Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Wahrscheinlich einige Tage später geschrieben.

Über unsre pseudonyme Dichterin sind wir jetzt im Klaren, sie heißt Louise Michels und ist allerdings von der Natur wenig begünstigt, aber doch weder bucklig noch einaugig, wie ich so liebevoll vorausgesetzt hatte, sondern eben wie andre Leute, die nicht jung und hübsch sind, auch, übrigens wohlhabend, doch darüber wird Dir Elise gewiß geschrieben haben. Sie muß sich seit ihrem romantischen Auftreten in Meersburg ungemein heraus gemacht haben; denn die von Dir mitgetheilte Strophe ist vortrefflich und hat mich gereizt, ihre alten Gedichte wieder vorzunehmen, die mir aber jetzt gar und ganz nicht zusagen wollten. – Sonderbar! Ist denn mehreres so Gutes in der neuen Sendung, oder ist dieses eine einzelne dem Pegasus ausgefallene Feder, die sie aufgelesen hat? Die meisten der alten Sachen sind wirklich recht gründlich elend, wie ich mich jetzt, wo ich sie aufmerksam und mit günstigem Vorurtheil durchlas, habe überzeugen müssen. Ich habe das Packet durch Elisen und demnächst die Tabouillot ihr wieder zukommen lassen, aber sie interessirt mich seitdem, ihres Janusgesichts halber; eine Schwalbe macht zwar keinen Sommer, doch ist die Strophe zu durchgeführt schön, um das einzige Lamm zwischen so vielen Böcken zu sein. Schreib mir doch mehr über die neue Sendung!

Adelen habe ich noch nicht schreiben können und muß erst ihre Adresse durch die MertensFrau Sibylle Mertens-Schaafhausen, geb. 1797 zu Köln, eine originelle Frau, die eine Fülle gelehrter Kenntnisse besaß. Auf ihrem Landsitze bei Plittersdorf nächst Bonn hat Annette sie oft besucht und einmal sechs Wochen zugebracht, um sie in einer schweren Krankheit zu pflegen. Der Erinnerung an diese Zeit gilt das schöne Gedicht: »Nach fünfzehn Jahren.« Frau Mertens-Schaafhausen starb am 22. Oktober 1857 zu Rom. abwarten, da sie grade nach Carlsbad reiste, als ich in Bonn war, und der Mertens diese dann zu schicken versprochen. – Ich werde dieser doch in den nächsten Tagen schreiben, da ich einen in Betracht der Umstände sehr langen Brief von ihr erhalten, wenige Tage, nachdem man ihren Mann, der mir in Bonn schon sehr bedenklich vorkam, auf einer kleinen Geschäftsreise Morgens todt im Bette gefunden. Sie ist doch sehr erschüttert, und mit Recht, denn sie haben eine wahre Höllenehe geführt, und die Schuld stand ganz zu gleichen Theilen. Vielleicht wird sie jetzt wieder liebenswürdiger, da der wenigstens angebliche Grund zu dem ewigen innern Grimmkochen wegfällt; doch fürchte ich, es sei ihr mehr Natur, wie überhaupt das Unglück dem Menschen gewöhnlich fester angewachsen ist, als er sich selber zugeben will, und sich selten mit einem einzelnen Blocke aus dem Wege rollen läßt.

Auch der arme Sprick ist todt, und die Umstände dabei sind so traurig als rührend. Es ist ihm nämlich so elend in Belgien gegangen, daß er kaum das trockne Brod erschwingen konnte; dennoch hat er seiner Frau, die mit den Kindern in Hohenholte saß und wieder gesegnet war, aus Schonung immer sehr heiter und hoffnungsreich geschrieben und auch zuweilen ein paar Thaler geschickt, die er sich mit Hungern abdarbte. Den Briefen nach hat nun Jedermann gemeint, er könne zehnmal so viel schicken, und so hat er sich noch müssen in Münster grundschlecht machen lassen, wie der ärgste Lump; endlich hat die Frau die Geduld verloren und ist ihm nachgereist, wo sie ihn dann im höchsten Elende gefunden und durch ihre Ankunft so erschüttert hat, daß er einen Blutsturz bekam und binnen vierzehn Tagen todt war Sit illi terra levis! Er hat ein trauriges aber ehrenvolles, pflichtgetreues Ende genommen und einen jugendlichen Fehltritt furchtbar gebüßt. Was nun aus der Frau und den – bald sieben – Kindern wird? Es heißt, sie werden wieder nach Münster kommen, weil sie als Stadtkind Ansprüche auf Unterstützung auf den Fonds hat. Ich fürchte, mein Päthchen wird mir zufallen; was fange ich dann damit an? Es zur Dienstmagd erziehen lassen, das geht doch nicht, und ein Institut kann ich nicht bezahlen; Gott weiß wie ich geplagt bin, als hätte ich Tausende zu verzehren. Seit ich zurück bin, hat schon Alles wieder an mir gerupft, und ich habe mir überall mit geliehenem Gelde durchhelfen müssen. Tangermann, der Gottlob jetzt nach München abgezogen ist, meinte gar, »ich solle ihm gefälligst selbst 130 Thaler geben oder sie zusammen terminiren, um sie seinen Eltern zu hinterlassen«; der aber hat grade nichts bekommen, weil ich nichts mehr hatte und auch aus einer von Mama hinterlassenen Note sah, daß sie 25 Thaler, die während meiner Abwesenheit mir Jemand unerwartet nachbezahlt, ihm schon fast ganz in meinem Namen gegeben hat. Gottlob, daß er fort ist, er hatte sich wirklich eine Art Possessionsrecht fortwährender Steigerung bei mir usurpirt.

