Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking
Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
Annette von Droste-Hülshoff, Levin Schücking

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Meersburg den 25sten Mai 1842.

Soeben habe ich Deinen guten, lieben Brief erhalten, mein altes Herz, und antworte auf der Stelle, obwohl ich Dir einige Tage später den Aufsatz fürs Deutschland hätte mitschicken können, der fast beendigt ist. Aber es geht hier jetzt so bunt zu, fast kein Tag ohne Besuch ( NB. zumeist Damen), wo meine Unterhaltung das Beste thun muß, da Jenny den ganzen Tag in der Erde kratzt, – daß man beim Aufstehen Morgens nie weiß, ob man nach der Dampfbootstunde noch zu einer einzigen Zeile kömmt, und es ist mir jetzt um Deinen klugen Rathschlag noch vor meiner Abreise zu thun. Der Buchhändlerbrief ist nämlich angekommen und war wirklich ein solcher, von der Compagnie Velhagen & Klasing, und bereits vom 5ten April datirt. Da er kurz ist, schreibe ich ihn ab, damit Du den Grad ihres guten Willens, in litterarischer und pecuniairer Hinsicht, selbst abmessen kannst. »Ew. Hochwohlg. vor einigen Jahren erschienene Gedichtsammlung erregte schon damals unsre höchste Aufmerksamkeit, und zwar nicht bloß als Product eines vaterländischen, sondern überhaupt sehr bedeutenden dichterischen Talentes; die Absicht, welche beim Lesen des Bändchens in uns aufstieg, der Verfasserin die Gefühle der Freude und des Danks für so viel Genuß auszusprechen, kam im Drange der Geschäfte nicht zur Ausführung, wurde aber jetzt beim Lesen Ihres Gedichts an die Weltverbesserer, welches im Morgenblatt so wie in der Cölnischen Zeitung stand, wieder angeregt. Sollten Sie, hochgeehrteste Dame, für fernere litterarische Productionen unsere Dienste als Verleger annehmen wollen, so würden wir uns dadurch geehrt fühlen. Vielleicht darf dieses Anerbieten mit einigem Rechte den Charakter der Uneigennützigkeit ansprechen, da Gedichtsammlungen wohl nur in den seltensten Fällen zu den gewinntragenden buchhändlerischen Unternehmen gezählt werden können. Hier mindestens ist das Motiv persönlicher Genugthuung dasjenige, welches uns geleitet hat. Genehmigen Sie, hochgeehrteste Dame, die Versicherung ausgezeichneter Hochachtung, mit der wir verharren Ew. Hochw. gehorsamste Velhagen & Klasing.« Was sagst Du dazu? Fürs Erste: Ist die Buchhandlung reell und von gehöriger Ausbreitung? Viel zahlen scheint sie nicht zu wollen, am Liebsten gar nichts. Und wie stehts eigentlich mit dem Cotta? Du mußt nach dem Gespräche mit ihm und Hauff dieses so ziemlich wissen oder mindestens ahnden, nämlich ob ihm meine bereits eingesandten Gedichte, nebst denen aus dem »Malerischen und romantischen«, »Cölner Dom«, »Musenalmanach«, – so gut gefallen haben, daß er, wenn das Ganze ihnen entspricht, wohl zur Annahme geneigt wäre, oder ob er umgekehrt hierauf noch nichts giebt und ganz andere Zeichen und Wunder erwartet, in welchem Falle man die Sache für abgemacht ansehn müßte, da Du selbst jene Gedichte ja als die besseren ausgelesen hast und ich auch wohl nie eine schönere Ballade machen werde als den Grafen von Thal, den Erzbischof Engelbert von Köln, den Geierpfiff und das Second Sight. Schreib mir doch, ich bitte, ganz offen hierüber; du weißt, dieses ist nicht meine Achillesferse.

