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46.

Und wie die Wogen schäumten, Donner brüllten,
Und Meer und Wind und Hölle sich verschworen,
Mich zu versenken in das nasse Grab;
Versehrt ward mir kein Haar und unverletzt
Kam ich hierher an diese Rettungsküste.

Grillparzer.

Die Gegend, in welcher unser junger Freund ein Probestück seines Muthes und seiner Klugheit abzulegen hatte, ist eine der reizendsten von Deutschland. Nachdem von Mainz herabwärts zu beiden Seiten des Rheines die Rebenhügel zu Bergen herangewachsen sind, öffnet sich plötzlich ein ungeheueres Felsenthor, in das sich der mächtige Strom zu verlieren scheint. Die dunkeln Schieferberge zur Seite werfen ein düsteres Licht herab, die Nahe eilt herbei und drängt sich mit durch das ungeheuere Thor, Bingen und Ehrenfels sind die melancholischen Hüter des Eingangs, während die Saner Rochuskapelle wie ein glänzender und tröstender Stern von einer sonnebestrahlten Höhe hernieder schimmert und mitten in dem Felsengewirre des sogenannten Bingerlochs der Mausthurm den Stürmen eines Jahrtausends trotzt.

Schloß Ehrenfels, an der rechten Seite des Felsenthores auf einer kühn aus dem Rhein emportauchenden Klippe gelegen, wie das Nest eines Adlers, bietet jetzt nur noch einen Trümmerhaufen. Zu jener Zeit aber, in welche unsere Geschichte fällt, war die Burg nach dem Fluße hin wohlbefestigt und im Innern auf das Stattlichste eingerichtet, so daß oft die Erzbischöfe von Mainz ihr Hoflager hier aufschlugen. An dieser Stelle mußten alle Schiffe, die Rheinauf- oder Rheinabwärts kamen, anlegen und einen der lästigen Rheinzölle zahlen, in deren einträglichem Besitz sich zum größten Theile der geistliche Stuhl zu Mainz befand.

Nach dieser kurzen Schilderung des Schauplatzes, den der gütige Leser jetzt mit uns betritt, kehren wir zu dem ungeduldig lauernden Friedmann von Sonnenberg zurück. Unzähligemale waren seine Blicke aufwärts nach der hohen Rossel gerichtet gewesen, aber immer ohne Befriedigung zu erhalten. Er schlich an den Rand des Gebüsches vor, er sah die Straße nach Ehrenfels hinab, einzelne Landleute wandelten friedlich hin und her, allein keine Spur des erzbischöflichen Zuges wollte sich zeigen. Er hatte bis nahe an Ehrenfels hin Bogenschützen in die Weinberge gesandt, die hinter Klippen und Buschwerk verborgen, den bevorstehenden Angriff unterstützen sollten. Seine Maßregeln waren getroffen, nur der Gegenstand, dem sie galten, fehlte.

Endlich – die Abenddämmerung war schon nahe – stieg im raschen Wirbel ein dichter dunkler Rauch von der Höhe der Rossel empor.

»Drauf und dran!« rief Friedmann mit Löwenstimme: »Die Bogenschützen am Fuß des Berges hin, wir Reiter gerade die Straße hinab!«

Sein Ruf wurde mit lautern Jubel beantwortet. Die kleine Reiterschaar brach aus dem Gebüsche hervor, während die Bogenschützen leicht und gewandt seitwärts am Gestein hinkletterten. Noch war auf dem Theile der Straße, der den Blicken des jungen Ritters frei lag, niemand zu sehn, als ein armseliger Bauersmann in einem weiten und, so viel man in der Entfernung bemerken konnte, sehr zerlumpten Mantel. Sobald dieser das Geräusch der hinter ihm Heransprengenden vernehmen konnte, sah er sich um und schien von großer Furcht ergriffen, denn er lief nun mit aller Anstrengung seiner Kräfte vorwärts und war bald hinter einem Bergvorsprunge verschwunden. Bei diesem aber erschienen zugleich einige von Ehrenfels friedlich herziehende Reiter. Es waren ihrer im Ganzen nur sechs und in der hohen Gestalt des Vordersten, der halb geistlich, halb ritterlich gekleidet einen glänzenden Helm trug, dessen Form sich der einer Bischofsmütze näherte, und mit Schwert und Lanze bewaffnet war, erkannte Friedmann seinen gehaßten Feind, Gerhard von Epstein. Er und sein Begleiter schienen zu stutzen. Sie hielten an. Plötzlich aber schien es ihnen klar zu werden, daß die ihnen gegenüber befindliche Uebermacht feindselige Absichten hege und in wilder Flucht verschwanden sie wieder um die Bergecke.

