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35.

Ach, es drückt kein Schmerz so sehr,
Als wenn man von Liebe läßt!

v. Haugwitz.

Wir wollen nur kurz die Ereignisse berichten, welche sich in einem Zeitraume von mehreren Wochen begeben, da sie nichts darbieten, was die Theilnahme unserer Leser, die wir bis zum Schluße dieser Erzählung zu erhalten wünschen, besonders erregen könnte. Bandini wurde durch Alessandro's heilkräftige Mittel wieder hergestellt und verließ dann, nachdem die Messe geendigt, mit dem alten Auffenthaler und seinen Kindern die Reichsstadt, um auf den benachbarten Ritterschlössern weitern Absatz an Waaren zu suchen. Angesehene Kaufleute hielten es damals nicht unter ihrer Würde, von Stadt zu Stadt, von Schloß zu Schloß zu ziehn und ihre Handelsgegenstände feil zu bieten. Auf den Ritterschlössern herrschte ein fröhliches glänzendes Leben und alle Luxusartikel wurden hier am Meisten gebraucht und am Besten bezahlt. Zu einem solchen Zuge gaben sich immer mehrere Kaufherrn zusammen und nahmen auch gewöhnlich eine zahlreiche Begleitung tüchtiger und bewaffneter Männer mit, um sich gegen die Räubereien des herumstreifenden Gesindels meistens herrnloser Söldner, und oft der Ritter selbst, zu schützen. Dem Pfeffer-Rösel hatten es die obengenannten Handelsleute diesesmal zu danken, daß die wackern Nürnberger Rußigen, deren Bereitwilligkeit, den Junker von Sonnenberg zu befreien uns noch wohl erinnerlich ist, sich als eine mannhafte Schutzwache dem Zuge anschlossen. Auch Rösel selbst wanderte mit, theils aus Neigung zu Beaten, theils um den Bandkram zu erweitern, auf den sie gar große Hoffnungen für die Zukunft bauete. Freilich that dem Mädchen der Abschied von der kränklichen Mutter wehe, aber sie mußte ja für diese sorgen durch fortwährenden Fleiß und hatte die Beruhigung, sie bei einer frommen Witwe zu wissen, welche die sorgfältigste Pflege der Kranken als eine religiöse Verpflichtung betrachtete. Auch der Abschied von Stephan ging nicht ohne Thränen ab; allein sie nahm den Schwur des wackern Burschen mit sich, daß, sobald sein lieber junger Herr dem Junggesellenstande, der doch nicht ewig dauern könne, werde entsagt haben, er selbst sie in Nürnberg oder in der weiten Welt aufsuchen wolle, um sie zu heirathen und einen lustigen Ehestand mit Ihr zu führen. –

Den Helden unserer Geschichte finden wir, nachdem jener Zeitraum abgelaufen, in einer regnerischen und stürmischen Dezembernacht, einsam und knieend vor dem Hauptaltare der mit dem Palatium verbundenen Capelle wieder. Das Licht der ewigen Lampe, das seine Strahlen auf ihn wirft, zeigt uns auf seinem etwas bleichen Angesichte den Ausdruck inniger Frömmigkeit und gänzlicher Hingebung an die Gegenwart der Gottheit in dem geweiheten Hause. Jeder irdische Gedanke ist aus seiner Seele verbannt, fromme Gelübde spricht leise sein bebender Mund. Das enganschließende weiße Atlasgewand, mit dem er bekleidet ist, und die grüne Schärpe, welche als ein Symbol der Hoffnung von seiner Schulter herabhängt, lassen uns erkennen, daß er hier in andächtigem Gebete die Novizennacht hinzubringen hat, welche seiner Erhebung in den Ritterstand, die Kaiser Adolph für den nächsten Tag bestimmt, vorhergehen muß.