Grade als ich den Bielefelder Brief bekommen, ließ sich ein Landsmann bei mir melden. Ich flog wie ein Pfeil hinüber und stand vor einem wildfremden Menschen, den ich um seinen Namen fragen mußte, zu seiner größten Verlegenheit, da er mir glaubte eine Karte geschickt zu haben, die aber Laßberg gebracht worden war. »Er sei Bernhard Meyer«, – nun wußte ich so viel wie zuvor, und er mußte mir wieder selbst erzählen, »daß er ein Litterat sei, Dichter, Recensent, Mitarbeiter an verschiedenen Blättern, und geglaubt habe, mir durchreisend seine Aufwartung machen zu müssen.« Was ist denn an dem Menschen? Hat er denn wirklich mit seinen zweiundzwanzig Jahren schon einen Ruf und ist im Stande, reife Schriftsteller zu beurtheilen? Dich hatte er auch flüchtig gesehn, bei einem münsterischen Pseudogenie, was unter dem Namen Achat schreibe, meine ich, oder gar beim Fraling, ich weiß selbst nicht mehr. Er schien mir unmäßig eitel, taktlos, auch habe ich ihn im Verdacht der Prahlerei; aber offen war er übrigens, und ein Gedicht auf Napoleon, was er uns vordeclamirte, wirklich hübsch, sofern man etwas durch einen begeisterten Vortrag Gehobenes richtig beurtheilen kann. Er kam aus Zürich, wo er sich sechs Monate aufgehalten, und ging nach Stuttgart, wo er vom Cotta die eben vacante Redaction eines Blattes zu erhalten hofft. Er schien des Erfolgs, falls die Stelle nicht grade jetzt vergeben, und jedenfalls einer Beschäftigung durch Cotta ziemlich gewiß zu sein, wie er überhaupt wie einer sprach, der durch seine bisherigen Erfolge über seine künftige pecuniaire Stellung völlig beruhigt ist. Am Telegraphen war er auch beschäftigt und machte sein nahes, wie er sagte vertrautes Verhältniß zu Gutzkow auf eine Weise geltend, die mich glauben machte, es sei sein einziges. Kurz, er ließ alle seine Künste vor mir spielen, vernachlässigte aber Laßberg dermaßen, daß dieser höchst pikirt sich in seine Fensterecke zum Schreiben krümelte, und ich nöthig fand, ihn – den Meyer – auf den »Herausgeber des Liedersaals« aufmerksam zu machen, wo er dann etwas höflicher und in Folge dessen zu Tisch geladen wurde. Er will nächstens eine Tragödie herausgeben, Julius Caesar, rein antirepublikanischer Tendenz, wo er den Brutus am Ende seine Irrthümer einsehen und die Portia bewundernd vor dem Caesar niederknieen läßt. Ich habe ihm gradezu gesagt, wie wenig Erfolg ich dieser crassen Neuerung prophezeie, und vermuthe, dieses wird mir noch mal eine schlechte Recension eintragen. Schon früher hatte ich ihm, da er mich um meine gegenwärtigen Arbeiten fragte, von meinen Unterhandlungen mit Cotta, so wie von dem Bielefelder Brief gesagt; von Velhagen und Klasing rieth er mir ohne Weiteres ab, nannte sie eine untergeordnete Firma, die sich fast nur mit Übersetzungen befasse und noch kein einziges bedeutendes Originalwerk gegeben habe; vom Cotta dagegen sprach er eben so windbeutelig in Beziehung auf mich wie auf sich selbst, nämlich, daß es mir gar nicht fehlen könne, daß Cotta sich glücklich schätzen müsse &c. Ich erwarte von Dir nun die eigentliche Wahrheit.

Gottlob, daß ich die litterarische Prosa dieses Briefes hinter mir habe und von etwas Anderem reden kann. Also krank bist Du gewesen, mein armes gutes Herz, und so verlassen und gelangweilt dazu! Es ist jetzt vorüber, aber ich werde die Angst, daß Du wieder krank werden könntest, nicht los werden, besonders wenn ich noch zweihundert Stunden weiter fort bin. Gott, was ist das Getrenntsein doch für eine harte Sache! Wäre ich dagewesen, Niemand hätte mich von Deinem Bette fortgebracht, und Dir wäre auch wohler gewesen, wenn Du Dein Mütterchen gesehen hättest. O ich kann wohl Kranke pflegen und bin dann gar nicht hülflos, sondern, ich darf es wohl sagen, recht entschlossen und ausdauernd, wie überhaupt in allen Fällen, wo es Noth thut; Du hast mich nur noch in keinem solchen gesehn. Und Deine schöne Wiener Reise ist Dir mit der Gelegenheit auch so lumpig verhunzt worden! Jenny und Laßberg, bei denen Du Dich durch Deinen schönen langen Brief wieder ganz weiß gewaschen hast, sind auch ganz betrübt darüber und trösten sich nur damit, daß Du die Tour wohl bald mal wieder unter besseren Umständen machen würdest. Beide haben Dich herzlich lieb, und Laßberg ergreift jede Gelegenheit von Dir zu sprechen, wäre es auch nur, um mich auf eine harmlose Weise ein wenig mit meinem »Seelenfreunde« zu necken.