»Nun, Oettingen, ist es an Dir!« jauchzte der junge Ritter. »Ich will Dir den Eber vor das Schwert treiben und Du brauchst ihn nur abzufangen. Thue Deine Schuldigkeit, Oettingen, und Reich und Krone sind gerettet.«

Er ließ den Fliehenden einen Pfeilhagel nachsenden. Er bohrte seinem Rosse den Stachel tiefer in die Seite, aber seiner Ungeduld ging alles zu langsam, denn der Weg, nach dem Laufe des Rheines und der Gestalt des Gebirgfußes sich richtend, machte hier eine weite Krümmung, die erst hinter ihm liegen mußte, ehe er wieder seinen Feind und zugleich Schloß Ehrenfels zu Gesicht bekam. Jetzt lag es vor seinen Blicken. Da sprengte auch eben Oettingen mit seinem zahlreichen Reiterhaufen den Felsenweg neben der Burg herab, da erklang zugleich das Lärmhorn vom Thurme, da bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß die Gegner sich zum Widerstande bereit hielten, daß sie, trotz ihrer geringen Anzahl, unter Anführung des Reiters mit dem Infulähnlichen Helm, die Straße zwischen ihm und dem jungen Grafen besetzt hielten. Auch den Bauersmann in dem zerlumpten Mantel sah er wieder im flüchtigen Ueberblicke. Er war auf der eiligsten Flucht, schon hinter Oettingens Reitern und eben im Begriff, das Thor der Feste zu erreichen.

»Ist Gerhard toll, daß er mit seinen fünf Begleitern eine Gegenwehr gegen ihrer Hundert versucht?« dachte der Ritter und stürmte rastlos vorwärts. Er wollte sich die Ehre des kostbaren Fanges nicht entgehn lassen, auch durfte er hoffen, daß ihm dieser Lohn seiner Anstrengungen zu Theil würde, denn er war den Gegnern weit näher als der junge Graf.

Diese behaupteten indessen ihre Stelle und schienen mit gezogenen Schwertern des bevorstehenden Angriffs zu harren. Als aber jetzt Friedmann auf sie hereinbrach, als sie sich in einem Augenblicke von seinen Leuten umzingelt sahen, als die Bogenschützen aus den Bergen erschienen und von da Tod und Verderben herabdräueten, als sie auch im Rücken den immer näher stürmenden Feind gewahrten: da warf ihr Anführer durch das herabgelassene Visir einen Blick auf den Thurm der hinter ihm liegenden Feste. Eine weiße Fahne wurde in diesem Augenblicke dort aufgesteckt. Die Schwerter der Erzbischöflichen und ihres Anführers senkten sich. Ohne den geringsten Widerstand zu leisten ergaben sie sich zu Gefangenen.

Mit ernster und finstrer Miene ritt Friedmann zu demjenigen heran, den er für den Erzbischof hielt. Er nahm das dargebotene Schwert und überreichte es einem seiner Nassauer. Dann sagte er kalt zu seinem Gefangenen:

»Das Kriegsglück hat Euch in meine Hände gegeben, Herr Erzbischof, aber seid versichert, daß ich Euch behandeln werde, wie es Eurem Stande gebührt und wie es Ritterpflicht und Ehre gebieten. Die schweren Anklagen, die Euch treffen, gehören vor des Kaisers Gericht und ich folge seinem Befehle, wenn ich Euch jetzt zu ihm führe. Freilich,« setzte er mit einer Bitterkeit hinzu, deren er sich nicht erwehren konnte, »freilich wird der büßende Mönch, der mich zur Uebergabe jener giftgeschwängerten Pergamentrolle mit gleißenden Worten überredete, eines Dankes gewärtig sein können, wie eine solche That ihn verdient, allein das darf mich nicht hindern, Euch als einen Fürsten der Kirche zu schonen, wenn ich schon den Giftmischer verachte.«

