Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Mondsee den 13ten Mai 1842.

Es sind jetzt sechs Wochen, seit ich von Meersburg fort bin – mir scheinen es sechs Monate – und bis auf diese Stunde habe ich noch keine Zeile von Ihnen erhalten . . . was ist das? Wissen Sie, daß ich recht ängstlich besorgt deshalb bin? Mein einziger Trost ist die Annahme, daß Sie das schöne Wetter benutzt haben zu Ihrer intendirten Mailänder Reise – oder hat man Ihren Brief auf der Post verloren? Oder sind Sie krank? Bitte, wenn Sie können, nur ein paar winzige Zeilen, daß ich nicht länger unruhig sein brauche! Ich hoffe, Ihr Brief ist verloren gegangen, – der Portier in Ellingen, der mir Briefe nachschicken soll, ist sehr im Stande dazu – ich hoffe es, so traurig es auch wäre, wenn mir eine Zeile von dem verloren ginge, was Sie mit so viel Mühe zu Stande bringen müssen: deshalb bitte ich ja auch nur um ein paar kurze Zeilen, um eine Seite höchstens, daß es Ihnen wohl geht.

Unterdeß muß ich fortfahren, Sie von mir zu unterhalten. Am 24sten vorigen Monats bin ich von Engelszell mit den beiden Prinzen nach Wien abgereist und am andren Tage Nachmittags angekommen, aber krank. Die schwere Krankheit, welche ich zu Heidelberg im Mai 1834 zu überstehen hatte, kam von Erkältung und Aufenthalt in frisch gefärbten Zimmern. Das war jetzt wieder die Ursache, denn in Engelszell war ein frischer Farbengeruch nicht zum aushalten, und dazu kam eine Erkältung auf der Donau. Nun denken Sie sich einen Menschen, der sehr krank ist, und trotzdem den ganzen Tag durch das Gewühl einer ungeheuren Stadt fiakern und Merkwürdigkeiten sehen muß, zum Theil in winterlich kalten, wüsten Räumen – der grimmiges Zahnweh hat und die Mundfäule dazu! Und nun des Nachts diese quälenden Träume von ungeheuren, nie endenden Sälen mit Merkwürdigkeiten und lauter Merkwürdigkeiten bis in die aschgraue Unendlichkeit hinein! – Was habe ich geseufzt, aus dieser Tortur fort, in Rüschhaus aus Ihrem Fenster nur eine Viertelstunde lang die grüne Wiese ansehen zu können und keinen Laut zu hören – es wäre ein Himmel für mich gewesen!

Was ich gesehen habe oder vielmehr angestarrt in Wien, ist folgendes: Die k. k. Bildergallerie im obern Belvedere; die Ambrasersammlung im untern Belvedere, – ganz was Herrliches!! – eine Kunstausstellung, die Gallerie des Fürsten Liechtenstein. Die Bibliothek. Den k. k. Marstall. Die Galawägen. Das Naturalienkabinet. Den k. k. Schatz mit der Krone Carls des Großen. Das Antikenkabinet mit Medaillen und Münzen – o die hätten Sie sehen sollen! –, mit der kostbarsten erhabenen Gemme der Welt, einer Apotheose des August, – und köstlichen andren Sachen. St. Stephan; zweimal den Prater; Schönbrunn; das k. k. Zeughaus, das bürgerliche Zeughaus u. s. w. und endlich Wien, eine köstliche Stadt! Übrigens sieht man nicht viel in Wien. Jede dieser Sammlungen ist an irgend einem Tage offen und dann strömt eine ganze Menschenmasse zusammen, der man sich anschließen muß, um von dem Ciceronen rasch durchgeführt zu werden, der nur eilt, ein andres Hundert Neugieriger einzulassen und dazu sind alle diese Sammlungen so unendlich, so fabelhaft reich, daß man sich bald ganz stumpf sieht.

Das Einzige, was mich trotz meines Zustandes recht freute, war die Bekanntschaft Lenau's. Ich trieb ihn in einem Kaffeehause auf, wo er am Billardspiel war; er war sehr freundlich, sogar so sehr, meine Gedichte zu loben. Leider war ich nicht im Stande, länger als eine Viertelstunde mich mit ihm zu unterhalten. Auch den Dichter Seidl lernte ich kennen; er ist Custos des Antikenkabinets. Sonst habe ich von berühmten Leuten Niemand gesehen, mit Ausnahme des Erzherzog Carl im Burgtheater.