Von meiner Abreise habe ich weiter nichts gehört, da die Wintgens gegenwärtig in Frankreich sind, zweifle aber nicht, daß sie, bei ihrer großen Pünktlichkeit, am festgesetzten Tage – den 15ten Juni –– wirklich wie Steine vom Himmel fallen und mich mit sich fortkollern werden. Dann bin ich wieder in Rüschhaus, und für die jetzigen Erinnerungen treten die alten ein, wo Du mein Schulte warst; – denkst Du noch an mein Kanapee mit den Harfen, – meine Bank unter den Eichen? von der ich so schwer Abschied genommen habe, als ob es mich geahndet hätte, daß ich Dir dort nie wieder mit meinem Fernrohr auflauern würde, wenn Du durch den Schlagbaum trabtest, Deinen Rock auf dem Stocke. Das Vergehen und nie so Wiederkommen ist etwas Schreckliches! Wenn Du wieder nach Rüschhaus kömmst, bin ich ein altes Madämchen, und auch Dir sind derweil hundert Dinge durch den Kopf gegangen, und meine dicke Milch und zusammen gespartes Obst werden Dir nicht halb so gut mehr schmecken..

Weißt Du schon, daß mein Onkel Werner HaxthausenGraf Werner v. Haxthausen, geb. 1780, studierte in Münster und Prag die Rechte, in Göttingen und Halle orientalische Sprachen und Medizin. Er gehörte zu den Stiftern des Tugendbundes, mußte von Kassel über Schweden nach London flüchten, kehrte 1812 zurück, um an den Freiheitskriegen teilzunehmen, wurde Offizier und zuletzt Generaladjutant Wallmodens. Auf dem Wiener Kongresse verkehrte er mit Stein, dem Grafen Münster, Arndt und verlegte sich auf die Sammlung neugriechischer Volkslieder, der auch Goethe seine Teilnahme zuwandte. 1815 kam er als preußischer Regierungsrat nach Köln. Nach seinem Austritt aus dem Staatsdienste gab er sein Buch: »Über die Grundlagen unsrer Verfassung« heraus. Er starb 1842 auf seinem Gute Neuhaus in Franken. gestorben ist? Am Schlagflusse; Mama wußte in ihrem letzten Briefe noch nichts davon, obwohl sie es der Zeit nach längst hätte wissen können, sondern schrieb nur: »Sie erwarte täglich ihre Schwester Zuidtwig, die plötzlich den charmanten Einfall bekommen, sie zu besuchen.« Ohne Zweifel ist diese abgesandt, ihr die Nachricht beizubringen, und ich bin recht unruhig. bis ich einen Brief von Hause habe. Mama ist apprehensiv, namentlich vor dem Schlage, an dem nun schon binnen einem Jahre der zweite ihrer Brüder stirbt; zudem hatte sie Wernern sehr lieb. Mir hat dieser Tod einen mehr ernsten als traurigen Eindruck gemacht. Werner hatte sich gänzlich überlebt und schlich umher als eine klägliche Ruine glänzender Fähigkeiten und zahlloser im Keime verdorrter Entwürfe. Gott, wenn ich bedenke, was der Mann Alles vorgehabt, und dagegen halte, was er wirklich geleistet und erstrebt hat! Vanitas vanitatum! Und doch hat er sich geplagt und intriguirt, wie er schon kaum mehr auf den Füßen stehn konnte, und gewiß sind ein Dutzend solcher unreifen Embryone mit ihm zu Grabe gegangen. Vom August HaxthausenFrh. August v. Haxthausen, Bruder des Vorhergehenden, gleich ihm ein genialer, hochbegabter Mann, der »insbesondre sich einen rühmlichen Namen durch seine Forschungen und Studien über älteste Agrarverfassungen, über Rußland und über die Länder jenseits des Kaukasus machte.« Schücking, Einleitung zu den Ges. Schriften v. A. v. Dr.-H. erzählte Reinhard Brenken grandiose Dinge, »wie gnädig er in Berlin vom Könige aufgenommen sei,« und sprach von ich weiß nicht mehr was, Präsidentur, Gesandtschaft oder gar Eintritt ins Ministerium; kurz, es lautete fabelhaft, und da Mama keine Silbe davon schreibt, habe ich es auch ohne Weiteres ins Reich der fabelhaften Metamorphosen verwiesen.