Der junge Ritter wollte, ohne eine Entgegnung des stolzen Erzbischofs, die vielleicht sehr hochfahrend ausfallen konnte, abzuwarten, sein Pferd umwendete, um rasch mit der kostbaren Beute den weiten Weg nach dem kaiserlichen Heere anzutreten, als plötzlich sein Gefangener mit einer wunderlichen Behendigkeit von seinem hohen Sitze zur Erde herabrutschte und sich hier knieend niederwarf. Der glänzende Helm löste sich von seinem Haupte und fiel zu Boden. Ein durchaus fremdes Gesicht, mit einer spitz vorspringenden rothen Nase, kleinen lebendigen Augen, hochrothen Wangen und einem herausstehenden Kinn, das sich fast mit der Nase vereinigte, starrte, zwischen Lachen und Weinen getheilt, ihm entgegen. Auf dem Kopfe des Mannes wurde ein buntfarbiges Käppchen, mit Bändern und Schellen besetzt, sichtbar.

»Gnade, Gnade!« rief der Knieende in einem sehr feinen Tone der Stimme, der den, eben auch heranstürmenden und haltenden jungen Oettingen unwillkürlich lachen machte, »ich bin ja kein Erzbischof, ich bin aber auch kein Giftmischer, ich bin niemand, ganz und gar niemand, als Claus der Narr.«

»Was soll das heißen?« rief der Ritter von Sonnenberg, indem er im Augenblicke der ersten Entrüstung drohend sein Schwert über dem Haupte des Knieenden schwang: »Unglücklicher, was hast Du gethan? Hast Du diese unselige Täuschung bereitet, die mich zum Spotte meiner Leute macht, oder bist du nur das willenlose Werkzeug eines Höhern?«

»Vergreift Euch nicht an dem Schalksnarren!« ermahnte lachend der junge Graf, dessen Schaar ihm nun auch nachgekommen war. »Es lohnt die Mühe nicht und bringt Euerm Schwerte keinen Ruhm. Haben wir einen kostbaren Fang verfehlt; so ist es wenigstens auf eine närrische Weise geschehn.«

»Gewißlich, mein zartes Junkerlein!« sprach der Knieende zähneklappernd. »Wir sind ja recht lustig miteinander und der edle Ritter treibt auch nur einen muntern Scherz mit dem gehobenen Schwert. Konnte ich mich widersetzen, als bischöfliche Gnaden mir den schweren Helm aufstülpte, daß mir das Genick krachte? Durfte ich ein gratias vorbringen, als die fürstliche Hand mir selbst den Reitermantel umwarf über das bunte Wamms? Ebensowenig durfte ich das, wie der arme Bauersmann, der ruhig des Wegs daher kam, dem Verlangen des hohen Herrn zu widersprechen wagte, der ihm den alten zerrissenen Wollmantel abnahm, sich schleunig darein hüllte und dann wiederum als Lump auf Ehrenfels einzog, von wo er als Erzbischof ausgegangen.«

»Ha, so war er jener Armselige!« unterbrach Friedmann den Narren und ließ sein Schwert sinken. »Ich erkenne Deine Schlangenlist, Gerhard; aber sie soll Dir nichts nützen. Du hast Dich in dieses Felsennest geworfen und willst da horsten, als ein Adler. Dein Wille geschehe, aber Du sollst gebunden sein und gefesselt, daß Du die Flügel nicht zu regen, die Krallen nicht auszustrecken vermagst.«

In der Burg lag, wie man von den Gefangenen erfuhr, nur eine geringe Besatzung, gerade stark genug, um die erzbischöflichen Zollrechte nachdrücklich geltend zu machen. Sie war nicht im Stande, dem Haufen, welchen der Ritter von Sonnenberg anführte, im offenen Felde zu begegnen. Allein dieser sah auch ebensowohl ein, daß seine Streitkräfte nicht hinreichend sein würden, den durch die Natur so sehr befestigten Platz zu erstürmen. An eine Belagerung war gar nicht zu denken, da es an allen Werkzeugen dazu gebrach. Es blieb also unserm jungen Freunde nichts übrig, als die Feste zu umzingeln und so aufmerksam zu bewachen, daß der Erzbischof, ohne seinen Gegnern sich geradezu zu überliefern, sie nicht verlassen konnte. Auf Entsatz durfte der geistliche Herr nicht rechnen, da er alle waffenfähige Mannschaft zu Herzog Albrechts Heer nach Schwaben entsandt hatte.

