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48.

Der ew'ge Frühling sendet seine Boten
Und laue Wellen spülen mir entgegen.
Mein Tagwerk ist gethan.

C. Immermann.

Es war gegen den Abend eines der letzten Junitage, als Friedmann von Sonnenberg, in der Gesellschaft des jungen Grafen von Oettingen und von einigen Bewaffneten gefolgt, einen steilen Felsenpfad des Donnersberges hinanritt. Der Tag war sehr schwül gewesen und noch jetzt, da die Sonne ihrem Untergange nahe war, lag die Hitze drückend auf den Wanderern. Sie hatten die dichte Waldung, welche den Fuß des Berges umgürtete, verlassen und konnten nun frei auf die weite Umgegend blicken. Die Städte Worms, Speier, Oppenheim erhoben in der Nähe ihre stattlichen Thürme aus grünenden Fluren, während fernhin unzähliche andere größere und kleinere Wohnplätze sichtbar wurden. Rhein, Main und Neckar zogen Silberfäden durch das schöne Land und die Berge des Odenwaldes und des Taunus begrenzten in weiten Bögen das reizende Gemälde. Dort lag Friede und Ruhe auf der heitern Schöpfung, aber unten in den Thälern am gewaltigen Donnersberge trieb und drängte es sich im wilden Gewirre, in bunten Haufen und im regen Leben. Hier standen die Heere Adolphs und Albrechts einander gegenüber. Hier schienen die Würfel in der Hand des Schicksals zu schweben, hier mußten sie fallen zur blutigen Entscheidung.

Aus der Eile, mit welcher die kleine Gesellschaft, an deren Spitze sich der Ritter von Sonnenberg befand, ihren Weg fortsetzte, während dem anziehenden Naturschauspiele nur einzelne flüchtige Blicke gewidmet wurden, konnte man auf die Wichtigkeit ihres Geschäftes und ihres Zweckes einen richtigen Schluß machen. Sie hatte endlich den beschwerlichsten Theil ihres Weges zurückgelegt und sah nun einen Wiesengrund vor sich, auf dem unter der Aufsicht einiger Kriegsleute von gutem Ansehn, mehrere Pferde weideten, die größtentheils mit prächtigen, sehr kostbaren Geschirren versehen waren. Ein Jüngling, in der Kleidung eines kaiserlichen Ehrenjunkers, kam dem Ritter, der sich sogleich von seinem Pferde schwang, entgegen.

Nach einer kurzen Unterredung mit diesem schlug Friedmann einen engen, zwischen Felsenklüften abwärts führenden Bergpfad ein. Der junge Graf von Oettingen begleitete ihn; beide aber mußten wegen der Enge des Weges, der durch ein Bergwasser, das über ihn herfloß, sehr schlüpfrig geworden war, hintereinander hergehn. Die hervorstehenden Klippen beugten sich über das enge Geklüft hin und ein unsicheres Dämmerlicht stahl sich zwischen ihnen durch.

»Oettingen,« sagte der Ritter, nachdem er eine zeitlang schweigend fortgeschritten war, »ich bin begierig den Kaiser wieder zu sehen. Die neuern Ereignisse, die er erlebt hat, müssen seinem Geiste die Kraft früherer Tage zurückgegeben haben. Es ist etwas so Großes und Seltenes um einen wahrhaften Helden, daß wir uns wohl nicht zu schämen brauchen, wenn wir uns ihm mit einem Gefühle der Ehrfurcht nähern, das dem verwandt ist, mit welchem wir das Höchste selbst anstaunen.«

»Ihr habt Euere Ansichten darüber und ich die meinigen;« erwiederte mit einem leisen Anfluge von Spott der junge Graf. »Aus demselben Thon, woraus man die Kaiser bildet, bin auch ich und ich darf deshalb den Monarchen nicht allzusehr loben, damit ich mir selbst nicht schmeichle. Will's Gott, so werde ich ein so guter Ritter, wie nur einer im Reiche und was dann folgt, wird die Zukunft lehren! Aber das sage ich Euch, Herr Ritter, seit dem vorigen Kaiser Rudolph gibt es keinen Grafen in Deutschland, der die Kaiserkrone für etwas Unerreichbares hielte.«