Es kam über ihn, wie der Taumel eines süßen Baumes, als ihm erst am Nachmittage dieses Tages Herr Schelm vom Berge ankündigte, daß er morgen den Ritterschlag von Kaiserhand und die goldnen Spornen empfangen sollte. So war nun das schöne Ziel erreicht, dem er seit den Kinderjahren sein glühendes Sehnen, alle seine Wünsche gewidmet hatte! Er bekleidete sich in dieser süßen Trunkenheit mit der einfachen Neophytentracht, er folgte, fast ohne zu wissen, was er that, den zwei Priestern, die ihn in die Capelle hinabführten und hier der Einsamkeit, dem Gebete und frommen Entschlüssen überließen. Bald kehrte an diesem stillen Orte Ruhe in seine Seele zurück und er erkannte nun mit Klarheit, welche Pflichten der Augenblick von ihm heische und wie er diese Stunden benutzen müsse, um sich auf seine Zukunft vorzubereiten. Wie aus einem fernen, aber lieblichen Hintergrunde trat Amalgundis Bild hervor. Er fühlte sich ihr näher, er dünkte sich ihrer würdiger. Aber indem er zum Gebete vor dem Altar niedersank, verbannte er das theuere Bild aus seiner Seele. Er bemühete sich alle seine Gedanken von irdischen Dingen abzuwenden.

Die Nacht war kalt und schauerig. Das flackernde Licht der ewigen Lampe erhellte nur die nächsten Gegenstände um den Hauptaltar, während die Seitengänge der hochgewölbten Capelle in einer unbestimmten Dämmerung dalagen, die weiterhin zu einer gänzlichen Dunkelheit wurde. Das innere des Gebäudes hatte ein sehr düsteres Aussehn. Die Wände bestanden aus schwärzlichem Tuffstein, der sich in seiner natürlichen Farbe zeigte und nur wenig behauen war. Plumpe Säulen von derselben Steinart erhoben sich in Menge bis zu der gewölbten Decke. Sie zogen sich an den Seitenmauern hin, bis zu den Bogenfenstern, deren Rahmen sie bildeten. In den Nischen dieser Säulen, die in einzelnen Absätzen ihre ganze Länge einnahmen, waren buntbemalte Heiligenbilder aufgestellt, die seltsam mit der sonstigen düstern Einfachheit kontrastirten, jetzt aber, da der matte Dämmerschein der Lampe ihre Farben nicht erkennen ließ, ein ernstes, fast grauenhaftes Ansehn hatten. Unter den gewölbten Steinen des Fußbodens lagen Ritter und Frauen begraben, die während der frühern kaiserlichen Hofhaltungen hier verstorben waren, auch einige Kinder aus den sächsischen und fränkischen Königsgeschlechtern. Alles mahnte zu ernsten Gedanken und stimmte zu frommen Gefühlen; leicht aber konnte auch das Gemüth von grauenhaften Eindrücken getroffen werden, für die ohnehin die Erziehung und die Begriffe jener frühern Jahrhunderte selbst den Beherztesten empfänglich machten.

Die eilfte Stunde der Nacht hatte geschlagen und noch immer lag Friedmann knieend vor dem Altare, ohne daß er seinen Blick vom Boden erhoben, ohne daß ihn irgend etwas in seiner stillen Andacht gestört hätte. Da war es ihm plötzlich, als vernehme er ein seltsames Rascheln und Rauschen hoch oben in den Säulenwölbungen und kaum hatte er diese Bemerkung gemacht, so hörte er ganz deutlich einen tiefen Seufzer, dessen klagender Ton wunderlich in dem weiten Gewölbe wiederhallte. Er war überzeugt, daß die Priester, als sie ihn verließen, die einzige Thüre der Capelle von außen fest verschlossen hatten. Ein menschliches Wesen konnte also, wie er glaubte, nicht in das Innere gedrungen sein und er schrieb jenes Geräusch dem Gelüste böser Geister zu, die ihn in seiner Andacht stören wollten. Er betete nun noch inbrünstiger, als zuvor.

Da regte es sich wieder mit sonderbarem Gerassel zwischen den Wipfeln der Säulen und eine feine krächzende Stimme rief herab.

»Junker Sonnenberg! Junker Sonnenberg! Blick' auf, blick her! Habe Dich lieb, muß Dich sprechen! Fürchte Dich nit, ich will Dir nichts Schlimmes.«

Das Blut erstarrte zu Eis in den Adern des Neophyten. Er glaubte nicht anders, als der Böse habe zu ihm gesprochen und wolle ihn verlocken. Er konnte seine Gedanken nicht mehr zum Gebete sammeln. Seine Haare sträubten sich empor, seine Zähne bebten klappernd gegen einander. Er sprang auf und blickte mit wild rollenden Augen in den weiten Raum der Capelle, aber er gewahrte nichts und die unsichere Dämmerung, in der sich ihm die grauen Wände und die Steinbilder zeigten, diente nur, seine Phantasie mehr zu entflammen.

