Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

44.

Leb' wohl, o Northmaven,
Gran Hillswick, leb' wohl!
Du Ruhe im Hafen,
Du Sturm auf der Höh':
Du Lüftchen, das kräuselt
Die Wogen umher,
Und Du, meine Mari!
Nie seh ich Dich mehr!

W. Scott.

Das Fräulein gab dem Drange ihrer Sehnsucht nach und trabte rasch den ziemlich abschüssigen Bergpfad hinab. Erst unten gesellte sich Friedmann, den der Abschied von seinen alten Freunden aufgehalten hatte, wieder zu ihr. Die Kammermagd folgte langsam und vorsichtig nach, die Eile verwünschend, mit der ihre Gebieterin das Reiseziel zu erreichen bemüht war. Ein stilles Wiesenthal nahm die Wanderer auf. Es zog sich schmal zwischen hohen Bergen hin und war so still und einsam, daß es von der Welt ungekannt oder vergessen schien. Der kleine Bach, der das frisch grünende Gras der Ufer bespülte, folgte den Schlangenwindungen des Thälchens, das, je weiter man kam, immer enger und abgeschlossener wurde. Amalgundis sprach nichts, aber ein höheres Feuer belebte ihre schönen Augen, die Röthe ihrer Wangen vermehrte sich und sie trieb das Thier, welches sie trug, zu immer größerer Eile an. Sie war ungemein schön in diesen Augenblicken. Der junge Ritter konnte sein Auge, das seitwärts auf ihr ruhete, nicht von ihr abwenden. Alles, was ihm Bandini zu ihrer Rechtfertigung gesagt hatte, erhob sich mit Macht in seiner Brust und verdrängte aus dieser jeden schmählichen Verdacht. Er glaubte jetzt erst Licht zu sehen, er war früher in Nacht gewandelt. Alles war Täuschung, Traum, ein Fieberbild des Augenblicks gewesen. Ein neuer Morgen des Glücks und der Hoffnung ging für ihn auf. Als feste, unumstößliche Wahrheit ward es ihm klar, daß Amalgundis zu seinem Glücke unentbehrlich sei.

Sie wanderten jetzt um eine Waldspitze, die sich bis in den Thalgrund hinabneigte. Da lag mit einem Male ganz dicht vor ihnen, auf einem mäßigen Hügel, den ringsum höhere Berge begränzten, ein neu erbautes zierliches Schloß von nicht sehr großem Umfange. Das Panier Adolphs von Nassau entfaltete sich im Abendsonnenglanze von dem höchsten Thurme. Man schien die Ankunft der Reisenden erwartet zu haben, denn in dem Augenblicke, wo man sie von der Burg aus sehen konnte, erklangen Pauken und Trompeten, die Brücke ward niedergelassen und mehrere Bewohner des Schloßes zeigten sich am Eingange.

Von allem wurde Amalgundis mit der innigsten Herzlichkeit begrüßt und willkommen geheißen. Ein alter Burgvogt und seine Frau, deren Nacken ebenfalls das Alter gebeugt hatte, nannten sie ihr liebes Kind, und führten sie auf ihren Wunsch sogleich nach ihren Gemächern, deren Einrichtung und Anordnung einst ein Lieblingsgeschäft der edlen Jungfrau gewesen war.

Friedmanns Aufmerksamkeit wurde durch Alles, was er sah, ungewöhnlich beschäftigt. Die Burg hatte nur einen kleinen Hofraum, alle Befestigungen, Mauern und Thürme, selbst die künstlichen Zierrathen waren in einem übereinstimmenden Verhältnisse ausgeführt. Dabei schien die Hand eines Meisters den ganzen Bau geleitet zu haben. So artig das Schloß in seinem Aeußern, ebenso fest war es, um den ernstesten Angriffen zu widerstehen, eingerichtet. Der Ritter mußte dem Werke seine Bewunderung zollen. Er trat auf den Wall und sah durch eine Schußscharte ins Freie. Da schien ihm plötzlich von diesem Punkte aus die Gegend nicht unbekannt. Er erinnerte sich in früheren Jahren, durch ein Wild auf der Jagd verlockt, hierher gerathen zu sein; damals aber stand keine Burg hier und keine menschliche Wohnung hatte er in der ganzen Gegend wahrgenommen. Er sah sich um, ob niemand in der Nähe sei, der ihm Auskunft geben könne. Da trat ein alter graubärtiger Kriegsmann auf ihn zu und sagte mit treuherzigem Lächeln:

