Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Darmstadt,Diesen Brief, den Annette Fr. v. Hohenhausen damals zur Einsichtnahme übergeben hatte, veröffentlichte diese im Hannoverschen Courier vom 10. September 1884. Vermutlich wurde er am 3. oder 4. Juni 1843 begonnen.
Zimmer Nr. 21 in der Traube.

Seit vier Tagen bin ich hier – und eines jener verwunderlichen Geschöpfe, welche man »Bräutigam« nennt! Mein Mütterchen, mein herziges, gutes, liebes, mein ewiges Mütterchen, was sagst Du dazu? Ich will Dir Alles der Reihe nach erzählen!

Als ich meinen vorigen Brief auf die Post brachte, fand ich den Ihrigen und sah daraus zu meinem Schrecken, wie schlecht es Ihnen erging. O Gott, mein Mütterchen, wär' ich doch bei Dir, um den Arzt zu machen, ich meine, ich verstände es zu leisten, daß Du gesund bliebest – wenn wir zusammen spazieren liefen und ich Dir die kalten Pasteten aufessen hülfe, wie in Meersburg, bloß aus der sorgfältigen Rücksicht, daß mein Mütterchen sich nicht den Magen verderbe! Gott Dank, daß es nun vorüber ist. Nur über Eins muß ich mit Ihnen zanken, weshalb gehen Sie nicht, wie andere angegriffene Leute, in ein Bad? Ich muß auch in eins, können wir nicht zusammen hin?

Mit Ihrem Briefe marschirte ich ins Gebirge und war drei Tage in Berchtesgaden, wo ich zum Zeichen, daß ich stets an Sie denke, eine Schachtel voll prachtvoller Mineralien für Sie einkaufte; ich habe noch zwei Kistchen voll für Sie, die aber noch in Mondsee stehen und mir erst im Herbst von dort nachgesendet werden.

Am 20sten ging ich mit meinen beiden Jungens nach Ischl, Gmunden am Traunsee und über den Abersee zurück. Von diesen Naturherrlichkeiten, die mir den Geschmack an allen anderen verdorben haben, sage ich diesmal nichts, denn sie sind über alle Beschreibung erhaben. Der Bodensee imponirt mir nur noch durch seine Größe.

Da mir der Fürst schrieb, daß mein Nachfolger, Herr Löbker, demnächst eintreffen würde, ließ ich mich nicht mehr halten. Am 23sten bin ich abgereist, war anderen Tags in München, zwei Stunden später in Augsburg, wo ich die näheren Verhältnisse der Allgemeinen Zeitung kennen lernte. Der Redacteur en chef ist ein höchst liebenswürdiger Mann. Meine Stellung an der Zeitung würde mir anfangs aber alle Muße nehmen und mich ganz in eine mir noch fremde politische Laufbahn ziehen. Um zu sehen, ob ich's aushalten kann, gehe ich nun wahrscheinlich auf einige Monate nach Augsburg.

In Stuttgart kam ich am 25sten an und besuchte Herrn von Cotta; er war nicht anwesend, schickte mir aber gleich nachher eine Einladung für den anderen Tag zum Diner, zu dem er auch Menzel, Hauff und einige andere Leute geladen. . . . . . Ich bin gut mit ihm ausgekommen, er hat mir auch ein Exemplar von einem neuen Gedicht Zedlitzens, »Das Waldfräulein«, geschenkt, er war außerordentlich aimable gegen mich.

Hauff behauptete, Ihre »Judenbuche« hätte ich geschrieben – der Pinsel!

(Am zweiten Pfingsttage 1843 fortgesetzt.)

Seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen so fahrig und hastig schreibe, – meine Hand hat das Schreiben verlernt, mein Kopf das Denken. Stellen Sie sich aber auch diesen Contrast vor; in Mondsee lebte ich völlig wie ein Gefangener, der Niemanden sieht und immer allein in seiner Zelle sitzt – und nun seit vierzehn Tagen diese ewige Aufregung durch hunderterlei Menschen und Dinge, dies Besuchen, Sprechen, Abäschern: so lange ich hier bin, werde ich täglich zu einem andern Diner gebeten und gehe in Darmstadt herum wie ein armer Student, der in sieben Häusern die Kost hat!