»Siehst schlecht, guck' recht!« rief es da wiederum. »Hier oben sitz' ich am Fensterlein und wahre Dich und hüte Dich, daß Du mir nicht entrinnst und über das Wasser fliegst, in den dunkeln Forst, wie es mir schon einer gemacht hat.

Heb auf die Augen, Junkerlein!
Werden bald trübe sein.
Mein Liebster war nicht ächt,
Deine Liebste wird schlecht.«

Friedmanns Blicke flogen nach der Stelle, von der diese Worte ertönten. Die Lampe auf dem Altare flammte in diesem Augenblicke hoch auf und er gewahrte nun auf dem obersten Simms einer Säule, dicht neben einem offenen Fenster, durch welches der Sturm den Regen hereinpeitschte, eine zusammengekauerte graue Gestalt, die für sich hin kicherte und, wie es ihm schien, nur auf einem übernatürlichen Wege an den Ort gekommen sein konnte, den sie jetzt einnahm. Alle Vorstellungen, die man damals von der Erscheinung böser Geister hatte, ließen sich auf dieses räthselhafte Wesen anwenden.

»Hebe Dich weg, Fürst der Finsterniß!« stammelte Friedmann mit bebenden Lippen und griff nach dem Crucifix auf dem Altare. Aber die Gestalt kicherte nun noch lauter und wiegte sich seltsam auf dem Säulensimmse hin und her.

»Bin nicht der Teufel, mein Schätzlein!« krächzte sie dann. »Bin nur eine Eule und hereingeflogen, um Dir zu dienen, da Du mir gedient hast. O, die Eule ist ein gar kluger Vogel! Sie sieht mehr bei Nacht, als die Menschen bei Tage. Wart' nur, Junkerlein, ich komme gleich zu Dir herab und will Dir ein seltsam Mährlein erzählen vom großen Kaiser Adolph und der schönen Amalgund; ein Mährlein, das die fahrenden Leute auf Märkten und Messen absingen mit der Geschichte vom König David und der freundlichen Bethsaba.«

Friedmanns Sinne waren durch das Gesehene und Gehörte so verworren, daß es ihm nicht möglich war, mit ruhiger Besonnenheit das unerwartete Ereigniß zu überblicken. Dennoch war er jetzt mehr gefaßt, als in den ersten Augenblicken, und es wurden Zweifel an die Uebernatürlichkeit der Erscheinung in ihm rege. Aber die Erwähnung Adolphs und Amalgundis fuhr ihm schwerer auf das Herz, er wußte selbst nicht warum, und eine häßliche Ahnung sagte ihm, daß der nächtliche Versucher ihm schlimme Dinge offenbaren werde.

Indessen war die widrige Gestalt mit wunderbarer Behendigkeit über die Steinbilder an der Säule heruntergeklettert. Der graue Mantel hing, während sie sich herabließ, weit und schlotternd nieder; so daß man nur diesen, sie selbst aber nicht sah. Mit einem kühnen Sprunge von einem noch ziemlich hohen Absatze herab erreichte sie den Boden. Hier kauerte sie sich erst zusammen und strich das lange schwarze Haar aus der Stirn, über die es niedergefallen war. Dann raffte sie sich plötzlich auf, sie erhob sich und schritt nun, ein bleiches, hochaufgewachsenes Frauenbild, aus dessen Geberden und Blicken der Wahnsinn starrte, auf den Junker zu.

»Um Gott, Ihr seid es, Fräulein Jutta?« rief dieser, jetzt die Unglückliche erkennend. »Was führt Euch her, wie seid Ihr hereingekommen?«

»Bin kein Fräulein, bin eine Eule!« versetzte die Wahnsinnige mit heiserm Gelächter. »Fliege ein, fliege aus. Niemand folgt mir, niemand hascht mich. Doch höre jetzt auf meinen Spruch, Junkerlein! Hast mir mein Brautlied gesungen, will Dir nun das Deinige singen. Kennst Du wohl die Weise:«

»Aber scheiden, scheiden das thut wahrlich wehe
Von einer, die ich gern ansehe,
          Und ist das nit unmöglich?«

Ihr Mantel fiel bei einer heftigen Bewegung, die sie machte, auseinander und Friedmann bemerkte, daß sie nur sehr leicht bekleidet war. Sie mochte in diesem Zustande ihren Wächtern entsprungen sein, und bebte nun vor Frost an allen Gliedern.

