Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Hülshoff den 11ten Mai 1843.

Vorgestern habe ich endlich Ihren Brief erhalten, mein liebstes Kind, der mich von großer Unruhe befreit hat. Schlüters hatten nämlich aus Ihrem Briefe an Stieve zu lesen geglaubt, Sie würden schon am ersten Mai abgehn; so wußte ich Sie nirgends zu finden, und es drängte mich doch um so mehr zum Schreiben, da ich meinen letzten Brief in die Löwengrube versunken glaubte, wo er, nach Verhältniß des mehr oder minder feindlichen Abschiedes, besten Falls sehr versäumt, schlimmsten erbrochen und mißbraucht werden konnte; wer gemein und neugierig genug ist, an der Thür zu lauschen, der kann sich auch eines nachzügelnden Schreibens bemächtigen. Sie sehn wohl schon aus meinen Federzügen, lieb Kind, daß ich wenigstens theilweise hergestellt bin; der Aufenthalt in Münster hat mir sehr wohl gethan, was ein halbes Wunder ist, unter den täglichen Erschütterungen, die ich am Sterbelager und Sarge des guten Täntchens mit Elisen theilte. Ich that mir über Macht Gewalt an und dachte, der hinkende Bote würde nachkommen; statt dessen hat diese Widersetzlichkeit gegen mein Nervenübel es gleichsam in Confusion gebracht, die so übel behandelten Anfälle sind es müde geworden, wieder zu kommen, und jetzt bin ich wohl noch schwach, schändlich reizbar, aber doch nicht eigentlich krank mehr. Freuts meinen Jungen nicht? Es ist mir ordentlich ein Fest, es ihm zu schreiben, da ich weiß, wie mir zu Muthe wäre, wenn ich ihn so elend wüßte. Lieber Levin, ich wollte, Sie hätten mein Krankenlager gesehn und jetzt meine rasche Genesung, um sich über Ihr eignes Befinden aller Apprehensionen zu entschlagen. Die Nerven sind schändliche Biester, zu denen Gott gesagt hat, wie zum Satan im Buche Hiob: »Plag ihn, schlag ihn, zehre ihm das Fleisch von den Gebeinen, aber über sein Leben sollst du keine Macht haben.« Drei Wochen freiwilligen Zwanges haben mich erlöst, Sie werden vierzehn Tage glücklicher Ungebundenheit am Rhein – der Main ist doch auch ein schöner Fluß? – kuriren. Jetzt bin ich seit acht Tagen hier; Rüschhaus habe ich noch nicht gesehn, weshalb ich Ihnen das bewußte Blatt nicht schicken kann, denke aber Sonntag hin. Unser armes Mariechen bessert sich etwas; ich habe ihr ein silberbeschlagenes Gebetbuch geschickt, wo sie sich halbtodt daran gefreut hat, das gute Ding.

Mein treuloser Abschreiber hat sich so lange in den Ferien verlustirt, daß ich ihn in Münster nur noch einen Tag habe packen können; um Pfingsten kömmt er aber auf 8–14 Tage nach Rüschhaus, und von da an bin ich jede Stunde bereit, meine Künste auf dem schlaffen Seile zu produziren. »Ei, was werden die Leute die Augen aufreißen, was der Schelmuffsky für ein brav Kerl ist!« Übrigens erwarte ich, ernstlich gesprochen, keinen so schlagenden Erfolg, wie Ihre Liebe Ihnen vorspiegelt; zuvörderst keinen schnellen, ich muß Zeit haben und mich, wie andre schlechte Poeten, mit der Nachwelt trösten. Ich wollte, wir könnten unsern Nachruhm wie einen Pfauenschweif hinter uns ausbreiten und beäugeln; aber da würde freilich Mancher einen traurigen Gänseschwanz zu sehn bekommen oder gar nichts.