»Ihr kennt mich wohl nicht mehr, edler Herr, aber ich habe Euch gleich erkannt, als Ihr mit Fräulein Amalgundis das Thal heraufzogt. Freilich waret Ihr noch ein Knäblein, spieltet mit einer kleinen Armbrust und warft mit Stecken, statt mit Wurfspießen nach der Scheibe. Aber die Aehnlichkeit mit Eurem edlen Vater, Herrn Ludwig, hat Euch als einen Sonnenberg gezeichnet für Euer Lebtag und der alte Tobias hat noch scharfe Augen.«

»Wahrhaftig! Tobias, Du bist's;« entgegnete der Junker mit Lebhaftigkeit und schüttelte dem Alten die Hand. »Jetzt erinnere ich mich Deiner wieder recht wohl. Wie oft hast Du mir Bolzen gemacht für meine kleine Armbrust, wie oft Pfeile geschnitzt für meinen Bogen. Aber sage mir, wie kommst Du hierher, wie kommt die ganze Burg her, von der vor einigen Jahren noch kein Stein vorhanden war.«

»Ihr habt ganz Recht!« erwiederte Tobias. »Erst seit der Zeit ist sie erbaut worden, und Kaiser Adolph hat Alles selbst angegeben, um seinem Herzblatt, der lieben Amalgund, die auch unser aller Herzblatt ist, eine schöne, verborgene und feste Wohnung zu bereiten. Als das Schloß von fremden Arbeitern, die gleich darauf fortzogen nach Welschland in ihre Heimath, zu Stande gebracht worden war, erhielt es den Namen Adolphseck. Da hat denn unser kaiserlicher Herr,« fuhr der Alte stockend fort, »wie sie sagen, die allergetreuesten Leute aus dem Nassauerlande ausgesucht, um das Schloß zu bewachen und im Nothfalle zu vertheidigen. So bin ich nun auch hergekommen.«

Die vertrauliche Beziehung, in welche Tobias das Fräulein zu dem Kaiser stellte, konnte dem jungen Ritter in seiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung nicht auffallen. Er folgte heiter dem Alten, der ihn zu seinen Gemächern führte und die Obliegenheiten eines Dieners übernahm. Er sah seine schöne Reisegefährtin am heutigen Abende nicht mehr, aber schon der Gedanke beseligte ihn, in ihrer Nähe zu weilen, unter einem Dache zu ruhen. Die rauhen Sitten jener Zeit schmiegten sich, wie zu allen Zeiten unter die Macht der Liebe, und die Empfindungen des jungen Mannes mußten dieselben sein, die von Anfang an die Welt beherrschten und sie noch immer beherrschen. –

Die Sonne des nächsten Tages warf ihre ersten Strahlen durch die kleinen Hornfenster, als Friedmann sein Zimmer verließ, um sich der erfrischenden Kühle des jungen Morgens zu erfreuen. Er durfte höchstens nur noch einige Stunden verweilen und in dieser Zeit wünschte er nicht sehnlicher, als Gelegenheit zu einer traulichen Unterredung mit Amalgundis zu finden. Er wollte ihr Alles abbitten, er wollte ihr ein stetes inniges Vertrauen geloben, er wollte sich mit ihr versöhnen, und, wenn das Geschick ihm so Hohes gewährte, nur ein Wort der Gegenliebe, der Treue von ihren Lippen vernehmen. In diese Gedanken vertieft trat er aus einer kleinen Pforte des Schlosses und sah nun das Flüßchen Aar vor sich, wie es über Insel- und Felsengrund stürmisch hinrauschte. Ein anderes Wiesenthal, als das gestrige, lag vor seinen Blicken, noch schmäler und von noch höheren Bergen umgeben. Er ging dem Laufe der Aar nach, er sah gedankenlos auf das Hüpfen und Spielen der schäumenden Wellen, er fühlte nur, und dieses Gefühl, in das sein ganzes Wesen aufgelöst war, galt der schönen Amalgundis.