Der junge Oettingen hatte kaum seine Rede vollendet, als die beiden Wanderer sich in einer Erweiterung der Kluft sahen und hier das Ziel ihres Weges erreicht fanden. In diesem Augenblicke trat Adolph von Nassau aus einer ziemlich breiten Felsenspalte, die den Eingang einer tiefer gehenden Höhle zu bilden schien, hervor; ihm folgten Herr Mainhard Schelm vom Berge, der alte Alessandro und mehrere Friedmann bekannte Hofherrn. Aura, des Kaisers Windspiel, das ihn immer begleitete, schlug sogleich an und flog dem alten Bekannten mit Freudensprüngen entgegen. Er konnte sich nur mit Mühe seiner Liebkosungen erwehren, die ihn verhinderten, sich dem Monarchen zu nähern.

»Du bist es, Sonnenberg!« rief ihm dieser entgegen. »Sei uns gegrüßt bei'm alten Drachenneste, das verödet und einsam ist, seit der hörnene Siegfried den schlimmen Bewohner getödtet. Ja, mein junger Freund,« fuhr er fort, »Hier, sagen die Leute, habe das Unthier gehauset und der Kampf statt gefunden, von dem im Volke erzählt und gesungen wird, und hier habe der starke Held den Schatz gehoben, der nun ewig versenkt und gebannt liegt in der Tiefe des Rheins.«

So sehr auch Friedmanns Aufmerksamkeit durch diese Worte für die Stelle in Anspruch genommen wurde, an der er jetzt weilte, so warf er doch nur einen flüchtigen Blick auf die Höhle und betrachtete dann wieder, von Gefühlen der Liebe und Verehrung angezogen, den hohen Herrn, in dessen Gegenwart er sich endlich wieder befand. Eine seltsame Veränderung war, wie ihn dünkte, mit dem Kaiser vorgegangen. Er schien ihm größer geworden zu sein, aber, indem er bei dieser Bemerkung im Stillen über sich selbst lächelte, berichtigte er sie dahin, daß Adolph hagerer geworden war, daß überall sein starker Knochenbau schärfer hervortrat, als früher. Er war auch nicht mehr so bleich, wie sonst. Zwei dunkle Rosen glüheten auf seinen Wangen. Der ehedem so milde Blick seines Auges war feurig und unstät geworden, eine seltsame Hast und Lebendigkeit zeigte sich in allen seinen Bewegungen.

Während der Ritter von Sonnenberg diese Beobachtungen machte, versetzte der salernitanische Arzt auf jene Rede des Kaisers:

»Hier ist nicht der Ort, wo Siegfried den Drachen schlug. Der liegt weit hinunter im Niederlande. Ich habe die schwäbischen Minnesänger noch gekannt, die manches Lied dem Helden zu Ehren gesungen und viel geforscht nach dem Orte der Begebenheit. Da war Meister Conrad von Würzburg, der wußte viel zu erzählen von den Dingen. Hier herauf in diese Gegend war der Held gekommen, nachdem er den Drachen geschlagen, und hatte hier die holde Chriemhild geminnt und geehlicht. Bei Worms am Rheine war das Hoflager gewesen. Da heißt auch noch eine Stelle der Rosengarten, von dem in den Liedern die Rede ist. Hier wohl,« setzte der Alte düster hinzu, »in diesen Wäldern und Schluchten oder auch am Fuße des Berges mag der Platz zu finden sein, wo der böse Hagen den edeln Siegfried erschlug, denn hier ist ein Boden des Unheils für Helden und Tugendhafte. Die Saat der Tücke und der Bosheit geht hier gedeihlich auf und wuchert reich empor und verdrängt das Herrliche. Weile nicht hier, Adolphus, schlage nicht hier, ziehe weiter! Hier verdüstert sich Dein Stern, hier kann er untergehn! Ich habe die dunkeln Mächte befragt. Ihre Antwort war zweideutig.«

Der dumpfe beschwörende Ton, in welchem der hundertjährige Greis diese Warnung gesprochen hatte, verfehlte nicht, auf Viele der Anwesenden eine sichtbare Wirkung hervorzubringen. Sorge und Bestürzung malten sich in ihren Gesichtszügen und ihre Blicke ruheten ängstlich auf dem Monarchen. Diesen aber schienen die Worte Alessandro's nicht im Geringsten aus seiner Fassung zu bringen.