Gleich nach Pfingsten gehn wir nach Abbenburg und im Herbste nach Meersburg; könnten wir uns nicht unter Weges irgendwo treffen? Mich verlangt sehr darnach. Schreiben Sie mir gleich, wie Ihnen die Gall gefallen hat; bin ich schon in Abbenburg, so wird mir der Brief doch unmittelbar nachgeschickt. Wir, Elise und ich, sind natürlich äußerst gespannt darauf, und unsre Wünsche und Gebete werden Sie an jenem Tage begleiten. – Gott gebe, daß die Gall ist, wie wir sie uns ausmalen, namentlich Elise: feurig ohne Exaltation, neben ihrem Geiste voll bon sens, und obwohl glänzend in Gesellschaft, doch ruhig und wohlthuend im häuslichen Leben. Lieb Kind, Dein Mütterchen hat carte blanche, zu sagen, was es will, nicht wahr? So bitte ich Dich, wie ich bitten kann, suche die Gall genau zu ergründen, ehe Dein Wort und Urtheil unwiederbringlich gefangen sind; es geht hier ums ganze Leben. Ich bin voll der besten Hoffnungen und so herzensfroh, daß Deine Neigung sich so ehrenvoll fixirt hat, und doch ist mir jetzt, wo die Entscheidung bevorsteht, so ängstlich und ernst zu Muthe, als sollte ich selbst heurathen. Sollte die Gall – ich hoffe es nicht, aber möglich war es, und Deine eignen Beschreibungen widersprechen dem wenigstens nicht – zu jenen Menschen gehören, denen das Bedürfniß steter Aufregung – ob sentimental oder leidenschaftlich, kömmt zu Einem aus – angeboren ist, so bedenk Dich zehnmal, eh Du Dich bindest. Du bist ein Westphale, deshalb ein geborner Philister, und das Bedürfniß nach heitrer Ruhe ist bei Dir auf die Dauer das allervorherrschendste. Du bist zart von Nerven, deshalb auch kurzen Aufregungen sehr zugänglich, aber bald überreizt; eine derartige Frau würde Dich im ersten Vierteljahre vielleicht bis zur Vergötterung exaltiren, im zweiten und dritten bedeutend ermüden, und endlich würdest Du lieber in die erste beste Pfahlbürgerkneipe gehn, um nur mal eine ruhige ordinaire Stunde zu verleben. Auch ihre Anforderungen an die Welt sind, bei Deiner vorläufig bescheidenen Lage, sehr zu prüfen; sie scheint mir glänzend erzogen und an einen bewundernden Kreis gewöhnt; dergleichen entwöhnt sich nicht leicht. Ihre Unlust an Hofbällen und der großen Welt will nichts beweisen; sehr lebhafte und dabei, wie Du selbst sagst, etwas eitle Personen, die an einen engern Cirkel, wo sie die erste Rolle spielen, gewöhnt sind, fühlen sich nie wohl, wo sie sich schmählich geniren und mit so vielen pari gehn müssen. Aber diese täglichen kleineren Cirkel im eignen Hause sind grade das Geldfressende, und ich weiß kaum, was kläglicher ist: in Schulden gerathen oder jeden Mittag Wassersuppe essen, um Abends die Leute mit Zuckerbrezeln bewirthen zu können. Mein gutes Herz, Du darfst mir nichts übel nehmen und begreifst die Angst Deines Mütterchens, wo ihr einziges liebes Kind auf dem Punkte steht, über seine ganze Zukunft zu entscheiden. Beobachte die Gall zwischen Menschen, und wie sie Dir da zuerst erscheint, ehe sie sich noch ausschließlich mit Dir beschäftiget; nachher ists zu spät. Völlig Verliebte oder gar Verlobte sind immer einsamer Natur und möchten nur in einer Hütte unter vier Augen leben; aber das hält nicht an, und die alte angeborne Natur kömmt über kurz oder lang immer wieder durch. Es sind noch zwei Umstände, die ich jetzt, wo Dein Geschick an einem Haare schwebt, nicht übergehn darf, magst Du meine Liebe darin nun erkennen oder