Plötzlich wurde er durch ein heftiges und wildes Brausen aus diesem Zustande aufgerissen. Er sah vor sich eine ansehnliche Felsenspalte, in die sich zwei Arme des Flüßchens, die bisher getrennt gewesen, von verschiedenen Seiten hinabstürzten. Die Abgeschiedenheit des Ortes, das Wiesen- und Waldesgrün ringsum, der rauschende Wasserfall, Alles war geeignet, einen tiefen und angenehmen Eindruck auf den jungen Mann zu machen. Er blickte mit Vergnügen in die schäumenden Wellen, die, von den Felsen abgestoßen, bald im weiten Bogen sich zu dem tiefern Grunde schwangen, bald sich vereinigten und nun im verstärkten Falle über die Klippen hinabbrausten. Die Neuheit des Schauspiels lockte ihn an, es in der Nähe zu betrachten. Er suchte nach einem Wege, der ihn in die Tiefe der Felsenspalte führen könne. Er bog die Zweige eines Gebüsches, das ihn verhinderte, zurück, er trat einige Schritte vor; da aber traf ihn ein Anblick, der ihn mächtiger anzog als Alles, was die Natur hier bieten konnte: Amalgundis, durch das Geräusch, welches er verursachte, aufmerksam gemacht, blickte ihn von einer natürlichen Felsenbank, auf der sie halb sitzend, halb liegend, ruhete, mit freundlichem Lächeln an. Er stand einige Augenblicke sprachlos, er fühlte, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei, eine nicht zu bezwingende Verlegenheit beengte seine Brust und hemmte seinen Willen.

»Hier ist meine Lieblingsstelle;« sagte Amalgundis, indem sie die Bewegung seines Innern nicht zu bemerken schien. »Das Rauschen des Wasserfalles gewährt mir ein unerklärliches Vergnügen, dem ich mich Stundenlang hingeben kann, ohne zu ermüden. Ich sehe dann in den Silberschaum, auf die glänzenden Tröpfchen, die sich am Gestein zur Seite und auf den Blättern der Gebüsche und Kräuter ansetzen. Dann weilt mein Auge wohl auch lange auf dem still wieder hinfließenden Wasser und es steigen, wie aus einem Spiegel, befreundete Gestalten ferner Lieben vor mir auf. Ich weiß wohl, daß das leere Träume und thörigte Wahnbilder sind, aber sie erfreuen mich und beleben meine sonst öde Einsamkeit.«

Die Güte, mit der das Fräulein zu dem Ritter von Sonnenberg sprach, gab diesem seinen ganzen Muth zurück. Er beschloß nicht länger zu zaudern, um endlich die Gewißheit seines künftigen Glücks oder Unglücks zu gewinnen. Wer da weiß, wie die Leidenschaft eines Liebenden nach einer beigelegten Zwistigkeit sich mächtiger und gewaltiger zur Herrin der Gefühle aufwirft, als je zuvor, der wird diesen unwiderstehlichen Drang unseres jungen Freundes sehr natürlich finden. Er schritt durch das Gebüsch, das ihn noch von Amalgundis trennte, zu dieser vor, er nahm auf ihren Wink zu ihrer Seite auf dem engen Felsensitze seine Stelle ein.

»Edles Fräulein,« begann er nach einer kurzen Stille, »ich suchte Euch auf, um Abschied von Euch zu nehmen. Der Befehl des Kaisers ruft mich sogleich nach Schwaben.«

Von einer plötzlichen Bewegung ergriffen, die sie kaum zu verbergen vermochte, erwiederte rasch Amalgundis:

»Wie – Ihr müßt mich schon verlassen? Ihr könnt nicht länger hier verweilen in der schönen Einsamkeit? Wie manches liebliche Plätzchen hätte ich Euch zeigen wollen, dort in den schattigen Eichenwäldern, besser hinauf an der Aar – o gewiß! mein liebes Adolphseck hätte Euch noch recht gefallen.«

»Es würde mir nicht theuerer werden, als es schon jetzt ist;« versetzte halblaut der junge Ritter, indem er seine Blicke aus dem Schaume der Wellen auf Amalgundis erhob. »Ja, Amalgundis,« fuhr er lauter sprechend fort, »dieses freundliche Thal ist mir über Alles werth geworden; denn es schließt das edelste Gut ein, nach dem meine Sehnsucht, nach dem meine Wünsche ringen. Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß Ihr dieses herrliche Gut seid. Ich habe Euch ja meine Liebe schon gestanden, aber, ich bekenne es, ich habe auch gesündigt gegen diese Liebe durch Mißtrauen und unglückseligen Argwohn. O verzeiht mir das, Amalgundis! Laßt mich nicht von Euch scheiden, ohne die Gewißheit mit mir zu nehmen, daß Ihr mir nicht zürnt!«

Amalgundis erkannte mit tiefer Rührung, daß Friedmann's Liebe von einer Innigkeit und Stärke sei, die selbst die aus eigener Erfahrung geschöpfte Ueberzeugung zu verdrängen vermöge. Aber sie hatte ein Geständniß dieser Art geahnet und war darauf vorbereitet. Sanft aber mit einigem Ernste antwortete sie:

»Ich habe Euch nichts zu verzeihen, denn nachdem ich Alles wohl überlegt, ist es mir klar geworden, daß Ihr Euch in mir irren mußtet. In ihm, den Ihr mit mir verkannt, hättet Ihr Euch aber nicht täuschen, ihn hättet Ihr nicht zu einem kleinlichen Argwohn herabziehen sollen. Doch das macht mit Euch selbst aus! Meine Verzeihung, wenn Ihr sie anders nöthig glaubt, habt Ihr aus gutem Willen und gutem Herzen.«

Sie reichte ihm bei diesen Worten mit freundlichem Lächeln die Hand. Er ergriff sie, drückte sie mit Innigkeit und hielt sie fest in der seinigen.