Daß ich Eins nicht vergesse; ich finde, daß Sie unterdeß rasend berühmt geworden sind! Alles spricht von Ihnen, Menschen sogar, von denen man gar nicht glauben sollte, daß sie für Litteratur sich interessirten. Und nun lassen Sie Ihre Gedichte wieder sorglos in Abbenburg liegen, wie Schade ist das!

Ich fahre in den Stuttgarter Erlebnissen fort; ich besuchte noch am Abend meiner Ankunft Dingelstedt, ein Mensch, so liebenswürdig, wie es ein etwas blasirter, eitler Mensch sein kann. Entsetzlich lang, nervenschwach von allerlei Abenteuern in Europas Hauptstädten und von den bitteren Angriffen der Journale, ist er recht geistreich, Vorleser des Königs mit 1500 Gulden jährlich. Er führte mich zur Frau Obristin von Suckow, Emma von Niendorf, wo auch seine Freundin, Stiftsfräulein von Seckendorf, war; die Freundschaft ist von ihrer Seite sehr rosenroth. Er aber gibt vor, in die reiche Sängerin Jenny Lutzer verliebt zu sein.

Mit Emma Niendorf, einer jungen, sehr hübschen und liebenswürdigen Frau, bin ich in dicke Freundschaft gerathen, ich darf kaum erzählen, wie sehr! Sie hat mir ihr Bild und ihr neuestes Buch geschenkt, und wir haben uns zwei Abende im Theater lauter Gespenstergeschichten erzählt. Wir versprachen uns auch, dieselben zu bearbeiten und drucken zu lassen, wozu ich aber schon wieder die Lust verloren habe. Brentano nannte dieses kindlich harmlose Wesen einst eine Anmuthstrampel! Sie führte mich auch an einem Abend zu Reinbeck's, wo Lenau wohnt. Letzterer besuchte mich am andern Tage und blieb mehrere Stunden bei mir. Seine Freundschaft ist mir außerordentlich erfreulich gewesen, denn er ist der erste eigentlich tiefe, gedankenunergründliche Mensch, den ich nach Ihnen und Freund Junkmann kennen lernte. Freilich ist Letzterer mehr einem stillen Gebirgssee zu vergleichen, während Lenau einen Vulkan in sich birgt.

Nachdem ich drei Tage lang in Stuttgart Cotta den Brodherrn cultivirt hatte, reiste ich am 29sten ab und stand am 30sten um sechs Uhr Abends vor meiner Dame, deren nähere Bekanntschaft Sie mit Folgendem machen sollen, denn ich gehe jetzt zu ihr, um diesen Brief bei ihr zu vollenden. Werden Sie nicht bange, wenn Sie hier plötzlich eine andere Handschrift erblicken, ich lasse mein Hühnchen weiter schreiben.

 

Ich muß Ihnen gestehen, mein liebes Fräulein, daß mir das Herz gewaltig klopft, indem ich Levin die Feder aus der Hand nehme, um mich Ihnen persönlich vorzustellen. Meine Scheu vor Ihnen ist durch seine Schilderung von Ihnen entstanden, ich wage kaum, um ein geringes Theilchen jener Liebe Sie zu bitten, wodurch Sie meinen Freund so glücklich und so stolz gemacht haben. Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich mir Ihre Theilnahme und Ihren Rath erringen könnte. Sie kennen meinen Levin so gut und sind ihm eine so treuliebende Freundin, daß Sie gewiß die bangen Zweifel beseitigen würden, die mich oft bestürmen, ob ich sein Herz auch für immer zu fesseln vermag. Ich würde Ihnen eine aufmerksame und gelehrige Schülerin sein, denn mein Wille ist gewiß sehr gut. Doch wage ich nicht, Sie länger zu belästigen, liebes, theures Fräulein, leben Sie recht wohl.