verkennen. Die Gall ist protestantisch; das macht zwar mir wenigstens für ihre Person nichts aus; aber sie könnte fordern, daß ihre Kinder in gleicher Religion erzogen würden. Wärs möglich, Levin, daß Du in einem Augenblicke der Leidenschaft oder des Leichtsinns darauf eingingst? Ich weiß, Du bist kein orthodoxer Katholik, hast es aber doch oft gegen mich und Andre ausgesprochen, daß Du Deine angeborne Glaubensform bei Weitem für die bessere und der Moralität zuträglichere hältst. Darum bitte ich Dich, wie ich bitten kann, Levin, gieb kein solches öffentliches Zeichen einer Schwäche, die Dich in Deinen eignen und Andrer Augen herabsetzen müßte. Bedenk, was Du Alles für den Besitz eines Herzens aufgäbst: alle Deine hiesigen Lieben, die Du tödtlich betrüben und den freien Äußerungen ihrer Zuneigung fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg wälzen würdest. Mein liebes, liebes Kind, Du weißt, daß dieses keine Drohung sein soll, nur ein Auffrischen des Dir wohl Bekannten, ein Erinnern an Verhältnisse, die Du vielleicht halb vergessen hast, deren Resultate aber wenigstens Einer fast das Herz brechen würden. Nun zu dem andern Punkte. Lieber Levin, Du bist leichtsinnig, oder vielmehr, wenn Du etwas lebhaft wünschest, so machst Du Dir selbst was weiß und siehst, im umgekehrten Sprichwort, ein Kameel für eine Mücke an. Du bist Deiner beiden Eltern achtes Kind; ich will hiermit Deinem armen guten Vater nicht zu nahe treten, den ich vielleicht grade deshalb so lieb habe und begreife, weil ich an Dir sehe, wie man ihm in manchen Stücken ähnlich und doch großer Anhänglichkeit werth sein kann. Deshalb bitte ich, wie nur eine Mutter bitten kann, verlobe Dich, wann Du willst, heute – morgen – aber heurathe nicht ohne recht festen Grund unter den Füßen, nicht auf einige hundert Gulden, die bei sparsamer Wirthschaft allenfalls für Zweie ausreichen. Gott kann Dir elf Kinder geben wie meinem Bruder, und es ist nichts schrecklicher, wie Frau und Kinder darben zu sehn oder, in Schulden versunken, alle Tage erwarten, ausgepfändet zu werden; und hast Du einmal leichtsinnig angefangen, so mußt Du, wohl oder übel, allen bittern Ernst mit durchhalten. Aus Deine Schriftstellerei darfst Du nicht zuviel rechnen; jede Kränklichkeit kann Dich unfähig dazu machen, und grade Sorge und Niedergeschlagenheit würden diese Quelle gewiß sogleich verstopfen. Auch Dein eigentlicher Broderwerber, Dein Amt, muß sicher sein, von der Regierung oder sonst vermögenden Kräften garantirt; ich weiß nicht, ob die Augsburger Zeitung dies ist, aber jedenfalls würde ich, faute de mieux, hier zugreifen, wenn die Bedingungen irgend annehmlich wären; Du hast vorläufig für Dich und die nächste Zukunft zu sorgen, und diese ist jedenfalls eine Stelle, die Dich sehr an's Licht heben und eher wie jede andre den Weg zu einer wirklich genügenden Lage bahnen wird. Nun genug hiervon, liebstes Kind, ich habe offner zu Dir gesprochen als je und hätte es schon gern im vorigen Briefe gethan; aber da war ich noch äußerst matt, hatte mich an andern Dingen todtmüde geschrieben und nur noch eben die Kraft, Dir zu einer Verbindung, die mir im Ganzen, aufrichtig, überaus erwünscht ist, meinen Segen zu geben. Denn, lieb Kind, ich glaubte nicht an meine Genesung und dachte, dies wäre der letzte Brief, den Dir Dein Mütterchen schreiben könnte; jetzt bin ich aber wirklich fast hergestellt.