Friedmann ging sogleich an die Ausführung seines Planes, der dem Gebote Adolphs, seinen gefährlichsten Feind von der Zusammenkunft mit den übrigen verschworenen Fürsten abzuhalten, Genüge leistete. Der junge Graf von Oettingen bewachte die einzige nach der Burg führende Straße von der einen Rheinabwärts gelegenen, Friedmann von der anderen Rheinaufwärts gelegenen Seite. Die Bogenschützen lagerten sich in einen Halbkreis am Abhange des hinter dem Schlosse aufsteigenden Niederwaldes. Sie konnten von hier aus in den Schloßhof und in einige der inneren Gemächer sehen. Sie beherrschten die Mauern und Thürme und Niemand war vor ihren Geschossen sicher. Die Rheinseite war unzugänglich. Der Fluß drängte sich damals bis hart an die steile Felsenwand, auf deren Spitze das Schloß thronte. Die Gefangenen ließ der Ritter frei; sie waren ihm zur Ueberlast und konnten ihm keinen Nachtheil bringen.

Als Claus der Narr sich beurlaubte, sagte er mit einer komischen Geberde zu Friedmann:

»Hütet Euch, edler Ritter, daß Ihr nicht vor dieser Burg eine Schellenkappe erobert. Da drin sitzt ein Mann, der solche gar trefflich anzufertigen versteht und schon manchen damit geschmückt hat, ehe er sich dessen versah. Glaubt mir, dem Manne ist kein Kunststück fremd und hilft ihm nicht die weiße Kunst, so muß es die schwarze. Das heißt: führt er Euch nicht bei Tag an, so thut er's bei Nacht! Nehmt guten Rath an, Herr, und rüstet Euch mit Geduld; denn Zeit und Weile wird er Euch doch noch lang machen, ehe er Euer Haupt mit der bunten Gugel ziert und Euere Hand mit dem Pritschholze bewaffnet.«

Der Ritter von Sonnenberg achtete wenig auf das Geschwätz eines Menschen, der, nach damaliger Sitte, das Recht hatte, jede Thorheit laut werden zu lassen. Aber die Zeit lehrte, daß der Narr ein wahrer Prophet gewesen sei. Mehrere Wochen waren verstrichen und Friedmann lagerte immer noch vor der Burg in quälender Unthätigkeit. Er hatte einen Eilboten an den Kaiser gesandt, mit dem Berichte, in wie fern es ihm gelungen, seine Befehle auszuführen. Gerüchte sagten, daß Albrechts Heer fliehe, wo sich Adolph zeige, daß dieser seinen Gegner in das Elsaß gedrängt habe und man einer baldigen Entscheidung durch eine Hauptschlacht entgegen sehe. Des jungen Ritters Unmuth mußte sich vermehren. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, bei dieser glänzenden Gelegenheit nicht unter den Augen Adolphs zu kämpfen. Er ward zugleich von andern Empfindungen beunruhigt. Amalgundis war ihm so nahe und dennoch, durch ihren letzten unerklärlichen Ausspruch beim Abschiede, so fern! Wann durfte er hoffen die Aufklärung zu erhalten, die ihm das Recht gab sie wiederzusehen? Von wem konnte er sie erwarten?

In dem Vertrauen, daß Erzbischof Gerhard, durch Entbehrung des Nothwendigen gezwungen, sich bald ergeben müsse, hatte er sich vor Ehrenfels gelagert. Allein wie sehr hatte er sich getäuscht! Auf leichten Nachen wurden von den Bewohnern am unteren Rhein Lebensmittel bis an den Fuß der Felsenwand geführt und hier an Stricken hinauf in die Feste gezogen. Er mußte es sehen und konnte es nicht verhindern. Vergebens ließ er vom Klippenrand herab durch die Bogenschützen die Heranschiffenden angreifen. In dieser Entfernung und bei dem starken Zugwinde, der immer im Stromgebiete herrschte, war kein Schuß sicher. Die kühnen Schiffer spotteten seiner mit höhnischen Geberden. Mehreremale hatte Gerhard, unter Versicherung freien Geleits, den Ritter zu einer traulichen Unterredung in die Burg eingeladen. Friedmann aber, die Schlangenlist und Tücke des Mannes scheuend, hatte diese Einladungen abgelehnt. Zuletzt erbot sich der Erzbischof sogar, zu ihm ins Lager zu kommen, wenn er sein ritterliches Wort für freien Abzug verpfände; allein auch dieser Vorschlag war von dem argwöhnischen Sonnenberg zurückgewiesen worden.

