Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Rüschhaus den 15ten Februar 1843.

Ich denke mir, mein gutes Kind ist besorgt über mein langes Schweigen, und auch mit Recht; denn ich bin wirklich sechs Wochen lang wieder recht miserabel daran gewesen, habe mich halbtodt gehustet, mitunter Fieber gehabt und sogar die Leute dahin erschreckt, daß sie einige Nächte bei mir gewacht haben. Unerwartet kam mir das freilich nicht, da ich wohl weiß, daß man einen kurzen Aufenthalt in besserem Clima immer schwer nachbezahlen muß, aber doch sehr unbequem. Jetzt ists um Vieles besser, ich bin von Herzen wieder gesund, und der Husten läßt auch nach. Die Fatalität kam recht mal à propos mitten in der Arbeit, und ich habe sechs Wochen meines Lebens gleichsam in den Brunnen werfen müssen. Vielleicht ists gut; denn ich fand des Dichtens und Corrigirens gar kein Ende, sehe jetzt aber wohl ein, daß ich mit dem Vorhandenen vorläufig zufrieden sein und nur rasch die Vollendung der Abschrift besorgen muß, ein Entschluß, zu dem ich sonst wohl nicht so bald gekommen wäre. Ihr Brief, lieber Levin, kam grade im schlimmsten Augenblicke an, und die Ungeduld und Unruhe, Ihnen nicht zur rechten Zeit antworten zu können, hat mich vielleicht eher gestärkt und heraus gerissen, wenigstens zu vernünftiger Schonung gebracht, als dieses sonst wohl meine widerhaarige Natur gestattet hätte. Ich darf mich nicht bücken, das ist das Elend, sonst hätte ich weit eher geschrieben; denn eigentlich krank bin ich nur acht Tage lang gewesen, und das Übrige, Husten, Andrang zum Kopfe &c., sind nur Kongestionen aus Mangel an Bewegung, da dieser ohne Gleichen warme, dreckige Winter leider meine schwachen Spazier-Entschlüsse überwunden hat. Ich sehe, wie Sie die Stirn runzeln; aber bedenken Sie: bis an die Knöchel im Kothe! und obenher feucht von Nebel und Staubregen wie eine unglückliche Najade, die halbtrocken aus ihrem verschlammten Weiher flieht! Kälte hätte ich gewiß nicht gescheut. Wie ist der Winter bei Ihnen drüben? Der hiesige verdient den Namen gar nicht, und vor mir im Glase stehn blühende Vergißmeinnicht, die gar nicht fort gewesen, und Schneeglöckchen, die bereits da sind. Das lautet ganz romantisch und sonnicht, und ist doch nur die kothigste Prosa. – In Münster kranken gar viele Leute, doch keine nähere Bekannte. Haben Sie den Kaplan Bormann gekannt, den ausgezeichneten Prediger? Oder den Pastor Halsband? Ich glaube wohl kaum. Beide hat das Nervenfieber hingerafft, und sie werden sehr betrauert. Desgleichen Herrn Ester, der hintennach sehr gelobt wird, als vortrefflicher Sohn gegen seine alte und kränkliche Mutter, um derentwillen er unverheurathet geblieben. Er ist im Unglauben an die Bornstedtische Glorie gestorben, was ihm hoffentlich in der andern Welt nicht schaden wird. – Das älteste Fräulein v. Druffel, Lisette, was schon seit einem Jahre verrückt war, hat seinem Leben durch einen Sprung vom dritten Stocke herab ein Ende gemacht; die Verwandten sind sehr niedergebeugt. – Das sind lauter traurige Nachrichten, aber eine sehr, sehr erfreuliche kann ich von unserm lieben Schlüter melden, dem der König zweihundert Thaler Gnadengehalt giebt. Sie können denken, wie glücklich und sonnenhell jetzt Alles in diesem Hause ist; Mama Schlüter hat alle ihre Ängsten verloren und weint nur noch Freudenthränen, um so mehr, da auch Junkmann eine bedeutende Zulage erhalten soll. Mich verlangt recht, mal in ihren Sonnenschein herein zu fahren; es muß ein liebenswürdiger und rührender Anblick sein, diese frommen Menschen in ihrer dankbaren