Den Tod der ThielmannWilhelmine Thielmann, geb. 1772, Witwe des aus den Freiheitskriegen rühmlich bekannten Generals v. Thielmann. Aus Freiberg in Sachsen stammend, war sie der Hardenbergschen Familie befreundet, ihre Schwester Julie v. Charpentier war die Braut von Novalis gewesen. Sie starb 1842 zu Godesberg am Rhein. wußte ich schon; requiescat in pace! Sie war mal sehr liebenswürdig und beinahe glücklich, seit Jahren aber keines von beiden mehr, da eine periodische Geistesverwirrung, die alle 7–8 Jahre auf einige Wochen eintrat und früher nur ein gesteigertes inneres Leben, einen höchst anziehenden Phantasie- und Gemüthsreichthum hinterließ, nach dem letzten Anfalle (vor 3–4 Jahren) ihr einen fortwährenden Zustand von Confusion und Grillenhaftigkeit zu Wege gebracht hatte, so daß sie sich selbst und Andern zur Last war und mein letztes Zusammentreffen mit ihr auf unsrer Herreise mir einen traurigen und unheimlichen Eindruck hinterlassen hat. Uebrigens hat sie unendlich viel erlebt, ihren Mann als Unterlieutenant gegen den Willen ihrer Verwandten geheurathet, ihr erstes Kind in einer elenden Hütte auf Stroh geboren, und ist eine sehr glückliche arme und sehr unglückliche reiche Frau gewesen. Ihre Erfahrungen, sowohl was Lebens- und Zeitverhältnisse als Beziehungen zu bedeutenden Menschen betrifft, waren höchst merkwürdig und ausgebreitet; sie hat mir früher Vieles davon mitgetheilt, was ich aber nie benutzen möchte, nicht weil es Geheimnisse wären, sondern weil es mir wie eine Grausamkeit vorkömmt, Poesie aus dem Unglücke seiner Freunde zu pressen. Requiescat! Ihr ist wohler unter der Erde als darüber.

Den 26sten (Fronleichnamstag). Ich schreibe Dir unter Kanonendonner, unter Pauken- und Trompetenschall. Die Bürgermiliz hat sich vor der Pfarrkirche aufgepflanzt und läßt ihr Geschütz, wirklich ordentliche Kanonen, seit vier Uhr Morgens, sechs Messen lang, so unbarmherzig zu Gottes Ehre knallen, daß fast in jedem Hause ein Kind schreit; und wir auf dieser Seite haben alle Fenster aufsperren müssen, damit sie nicht springen. In den Schwaben ist doch mehr Lust und Leben wie in unsern guten Pumpernickeln! Stiele hat sich in eine Uniform gezwängt, die aus allen Nähten bersten möchte, und maltraitirt die große Trommel mordmäßig. Als ich aus der Kirche kam, salutirte er höchst militairisch und sagte dabei höchst bürgerlich: »Guten Morgen, gnädiges Fräulein!« Da höre ich soeben die Prozession kommen. – Sie ist vorüber gegangen, meine gute Jenny mitten drin, zwischen lauter alten Frauen, unter denen sie, mit ihren zwei schneeweißen Kinderchen an der Hand, ordentlich wie ein frommes anmuthiges Madönnchen aussah; sie kann mich oft recht rühren, besonders wenn ich denke, wie bald sie Wittwe sein wird. Stell Dir vor, Laßberg machte sich, wie ich von den Strengs erfahren, bedeutend jünger als er ist; sein Bruder Alexander, der zwei Jahr jünger war und schon vor drei Jahren starb, hat, wie auf den Todtenzetteln stand, das Alter von zweiundsiebzig Jahren erreicht; also muß Laßberg nahe an achtzig sein. Ich kann ihn, seit ich dieses weiß, nie ohne Sorge ansehn, und seine Eigenheiten scheinen mir verzeihlicher sowie seine innere Frische viel bewundernswerter als zuvor, und ich fühle, daß ich von einem so steinalten Manne viel zu viel verlangt habe. Um so mehr leid ist es mir, daß Carl Laßberg jetzt plötzlich nach Böhmen versetzt ist, und ich begreife Laßbergs große Verstimmung bei dieser Nachricht, da er jetzt den Sohn wohl schwerlich in seinem Leben wiedersehn wird; auch ich denke jetzt: einmal in Meersburg, zum ersten und letzten Male. Die Kessels werden wahrscheinlich fortziehn, da seit der Eleven-Entlassung um Pfingsten ihr junges Personale auf zwei oder drei zusammen geschrumpft ist, und nach ein paar Jahren würde ich hier wahrscheinlich keinen Menschen mehr finden, der mir nur einen Stuhl böte; der gute Herr Hufschmidt möchte denn noch am Leben sein und mir »ä Täßle Kaffee« präsentiren. Das ist auch Vanitas vanitatum! Was dann aus Jenny und den Kindern werden wird, muß ich mit Geduld und geringer Hoffnung abwarten, da es leider nur zu gewiß ist, daß Laßberg sein Vermögen nicht angelegt hat; und mit Lasaregg ist es auch nichts, die Besitzer dürfen bürgerlich sein, und so tritt der Sohn der Erblasserin ohne Hinderniß ein. Viele meinen, Laßberg hätte früher große Summen eingepökelt, und es würden sich ganze Tonnen voll Geld finden. Gott gebe es! aber ich glaube nicht daran, obwohl man aus seinem oft ausgesprochenen Wunsche, daß Jenny nach seinem Tode die Meersburg behalten möge, schließen sollte, daß er auch ohne dieses ihre Zukunft gesichert wüßte. Aber wer so leichtsinnig Geld vertrödelt wie er, pflegt sich überall mit der Rechenkunst nicht viel abzugeben.