Es war in einer finsteren und stürmischen Nacht, als Friedmann auf ein Zeichen, das die Bogenschützen auf dem Berge durch einen lang gehaltenen Hornton gaben, aus seiner dürftig aufgerichteten Laubhütte hervortrat und sogleich seine Blicke nach der Burg richtete. Hier schien ein lebendiges Treiben zu herrschen. Fackeln wurden in den Gemächern umhergetragen, ein mächtiges Feuer, dessen Flamme der Sturmwind am dunkeln Himmel hinpeitschte, loderte von dem höchsten Thurme auf. Der erste Gedanke des jungen Ritters war, daß der Erzbischof einen Ausfall wagen und auf diese Weise versuchen wolle, sich in Freiheit zu setzen. Er ordnete sogleich seine Leute, die Lärmhörner tönten im schaurigen Widerhalle durch das Thal hin, um den Junker von Oettingen zur Aufmerksamkeit zu mahnen, und ein heranziehendes Gewitter mischte sein dumpfes Rollen übertönend in das Ganze.

Friedmann hielt, ungeduldig dessen harrend, was hieraus entstehen würde, auf seinem brausenden Streithengste vor seiner Reiterschaar. Einzelne Blitze zuckten durch die Nacht und zeigten den Strom in ungewöhnlicher Unruhe. Es war ein großes Schauspiel, das sich in schnell vorüberfliegenden Momenten bot, und in diesen von dem jungen Ritter aufgefaßt wurde. Das ungeheure Felsenthor, der wogende Rhein, das düstere Städtchen Bingen, der Rochusberg mit seiner Capelle, flammten auf, wie feurige Bilder, und versanken dann wieder in undurchdringliche Finsterniß.

Ein ferner Hufschlag, ließ sich mit einemmale vernehmen. Es war nur ein einzelner Reiter. Friedmann legte die Hand an sein Schwert, gebot aber seinen Leuten Stille. Der Reiter war nahe gekommen, und hielt dicht vor dem Ritter.

»Habt Ihr denn keine Ahnung, was dies Alles bedeutet, Herr von Sonnenberg?« wurde jetzt Oettingen's Stimme laut. »Freilich verdeckt Euch hier der vorstehende Fels den Blick, aber steigt nur ab, wir wollen ein wenig am Rand hinklettern und Ihr sollt sehen, wie der Fuchs sich aus der Falle zu stehlen weiß.«

Die beiden jungen Männer scheueten die drohende Gefahr nicht und stiegen den schräg ablaufenden Felsen seitwärts so weit hinab, daß sie nun den Rhein und die Klippe, auf der die Burg ruhete, ganz übersehen konnten. Da flammte auch vom Mausthurm ein gleiches Feuer auf, wie von der Schloßwarte, da sahen sie Lichter im Strome schwimmen, da erkannten sie im Glanze der Blitze mehrere Nachen, die dicht am Fuße der Klippe von Ehrenfels geankert hatten.

»Der Tollkühne!« rief Friedmann, von einer Ahnung der Wahrheit ergriffen. »Er wird doch nicht wagen, in dieser Nacht, bei dem einbrechenden Unwetter« –

»Was gilt die Wette, er wagt's?« fiel der junge Graf ein. »Seht hin!« schrie er auf, als jetzt ein Blitz die Gegend erhellte. »Er hat es gewagt, dort schwebt er am Felsen.«

Ein Blick des Ritters von Sonnenberg war hinreichend, ihn zu überzeugen, daß die Verwegenheit seines Gegners ihm in wenigen Augenblicken jede Frucht seiner wochenlangen Bemühungen entreiße. Von den Flammen, die auf den Thürmen loderten, und von den fast unaufhörlich leuchtenden Blitzen erhellt, ließ sich aus einem Fenster der Burg an einem Stricke ein Mann in den Rhein herab. Der Mann war, so viel man erkennen konnte, von hoher Gestalt und starkem Körperbau. Diese Umstände, so wie das Kühne des ganzen Unternehmens, ließen Friedmann keinen Zweifel, daß es der Erzbischof sei.

