas zu Gute, machen kleine Reisen, sogar – mirabile dictu –! bis Aachen, kaufen Spielkästchen, Kupferstiche, Bücher und freuen sich kindlich an einer gräßlichen Daguerrotypplatte, von der Einen die ganze Familie wie ein Nest voll gemarterter Katzen anschaut; Gott weiß, die Leute haben keinen Funken von Eitelkeit, und ihr unendlich liebenswürdiges Ergötzen an all den kleinen bescheidenen Befriedigungen, die sie sich bisher haben versagen müssen, thut Einem in der Seele wohl. Junkmann dagegen hat wieder einen argen Spleen-Anfall; die Gehaltserhöhung bekömmt er, obwohl er noch nicht in den Genuß getreten ist, aber die Hoffnung auf eine höhere Stelle ist ihm fehl geschlagen und diese einem seiner Collegen, entfernten Verwandten des Directors Sökeland – somit auch Lutterbecks, dessen Schwester Sökelands Frau ist –, zugetheilt worden. Schlüter findet die Sache höchst natürlich und billig, da Jener, ein überaus verdienter Mann, bereits sechs Jahre länger als Junkmann auf Beförderung wartet; Junkmann hingegen träumt von nichts wie Kabalen, begreift nicht, wie Lutterbeck und Sökeland so schwarz an ihm handeln können, verzeiht ihnen jedoch aus christlicher Liebe, ist aber, vor Kummer, in den Pfingstferien nur auf einen Tag nach Münster gekommen und hat Schlüters nicht besucht. Bei der Rüdiger war er und läßt Sie bitten, ihm doch einmal zu schreiben, da er sehr verstimmt sei, und ein Wort der Liebe sowie der Anblick fremden Glücks ihm Noth thue; von dem Grunde seines Kummers sollten Sie nichts wissen, da er Lutterbeck schonen will. Wie seltsam vereinen sich in diesem problematischen Gemüthe die edelste Offenheit mit dem thörichtesten Mißtrauen, die höchste weichste Milde im Vergeben mit dem ungerechtesten Erdichten der Anlässe zum Vergeben! Es ist ebenso schwer, mit ihm auszukommen, wie natürlich, ihn zu lieben und zu bewundern.

Die Bornstedt hat sich jetzt mehr als halb entschlossen, ihre Zuflucht zur Tante Bismarck zu nehmen – Gottlob! Übrigens sollen Sie sehn, wir erleben noch, daß irgend ein hübscher Prediger, dessen Herz sie, irriger Weise, gerührt zu haben glaubt, sie wieder protestantisch macht und in demselben Buchladen von derselben Hand Katharine und Ludgerus und eine wüthende reuige Controversschrift sich grimmig anblicken. Meinetwegen! An ihr ist nichts weder zu gewinnen noch zu verlieren, und wo sie immer sein mag, die Rolle des räudigen Schafes wird nicht von ihr weichen.

Schlüter hat jetzt einen sehr netten schöngeistigen Vorleser, der ein faux air von Ihnen hat, wie Sie so vor fünf Jahren zuerst auftraten. Er soll bedeutende Kenntnisse besitzen, ist ein Hannoveraner, dem Verstand und ein brennender Ehrgeiz aus den Augen leuchten, und der sich gewiß noch mal in der Litteratur versuchen wird. Es thut mir leid, daß ich seinen Namen vergessen habe; sonst könnten Sie sich meine Prophezeiung notiren, und es würde uns Beiden Spaß machen, nach Jahren mal wieder darauf zurück zu kommen.