Freude, ich kann mir nichts Lieberes denken. Ihre Grüße habe ich noch nicht ausrichten können und darf auch in den ersten vierzehn Tagen nicht daran denken, weiß aber, daß ich große Sensation damit machen werde; denn diese Familie ist wirklich ganz Liebe und wehmüthige Treue gegen Alle, die ihnen je nahe gestanden, und man muß eben eine Bornstedt sein, um sich nicht weich und, gradezu gesagt, klein zwischen ihnen zu fühlen. Jenes angenehme Muster – die Bornstedt – hat wieder neue Schicksäler, die aber zu unserm Vortheile ausfallen; sie kömmt jetzt nicht nach Münster, sondern hat sich für den Winter eine Einladung von der Bocarmé zu procuriren gewußt, bei der sie wahrscheinlich schon in Paris sitzt; im Sommer will diese sie dann nach Luzern zurück bringen, wenigstens lautet ihr Brief an die Präsidentin Scheibler so. Ich wette, sie hofft dort auf eine Gelegenheit, ihren Nicolaus mit Vortheil zu vertauschen. Nach demselben Briefe soll die Tante Bismarck eine schriftliche Erklärung von sich gegeben haben, sie zu ihrer Erbin einzusetzen. Das kann allerdings Sensation machen, – wahr oder unwahr, wenn sie es nur geschickt ausbeutet – sowohl in Luzern als Frankreich, wo es Aventuriers genug giebt, die für zehntausend Thaler des Teufels Großmutter heurathen würden, und ich glaube jetzt wirklich, sie bringt ihr rostiges Räderwerk noch in Gang. Ich wünsche ihr all das Gute, das sie nicht verdient, nur weit weg! – Das Verhältniß zwischen Cherouit und Nanny Brockhausen hat Jedermann falsch beurtheilt: der Franzose ist bereits als Bräutigam hier gekommen; Nanny kannte seine Braut, eine Düsseldorferin war die Vertraute Beider; daher diese offne Annäherung und sehr merkliches Einverständniß. In diesem Augenblicke ist Cherouit bereits verheurathet, und man erwartet mit einiger Spannung seine Rückkehr mit der jungen Frau, an der man Alles zu finden hofft, was man einmal überein gekommen war, als Forderungen seinerseits vorauszusetzen. Fingen die Bornstedt und das Reden über sie nicht an mir gründlich langweilig zu werden, so könnte ich Ihnen einige höchst lächerliche Efforts erzählen, die sie gemacht hat, um dem Franzosen zu gefallen, und die so über alle Beschreibung klatrig ausgefallen sind; als Bornstedtiana hat das Alles kein Interesse mehr, aber für einen komischen Roman gäb' es himmlische Scenen.

Die Rüdiger war gestern hier, und wir haben einen sehr angenehmen Tag verlebt. Das gute Herz hat viele Sorgen; ihr Schwager Düring steht durchaus zum Bankrutt, und sie fürchtet jetzt die Kinder nicht zu bekommen, da die Mama Hohenhausen sich verrathen hat, daß sie nur auf diesen Augenblick warte, um zuzufahren und sie selbst an sich zu nehmen, wogegen Düring aufs Äußerste ist und es nun nicht mehr wagt, die Kinder von sich zu lassen. Für Elisen selbst kann eine Sache so kaum mehr wünschenswerth sein, die ihr in der Perspective völlige Spannung mit den Eltern zeigt. Die Hohenhausen ist doch eine egoistische, gewaltthätige Person! Mich freut nur, daß Tante Ittchen dagegen sich fast überschlägt vor gutem Willen und Liebe gegen Elisen; sie ist noch immer in Münster, wird wohl bis zum Sommer bleiben, und das Verhältniß ist überaus zärtlich und erheiternd für Beide. Ihren Brief habe ich gleich übergeben und denke, Sie werden wohl bald Antwort erhalten. Über Ihre Lage ist Elise ebenso betrübt und empört wie ich. Sie haben auch an Laßberg darüber geschrieben, und Jenny meint, er werde Ihnen zu einer offnen Erklärung mit dem Fürsten rathen, und zu der Forderung, entweder Sie mit den Kindern zu entfernen oder Ihres Amtes zu