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38.

Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgethürmter Riese da,
Wo Finsterniß aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Goethe.

Die Reisenden zogen so nahe an Schloß Sonnenberg vorüber, daß sie den Hahn im Burghofe krähen hören konnten. Das Schloß selbst aber blieb, bis auf einige Zinnen und Thürmchen, die über das niedrige Gesträuch hereinblickten, ihnen unsichtbar. Friedmann richtete keinen Blick nach der Gegend, wo die väterliche Burg stand. Er sah finster und störrig vor sich hin. Er ließ im wilden Unmuthe sein Streitroß den Sporn empfinden, ohne ihm Freiheit zum schnellern Gange zu geben, so daß dieses sich oft hoch aufbäumte und nur durch die Kraft und Kunst des Reiters wieder zur Ruhe gebracht werden konnte. Mit bedenklicher Miene betrachtete Stephan seinen Herrn. So hatte er ihn noch nie gesehen. Er erkannte, daß bei dieser übeln Stimmung ein jedes, noch so unschuldiges Wort ihn zum Grimme reizen würde, und hütete sich deshalb wohl, ihn anzureden.

Amalgundis befand sich jetzt an der Spitze des kleinen Zugs. Ohne nur einmal sich umzusehn und den Ritter eines Blickes zu würdigen, ritt sie an der Seite ihrer ältlichen Begleiterin, mit der sie einzelne Reden wechselte, im raschen Trabe vorwärts. Nur ihr und der Leibdienerin war das Ziel der Reise bekannt, die still vorbereitet und geheim angetreten worden war. Die Dienerin hatte es übernommen, die Reisegesellschaft zu führen. Ihr waren, wie sie sagte, diese Gegenden seit früher Jugend auf das Genaueste bekannt und so sehr auch damals noch die Berge, welche hier zusammentrafen, mit dichten Waldungen bedeckt waren, so trauete sie sich doch hinlängliche Kunde zu, um unter den durchkreuzenden Pfaden immer den rechten herauszufinden, der zuletzt an Ort und Stelle führen müsse.

Man hatte unter ihrer Leitung schon manche Höhe erstiegen, manches Thal durchschnitten, und immer wollte sich noch keine Spur einer menschlichen Wohnung zeigen. Die Sonne neigte sich ihrem Untergange zu. Nach Friedmann's Berechnung, den man mit der Entfernung des Reiseziels, aber nicht mit dessen Namen und Lage bekannt gemacht hatte, hätte dieses vor einigen Stunden schon erreicht sein müssen. Jetzt bemerkte er auch, daß die Begleiterin des Edelfräuleins in ihren Angaben unsicher und schwankend wurde und auf seine dringende Anfrage erklärte sie: in der That sei ihr die Gegend, wo sie sich jetzt befinden, gänzlich unbekannt, sie müsse einmal einen unrechten Weg eingeschlagen haben und wisse nun nicht sich wieder zu finden.

Der Wald, in dessen immer düsterer werdenden Schatten sie hielten, erstreckte sich, wie dem jungen Ritter von seinen Jagdfahrten bekannt war, nach der einen Seite hin auf viele Stunden Wegs in das Gebirgsland, nach der andern Seite hin mußte er bald sein Ende finden; allein hier gehörte er mit den anstoßenden, nach dem Rheine hinabreihenden Rebenbergen, zu dem Gebiete des Erzbischofs von Mainz, dessen Söldner in ansehnlichen Haufen an der Grenze umherschwärmten und dem kleinen Zuge leicht gefährlich werden konnten.

Der natürliche Muth des Ritters von Sonnenberg ging leicht über diese Rücksicht hinweg. Nach dem er genau den Stand der Sonne, deren glühender Abendschein die Laubgipfel vergoldete, beobachtet hatte, ließ er an der ersten Stelle, wo es thunlich war, den Zug die Richtung nach dem Rhein hin einschlagen. Hier durfte er hoffen, bald in die Nähe irgend eines abgelegenen Hofes zu gelangen, wo er Derjenigen, die er zu begleiten und zu beschützen übernommen, eine ruhige Schlafstätte und die nothwendigsten Erquickungen verschaffen konnte. Diese Sorge war ein Ehrenpunkt für den Ritter, dessen Sorgfalt sich eine Dame anvertraut hatte. Er empfahl die Reise zu beschleunigen und Alle setzten sich nun in einen raschen Gang nach einer Richtung, die der früher genommenen völlig entgegengesetzt war.