Ihre ergebene Louise.

 

Mein Hühnchen kann aus Angst nicht weiterschreiben, ich muß also fortfahren, sie setzt sich unterdessen an den Flügel und spielt mir etwas vor. Denken Sie sie sich aber nicht als ein schüchterns Backfischchen, sie ist schon siebenundzwanzig Jahre alt. Was für ein Staatsmädel sie aber ist, davon haben Sie aber gar keinen Begriff, aber auch gar keinen Begriff. Unser erstes Sehen war indessen doch im höchsten Grade peinlich. . . . Für mich, glaube ich, weniger, obwohl ich nicht recht wußte, wo mir der Kopf stand. Nach ein paar Stunden war ich aber rein weg, durchaus verschossen in mein Hühnchen, das nebenbei auch meine Königin ist – und das ist heilsam, denn Sie wissen, ich habe Anlage zum Tyrannen, es ist gut, wenn man mir zu imponiren versteht.

Aber im Ernst, meine Louise ist eine ganz außerordentliche Erscheinung, sie ist etwas größer als ich, stark und doch sehr schlank, höchst lebhaft und überhaupt zum Glänzen geboren. Sie zeichnet sehr hübsch, schreibt, wie Sie bereits gedruckt gelesen haben, und singt, – ja außer Ihnen habe ich noch Niemand so singen hören, ganz wundervoll, und bei alledem ist sie so gut, so kindlich, so lieb, so mein treues, süßes Lieb, daß ich's gar nicht begreife – in einigen Dingen habe ich doch rasendes Glück – wie ich in dieser Brust, die früher nie geliebt, mit dem Mosesstab die Quelle eines Gefühls habe sprudeln machen können, das mich so unmaßen glücklich macht. Glauben Sie nicht, ich sei exaltirt: Sie wissen, das kann ich eigentlich gar nicht werden, ich weiß mit dem kältesten kritischen Bewußtsein, daß Niemand wie Louise zu mir paßt, – da diese Mischung von äußerem Glanz der Erscheinung und tiefem dichterischen Gefühl, vereint mit vernünftigem, ruhigem Wesen, was mir Hauptsache ist, immerdar mein Ideal sein wird. Louise ist an Glänzen gewöhnt, aber sie dürstet nicht darnach, sie ist fern von jener lächerlichen Unersättlichkeit nach Eitelkeitstriumphen, welche leider jetzt so oft vorkommt. Louisens ganzer Charakter ist in großen, noblen, einfachen Zügen gezeichnet, sie ist mehr Statue als Oelbild, mehr classisch als romantisch.

In der Familie bin ich sehr freundlich aufgenommen; ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon schrieb, daß Louisens Vater großherzoglich hessischer General war, daß er todt ist, ebenso wie ihre Mutter, und daß sie bei einem Onkel, dem Landjägermeister von Gall, wohnt. Ich bin nun zwar in der Familie erklärter Bräutigam, der alte Onkel hat uns höchst rührend seinen Segen gegeben und sich naiverweise dahin geäußert, daß er unter einem Schriftsteller sich einen weit weniger soliden und manierlichen Patron gedacht hätte, – aber eigentlich bekannt gemacht wurde die Verlobung nicht, nur dem preußischen Gesandten bin ich officiell als Bräutigam vorgestellt. Ich verkehre hier mit lauter intelligenten Leuten, mit Felsing, Buchners, Jaups, mit Frau von Plönnies u. A. Auch Freiligrath ist mit seiner Frau hier zum Besuche. . . .

Nun leb wohl, mein liebes Mütterchen, wenn die Leute nach mir fragen, erzähle ihnen, daß ich verlobt sei, aber sage nicht mit einer Schriftstellerin, das würde eine verkehrte Idee von meiner Louise geben. Ach, hätte ich doch meiner theuren verstorbenen Mutter meine Braut und meinen ersten Roman zeigen können! Nicht wahr, Du weißt, wie viel Freude ihr das gemacht haben würde!

Ihr treuergebener
Levin.


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