»Amalgundis,« sprach er dann, »Ihr habt Großes bewilligt, allein der Unersättliche verlangt noch mehr. Ich werde die Schuld abzubüßen wissen, mit der ich mich gegen ihn, dem ich nur zum Danke verpflichtet war, beladen. Ich werde mein Blut, wenn es sein soll, mein Leben freudig für ihn hingeben. Der Kampf auf Tod und Leben ist ein geringes Ding für denjenigen, der unter Waffenspielen erwachsen ist, dessen erste Jünglingsjahre von blutigen Kämpfen bezeichnet wurden. Aber das Gefühl, das ihn dazu treibt, ist die Hauptsache und unter den vielen Tausenden, welche Adolphs Wink beherrscht, wird man vergebens einen aufsuchen, der mich in Liebe, Treue und Ehrfurcht zu ihm übertrifft. Amalgundis, ich gehe in diesen Kampf mit dem ernsten Vorsatze, mein Leben zu opfern, wenn dieses Opfer der Sache Adolphs nur den geringsten Nutzen bringen kann. Aber lasset mich nicht nur ernst, lasset mich auch freudig an dieses Werk gehen. Ich darf nicht hoffen Euch wiederzusehen. Gebt mir ein schönes Bewußtsein mit auf den Weg, eine Erquickung für die letzte Stunde, wenn sie eintritt, für den letzten Kampf, wenn er gekämpft sein soll. Sagt, daß meine Liebe nicht unerwiedert blieb, sagt, daß Ihr hättet die Meinige werden wollen, wenn ich nicht mein Leben hingegeben für die gerechte Sache meines Herrn und Kaisers!«

»Ihr werdet ihm dienen und nützen, ohne ein so großes Opfer bringen zu müssen;« sagte Amalgundis mit gerührter Stimme, indem sie eine Thräne in das schöne Auge zurückdrückte und sich von ihrem Sitze erhob. »Was Ihr sonst noch wünscht, Ritter von Sonnenberg, darf ich Euch nicht gewähren. Ich habe Alles überlegt, Alles bedacht. Ihr seid der Sohn eines Mannes, dessen Namen von jedermann mit Ehrfurcht genannt wird, auf Euerer ritterlichen Ehre haftet kein Flecken. Mein Name,« fuhr sie bewegter und sehr ergriffen fort, »dient dem Volke zum Spott, zu schmählicher Lästerung. Ich habe das erst jetzt erfahren, erst jetzt habe ich erkannt, wie ich mitten im Glanze des Kaiserhofs für die Besseren ein Gegenstand des Bedauerns, für die Schlimmeren ein Gegenstand der Verachtung sein mußte. Die Verspottete, die Verachtete darf Euch keine Hoffnungen geben, wie Ihr sie verlangt, Ritter von Sonnenberg. Ich bin unschuldig,« sprach sie weiter und sah ihn mit ruhigem, offenem Blicke an, »dieses Bewußtsein versüßt mir meine Einsamkeit, in die keine lästernde Stimme der Welt herüberdringt. Ein grausamer Hohn meines Schicksals läßt mich schuldig erscheinen. Ein Eid hält meine Zunge gefesselt, ich kann mich nicht rechtfertigen. Wenn aber derjenige, der allein das Recht hat, den Schleier dieses Geheimnisses zu heben, wenn er dereinst Euch offenbaret hat, warum Amalgundis nicht rein und fleckenlos erscheinen durfte vor der Welt, dann kommt wieder zu mir« – sie sprach diese Worte sehr weich – »dann will ich Euch Antwort geben auf Euere Frage. Bis dahin lebet wohl – sagt mir nichts mehr – lebt wohl!«

Sie brachte den Abschiedsgruß mit gepreßter, halb schluchzender Stimme vor. Der junge Ritter fühlte seine Hand sanft von der ihrigen gedrückt. Dann klimmte sie rasch den Felsenpfad hinauf und war sogleich seinen Blicken entschwunden.



 << zurück weiter >>