»Ich will Lärm machen und Euch nach Hause führen lassen!« sagte er mitleidig. »Die Nachtluft durchschauert Euch, Ihr könnt ein Uebel davon tragen.«

»Nein, nein!« schrie mit gellender Stimme die Arme. »Ich bleibe bei Dir, denn ich habe Dir viel zu sagen. Mich friert auch nicht, ich bin ja die Eule und habe ein dichtes Federkleid und in mir brennt's wie Rachegluth und Liebesschmerz. Weiß wohl, Du möchtest mich gern los sein, aber ich lasse Dich nicht, bis Du gehört und gesehn hast, was Dir nicht lieb ist, bis auch Dir das Herz brennt in Flammenqual und Liebespein. Dann bin ich vergnügt und fliege fort und fliege heim. Aber jetzt setze Dich zu mir, Schätzel! Sollst ein Mährlein hören, das schöne Stück vom Kaiser Adolph und der schönen Amalgund.«

Sie kauerte sich auf die Stufen des Altars nieder und zog den Junker mit einer Kraft an ihre Seite, der er, um die Unglückliche nicht zu reizen, keinen ernstlichen Widerstand entgegensetzen wollte. Dann begann sie mit eintöniger Stimme:

»Hast Du wohl gehört vom Grafen von Nassau, den sie zum Kaiser gemacht haben und der dann gar groß und mächtig geworden ist? Die Geschichte hat sich vor tausend Jahren zugetragen oder geschieht heute noch: ich weiß es nicht recht! Aber der Kaiser hieß Adolph und hatte eine reizende und stolze Gemalin, die nannte sich Imagina von Limpurg und als die Gemalin ihm nicht mehr gefiel, da verstieß er sie und nahm zu sich die schöne Amalgund, eine arme Waise, die nun sehr vornehm ward, und die hat er noch immer bei sich als seine Liebe und herzt sie sehr und wer sie auch minnen und herzen möchte, dem wird es übel gehn und Schmach und Schande trifft sein Haupt, denn er nimmt eine Buhlerin und Ehebrecherin. Da hast Du mein Mährlein! Es ist kurz aber schön. Nimm Dir's zu Herzen, Schatz, und laß es Dir wohl bekommen!«

»Du lügst Wahnsinnige!« rief Friedmann außer sich. In der wildesten Empörung seiner Gefühle sprang er auf und starrte sie mit durchbohrenden Blicken an. »Noch einmal, sage ich, Du lügst! und Amalgundis ist rein, wie das Licht der Sonne,« fuhr er fort, »und auf Kaiser Adolphs ritterlicher Ehre haftet kein Flecken.«

Jutta sah ihn ernst an und erhob sich langsam von ihrem Sitze. Sie legte die Hand, als wolle sie über etwas nachdenken, an ihre Stirn und versetzte nach einer Pause:

»Es ist möglich, daß ich wahnsinnig bin, denn viele Leute sagen es und was Viele sprechen, daran muß etwas Wahres sein. Aber deshalb solltest Du auch mir glauben, denn das Lied von Adolph und Amalgund ist in aller Mund. Die Söldner singen es im Lager und die Mägde in den Spinnstuben:

Der Kaiser hat froh leben
Mit seiner Amalgund!

Sei ruhig, Junkerlein, und ich betrübe Dich nicht! Sie haben mir ja auch meinen Liebsten genommen und ich bin doch froh und vergnügt. Heißa! wir wollen eine lustige Nacht haben, denn das Beste kommt ja noch und Du wirst die schöne Amalgund selbst sehen, wie sie hinausschleicht um Mitternacht zu ihrem kaiserlichen Schatze und beim ersten Hahnenschrei wieder heimkehrt in ihre stille Wohnung. Aber fliegen kann sie doch nicht, wie ich, wenn sie sich auch schon hochschwingt und das ist gar übel für sie. Wenn sie fällt, bricht sie den Hals und ist dann eine schöne Leiche, und Kaiserin Imagina singt ihr ein muntres Sterbelied.«

Friedmann war jetzt unzufrieden mit sich selbst, daß ihn das thörigte Geschwätz einer Geisteskranken zum Zorne hatte reizen können. Aber er empfand in ihrer Nähe ein Grauen, das ihm drückend wurde.