entlassen. Das ist leicht gesagt, aber wohin dann? Ich würde zu einer so halsbrechenden Katastrophe nicht rathen, bevor es Ihnen gelungen ist, sich irgend eine Aussicht zu eröffnen; dahin aber muß freilich aus allen Kräften gearbeitet werden. – Elise meint, Sie sollten sich an die verschiedenen österreichischen oder auch bayerischen Gesandtschaften um eine Stelle als Gesandtschaftssecretair wenden, das sei ein leichtes Amt mit schöner Einnahme; ich denke mir aber, darum bewerben sich Hunderte, und die Eingebornen und von Empfehlungen Unterstützten laufen Ihnen den Rang ab. Zudem müßten Sie dann eine Menge Menschen zu Vertrauten – Ihres Vorhabens wenigstens – machen, auf deren Verschwiegenheit Sie um so weniger rechnen dürften, da diese doch nothwendig Erkundigungen über Sie einziehen müßten; und mißlingt es dann, so ist Ihre Lage bedeutend verschlimmert, und Sie haben erst völlig die Hölle im Hause. Mein Onkel August steht zwar jetzt sehr gut beim Könige, wird aber schon in den nächsten Wochen auf königliche Kosten eine Reise nach Persien antreten, die ihn wohl mehrere Jahre auswärts halten wird; doch habe ich ihm geschrieben; will das Glück, daß ihm grade eine Gelegenheit vor der Hand liegt – so wird er gewiß sein Möglichstes thun; das wäre aber ein Zufall, auf den ich wenig rechne. Ein paar andre Aussichten sind noch zu windig und unbestimmt, als daß ich sie Ihnen schon mittheilen möchte; mein gutes Kind weiß aber wohl, daß ich unermüdet sinnen und suchen werde, und vielleicht segnet Gott meinen guten Willen.

Am 16ten. Guten Morgen, mein alter Levin, ich habe so eben das gestern Geschriebene nachgelesen, und es kömmt mir sehr abgerissen und dürre vor; ich war aber auch gestern hundskrank und ungefähr in der angenehmen Lage eines Halberdrosselten. Jetzt weiß ich, daß es in der Luft lag; denn in dieser Nacht ist eine dicke Schneedecke gefallen, und wir sind mit einem Male mitten im Winter. Die Blumen und gelben Schmetterlinge – denken Sie, deren gab es schon! – müssen alle erfrieren; das ist ein perfider Streich von unserm Herrgott! Wieder auf Ihren Fürsten zu kommen: ich bitte Sie dringend, liebes Herz, nehmen Sie sich etwas mit ihm zusammen, sagen Sie ihm keine absichtlichen Anzüglichkeiten und zeigen sich nicht durchweg nachlässig gegen alle seine Wünsche, – ich meine auch solche, denen Sie bei einem achtungswerthen Hausherrn gewiß die feinste Berücksichtigung schenken würden. Sie gerathen sonst auch Ihrerseits ins Unrecht, und ich möchte doch gern, daß Sie so nobel als möglich aus diesem Conflict hervor gingen, und Ihre Delicatesse und taktvolle Haltung so leuchtend als möglich ihm gegenüber stände. Daß er Sie haßt, daran zweifle ich nicht, und auch nicht daran, daß er seine Augen schon lange nach einem Subject umher wirft, das Sie ihm entbehrlich machen könnte, und ich denke mir, wenn er sich wieder in's Ausland wendet, wo man sein Privatleben nicht kennt, werden sich talentvolle junge Leute genug finden, die diesen Antrag so gut für ein Glück halten, wie Freiligrath und Sie dies gethan haben. Es wäre aber nicht gut, wenn die Trennung von ihm ausginge, am Wenigsten, wenn Sie ihm durch absichtliche Grobheit oder Willkür zu einem Scheine Rechts verhülfen, da er gewiß so klug sein würde, seine Löwin &c. aus dem Spiel zu lassen und als Anlaß des Bruchs eine Gelegenheit zu benutzen, wo ihm vielleicht jeder Hausherr beistimmen würde. Lieber Levin, mein liebstes Herz, Sie haben noch immer Alles freundlich aufgenommen, was Ihr Mütterchen Ihnen gesagt hat; Sie wissen wohl, daß es aus einem treuen, für