Amalgundis hatte an allen diesen Dingen keinen Theil genommen. Sie schien mit ihren Gedanken abwesend oder mächtigen Gefühlen so sehr hingegeben, daß äußere Eindrücke für sie verloren waren. Immer aber zeigte sich auf ihrem schönen Antlitze der Ausdruck von Stolz und Selbstgefühl, der bei der Unterredung mit Friedmann zuerst an den Tag getreten war. Gegen den jungen Ritter betrug sie sich mit einer Gleichgültigkeit, die sie selbst schmerzte, da sie aus einem aufgeregten Zustande plötzlicher Erbitterung hervorging und mit den Gefühlen, die sie im tief Innersten barg, in Widerspruch stand. Als die Abendluft kühl und rauh wurde, verließ sie ihr Pferd und begab sich zurück in die Sänfte, wobei sie jedoch abermals den Beistand des Ritters, der ihr anerboten wurde, mit einer stolzen Geberde zurückwies. Friedmann's Empfindungen, mit denen er wiederum sein Roß bestieg, waren von der unangenehmsten Art. Er sah sich von derjenigen mit Geringschätzung behandelt, der er mit allem Rechte die stärksten Vorwürfe machen zu dürfen glaubte; er mußte diese Behandlung erdulden, da er zu ihrem dienenden Ritter ernannt worden war und diese Ernennung angenommen hatte. Aber auch sein ganzer Stolz erwachte jetzt: er beschloß, die Grenzen der Courtoise so eng zu stecken, als es nur irgend mit der ritterlichen Ehre verträglich sei.

Indessen wurde es immer finsterer und die Schwierigkeiten, auf dem engen Waldpfade mit der Sänfte fortzukommen, vermehrten sich. Beim matten Schritte der Leuchten, welche die Diener angezündet hatten, wurden von diesen die weit vorstehenden Zweige hinweggeräumt, so daß die Lastpferde mit der tragbaren Wohnung dem voranreitenden Ritter folgen konnten; allein hierüber ging sehr viele Zeit verloren und es war schon die zehnte Abendstunde vorüber, ohne daß der Wald sich einigermaßen lichten wollte. Man hörte das Wild in der Ferne durch das Strauchwerk rauschen: leichte Rehe setzten das Laub in eine flüsternde Bewegung, mächtige Hirsche brachen sich mit ihren Geweihen eine Bahn durch dünnes Gehölz und von den weitschallenden Schlägen der Eber fielen junge Bäume gebrochen zur Erde.

In jenen Tagen würde eine andere Jungfrau von einem minder hellen Geiste als Amalgundis, unter diesen Umständen weit größeren Beängstigungen preisgegeben gewesen sein, als die junge Reisende in der That empfand. Ganz konnte sie sich nicht frei halten von Gefühlen, zu denen der Keim in ihrer Erziehung lag und welche in einer sehr lebhaften Phantasie reiche Nahrung fanden. Der unsichere, flackernde Schein der Leuchten war ganz dazu geeignet, Gesträuche, Büsche und Bäume als wunderliche, grauenhafte Gebilde erscheinen zu lassen, welche Schrecken und Furcht mit jedem Augenblicke aufs Neue in Anspruch nahmen. Niemand aber war diesen Eindrücken mehr unterworfen, als die Leibdienerin des Fräuleins. Sie jammerte laut über das entsetzliche Unglück, zu dieser Stunde in den endlosen Wäldern verirrt zu sein, sie stieß bei jeder Wendung des Wegs einen neuen Schreckensruf aus, indem sie glaubte, wiederum irgend ein furchtbares Gespenst zu erblicken, sie drängte ihr Pferd so dicht an Stephan, daß dieser Mühe hatte, das seinige in gerader Richtung zu erhalten. Den gutmüthigen Burschen dauerte das arme Wesen, und ob er ihr gleich grollte, weil sie die Schuld dieses Umherirrens trug, so machte er ihr dennoch den Vorschlag, sie hinter sich auf sein Pferd zu nehmen. Diese Einladung ward mit Freuden angenommen und nach wenigen Augenblicken trug Stephans Roß eine Last mehr, die sich fest an den Reiter klammerte und in einem fortwährenden Gemurmel alle lateinischen Gebete, die sie auswendig wußte, ohne sie zu verstehn, vor seinem Ohr erschallen ließ.

Der junge Ritter setzte indessen schweigend an der Spitze des Zugs seinen Weg fort. Endlich bemerkte er, daß der Wald sich lichte und der Pfad sie eine Anhöhe hinanführe. Er brachte sein Roß in eine raschere Bewegung und eilte dem Zuge voraus.

Allein ehe es ihm noch gelang, den Gipfel der Anhöhe zu erreichen, hörte er nahe zur Seite Hundegebell und überzeugte sich bald, indem er vom Pferde stieg und um die Waldspitze trat, in die hier das Dickigt auslief, daß sie sich ganz in der Nähe eines Dörfchens befanden, dessen Hütten von dem nun frei hervortretenden Monde beleuchtet wurden. Er vernahm jetzt auch wilde lärmende Menschenstimmen, ein tolles Jauchzen und Singen.