Sie hatte seine Hand ergriffen und hielt ihn mit krampfhafter Gewalt fest. Als sie bemerkte, daß er ernstlich Anstalt machte, sich von ihr loszureißen, klammerte sie sich mit beiden Händen an ihn an und rief hohnlächelnd:

»Du entkömmst mir nicht, Kind; denn Du hast noch nicht alles gehört und gesehn, was Dir die Eule in dieser Nacht zu entdecken hat! Gehe mit mir, sträube Dich nicht! Ich zeige Dir schöne Bilder, wunderliche Heilige, die gefällig sind und dem Meineide und der Sünde dienen. O, ich weiß Bescheid hier und kenne seltsame Geheimnisse, die dieses Haus enthält! Ehe ich eine Eule wurde, war ich die Tochter des Gewaltigsten in dieser Stadt und er hat mich oft hierhergeführt und mir die geheimen Wege gezeigt, aus denen das Laster zum Laster schleicht. Komm nur mit, Junkerlein! Du sollst sehen, daß die Wahnsinnige nicht lügt. Komm mit:« rief sie heftig, indem sie sich stolz erhob, »ich bin nicht gewohnt, daß Deinesgleichen mir den Gehorsam versagt. Oder bist Du eine Memme, die sich vor einem thörigten Weibe fürchtet?«

Wenn auch dieser Vorwurf nur von einer Wahnsinnigen ausgesprochen wurde, so fühlte doch Friedmann, daß es ihn erniedrigen würde, wollte er durch sein Benehmen Grund dazu geben. Er folgte der voraneilenden Jutta, die, indem sie ihre Schritte immer mehr beschleunigte, ihn nach einer entlegenen Stelle der Capelle hinzerrte. Sie kicherte indessen halblaut in sich hinein und ihre Zähne klapperten vor Frost zusammen. Nachdem sie den Junker durch einen langen Gang geführt hatte, blieb sie vor einem Steinbilde des heiligen Nikolas stehen, das sich an einem sehr dunkeln Orte, hinter einer breiten Säule, befand, wo man es kaum bemerkte.

»Sieh nur den Heiligen an!« sagte sie laut lachend. »Macht ein so ernsthaftes Gesicht und ist doch ein Schalk, wie Du bald merken wirst. Ja, das ist der Schutzpatron des großen Adolph und der schönen Amalgund! Der thut ihnen den besten Gefallen, den je ein Heiliger seinem Betkinde geleistet. Gib acht, Junkerlein auf mich und den Nikolas. Siehst Du den kleinen schwarzen Punkt da in der Wand? Wer nichts von ihm weiß, würde ihn nicht bemerken, so gering und unbedeutend ist er. Aber die Eule sieht scharf bei Nacht und ihr entgeht nichts. Sieh! ich berühre nur leise den schwarzen Punkt und wie ich ihn berühre, weicht der Heilige von seiner Stelle und gibt Eingang dem Feinde und dem Verbrecher.«

in der That sah Friedmann zu seinem großen Erstaunen das Heiligenbild aus seiner Nische hervortreten und gewahrte nun in dieser eine schmale und niedrige Eisenthüre, die, wenn der Heilige seinen gewöhnlichen Platz einnahm, verdeckt und verborgen war. Er trat einen Schritt zurück und blickte betroffen auf seine Führerin, die ihm jetzt furchtbar zu werden begann. Schwarze Ahnungen stiegen in seiner Seele auf, es dünkte ihm, aus weiter Ferne rufe eine Stimme, daß nicht Alles Lüge gewesen, was die Tolle gesprochen habe.

»Nicht, mein Junkerlein, das ist ein künstliches Werk?« krächzte sie jetzt höhnisch und ihre Augen ruheten lauernd auf Friedmann. »Aber ich will Euch auch nun sagen, wozu es dient. Wann die schöne Amalgund fliegen könnte, wie die Eule, dann brauchte sie sich nicht den Sanct Nikolas zum Freunde zu halten.

Sie flug wohl auf und flug davon
Hin zu des größten Kaisers Thron!

So aber muß sie in verschwiegener Nacht durch dieses niedrige Pförtlein schleichen, die schmale Wendelstiege hinauf und durch den engen Gang in der Mauer, der an Euerer Schlafstätte hinführt, dann aber thut sich eine geheime Thüre auf im Kaisergemache und sie ist bei ihrem Herzliebsten und beide singen dann miteinander:

Der Kaiser hat froh Leben
Mit seiner Amalgund!«

»Ewiger Gott! das ist keine Lüge, das ist Wahrheit!« stammelte Friedmann, von den Eindrücken dieses Augenblickes und seiner Erinnerungen gewaltsam ergriffen. Sein Antlitz überzog eine Todtenblässe, seine Arme sanken schlaff herab, seine Kniee schlotterten.