Junkmann habe ich noch nicht gesehn, hoffe aber täglich auf besseres Wetter, das mir seinen Besuch bringt. Er soll wohl, aber äußerst aufgeregt sein; der arme Schelm sitzt wieder gleichsam umsonst in Münster, da sein Ferienaufenthalt mit Schlüters Ferienreise zum Bruder Arnold wieder zusammentrifft, und diese seit Sonnabend fort sind. Schlüters sind die alten treuen Freunde, ohne Falsch und durch nichts wankend zu machen. Ich traf die Lombard bei ihnen, die sich fast überschlug vor Bestreben geistreich zu sein und auch vor Freundlichkeit gegen mich sowohl wie Elisen, die ihren Augen und Ohren kaum traute; denn sie ist sonst jetzt unser Beider entschiedene Feindin, was aber, wie Elise sagt, auf Schlüters nicht mehr Eindruck macht noch je gemacht hat, wie ein Sandkorn auf einen Felsen. Solche Zuverlässigkeit ist doch nicht hoch genug anzuschlagen!

Die Bornstedt läßt sich jetzt vom gleichfalls etwas einsam stehenden Sohne des Vaterlandes fleißig besuchen, unter vier Augen schmeicheln und hinterm Rücken greulich durchziehn; sie ist doch wirklich durch und durch unglücklich und selbst von denen, die noch ihr letzter Trost und Stolz sind, verrathen und mißbraucht. Doch freue ich mich immer, wenn ich noch von irgend einer glücklichen Täuschung höre; es hilft ihr doch das Leben ertragen, wie z. B. der Bräutigam, der Sohn des Vaterlandes, und gewiß auch der »hochadlige Schwanenhals«. Jetzt ist sie in Herbern, und Manche meinen, sie werde ganz dort bleiben, aus Liebe zum Landleben, da sie in Münster durchaus nicht mehr subsistiren könne.

Von Meersburg habe ich vor drei Wochen die letzte Nachricht, wo Jenny mir schrieb, daß Laßberg Dir den »Oettinger« geschickt, und sie hoffe, Du werdest doch gleich antworten. (Du hast es doch gethan?) Das gute Ding schreibt so herzlich und kläglich, wie betrübt es ihr sei, so oft sie die Vögel füttere, meine verschlossene Thür anzusehn und dann meinen leeren Platz bei Tisch; sie ist doch sehr herzig! Sonst war Alles beim Alten, nur das Kesselsche Institut macht so unglückliche Rückschritte, daß es wohl nächstens vor dem Thore stehn wird; ich glaube, sie haben jetzt noch eine Pensionaire, und die geht auf Michaelis fort. Herr Stiele hat, während ich noch dort war, seinen Malergeschmack auf eine glänzende Weise bekundet, indem er sich in eine häßliche, ältliche Kammerjungfer verliebt hat, die auf einen Tag nach Meersburg zum Besuch kam. Sie ging durchs Vorzimmer, in dem er den Cölner Domriß illuminirte, um mit ihren schönen Händen mein Haar zu flechten: venit, vidit, vicit! Am Nachmittage suchte er sie beim Figel auf, am andern Tage folgte er ihr nach Constanz und giebt seitdem alle Zeichen tiefster Erschütterung von sich: Reue über sein voriges Leben, Tiefsinn, Begeisterung, und die ernstesten hausväterlichen Pläne. Kann das einem andern Künstler passiren, als der wie Stiele ein geborner Schneider ist und vor zehn Jahren statt mit dem Pinsel mit dem Bügeleisen hin und her fuhr? Ich glaube wohl, – Künstler und Dichter nehmen gewöhnlich Frauen, vor denen sich jeder Andre bedanken würde.