Vorsichtig trat er, sein Pferd am Zügel führend, zurück und gebot dem herannahenden Zuge zu halten. Er empfahl die tiefste Ruhe, denn in jenen kriegerischen Zeiten, war, wo nahe an Mitternacht ein solches wildes Jauchzen sich hören ließ, immer die Anwesenheit zügelloser Söldner zu vermuthen. Umsonst bemühete er sich, unter den lauten Stimmen eine Einzelne zu unterscheiden oder irgend eine Rede zu verstehen. Es war ein so lärmendes Durcheinander von Singen, Schreien und Hundegebell, daß man betäubt wurde, wenn man lange darauf lauschte, aber nichts Einzelnes heraushören konnte.

»Stephan,« sagte Friedmann mit gedämpfter Stimme zu dem Diener, der abgestiegen und seinem Herrn nahe getreten war, »Du mußt in's Dorf und Kundschaft bringen. Ich kenne den Ort und weiß mich nun auch in die Gegend zu finden, die vor uns liegt. Es ist das Dörfchen Rauhenthal und die Herberge, von der das Rauschen herübertönt, liegt hart am Ende. Sei behutsam und schleiche leise dorthin. Wir ziehn uns indessen rechts die Anhöhe hinauf bis zu dem Kapellchen. Dort findest du uns wieder!«

»Gut, edler Herr!« erwiederte Stephan. »Ich werde Alles wohl ausrichten: Wenn's Erzbischöfliche sind und sie fangen mich, dann bin ich ein verlorner Mensch. Aber daran liegt nichts, denn ich sterbe in meinem Berufe. Versprecht mir nur meine alte Mutter daheim von mir zu grüßen und das Pfeffer-Rösel, wenn ihr es je wiedersehen solltet.«

»Das soll geschehen, Stephan! Verlaß Dich drauf!« versetzte mit einem trüben Lächeln der junge Ritter. »Aber Du hast nichts zu fürchten. Sei nur schnell und vorsichtig!«

Stephan verschwand halb in den Schatten des Waldsaums, der sich nach dem Dörfchen hinzog und sein Gebieter führte, nachdem er die Hufe der Pferde eilig mit Stroh, das die Reisigen bei sich hatten, umwickeln und die Leuchten verlöschen lassen, die Gesellschaft rasch die rechts liegende Anhöhe hinan. Hier warfen alle einen Blick des Erstaunens und der Bewunderung auf das weitausgebreitete Rheinthal, das, vom Mondlichte überglänzt, in unbestimmten Umrissen zu ihren Füßen lag. Die Leibdienerin selbst setzte für eine kurze Zeit ihr lateinisches Gemurmel aus und mußte sich gestehen, daß es auch um Mitternacht in der freien Natur Gegenstände geben könne, die frohe Empfindungen zu erregen vermöchten. Bald aber gewann die Furcht wieder die Oberhand über den Eindruck, den das magische Schauspiel auf sie gemacht hatte und ihr ora pro nobis begann aufs Neue.

Erst als die Reisenden bei dem, etwa hundert Fuß tiefer liegenden Kapellchen angelangt waren, das dem auf Kundschaft ausgeschickten Stephan zum Sammelplatze angewiesen worden, öffnete Amalgundis das kleine Fenster der Sänfte und sah hinaus in's Freie. Das, wenn gleich matte Glanzmeer, das im ersten Augenblicke, ohne einzelne Gegenstände erkennen zu lassen, ihrem an Dunkelheit gewöhnten Blicke entgegentrat, blendete sie; aber bald war sie mit ihm befreundet und ihre Seele fand nun ein reiches Entzücken in dem wunderbaren, herrlichen Anblicke. Ihr Herz war tief verwundet, ihre heiligsten Gefühle waren empfindlich verletzt; allein das ist eben die unwiderstehliche Zauberkraft der Natur, wo sie in ihrer ganzen Pracht auftritt, daß sie Leiden vergessen machen und Schmerzen stillen kann, indem sie alle Empfindungen für sich in Anspruch nimmt. Amalgundis Blicke ruhten auf dem breiten Silberbande des Rheins, aus dem ein leichter Duft, vom Mondlichte in Silberschaum verwandelt, emporstieg; sie flogen den Strom aufwärts, über ihn hin, nach der Gegend, wo Adolph von Nassau jetzt einem ernsten Kampfe entgegen zog. Thränen füllten ihre Augen und wie durch Nebel sah sie nur noch ihre nächsten Umgebungen, die Reisegefährten, die größtentheils abgestiegen waren, und das kleine Kapellchen, nach dem sie sich in diesem Augenblicke zum Gebete hingezogen fühlte.