In Münster ist Alles beim Alten, Elise die meiste Zeit über ziemlich wohl, nur nach jeder Gemüthsbewegung sehr angegriffen, aber immer von Nanny und Louischen umgeben, die dergleichen zu verhüten suchen. Sie läßt Sie herzlich grüßen und ist äußerst gespannt auf Ihre Zusammenkunft mit der Gall. Diese indirecten Mittheilungen regen sie keineswegs auf, sondern erheitern und beruhigen sie, da die Sprache in Ihren Briefen an mich durchgängig heiter, ruhig und herzlich ist, und die jetzige Wendung Ihres Schicksals sie wahrhaft freut, um so mehr, da es ihr fast vorkömmt, als habe sie die Sache gemacht, da sie schon lange von den Schriften der Gall eingenommen war – »Die Maske« im Morgenblatt – und bei Ihrer ersten flüchtigen Erwähnung derselben sich gleich in den Kopf gesetzt hatte, diese müsse Ihre Frau werden und keine Andre. Kurz, lieber Levin, der Himmel hat es auch hier sehr gnädig mit Ihnen gemacht, verderben Sie nur selbst nichts!

Von der Bornstedt ist kürzlich ein ellenlanger Brief an die Lombard gekommen, der den Zweck erreicht hat, diese tiefbeleidigte Frau wieder vollkommen auf ihre Seite zu bringen, des Inhalts: »Sie habe Paris, wo es ihr anfangs so gefallen, und wo sie so sehr fetirt worden, aus Ekel über dessen Immoralität und Irreligiösität verlassen. Die Gräfin Bocarmé habe den Franzosen weiß gemacht, sie sei gegenwärtig die berühmteste deutsche Schriftstellerin, und diese, in ihrer grenzenlosen Unwissenheit und Unkenntniß des Auslandes, hätten es auch geglaubt. Sie habe Chateaubriand, Balzac und AndersonWahrscheinlich der dänische Dichter Hans Christian Andersen. kennen gelernt, von denen ihr aber nur der Letzte zugesagt; Balzac habe ihr Gedicht von den »Todtenschädeln im Schreine« am Schönsten gefunden, Chateaubriand das, wo die mit ihrem Kinde halberfrorne Frau darin vorkömmt. Dennoch sei es ihr bald öde und ekelhaft dort geworden, und sie sei bereits wieder in Luzern. Mit ihren Aussichten stehe es sehr schwankend, wenn es ihrem Nicolaus nicht gelinge, in der Schweiz – civil– angestellt zu werden oder in Rom unter der Garde des Papstes, so könne aus der Heurath nichts werden. Ersteres, in Luzern, wünsche sie schon gar nicht mehr; in Rom, das wäre freilich herrlich, und sie würde dann im Vatikan wohnen; doch ach, im Grunde gehe doch nichts über Deutschland und die alten Freunde &c.« Die Lombard schwört jetzt wieder nicht höher wie bei der Bornstedt, der Tugendhaften, Herrlichen, die alle Triumphe Sodomas von sich stößt, alle Lorbeerkränze aus unreinen Händen verschmäht, nennt sie die glücklichste Schweizerbraut, da ihr Nicolaus gewiß ein herrlicher Mensch sei &c. Ist diese Frau, die so gut wie wir Andern weiß, daß die Bornstedt noch vor Kurzem die Franzosen zu Engeln gemacht und uns armen Münsterschöpfe mit Hohn überschüttet hat, daß ihr Abzug aus Paris keineswegs freiwillig und höchst klatrig, und daß der liebe Nicolaus ein vollkommnes mauvais sujet ist, – ich sage, ist diese Frau wirklich so stupide oder nur bis zur Absurdität tugendhaft und bemüht, glühende Kohlen auf das Haupt ihrer Feindin zu sammeln? Wir Andern sehn in diesem Briefe leider nur ein Vorspiel zu der Tragödie: »Die Bornstedt zum zweiten Male in Münster«, und der Schrecken ist allgemein, doch nicht so groß wie früher; da per Klatscherei jetzt Jeder dahintergekommen ist, daß er sie mit gutem Gewissen negligiren darf, und sie es um jeden Einzelnen verdient hat, so sind die Leute jetzt im Klaren mit sich, und die Bornstedt wird von einer Mauer gefällter Speere erwartet. Ihres Bleibens wird nicht lange sein, doch wird sie gewiß noch Übels anrichten, wie und wo sie kann, und gleich der Pferdefuß durch ein unheilbares Loch in der Mauer abziehn. Meine einzige Hoffnung ist noch, daß sie mit Nicolaus nach Rom kömmt; er war ja schon mal Schweizergardist in Paris, und wenn seine ganze angesehne Sippschaft nachschiebt, könnte dies, mein' ich, noch am ersten glücken; Gott gebe es!

Schlüters, Junkmann, Carvacchi et Comp. Alles wohl, und so sehr im alten Gleise, daß ich auch nicht ein Wörtchen darüber zu sagen wüßte. Die Mertens war allerdings vier Wochen lang in Münster; hören Sie die Veranlassung, und Sie haben ihren Charakter von der besten und schlimmsten Seite. Ich hatte ihr in Bonn griechische Münzen versprochen, die ich nicht alle für ächt halte, aber doch einige darunter, hatte sie ihr auch geschickt und den dankbarsten Brief erhalten, worin sie zugleich mein Urteil über Ächtheit und Nichtächtheit bestätigte. Hierauf verhinderte mich meine Krankheit, zu antworten, und nun erhielt ich den allerimpertinentesten Brief; sie schickte mir die Münzen zurück: »sie seien alle unächt und nichts werth, würden auch, wenn sie ächt wären, von so großer Seltenheit sein, daß sie dann kein Sammler, selbst als Doubletten, verschenkt hätte.« In diesem Tone gings fort, schließlich: »da ich ihr, wie es scheine, sonst nicht mehr zu schreiben denke, bitte sie sich wenigstens der Ordnung halber einen Empfangschein über die Münzen aus.« Ich ärgerte mich so schmählich, daß ich Fieber bekam wie ein Pferd, und antwortete ihr, so krank ich war, mit ein paar Zeilen, wie elend ich sei, daß ich deshalb nicht geschrieben &c. Am fünften Tage war sie in Rüschhaus, in Thränen zerfließend, mit Geschenken bepackt, hatte sich gleich nach Empfang meines Briefs aufs Dampfboot gesetzt, Tag und Nacht durchgefahren, noch keine Stunde geschlafen; bei Nölken hatte sie Quartier bestellt und fuhr von dort jeden Tag zu mir heraus, mit dem besten Willen, wenn auch nicht sonderlichem Geschick, mich zu pflegen. Sie ist eine sonderbare Frau; es sind grandiose Elemente in ihr, aber wunderlich durcheinander gewürfelt und mit Widersprechendem versetzt; sie erläutert mehr als sonst Jemand, wie sich die Extreme berühren. Sie hat mich dringend nach Bonn eingeladen und erwartet mich jetzt wohl stündlich; es ist aber nicht daran zu denken, ich bin noch zu sehr an ein Regime gebunden und muß auch gleich nach Pfingsten nach Abbenburg.