Sie unablässig sinnenden und sorgenden Herzen kömmt. Nicht wahr, mein lieb Kind, Du wirst mir nicht tückisch? Wenn ich anfing, meine Sermone einzupacken, dann könnten Sie nur denken, daß es auch anfing mit der Liebe schlecht zu stehn; denn es ist mir immer hart, Ihnen dergleichen zu schreiben, und ich würde es schwerlich um jemand Anderes thun; aber Du bist mein einzig lieb Kind, und ich will Dir lieber mal lästig und langweilig erscheinen, als mich durch Schweigen an der Treue zu versündigen. Noch Eins muß ich Dir sagen, und zwar wieder als Dein Mütterchen: wie ists, daß Du so wenig Liebe zu den Kindern hast? Rühren Dich diese armen Geschöpfe nicht, deren einziger Halt und einziger moralischer Leitstern Du bist? Es kömmt mir vor, als sähst Du die Pflicht, ihre Unschuld zu überwachen und ihren Geist zu entwickeln, fast als eine unbillig aufgebürdete Last an, und doch bist Du deshalb da, und grade dies ist dasjenige, was Deine Stellung adelt und sie in allen honnetten Augen ehrwürdig und schön macht. Mich dünkt, ich in Deiner Lage würde die Kinder schon aus Mitleid lieb haben, und wenn sie Cretins wären, und das sind sie doch wahrlich nicht; ich habe noch gestern einen Deiner früheren Briefe nachgelesen, wo Du sagst, Beide seien sehr gehorsame, gutartige Kinder; Carl besitze viel Talent, sein Bruder zwar keins, aber dafür eine wahrhaft rührende Herzensgüte. Unterricht geben ist zwar, wie ich aus Erfahrung weiß, eine höchst unangenehme Sache, besonders wenn man andere Arbeiten vor der Hand hat; aber Du hast es doch einmal übernommen, und die Kinder dürfen nicht dabei zu kurz kommen, daß Du lieber schriftstellerst. Ich zweifle zwar nicht, daß Du Deine Stunden pünktlich abhältst, aber mit Ungeduld: die Kinder sind Dir hinderlich, und dadurch werden Dir die armen unschuldigen Dinger fatal; ich wette, Du hältst sie Dir außer den Stunden so weit vom Leibe, wie Du kannst, und doch liegt ein so unendlicher Schatz von Liebe in Kinderseelen. Selbst wenn sie – wie z. B. diese, beim Tode der Mutter – etwas dickhäutig erscheinen sollten, so liegt das in den Umgebungen, die ihre Gefühle eher unterdrückt wie geweckt haben; die Weichheit steckt doch heimlich drinnen; Du brauchst ihnen nur halbweg entgegen zu kommen, so werden sie sich in Kurzem für Dich todtschlagen lassen, und Du wirst dann mehr Trost und Milderung Deiner Lage hierin finden, als Du es Dir jetzt denkst. Schlag das nicht so über die leichte Achsel, Levin, es ist ein sehr ernsthafter Gegenstand, für Dein Gewissen sowohl wie für Deine eigne innere Ruhe und Selbstachtung. Und nun gieb mir Deine Hand und sag mir, daß ich immer Dein liebes Mütterchen bin und bleibe.

Die Memoiren des H. v. Lang habe ich gelesen; das ist sauberer Janhagel unter einander, und der Schriftsteller selbst, der sich z. B. von schlechten Weibern Geld schenken läßt, eben so gemein und verkommen wie seine Herrschaften, so daß man nicht weiß, wem er die klatrigste Schandsäule gesetzt hat, sich oder ihnen. – Elise hat mir gestern die Abschrift zweier Gedichte von Alfred Tennyson – übersetzt von Freiligrath, im Morgenblatte – überschickt, von denen sie meint, sie seien genau wie von mir. Es ist wahr, die Ähnlichkeit in Sprache und Bildern ist sehr auffallend; aber ich wollte, ich schrieb so schön. Wissen Sie etwas von dem Patron, so theilen Sie es mir mit, wo er lebt, ob er schon Mehreres geschrieben oder ein ganz neues Licht ist. Vergessen Sie ja nicht hierauf zu antworten; es ist Elise, die sich auf diese Nachrichten entetirt und mir die Frage dringend ans Herz gelegt hat.