Neues giebt es hier sonst nicht. Unser Liebhabertheater hat um Ostern seine letzte Darstellung, den Till Eulenspiegel, gegeben, wo Herr Grimm zum letzten Male als Till alle Herzen bezaubert, dann Jennyn seine Nachtigall verkauft hat und am folgenden Tage auf den Thränen aller Meersburgerinnen nach Karlsruhe geschwommen ist, wo ihn weniger Ruhm, aber ein hübsches Ämtchen erwartet, was er leider keine unserer schönen Damen eingeladen hat mit ihm zu genießen. Herr Stiele scheint etwas betroffen über den Verlust seiner glänzenden Theaterstellung, macht sich aber desto breiter bei andern Späßen und hat z. B. am vorigen Sonntage, wo beim Figel große Fete mit türkischer Musik war, aus reiner Kunstliebe die große Trommel gehandhabt, daß alle Bänke zitterten; er sah köstlich aus in seinen Hemdärmeln, seine dicken Arme schwingend, roth um den Kopf wie ein Puter, und die Wahlverwandtschaft mit seinem Instrumente war gar nicht zu verkennen. Jetzt habe ich seit vierzehn Tagen seine angenehme Nachbarschaft; es ist nämlich ein langer Tisch in mein Vorzimmer gestellt worden, auf dem er für Laßberg den Bauriß des Cölner Doms illuminirt. Ich gäbe für das Ding keinen Gulden, und er bekömmt zwölf Kronen dafür, ist aber so faul, daß er wenigstens sechs Wochen darüber pinseln wird und also doch dabei Hunger leiden muß; denn Laßberg hat ihn dieses Mal nicht in Kost und Logis genommen, wie früher beim Copiren seiner beiden Missale-Deckel, wo Stiele es möglich gemacht hat, vier Monate drüber zu arbeiten, so daß Laßberg ihn vor Ungeduld fast zum Hause hinaus geworfen hätte. Es ist doch ein Windbeutel in folio. Er ist so kühn, daß er anfangs unter allerlei Vorwänden mehrere Male in mein Zimmer kam; jetzt habe ich mich aber abgesperrt, gehe durch das Kämmerchen und die Küche aus und ein, und er kann seiner Allemannskoketterie nur durch die künstlichsten Arien und Läufe Lust machen, die er während der Arbeit so gleichsam hinwirft, und die oft seltsam verunglücken.