»Die Bogenschützen herbei!« rief er außer sich. »So weit hinab an den Rhein, als es gehn will! Laßt mir den Adler nicht entfliehn aus seinem Neste. Ihr seid gute Nassauer! Drauf und dran: schießt mir ihn herab! Wer heute den besten Preis erringt, der hat dem Kaiser Krone und Reich gewonnen.«

Er selbst nahm eine Armbrust und fuhr, vom Drange seiner Empfindungen fortgerissen, so schnell das abschüssige Ufer hinab, daß er mit einemmale bis an die Brust im Wasser stand. Gleich drauf wimmelte es neben ihm von den wackern Bogenschützen und im seichten Uferwasser fortwatend kamen sie der Klippe so nahe, daß sie jetzt hoffen durften, mit ihren Bolzen und Pfeilen den in der Luft schwebenden Flüchtling zu erreichen. Ein Angstgeschrei tönte von den Nachen, als sie dort bemerkt wurden. Aber Friedmann sah auch, daß der kühne Gerhard nahe daran war, eins der Fahrzeuge zu betreten. Er erhob die Armbrust, er zielte mit scharfem Auge, er war sicher seinen Gegenstand nicht zu verfehlen: da stürzte mit einemmale der Regen, der sich schon durch einzelne große Tropfen angekündigt hatte, in einer so gewaltigen Masse vom Himmel herab, daß in einem Augenblicke die Feuer auf der Wart und auf dem Mausthurme erloschen, eine plötzliche Finsterniß eintrat und die Sehnen der Schießgewehre erschlafft und unbrauchbar herabhingen.

»Es ist umsonst!« knirschte Friedmann. »Wenn ihm der, dem er sich ergeben hat, auch durch den Strudel hilft in dieser furchtbaren Gewitternacht, so ist des Gerhards Leben gefeit und kein ehrlicher Kriegsmann vermag etwas gegen ihn.«

Pferdestampfen, wildes Geschrei und Schwertergeklirr tönte von Oben herab, als die wüthenden Schläge des Donners einige Augenblicke aussetzten.

»Sie haben einen Ausfall gemacht!« rief Stephan von einem niedern Vorsprunge seinem Herrn zu. »Aber der Junker sitzt ihnen tüchtig im Nacken und weis't ihnen den Weg in die Feste zurück.«

»Er mag es ausmachen mit ihnen!« sagte der Ritter bei sich. »Ich wurzele hier, ich muß sehen, ob des Teufels Kunststück gelingt, ich muß harren, bis die empörte Natur selbst von dem gewaltigen Manne überwunden ist oder sie ihn vernichtet im gereizten Grimme.«

Da flammte wieder ein Blitz am weiten Himmel hin. Er erleuchtete den Strom, der um den Mausthurm ungeheuere Wellen trieb. Mitten in diesen Wellen und gegen sie und gegen die Klippen kämpfend gewahrte der Ritter einen kleinen Nachen, in welchem der Flüchtling aufrecht stand und mit erhobener Hand seine Befehle zur Leitung des schwankenden Fahrzeugs zu geben schien. Es war, als gehorchten die Wogen seinem Winke und als habe er die Macht, den Kahn vor dem Zertrümmern an der Felsenbank zu bewahren. Neben ihm dienten schon die Bretter der andern Fahrzeuge, welche der Strudel zerschmettert hatte, dem empörten Elemente zum Spiele, untersinkende Menschen wurden von Klippe zu Klippe geworfen und ihr Angstgeschrei übertönte das Toben des Sturms. Dieses Schauspiel entschleierte sich nur einen Augenblick lang den Augen des Ritters, um im nächsten wieder zu verschwinden. Ein anhaltendes Donnerrollen verschlang das entsetzliche Wehegeschrei der Sterbenden, der Sturm heulte furchtbarer das Thal herauf und es schien, als seien die Wasser des Himmels unversiegbar. Mit pochendem Herzen und zurückgehaltenem Odem harrte Friedmann des nächsten Blitzstrahls, der ihm den Ausgang des Unternehmens zeigen konnte. Er mußte lange harren. Endlich flammte es auf am tiefdunkeln Himmel und eine feuerige Masse, der sogleich ein mächtiger Donnerschlag folgte, stürzte herab in die Mitte des Strombetts. Der Flüchtling war gerettet. Er stand am jenseitigen Ufer, er war im Begriff ein Pferd zu besteigen, mit dem ein kleiner Reiterhaufen dort hielt.