»Ich fliehe nicht vor diesen Verräthern;« sagte er fest und bestimmt. Er verließ zugleich die Stelle und ging den Felsenpfad hinauf, indem er die eine Hand der neben ihm herspringenden, spielenden Aura überließ. »Ich habe sie hierhergejagt, wie gehetzte Rehe,« fuhr er fort, »und nun endlich halte ich sie fest und sie müssen mir bleiben, sie mögen wollen oder nicht, denn der Pfalzgraf bedroht sie im Rücken und ich stehe ihnen Antlitz gegen Antlitz. Und was sollte ich denn fürchten?« sprach er fast scherzend. »Mein Heer ist stärker, geübter und zählt die tüchtigsten Männer. Da haben wir die Bürger von Oppenheim, von Speyer, von Worms, von Frankfurt – sagt, Ritter Mainhard, glaubt Ihr wohl, daß die jenen schnellfüßigen und ausgehungerten Empörern die Spitze bieten können?«

»Meiner Treu!« versetzte der Ritter, dessen Besorgniß bei Adolph's ermunternder Rede gänzlich verschwunden war: »Diese Reichsstädter sind zugleich die besten Kriegsmänner, die ich noch gesehen habe. Die Oppenheimer sind gut Färber und die werden sie bläuen, die Wormser sind gute Gerber und die werden sie gerben, die Speyerer sind gute Fischer und die werden sie fangen, die Frankfurter aber sind gute Schlächter und die werden sie schlachten.«

Einige der kaiserlichen Begleiter brachen in ein lautes Gelächter aus, während andere und unter diesen unser junger Freund die Miene kaum zu einem leisen Lächeln verzogen. Alessandro aber, der mit der Kraft eines rüstigen Mannes den steilen Pfad hinanstieg, blieb ernst und auch dem Kaiser merkte Friedmann es an, daß er mehr um der Andern willen, als aus innerm Antriebe einen scherzhaften Ton angestimmt hatte.

Oben auf der Wiese bestiegen alle ihre Pferde. Nur der hundertjährige Alte setzte sich in eine Sänfte, die man für ihn bereit hielt.

»Sonnenberg,« hob Adolph zu dem jungen Ritter gewendet, den er an seine Seite berufen hatte, mit halblauter Stimme an, »Du hast den zweiten Boten erhalten, den ich Dir sandte, das beweist mir Deine späte Ankunft. Wie war's in Frankfurt? Hast Du den Reichsschultheißen gesprochen, ist der Judenzoll erhoben worden und bringst Du das Geld mit?«

»Ich bringe kein Geld,« sagte achselzuckend Friedmann, »ich bringe nur mich und hundert gute Nassauer, die alle bereit sind, ihr Blut und Leben für Euch, edler Herr, hinzugeben. Der alte Praunheim war schwer erkrankt, als ich in der Reichsstadt anlangte. Seine Tochter, die an stillem Wahnsinn litt und erst seit kurzer Zeit von einer harten Verwundung geheilt war, hatte sich heimlich aus dem väterlichen Hause entfernt, ohne daß man eine Spur von ihr finden konnte. Das warf den Alten nieder, so daß er zu keinem Geschäfte taugte. Dazu kam das Gerücht von dem Ereignisse in Mainz,« sprach er verlegen weiter, »und die übrigen Rathsherrn, hierdurch beunruhigt, versagten ganz und gar ihren Beistand.«