Den 26sten. Guten Morgen, Levin; es regnet – regnet – regnet – den Blumen (Pensées) vor meinem Fenster sind ihre Sammtkleider so platt und fleckicht geregnet, als hätten sie drei Generationen mitgemacht, und die Vögel flattern so windschief und mühselig wie verunglückte Luftballons; pfui! ich habe mich schwer entschlossen, aufzustehn. Soeben wird mir ein Brief mit dem Postzeichen »Dresden« gebracht, von dem neuen Redacteur der Abendzeitung, – Steigmieder – wenn ich die Hahnenfüße recht lese. Er bittet um Beiträge, und es ist komisch zu sehn, wie darin financielle Vorsicht mit der Furcht, durch ein schlechtes Gebot zu entfremden, kämpfen. Schönes Papier hat er genommen, mit Goldschnitt und Vignette: dafür muß ich wenigstens einen Thaler per Bogen nachlassen; demüthig ist er wie eine Schuhbürste und weiß das »Unterthänigst« und »Gehorsamst« nicht genug anzubringen: dafür mindestens zwei Thaler Rabatt. Aber nun kömmt es zum Klappen: »Indem wir Hochdenenselben zwar die Stellung der Bedingungen, behufs definitiver Einigung, lediglich überlassen, offeriren wir Ihnen doch im Allgemeinen vorläufig ein Honorar von mindestens fünfzehn Thaler à einen Bogen, in der Voraussetzung, daß das der Redaction überlassene Manuscript vor Ablauf eines Jahres, von der Zeit des Abdrucks in der Abendzeitung an gerechnet, nicht anderweitig abgedruckt wird &c.« Finden Sie das unterstrichene »mindestens« nicht komisch? Mir kömmt es vor wie der Aussatzpreis bei Auctionen, worauf nun gesteigert wird. Ich habe aber keine Lust zu dem Handel. Fürerst wüßte ich nicht zu mäkeln, dann auch nicht, was ich geben könnte; meine Gedichte müssen zusammen bleiben, und aus meinem »Bei uns zu Lande« habe ich schon die Judenbuche fortgegeben und darf es nicht ferner zersplittern, wenn das Ganze noch Werth behalten soll. Dann habe ich auch etwaige spätere Nachzügler an Gedichten schon halbwege dem Cölner Feuilleton zugesagt, obwohl ich gar nicht weiß, was dieses giebt; aber Elise wünschte es, weil die Redaction sie um ihre Vermittlung gebeten hatte. Noch Eins, der gute Herr Steigmieder schreibt schließlich: »Indem wir uns der schmeichelhaften Hoffnung hinzugeben wagen, daß Hochdies. unsre Bitte erfüllen und uns bald geneigte beifällige Erklärung werden zukommen lassen, erlauben wir uns schon jetzt, und bis zu einer gegentheiligen Benachrichtigung, Hochd. den Mitarbeitern der Abendzeitung zuzuzählen«; id est: ich werde auf dem neuen Schema stehen, wenn ich auch keine Zeile liefre. Qu'en dites vous? – Nun aber zu andern Dingen. Doch noch Eins: die Abschrift meiner Gedichte ist fast fertig, Alles mit meiner eignen Pfote. Die Interpunctionen? Kyrie eleison! Da muß der Corrector nachhelfen. Aber mit den Abschreibern das war nichts; der Eine ließ mir z. B. die Thränen in »den Winter« steigen und »die Räder« bellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nun noch zur Beantwortung einiger Stellen des Briefes. Sie schreiben mir, Hauff habe behauptet, die Judenbuche sei von Ihnen; folglich ist die Rede von mir und ohne Zweifel auch von meinen Gedichten und meiner Absicht, sie Cotta anzubieten, gewesen. Warum schreiben Sie mir nichts Näheres darüber? Ich begreife dieses nicht; günstige Äußerungen würden Sie sich gewiß eine Freude gemacht haben mir mitzutheilen, und ungünstige mir eben so wenig vorenthalten haben, da Sie mich doch gewiß nicht der Demütigung einer abschlägigen Antwort oder eben so demüthigender schlechter Bedingungen aussetzen wollen, während mir doch jetzt, Gottlob, hoffentlich viele Buchhandlungen Deutschlands offen stehn. Hüffer und Velhagen sind mir gewiß, und ich glaube auch auf die Verleger der Cölner Zeitung und des Abendblatts rechnen zu können; wer sich so eifrig um einzelne Brocken bewirbt, wird das Ganze nicht von der Hand weisen. Vergessen Sie doch nicht, mir hierauf zu antworten. Auch haben Sie mir nichts Näheres von den Verhältnissen eines Mit-Redacteurs der Augsburger Allgemeinen gesagt: was die Stelle einbringt, ob sie vom Staate garantirt oder wenigstens direct vom Verleger ausgehend ist oder nur vom Haupt-Redacteur als Privathülfe zu seiner Bequemlichkeit, und der Wechsel lediglich von seiner Laune abhängend. Ich bin weit entfernt, sie Ihnen in diesem Falle abzurathen, da sie immer ein guter Leuchter ist, um sein Licht darauf zu stecken, auch vielleicht ein gutes Brod; aber ich möchte doch gern wissen, in wie fern Sie sich ihrer als einer reellen Versorgung freuen könnten. – Adieu, lieb Kind, grüß Deine Louise tausend und wieder tausend Mal von mir; ich habe jetzt Eine mehr, für die meine Gebete täglich aufsteigen; sag ihr dies aber nicht, sie möchte es sentimental finden. Du weißt aber wohl, wie es gemeint ist, nicht wahr, mein guter kleiner Junge – Adieu, Adieu.

Wir haben heute schon den 30sten, so abgebrochen habe ich schreiben müssen; Sie glauben nicht, wie ich hin und her gezogen werde, beinahe wie Sie in Darmstadt. – Im Merkur steht ein Artikel, wo Sie lang und breit als Verlobter einer Schriftstellerin ausposaunt werden; denken Sie also nicht, daß ich Sie so aufgeführt habe, wenn etwa Ihre Freunde Sie in dieser Art beglückwünschen.


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