Eine bittere Empfindung bemächtigte sich des Ritters von Sonnenberg. Er ließ den Arm mit dem Schießgewehre langsam sinken, er achtete es nicht, als dieses ihm von den Wellen aus der Hand gerissen und weggeführt wurde.

»Es ist nun gut!« sagte er zu den nächsten Bogenschützen. »Wir sind nun erlöst von der Wache vor diesem bezauberten Schlosse und können jetzt feiern. Kommt herauf! Wir wollen ausruhn. Wir hätten uns die Mühe sparen sollen, mit dem Teufel um seinen Liebling zu hadern.«

Während sie mühesam den schlüpfrig gewordenen Abhang erstiegen, hörte plötzlich das Gewitter auf, der Sturm schwieg und das tobende Rauschen der Wellen verminderte sich. Friedmann konnte, als er oben am Rande stand, vom jenseitigen Ufer das Geräusch der Reitenden vernehmen, mit denen der gerettete Erzbischof von dannen eilte. Er hüllte sich tiefer in seinen Mantel und ging schweigend an dem Junker von Oettingen, der ihn nach seiner Weise mit einem Scherzworte empfing, vorüber.

Er suchte Ruhe auf seinem Lager, allein er fand sie nicht. Erst am Morgen, als ein Eilbote des Kaisers bei ihm eintraf, wurde er durch die Nachrichten, welche dieser brachte, zufriedener gestimmt. Adolph erklärte eine fernere Bewachung Gerhard's für unnöthig, da der Zweck derselben, die Vereitelung jener gefürchteten Zusammenkunft bereits erreicht worden sei. Er belobte den Ritter von Sonnenberg sehr wegen der gelungenen Ausführung dieses Unternehmens, er zeigte ihm an, daß in den nächsten Tagen der blutige Entscheidungskampf zwischen ihm und Albrecht statt finden müsse, er forderte ihn auf sich eiligst mit der ihm anvertrauten Schaar zu dem kaiserlichen Heere zu begeben, damit auch er seinen Theil an der Ehre dieses Tages davon tragen könne. »Ich muß meine Nassauer um mich haben,« waren, wie der Bote aussagte, des Kaisers Worte gewesen, »sie alle, die ein Schwert für ihren Kaiser zu tragen vermögen. Sie sind die festesten Stützen meines Throns und in ihrer Mitte allein kann ich überzeugt sein, keinen Verräther um mich zu haben.«

»Auf, Oettingen!« rief Friedmann mit leuchtenden Blicken. »Die Zeit ist gekommen, nach der wir uns längst gesehnt. Ihr seid ein Nassauer in Eurem Herzen so gut wie einer; Ihr werdet auch Blut und Leben einsetzen für Adolph und sein Recht. Blickt dort hinauf, wo die Morgensonne jene duftigen Wölkchen vergoldet! Dorthin ziehn wir, dort winkt die Ehre, dort winkt der Sieg.«

Im freudigen Jubel setzten sich die muthigen Nassauer, die von Kampflust und Siegeshoffnung entbrannten, in Bewegung. Sie zogen singend durch die öden erzbischöflichen Flecken und Dörfer. Alles schien ausgestorben. Die Männer waren in den Krieg gezogen, Weiber, Greise und Kinder wagten nicht, sich sehen zu lassen.

Noch eine wehmüthige Empfindung hatte der Ritter von Sonnenberg zu bekämpfen, ehe er ganz von dieser reizenden Gegend schied. Er sah die Gipfel jener Berge wieder, in deren Schooß das still verborgene Thälchen lag, wo Amalgundis lebte, er sah sie im Geiste wandeln im Gärtchen der zierlichen Burg, im lieblichen Wiesengrunde, am rauschenden Wasserfall. Wie ein lebendiges Bild stieg die Abschiedsstunde in seiner Erinnerung auf. Er hörte ihre süße Stimme wieder, er vernahm die Worte, die sie damals gesprochen, er dachte an trübe künftige Dinge, an bevorstehendes Unheil und frühen Tod. Er wurde sehr weich gestimmt. Da erkannte er, wie nothwendig es sei, sich aus diesem Gemüthszustande herauszureißen. Er gab seinem Pferde den Sporn und rief zum Erstaunen des Ehrenjunkers laut aus:

»Es gibt keine ewige Trennung! Man sieht sich immer einmal wieder: sei es hier oder dort!«



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