»So hat die Posse dem herrschsüchtigen Gerhard, der sich rühmt, die Kaiser in seiner Tasche zu haben, dennoch genützt!« versetzte bitter Adolph von Nassau. »Friedmann,« fuhr er leiser fort und seine Stimme wurde sehr weich, »ich habe böse Ahnungen für die Zukunft, aber ich berge sie jedem, selbst dem alten Alessandro, der sonst Alles von mir weiß. Dir will ich mich entdecken, denn an Dich fesselt mich ein geheimnisvolles Band, das Dir selbst erst nach meinem Tode offenbar werden wird. Glaube mir, dieser ist nicht fern. Ich trage die Ueberzeugung in mir, daß ich nicht lebend aus dem bevorstehenden Kampfe herausgehe. Aber ich bin Ritter, ich bin Herr und Schirmer des Reichs; ich muß diesen Kampf bestehen. Doch nimmer wird derjenige, der zum Verräther geworden an seinem rechtmäßigen Oberherrn, in Frieden enden. Der Drang des Bösen, der ihn zum Hochverrathe getrieben, wird auch gegen andere thätig sein und diese werden die Rache übernehmen für früher begangenen Frevel. Sonnenberg, Sonnenberg! eine schwere Zeit steht unserm Vaterlande bevor. Suche Dir dann eine stille Einsamkeit, daß sie schonend und ohne Unheil an Dir und den Deinigen vorübergehe.«

Der Kaiser schwieg und blickte träumerisch vor sich hin. Friedmann war so sehr betroffen und erstaunt über diese Worte, daß er nichts zu erwiedern vermochte. In Adolphs Geständniß lag Vieles, was ihn erschrecken, aber auch Vieles, was ihm unerklärlich sein mußte. Jenes geheimnißvolle Band, von dem der Kaiser gesprochen, war besonders ein Gegenstand, der ihn zum Nachdenken reizte. Es schien ihm, als müsse hier eine verborgene Hindeutung auf Amalgundis liegen, die er aber bei dem angestrengtesten Nachsinnen nicht zu erkennen im Stande war.

Der Wald öffnete sich und sie sahen hinab in das weite Thal, das zu ihren Füßen lag. Durch die Abenddämmerung glänzten unzähliche Wachtfeuer herauf, die sich nacheinander im kaiserlichen Lager entzündeten. Dieses zog sich in einem weiten Bogen von dem Flecken Gellheim bis gegen den Rhein hin. Von der andern Seite des Gebirges herüber leuchtete eine zusammengedrängte Masse von Feuern. Dort war das Heer Albrechts von Oesterreich gelagert. Nur ein Theil hielt sich in der Ebene, die Uebrigen lagen in einzelnen Haufen in den Bergschluchten verborgen. Ganz fern am Horizont zeigte sich auf einem hohen Berggipfel ein einzelnes Feuer, das aber sehr stark und mächtig aufloderte.

Adolph hielt und sah nach der himmelanschlagenden Flamme.

»Dort, Sonnenberg,« sprach er und seine Stimme war wieder lebhaft und kräftig, »dort steht der Pfalzgraf und Herzog Otto von Baiern, unsere Freunde. Von dort wird ein feueriges Zeichen uns zum Kampfe rufen. Wenn noch zwei solcher Flammen von jenem Berge in die Nacht auflodern, dann ist es Zeit, dann entscheidet der nächste Tag zwischen mir und Albrecht.«

»Und dann, mein kaiserlicher Herr,« rief Friedmann begeistert, »dann werden wenige Stunden hinreichen, Euere düstern Ahnungen zu grundlosen Täuschungen zu machen, dann wird siegreich das Recht sich emporschwingen und der Verrath und die Bosheit werden sich im Staube winden. Ein Jubelruf wird durch ganz Deutschland klingen und er wird heißen: Hoch Nassau über Alles!«

»Hoch Nassau über Alles!« widerholten in wilder Freude tausend Stimmen, denn sie waren am Eingange des Lagers angelangt, und die kriegerischen Bürger der Reichsstädte, die sich hier bei Wein und Scherz belustigten, hatten den Kaiser erkannt und Friedmanns Glück weissagende Worte vernommen. Der Ruf flog von Lagerstätte zu Lagerstätte und in wenigen Augenblicken war in einer Strecke von mehreren Stunden des Jauchzen und der fröhliche Jubel allgemein. Von allen Seiten drängten sich die Bürger und Krieger herbei, den ritterlichen Monarchen zu sehen. Ein frohes Gefühl verbannte für eine kurze Zeit die Trauer aus seiner Seele. Er lächelte Allen freundlich zu. Ein Strahl neubelebter Hoffnung leuchtete aus seinem schönen Auge.



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