Lieber Levin, mein Onkel August hat mir ein Blatt für Sie geschickt, die Antwort auf ein früheres Zuschreiben; es ist sehr freundlich, enthält aber nichts als Entschuldigungen, daß und weshalb er Ihnen nichts über Westphalen schicken könne. Es ist schon steinalt und von so wenigem Interesse, daß ich anstehe, es Ihnen zu senden; wollen Sie es noch? Dann schicke ich es nach St. Goar, wo es wenigstens nicht so viel weggeworfenes Porto kostet. – Ich habe Ihnen noch nicht für die sehr gute, mir bisher unbekannte Münze gedankt, und doch, liebes Kind, hat mich dieses Zeichen Deiner Anhänglichkeit tief gerührt; Du bist und bleibst mein guter kleiner Junge, daran können Jahre Gottlob nichts ändern. – Ihren Aufsatz in der Augsburger habe ich mir gleich verschafft, finde ihn sehr gut geschrieben und erwarte nun mit größter Spannung den Roman und die Novelle. Frisch zu, mein Falk, Deine Schwingen tragen gut, und Dein Mütterchen macht sich vor Hochmuth drüber so breit wie ein Truthahn; das Leben, was man in Andern lebt, ist doch das liebste und lohnendste! – Sie werden im Cölner Feuilleton wahrscheinlich einen poetischen Nachruf an Tantchen von mir finden; sie selbst hatte vor ihrem Tode noch so naiv geäußert, daß sie dergleichen erwarte, weshalb Elise an der Erfüllung dieses fast letzten Wunsches hing; er ist sehr einfach, aber das Tantchen war auch einfach, ihr Lorbeer höchstens ein Blatt, und kaum von ihrem Sterbebette kommend, tief ergriffen, war es mir auch nicht möglich, mich in schönen Phrasen zu ergehn.

Lieber Levin, Sie schreiben mir nichts von dem Schicksale des Aufsatzes über Westphalen; ist er in ein Journal gekommen? Gott gebe, nein! Jedenfalls aber muß ich nun die Wahrheit wissen. Und nun Adieu; ich bin noch schwach und habe es mir mit diesem Briefe recht sauer werden lassen; möge er mein lieb Kind froh und gesund antreffen. Grüße kann ich ihm, außer Elisens, keine neueren schicken, denn nach Hülshoff kommen die Bekannten nicht, aber alte eingepökelte genug, von Junkmann, Lutterbeck und vor Allem sämmtlichen Schlüters, die mir so zahllose Freundlichkeiten für Sie gesagt haben, daß ich Eins über das Andre vergessen. Nur Eins weiß ich noch: Schlüter läßt Ihnen sagen, wie hoch er Sie deshalb schätze, daß Sie ihrem reinen moralischen Gefühle eine sonst vorteilhafte Stelle so unbedenklich aufopferten. Und nun, lieb Kind, antworte mir bald, Dein Mütterchen weiß nichts Lieberes wie Deine Briefe. Gott segne Dich.

NB. Duzen Sie mich nicht in den Antworten, es nöthigt mir eine Vorsicht mit den Briefen auf, die sonst mitunter ganz unnöthig wäre; Du oder Sie, ich weiß doch, daß ich Dir immer gleich nahe stehe, lieb Kind. Am Montag gehe ich nach Rüschhaus zurück.


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