Ihren Syndikus von Zweibrücken habe ich jetzt auch gelesen; er ist außerordentlich gut geschrieben, und ich habe nichts daran auszusetzen, als daß er, wie alle Ihre Erzählungen, wieder zu kurz ist. Sie werden diese Bemerkung bei einer »Anekdote« – wie Sie ihn mir selbst bezeichnet haben, wahrscheinlich damit er mir durch den Contrast desto länger vorkommen möchte – unpassend finden; aber es liegt etwas in allen Ihren Anfängen, ein gewisses bequemes Austreten, ein leises Schürzen von hundert Knoten, das uns unwillkürlich dreimal so viel, d. h. so Langes erwarten läßt, als Sie nachher geben; so erregen Sie hier z. B. ein zu großes Interesse für die Liebenden, als daß Sie nachher ihr Schicksal so en bagatelle behandeln und übers Knie brechen dürften, wie Sie thun. Nehmen Sie sich nur mit dem »Paul« in Acht, der so wunderschön, aber – ich sage es Ihnen, weil es noch Zeit ist – so breit und Vieles versprechend wie ein Bozscher Roman anfängt, und bleiben Sie mir ja mit Ihrem Galopp zum Ende und Ihrem Alexanderschwerte fort; der gordische Knoten ist nur einmal mit Beifall zerhauen worden, und dann waren es noch Schmeichler, die das sagten. Paul muß durchaus eine lange und nach allen Verschlingungen mit Ruhe und Geschick ausgearbeitete Geschichte werden, sonst ärgere ich mich todt über Ihr mulier formosa superne, quae atram desinit in piscem. Es ist mir fast lieb, daß die Sache eine Weile ruht, so fangen Sie mit neuer Lust und Geduld an; denn es ist keineswegs Mangel an Erfindungsgabe, sondern reinweg Ungeduld, was Sie am Ende mit beiden Füßen hereinspringen läßt, und da es nur bei Ihnen steht, das Beste zu leisten, so wäre es doch ne Schande, wenn Sie sich mit dem bloß Hübschen begnügten. Der Syndikus ist übrigens mehr als hübsch, da der Humor hier doch schon zu bald als Hauptnerv hervortritt als daß man noch viel Anderes erwarten sollte, – meiner Bemerkung unbeschadet, die sich auf den Anfang bezieht; aber eben deshalb ist und bleibt er eine »Kleinigkeit«, und Ihr Paul muß eine Größe werden, worauf Sie selbst und Ihr Mütterchen stolz sein können.

Das Schicksal des »19ten Jahrhunderts« ist schwer zu beklagen; ich meine aber, die Skizzen dürfen anderwärts nicht erscheinen. Sie sind zu scharf, und mir war ohnedies schon bange dabei, doch ists ein himmelweiter Unterschied, ob in einem gewichtigen Geschichtswerke, was strenge Wahrheit bedingt, nur von ernsten Männern gelesen wird, obendrein wahrscheinlich nie nach Westphalen gekommen wäre, und wo sich endlich ein einzelner Aufsatz zwischen so vielen andern halbwege versteckt, oder in einem Journale, wo alle Laffen und Weiber drüber kommen und der Aufsatz sich nach meinem eignen Gefühle als eine taktlose Impertinenz machen würde, die unser Beider hiesige Stellung gänzlich verderben und mir wenigstens tausend Feinde und Verdruß zuziehn würde, da, selbst wenn Sie den Sündenbock machen wollten, meine Mitwirkung hier zu Lande gar nicht bezweifelt werden könnte, der vielen Anekdoten wegen, die grade nur mir und den Meinigen passirt sind. Es thut mir leid um Ihren gewiß schönen Kragen, aber er muß in der That zerrissen werden, wenn Sie ihn nicht anderwärts brauchen können. Unverschuldeter Verdruß ließ sich noch allenfalls tragen, aber hier würde er uns mit Recht treffen; denn wer giebt uns die Erlaubniß, Leute, die uns nie beleidigt haben, in ihrem eignen Lande zu höhnen, außer etwa unter der Ägide eines tiefernsten, wissenschaftlichen Zweckes. In meinem Westphalen kann ich allerdings mit Auswahl Manches von den Skizzen brauchen; aber Sie trauen mir wohl zu, daß dieses nicht den geringsten Einfluß auf meine Ansicht hat, da ich überreich an Material bin und Ihnen von Herzen gern noch Mehreres abgäbe, wenn Sie es irgend brauchen könnten.