Indem sie diesem Drange folgen wollte und schon im Begriff war den Schlag der Sänfte zu öffnen, sah sie den jungen Ritter aus dem Innern des kleinen Gebäudes treten, mit dessen Untersuchung er beschäftigt gewesen. Er wollte erforschen, ob hier vielleicht ein nothdürftiges Lager für Amalgundis und ihre Begleiterin zu bereiten wäre, damit die, solcher Beschwerden ungewohnten Frauen einiger Stunden Ruhe genießen könnten; allein er fand den Boden und die Wände des engen Hauses mit einer so zahlreichen Menge von Kröten und Schlangen bedeckt, daß die Ausführung jener Absicht unmöglich schien.

Amalgundis hatte sich durch Friedmanns Erscheinung im Eingang der Kapelle nicht abhalten lassen, ihren Weg nach der frommen Stätte anzutreten. Sie schritt gerade auf die Thüre zu, allein zu ihrem Befremden sprang der junge Ritter, der sich schon einige Schritte entfernt hatte, zwischen sie und den Eingang und sprach mit sehr bewegter Stimme:

»Um Gotteswillen, edles Fräulein, keinen Schritt weiter. Betretet nicht diesen Ort, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

»Was fällt Euch ein, Ritter von Sonnenberg?« entgegnete stolz und entrüstet Amalgundis. »Bin ich nicht Herrin meiner Handlungen? Wollt Ihr mir verwehren, ein Werk der Andacht zu verrichten, wenn ich es für gut finde?«

»Ich erfülle nur eine Ritterpflicht, indem ich Euch warne;« versetzte kälter geworden Friedmann und trat zugleich vom Eingange der Kapelle hinweg. »Giftiges Gewürm, Unken und Vipern, hat seine Wohnung im Innern dieses öden Gotteshauses genommen; es ist jedes heiligen Schmuckes beraubt, nichts erinnert mehr an seine fromme Bestimmung. Im Uebrigen habt Ihr Euern freien Willen, mein Fräulein,« fügte er so gleichgültig, als er zu scheinen vermochte, hinzu. »Ich war es dem Vertrauen, dessen mich der Kaiser würdigte, schuldig, den Schritt zu Euerm Verderben zu hemmen.«

»Giftiges Gewürm, Unken und Vipern, haben die Stelle eingenommen, wo ich Trost und Erhebung hoffte?« sagte Amalgundis für sich hin, während sie langsam und nachdenklich nach ihrer Sänfte zurückkehrte. »Bin ich denn verurtheilt, diese allenthalben auf meinem Lebenspfade zu finden?«

In diesem Augenblicke vernahm man die Schritte und das Kettchen eines odemlos Herannahenden. Es war Stephan.

»Fort, Herr!« rief er mit unterdrückter Stimme dem Ritter zu, sobald er glaubte, daß ihn dieser vernehmen könne. »Im Dorfe sind Erzbischöfliche. Sie zechten und tobten, als ich sie durchs Fenster der Herberge belauschte. Es sind ihrer zwischen zwanzig und dreißig, Fußgänger mit Schwert und Pike bewaffnet. Der Böse hatte sein Spiel, als ich sie behorchte: ich mußte niesen und da kam der ganze Haufe in Bewegung. Sie schrieen Mord und Verrath und, ich fürchte sehr, sie sind mir auf den Fersen.«

In der That ließ sich jetzt von der Seite des Dorfes her ein wildes Geschrei hören. Waffengeräusch wurde laut, einzelne Flüche und Schimpfreden wurden verständlich.

»Schnell aufgesessen!« ermahnte Friedmann seine Leute. »Du Stephan, mit zwei andern dort links nach Schierstein hinab. Macht Lärm, schimpft und tobt, so viel ihr könnt. Ihr müßt die Buben einen falschen Weg locken. Ist Euch das geglückt, dann kehrt leise zurück. Am Himmelrech, im verborgenen Eichengrunde, wo die alte Römerburg steht, findet Ihr uns wieder. Frisch auf! Ihr links, wir rechts.«

Während Stephan mit seinen zwei Begleitern im wilden Halloh und indem sie die Schwerter aneinanderschlugen, den bezeichneten Weg nahmen, führte der junge Ritter still und eilig seine verminderte Gesellschaft im Schatten des Waldsaumes fort. Die Kriegslist, welche er angewandt hatte, schien in der That einen glücklichen Erfolg zu haben. Das Geschrei der Feinde zog sich nach der Gegend, wohin er Stephan geschickt hatte. Bald verlor es sich ganz in die Stille der Nacht.



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