Ich habe seit Kurzem enormes Glück mit Kaufen und Schenken gehabt. Z. B. im vorigen Jahre wünschte der arme SprickDer Maler Sprick in Münster, der, mit einer zahlreichen Familie gesegnet, schwer mit Lebenssorgen zu ringen hatte. Annette stand ihm und den Seinen treulichst und oft über ihre Kräfte hinaus bei. zwölf köstliche alte Kupferstiche zu verkaufen, für die er – wie er meinte ein Spottpreis –– fünfzehn Thaler gegeben hatte, sie aber aus Noth für fünf wieder ablassen wollte. Jetzt lasse ich auf ein mir unbekanntes Kupferwerk in Schaffhausen bieten; es kömmt vorigen Dienstag an, drei Folianten, Preis vier Gulden, und enthält – außer den zwölfen noch hundert gleich herrliche Kupfer, alle von demselben Meister. Wat segst du over nu? Noch wohlfeiler wären die Geschenke, wenn ich nicht den hinkenden Boten, ich meine die frühere oder spätere Revanche, fürchtete. Wären die guten Leute alle Sammler, dann hülfe ich mir mit meinen Doubletten durch, nun aber wird noch mancher Groschen im Laden springen müssen. Alles macht mir Abschiedsgeschenke und Abschiedsbesuche, so daß ich mein Leben mit melancholischem Lächeln und Händedrücken hinbringen muß; lächerlich wär es, wenn die Wintgens nun ausblieben. Lottchen Ittner hat mir zweiundzwanzig prächtige Kupferstiche geschenkt, Stanzen, eine Medaille, die sich öffnen läßt und zwölf wunderhübsch gemalte Augsburger Trachten enthält, Rüplins eine ganz ähnliche mit neunzehn Legendendarstellungen, der Oberst Ensberg Muscheln, Mineralien, Mosaik, Helene Laßberg, Fritzens Wittwe, dito Muscheln; kurz, ich bin überreich, und werde in Folge dessen bald blutarm sein, wenn ich mir nicht mit dem Dir so verhaßten Ausschneiden theilweise durchhelfe. Du siehst, an Besuchen hat es uns nicht gefehlt; außerdem war Reuchlin – der Dich herzlich grüßt – zweimal hier und will vor meiner Abreise noch einmal kommen. Strengs haben uns vier Tage etwas vorgegähnt, und dann noch zwei alte Freunde von Laßberg mit Frau und Kind, die auch mehrere Tage blieben; ich bewundere mich selber, daß ich doch noch etwas derweil gearbeitet habe. Ob viel? »Den Umständen nach«, wie es in den ärztlichen Bulletins heißt. Die bewußten Aufsätze erhältst Du indessen ganz nächstens; antworte mir nur ja jetzt gleich, wegen Cotta und Velhagen, was ich von dem Ersteren zu erwarten habe, um meine nothwendig baldige Antwort an den Zweiten danach einzurichten. Soll ich etwa, wenn es mit dem Cotta sehr zweifelhaft und Velhagen nicht annehmbar wäre, bei Adelen wegen des ( nescio ob Jenaers oder Leipzigers) anfragen? Es ist doch immer etwas, daß er sich mal angeboten hat, und zwar »für jedes Genre«, wie der Brief ausdrücklich sagte, was doch ein gutes Vertrauen auf meine Feder verräth.

Im Museum war ich seit einigen Tagen nicht, bis dahin war meine Judenbuche beendigt, von der ich nur das im vorigen Briefe Gesagte wiederholen kann, nämlich: daß ich den Effekt fand, wo ich ihn nicht suchte, und umgekehrt, das Ganze aber sich gut macht. Es ist mir eine Lehre für die Zukunft und mir viel werth, die Wirkung des Drucks kennen gelernt zu haben. Gestrichen hat man mir nur einmal ein paar Zeilen, nämlich das zweite Verhör ein wenig abgekürzt; wenn Du es nicht schon gethan hattest, worüber ich ungewiß bin. Zuerst war ich zürnig, grimmig wie eine wilde Katze, und brauste im Sturmschritt nach Deisendorf; auf dem Rückwege war ich aber schon abgekühlt, und gab dem Operateur – Hauff, Dir, oder gar mir selbst – Recht; sonst ist Wort für Wort abgedruckt. Unmittelbar hinterdrein erschien »Die Judenstadt in Prag« von Kohl. Ich erschrack und dachte, es sei eine gute Erzählung, mit der man die Leser für meine schlechte entschädigen wolle; statt dessen war es aber ein meiner Geschichte gleichsam angereihter Aufsatz über die Stellung der Juden überall und namentlich in Prag. Jetzt schien mir eher etwas Günstiges darin zu liegen, als ob man das Interesse der Leser durch meine Judenbuche für diesen Gegenstand angeregt glaube; habe ich Recht oder nicht? Auch die »Bilder aus dem Soldatenleben im Frieden« fangen wieder an sich fortzuspinnen. Poetisches? Sehr schlechte Deutsche Lieder von Knapp und ein Gedicht von Freiligrath; den Titel habe ich leider vergessen, es hat mir aber durchaus nicht gefallen. Der Held aus der Reformationszeit, ich glaube Ulrich v. Hutten, würfelt auf einer Felsplatte mit Felsblöcken, wo jetzt ein Bad steht, und auch die Würfel klingen; der Refrain: »ich habs gewagt« zuweilen ziemlich bei den Haaren herbeigezogen; von Dir oder mir noch keine Zeile.