Nun zu der Gall; ob sie zu meiner Schwiegertochter paßt? Das könnte ganz wohl sein; schön und geistreich scheint sie wenigstens unwidersprechlich, und ich wäre sehr begierig, sie zu sehn; wo steckt sie denn jetzt? Nach Darmstadt denkt sie schwerlich so bald zurück zu kommen, da sie ihren Flügel verkauft hat. Es ist mir äußerst erfreulich, Levin, daß Sie in Ihrer jetzigen Verlassenheit einen geistigen Anhalt und Trost in ihr gefunden haben, und wenn es Gottes Wille ist, kann sie Ihnen allerdings dereinst vielleicht noch mehr werden. Dennoch muß ich Dich bitten, liebstes Kind, sei vorsichtig mit der Feder und hüte Dich vor jedem Worte, was Dich binden könnte; die Liebe wird weder durch Schönheit noch Talent noch selbst Achtbarkeit bedingt, sondern liegt einzig in den eignen Augen und eignem Herzen, und wo diese nicht das gewisse Unbeschreibliche finden, was sie grade anspricht, da hilft alle Engelhaftigkeit nichts. Was meinst Du, wenn Freiligrath Dir seine Franziska oder seine Frau hätte zufreien wollen? Von der Letzteren wenigstens ist er gewiß noch mehr begeistert gewesen wie von der Gall, und sie hat ebenfalls für bildschön passirt, ist geistreich, talentvoll, gut und schreibt gewiß vortreffliche Briefe. Oder gar die Bornstedt, von der Du selbst mir gesagt, sie würde ihm besser gefallen wie eine von uns Andern, und er sich wahrscheinlich rasend in sie verlieben? Ich sage dieses nicht zum Nachtheil der Gall, von der ich mir das beste und liebenswürdigste Bild mache, sondern nur um Dich vor blinden Schritten zu warnen; denn sie kann vollkommen schön, überhaupt tadellos liebenswürdig sein und doch irgend einen kleinen Haken haben, – einen Zug um den Mund, Blick, Ton der Stimme, – der es Dir gänzlich unmöglich macht, sie zu heurathen; der gleichen kommt ja alle Tage vor. Übrigens ist mir Dein Verhältniß zu ihr sehr lieb, da sie schlimmsten Falls doch immer eine werthvolle Freundin bleiben muß. Aber mehr laß sie Dir um Gotteswillen vorläufig äußerlich nicht werden; – was sie Dir vielleicht jetzt schon innerlich ist, darüber habe weder ich ein Recht, noch Du selbst Macht – denn Du bist am wenigsten der Mann, der sich, einmal verwickelt, zu einer Ehe gegen seinen Geschmack resigniren und leidlich glücklich darin leben könnte. Doch wünsche ich mir nichts Besseres und Lieberes, als daß die Gall wirklich, nach Freiligraths Ausdruck, »die rechte Casawaika« sein möge.

NB. Ihr Freund Schwarz hat mir neulich einen ganzen Ballen seiner Gedichte zur Ansicht überschickt; sie sind, einzeln genommen, mitunter ganz hübsch, als Ganzes aber äußerst einförmig, und es ängstet mich, etwas darüber sagen zu müssen, um so mehr, da ich den guten Mann gar nicht kenne. Sie müssen Ihren Freunden viel Gutes von mir gesagt haben; denn wieder ein Andrer, Hase, englischer Sprachlehrer, wünscht, wie er sich geäußert, so sehr mich kennen zu lernen, daß er deshalb Tony Galieris angeboten hat, diesen Sommer wöchentlich zweimal hieher zu kommen, für nicht höheren Preis, als wenn er ihr die Stunde in der Stadt gäbe. Das habe ich gewiß meinem guten, treuen Jungen zu danken; und nun Adieu, lieb Herz, Gott segne Dich tausendmal. Schreib mir bald, aber die Mineralien schicke vorerst nicht; wenn ich nach Meersburg kommen sollte, ists näher, und ich packe sie dann nachher mit andern Sachen zusammen. Adieu, Adieu.

Mit meinen Gedichten bin ich nun bald in Ordnung. – Ich habe diesen Winter Ihren alten Tischgenossen, den verrückten Herrn v. Kainach sive Kanne auf dem Halse gehabt, ungefähr wie früher den Plönnies, und er lag hier immer auf den Kämpen zu lauern, weil wir ihn nicht im Hause haben wollten; jetzt bin ich ihn Gottlob los; ich weiß nicht, was sich in meinen alten Tagen alle verrückten Wittwer auf mich entêtiren. – Adele hat geschrieben; sie ist noch recht krank und sehr niedergeschlagen. – NB. Wenn ich meine früheren Gedichte alle wieder durcharbeiten und folglich abschreiben muß, so giebt das noch ein gutes Stück Arbeit; denn auf dem Druckpapier läßt sich doch nicht bedeutend corrigiren; oder lege ich weiße Blätter ein?


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