Am Montag waren wir angekommen, am Samstag fuhr ein Dampfschiff die Donau hinauf, und dies benutzte ich zur Rückkehr, da es mir nicht möglich war, länger auszuhalten und meine Krankheit drohte mich außer Stand zu setzen, die Prinzen in Wien beaufsichtigen zu können. Die Donaufahrt ist schön, doch nur stellenweise das, was der Rhein ist. Vor Allem interessant waren mir Mölk, Göttweih, Klosterneuburg und die Ruinen von Dürrenstein, worauf Richard Löwenherz gefangen saß, gehütet von den Chuenringen. Dann die schöne Gegend von Linz. Von diesem letzteren Ort gings landeinwärts nach Mondsee, wo wir am Montag Nachmittag ankamen, leider noch hundert östr. Gulden Reisegeld in der Tasche, die ohne meine Krankheit mit uns nach Ungarn gewandert wären. Nachdem ich hier nun acht Tage einsam und verlassen das Bett gehütet, bin ich wiederhergestellt, nur noch etwas angegriffen, und ich glaube, daß über eine schwere Krankheit die Aufregung des Wiener Aufenthalts mir hinübergeholfen hat. Wie habe ich mich während dieser acht öden Tage nach der Meersburg gesehnt und mir ausgemalt, wie Sie mich gewiß nicht so allein liegen lassen würden, wie Sie mir freundlich was vorplaudern würden, wenn ich auch keine Silbe hätte antworten können, um Ihnen zu danken, denn diese »Stomachace«, wie der Arzt es nennt, macht einem das Sprechen unmöglich.

Hier in Mondsee ist es wunderschön, das ist wahr, aber öde! Ich bin bange vor dem Heimweh, oder mindestens davor, daß ich meine fortwährende leise Wehmuth im Andenken an alle fernen Freunde nicht wieder los werde. Aber sonst bin ich zufrieden: il faut supporter la vie.

Haben Sie Freiligraths Denkmal – sein »1862« und eine Notiz über mich in Nr. 117 der Cölnischen gelesen? Daß letztere von ihm herrührt, muß ich voraussetzen. Ihre »Warnung« steht auch in der Cölnischen (1. April). Smets ist Domherr in Aachen geworden, Lutterbeck in Gießen; ich wollte, Junkmann wär' auch etwas geworden! Aber nun geht mir der Muth zum Schreiben aus, im Gedanken an Ihr beunruhigendes langes Schweigen: o bitte, bitte, reißen Sie mich heraus! Meine Adresse ist jetzt: »Mondsee bei Salzburg in Östreich, frei Grenze.« Wie stehts mit Lasaregg? Hier weiß Niemand von diesem Gute.

Bitte, schreiben Sie mir doch, liebes Fräulein, vor Allem schreiben Sie mir, daß Sie und Alle auf der alten Meersburg gesund sind. Ich möchte verzweifeln, wenn ich denke, wie weit es noch hinaus ist, bis mir der Bote, der zweimal in der Woche von hier nach Salzburg geht, eine Antwort auf diesen Brief mitbringen kann.

Ich weiß gar nicht, was ich dem Lewald für seine Dombausteine schicken soll; ohne Bibliothek hier, in einem großen nackten Zimmer, ist es mir unmöglich, irgend einen Stoff aus der Luft zu greifen; und doch drängt Lewald. Wie gehts Ihrer Arbeit? Von Lenau kommen nächstens die Albigenser bei Cotta in die Presse. Was macht das Morgenblatt? Hat es Ihre Novelle schon? Ich bekomme nur die Cölner Zeitung hierher. Was haben Sie Neues aus Münster gehört und was macht der Merkur?

Gott segne Sie, liebes Fräulein, mit seinem besten Schutze und aller Liebe, die Sie verdienen. Könnten die tausend herzlichen Grüße, die ich Ihnen zurufe, so warm an Ihr Ohr klingen, wie sie mir aus dem Herzen kommen!

Apropos. Während meiner Krankheit habe ich den ganzen Washington Irving wieder gelesen. Er ist doch ein angenehmes Talent, aber gar kein bedeutendes. Sein Bracebridge ist höchst gemüthlich aufgefaßt, aber auch höchst arm an Erfindung. Irving ist ein weiblich empfänglicher, aber gar kein schaffender Geist. Von Ihrem »Westphalen« erwarte ich weit mehr, als sein Bracebridge ist. Die Dinte geht mir aus, ich kann nur noch aufs Angelegentlichste »der edlen Burgfrau« mich empfehlen lassen und daneben sein Ihr

treuergebenster
S.


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