Der Merkur ist seit einigen Tagen ausgeblieben; was mag das bedeuten? Nach den vielen Bränden überall wird man ordentlich apprehensiv. Bisher stand, außer dem Hamburger Unglück, was alle Blätter anfüllt, nichts darin als Heringe und Bücklinge und diverse Schuster und Schneider, die die Welt durch ihr Abscheiden betrübt oder mit Nachkommenschaft erfreut hatten.

Den 27sten. Soeben komme ich vom Museum, voll Jubel über Dein Westphalen, was in Nr. 122 (23sten Mai) steht und sich ganz köstlich macht. Du bist doch ein Baasjunge! Meine Mütze kann ich nicht in die Luft werfen wie Freiligrath, weil ich keine trage, aber ich möchte Dich zu Brei zusammen drücken, wenn ich Dich nur hätte! Du Schlingel, warum bist Du nicht bei mir! Es ist doch sonderbar, wie das Drucken metamorphosirt; für so unendlich schöner wie Deine »Meersburg« hätte ich das Gedicht nicht gehalten, obwohl Du dieser auch Unrecht thust, die immerhin eine hübsche Poesie bleibt.

Deine Idee mit den Reisebriefen, wo Du dem guten Laßberg seinen Verlust erstatten willst, lobe und billige ich; laß ihn aber nur nicht in der Feder bleiben. Daß Du so dumm geworden bist und nichts für den Lewald weißt, thut mir leid; ich habe dieses aber schon an mehreren alten Leuten erlebt, z. B. dem Wessenberg, und mir, die auch nichts für den Lewald weiß, – wenn ich ihm nämlich noch was liefern muß, worüber Du mich bisher im Dunkel gelassen hast.

Von Elisen habe ich einen neuen Brief, wo sie mir für meine Nachrichten dankt und große Freude über meine nahe Zurückkunft äußert. Die Bornstedt ist nicht in Herbern geblieben, – auf Anrathen ihrer Freunde, wie sie sagt – sondern fortwährend in Münster, wo sie Elisen und mir alles gebrannte Herzeleid anzuthun sucht. Aber wart, du schwarze Hexe, ich will dich schon zusammensetzen, wenn ich erst da bin! Rüdigers Versetzung liegt im weiten Felde, und Elise glaubt nicht mehr daran. Aber – wie doch der litterarische Geschmack verschieden ist! – meine »Weltverbesserer«, das einzige meiner Gedichte, was mir auswärts wirkliche Beachtung zu Wege gebracht hat, scheint in Münster höchst klatrig fortzukommen; wenigstens giebt mir Elise allerlei verschleierte Winke über »Unverständlichkeit« und »vernagelte Köpfe«. – Im Lafleur hat sie die Bornstedt auf der Stelle erkannt und meint, es werde Jedem so gehn, außer ihr selbst. Schlüters sind mit etwas besseren Hoffnungen von Grefrath zurückgekommen. Die Bornstedt scheint sich ganz dort eingenistet zu haben, wie sie jetzt auch höchst intim mit der Lombard ist; es wird doch etwas dazu gehören, sie in die Luft zu sprengen. Mit Junkmann geht es schlecht; zweimal hat er gehofft, befördert zu werden, und zweimal ist Einschub gekommen. Adieu, mein liebes altes Herz; ich habe Alles so vollgequackelt, daß ich Dir kaum noch sagen kann, wie unmenschlich lieb ich Dich habe, und wie ich immer an Dich denke. Adieu.

Jenny und Laßberg grüßen tausendmal.


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