Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Mondsee den 1sten Mai 1843.

Der erste Mai heute, und am letzten Februar hab' ich geschrieben, und noch immer keine Antwort! Sie glauben nicht, wie ich darüber in Unruhe bin; ich hätte schon längst wieder geschrieben, hätte ich nicht befürchtet, Sie wären sehr krank, und mein Brief käm' nicht in Ihre Hände gleich. Sed non potuisti per alium quendam in tam longo temporis spatio me certiorem facere de tua valetudine et quod mei non oblita es? Nescisne quantopere tuarum literarum cupidus sim, nescisne quod scriptum sit: »an potest mater filii oblivisci«? Et none tu mater mihi etsi parvula?Aber konntest Du nicht in so langer Zeit mir durch irgend jemand Nachricht geben von Deinem Befinden und daß Du mich nicht vergessen hast? Weißt Du nicht, wie sehr ich mich nach einem Briefe von Dir sehne? Weißt Du nicht, daß geschrieben steht: »Kann wohl die Mutter des Sohnes vergessen«? und bist Du nicht mein Mütterchen?

Weiß Gott, es ist recht bös von Ihnen, mich hier in Mondsee ohne eine Zeile zu lassen. Denn wenn auch ein Brief verloren ist, so ist es doch so lange, daß ich schon eine Anfrage hätte bekommen können, ob er verloren sei? Nur etwas weiß ich von Ihnen. Carvacchi hat mir am ersten April geschrieben, die Frau Mertens sei da und führe alle Tage zu Ihnen. Ist sie's in Schuld, daß Sie nicht schreiben, so steh' ihr Gott bei.

Mit dem Fürsten bin ich im Reinen. Ich scheide freundlich von ihm. Ich hab ihm gesagt, unter den hier bestehenden Verhältnissen müßten die Kinder aus dem Haus; er hat mir durch ein langes Geschwätz geantwortet, das auf meine einfachen Gründe paßte wie die Faust auf's Auge, und das Ende war, daß ich ihm sagte, er möge mir einen Nachfolger geben. Er hat mich gebeten, ihm einen zu verschaffen. Ich schrieb deshalb an Stieve, hab' aber noch keine Antwort. Ich gehe mit großer Freude von hier fort; ich bin sehr angegriffen, es ist wunderbar, wie Melancholie so heftig auf meine Nerven wirkt – ich habe im letzten Briefe darüber geschrieben, glaub' ich, und bin immer noch nicht viel besser. Ich glaube, ich bin in dem einen Winter ein anderer Mensch geworden! –

Für's Erste geh ich nach St. Goar, um im Juni und Juli dort Rheinbäder zu nehmen. Ende Mai denk' ich von hier abzureisen und werde danach – rathen Sie einmal, was? – vielleicht Redacteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Wenigstens hat mir Dr. Kolb, der erste Redacteur, dahin gehende Eröffnungen gemacht und mich um ein Rendezvous gebeten. Ich habe ihm dies auf den 29sten in München, wohin er von Augsburg kommen will, zugesagt, und ich will Ihnen dann gleich schreiben, was das Resultat war. Es ist zwar eine schlimme Sache mit dieser Augsburger; sie würde mich ganz absorbiren, befürcht' ich, – doch ich muß erst den Kolben anhören.

Meinen Roman hab' ich fix und fertig; er wird in einigen Wochen, hoff' ich, erscheinen. Es ist zu angenehm, so etwas ohne größere Weiterungen in die Presse schicken zu können. Jetzt beschäftigt mich eine Novelle für die Urania; bin aber bange, daß sie zu spät kommt. Könnt' ich doch Ihnen die Arbeiten alle erst zeigen! Sie würden doppelt so gut. Übrigens seh' ich zu meiner Freude, daß mir die reinen Erfindungen jetzt ganz anders aus dem Ärmel gehen als früher.

Ich werde morgen mit meinen Jungens nach Berchtesgaden gehen, um dies erst noch zu sehen; bis Salzburg im Wagen, von da wollen wir zu Fuß; es soll wunderschön sein. Überhaupt hat dies Land Schönheiten! Diese Vegetation sollten Sie sehen! Alle Tage finden wir die Masse neuer prachtvoller Blumenarten; nur keine Nachtigallen giebt's. Aber die Kehlen der Almerinnen ersetzen sie. Ich hab' in der Augsburger Zeitung – vom 14ten April glaub' ich – darüber etwas mitgetheilt unter dem Titel: Ein Album aus Oestreich ob der Enns.

Ich muß aufhören – o Gott, wann seh ich Sie wieder, um einmal wieder mit Ihnen Alles von Anfang bis zu Ende durchschwatzen zu können, ich habe Ihnen so unendlich viel zu erzählen – es wär' eine wahre Wonne! O Harfen Sions, weshalb hangt Ihr nicht an den Weiden des Mondsee! –

Tausend Grüße an Alle, an Sie zuerst und in zweiter Reihe an Junkmann, Schlüters und wen Sie sonst noch sehen, das gute Täntchen nicht zu vergessen. Ich habe wieder eine Poetin aufgetrieben. Ein Ladenmädchen in einem Tabakladen in Salzburg, die ein großes Talent hat. Unter den Östreichern bin ich schon bekannt; einer hat mir sein Werk über das Mozartfest in Salzburg dedicirt. Vive la plume! Auch 'ne Frau werd' ich am Ende ihr verdanken – bloß meiner Feder! –

Gottes reichster Segen über Sie, – vergessen Sie mich nicht, Sie wissen, was ich damit sagen will und nicht sage, weil ich nicht weiß, ob Sie diesen Brief bekommen – vielleicht sind Sie ja nach Abbenburg oder nach der Meersburg verreist. Bis zum 27sten ist meine Adresse noch Mondsee, danach St. Goar am Rhein, poste restante.

Ihr Levin.

Am Pfingstmorgen werde ich in Frankfurt a. M. die Gall sehen –

Die Münze ist in den Ruinen der nahen Burg Hüttenstein gefunden.


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