»Still, still!« flüsterte die Wahnsinnige. »Sie kommen, sie kommen. Wir müssen sie sehen, aber sie dürfen uns nicht sehen. Hierher, Junkerlein, hinter diese Säule! Ihr schwarzer Schatten birgt die Eule und den Tauber und wir können doch Alles überblicken.«

Mit wunderbarer Besonnenheit schob sie rasch das Heiligenbild wieder an seine Stelle und drängte den Junker, der jetzt nur Gedanken und Empfindungen für die schrecklichen Offenbarungen hatte, die ihm geworden waren, in das Versteck. Ein leises Geräusch ließ sich von dem gewöhnlichen Eingange der Capelle her vernehmen. Gleich darauf erschienen im dämmerigen Hintergrunde zwei Gestalten, die Friedmann in dieser Entfernung noch nicht zu erkennen vermochte. Sein Herz klopfte in stürmischer Bewegung, sein Kopf schien ihm wüst und verwirrt, aber der Gedanke war ihm klar, daß er jetzt Gewißheit oder Zerstörung der schrecklichsten Erfahrung seines Lebens erhalten müsse. Die Gestalten kamen näher. Ein Mann, tief in seinen Mantel gehüllt, schritt voran, gerade auf das Sanct Nicolasbild zu, ihm folgte eine zarte Frauengestalt, in reichen Pelz gekleidet. Beide beobachteten ein tiefes Schweigen und ihr Schritt war so leise, daß er sie nicht verrathen konnte. Als die nächtliche Wandlerin sich gerade dem Hauptaltare gegenüber befand, richtete sie ihre Blicke nach diesem; allein ihr Antlitz war von Friedmann abgewendet und konnte von diesem nicht gesehen werden. Indessen hatte ihr Begleiter die Nische erreicht, in der jener Heilige stand. Auf dieselbe Weise, wie Jutta es gethan hatte, bewegte er ihn von seiner Stelle, öffnete mit einem Schlüssel die schmale Eisenpforte und verschwand, nachdem er sich noch einmal nach der Frauengestalt umgesehen hatte, in den engen dunkeln Raum. Sie folgte hastig nach. In der Thüre wandte auch sie sich noch einmal um, ihr Blick flog rasch und forschend durch die Capelle, dann fiel die Pforte hinter ihr zu und der Heilige trat von selbst auf seinen Platz zurück. Aber schon hatte der Junker von Sonnenberg erschaut, was seine Seele mit Entsetzen erfüllen, sein Herz mit unnennbaren Qualen zerreißen mußte. Er hatte diejenige erkannt, deren Züge unverletzbar in sein Gedächtniß eingegraben waren, er hatte Amalgundis gesehen, dieses trügerische Abbild der Tugend und der Unschuld auf dem Wege zum Verbrechen. In stummer Verzweiflung starrte er nach der Thüre hin, die sich hinter ihr geschlossen hatte. Eine fieberhafte Gluth verzehrte sein Inneres, seine Blicke rollten wild in den weiten, düstern Gängen der Capelle umher. Dann riß er sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung von Jutta los, stürzte nach dem Hauptaltare hin und fiel mit dem Ausrufe: »Verloren! Verloren!« vor diesem nieder. Höhnisch lachte die Wahnsinnige hinter ihm her. Mit furchtbarer Eile stürmte sie an ihm vorüber und indem sie behend wie eine Katze nach dem Säulensimms hinaufkletterte, wo Friedmann sie zuerst bemerkt hatte, kicherte und sprach sie immerfort unverständliche Worte in sich hinein. Hoch oben kauerte sie sich nieder, wiegte sich in seltsamer Beweglichkeit hin und her und sang mit krächzender Stimme:

»Gott geb ihm ein verdorben Jahr,
Der mich macht zu einer Nonnen!«

Dann lachte sie noch einmal wild auf und schwang sich mit einer kühnen Bewegung zum Fenster hinaus. Gleich darauf hörte man einen schweren Fall und ein lautes Angstgeschrei. Es wurde lebendig im Hofe des Palatiums. Stimmen wurden laut und ein unruhiges Hin- und Herlaufen vieler Menschen ließ sich vernehmen. Bald aber trat wieder eine ernste Stille ein und der Frieden der Nacht schien über dem weiten Kaisersitze zu walten.



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