Nun komme ich zu etwas, was mir eigentlich am Meisten auf dem Herzen liegt, weshalb grade ich es bis zuletzt verschoben habe, Deine Lage nämlich. Wüßtest Du es, wie viel ich an Dich denke, wie manche Stunde ich wach in meinem Bette liege und mich über Deine Zukunft zergrübele und zersorge! Levin, mein einziges geliebtes Kind, Du bist in sehr schlimmer Umgebung. Das Herz ist mir so voll, ich möchte Dir so Alles auf einmal sagen, und doch ists am Besten, ich warte ab, wie sich die Dinge gestalten; was nutzt's Fälle zu erörtern, die vielleicht nicht eintreten! Aber ich fürchte, mit dem Tode der guten, wahrscheinlich todtgequälten Fürstin weicht das letzte sittlich edle Bild, an dem sich eine ehrliche Seele noch aufrichten kann, aus Eurem Hause; mehr will ich für jetzt nicht sagen und Dich nur noch bitten, ihres Sterbebettes und dessen, was sie darauf gebracht hat, nie zu vergessen und Dich fest zu Deinen Zöglingen zu halten. Es ist die ehrenvollste und in Zukunft vielleicht die einzig ehrenvolle Stellung, die Du nehmen kannst, wenn Jeder voraussetzen darf, Du seist da aus Liebe zu den armen Kindern und um ihnen reell zu nützen. Ich wollte, ich könnte bei Dir sein, dann wär mir nicht bange; was mir vielleicht an Klugheit abginge, würde meine Liebe und Sorge ersetzen, die Dein Bestes zehnmal schärfer im Auge hält, als ihr eigenes. Könnte ich Dich nur einmal eine Stunde wieder hier haben, hinter dem Teller mit aufgesparten Birnen und Nüssen! Es ist doch ein lieber, heimlicher Ort, das Rüschhaus! Zwar klein kam es mir nach dem großen Meersburger Schlosse vor, klein wie ein Mauseloch, aber doch sehr lieb. Ich hatte es so kurz nach Dir verlassen, daß mir war, als wärst Du gestern erst fortgegangen und Alles, Bücher, Papiere, noch von Deiner Hand so hingelegt, was auch mit Einigem sein mochte; denn mein Zimmer ist seitdem unbewohnt geblieben und war noch nicht aufgeräumt; mein Alleinsein – Mama ist noch immer in Abbenburg – nährt diese Täuschung fortwährend. Neulich war mir so ungewohnt wohl zu Muthe, ich wußte selbst nicht warum, endlich merkte ich, daß es Dienstag war und ich Dich erwartete. Lieber Gott, wo sind die Zeiten hin! Ich konnte es denn doch nicht lassen, mit meinem Fernrohr zu meiner Bank zu wandern, und das Herz klopfte mir ordentlich, als ich etwas durch den Schlagbaum kommen sah; es war aber nur ein sehr schäbiger Bauer mit einem noch schäbigeren Hunde. Habe ich Dir nun thörichtes Zeug genug vorgeschwätzt? Bist Du ungeduldig, alter Philister? In Deinem nächsten Briefe, den ich nun etwa am fünften nächsten Monats erwarte, mußt Du mir aber mal recht ausführlich schreiben. Die anfangs vorgefundene Hausgesellschaft hast Du so genau portraitirt, und von der neuen sagst Du kein Wort, auch schon in Deinem Briefe an Laßberg nicht, wo sie doch schon da war. Als ich Laßbergs Brief mit mir zugleich abgesegelt glaubte und in Folge dessen mich als nächstens antwortend dachte, summte mir die schönste Reisebeschreibung im Kopfe, die mir jetzt aber so trocken und abgestanden scheint, daß ich Dir keinen Brocken davon schicken mag, außer einen Gruß vom Reuchlin, der jetzt nicht weit von Tübingen wohnt und, als ich Morgens zwischen Vier und Fünf auf der Schnellpost durchkam, schon eine Stunde auf Schusters Rappen abgetrabt hatte, um uns an der Landstraße zu erwarten und noch eine Stunde weit als blinder Passagier mitzufahren, von wo er dann mit Siebenmeilenschritten seinem Dorfe zustieg, wo er noch um Neun predigen sollte. Ich habe versprochen, ihm ein oder anderes Mal zu schreiben; es wird aber wohl nicht viel daraus werden, denn ich bin gar faul, außer wenn ich an Dich schreibe. – Ob es wohl gehn wird mit unsrer Verabredung? Ich weiß, es ist Dir schwer, einen Brief zu beantworten, wenn er schon etwas alt ist; Du siehst dann nicht mehr hinein und schreibst nur, was Dir dann grade einfällt: ist es Dir vielleicht lieber, mir immer auf der Stelle zu antworten? Das geht auch. Oder bist Du gar so tugendhaft, Dir mehr als einen Brief im Monate zuzumuthen? Das wäre sehr schön, ich traue es Dir aber nicht zu; mir wohl, mir ist Alles recht und lieb, sobald sich nur die Briefe nicht kreuzen. Auch werde ich wo möglich Vorsorge treffen, daß mir alle Briefe allein zugestellt werden, so daß ein irregulairer auch ziemlich gesichert ist. Adieu, mein lieb Herz, Du merkst wohl, ich kann es eigentlich nicht abwarten, daß Du schreibst. Adieu!


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