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30.

Weit sind die Pforten aufgethan
Zu Frankenkönigs Feste,
Bewundernd Volk erfüllt den Plan,
Die Hallen edle Gäste.

L. M. Fouqué.

Zu dem Festgelage, welches in der kaiserlichen Pfalz begangen werden sollte, war diese, nach dem Geschmacke jener Zeit, auf das Prachtvollste ausgeschmückt. Schon die innern Wände des Hofes zeigten einen ungewöhnlichen Prunk, indem lange scharlachrothe Tücher mit Sinnbildern in Goldstickerei, aus den Fenstern herabhingen und den größten Theil der Mauern bedeckten. Der Boden des Hofes war mit Binsen dick bestreut, der Eingang der großen Speisehalle war mit einer seltsamen Decoration umgeben, welche eine Felsenhöhle vorstellte. Zwei Riesen standen davor und bewachten mit gekreuzten Keulen den Eingang. Längst den Hofmauern hielten hoch zu Rosse viele geharnischte Männer in starrer Unbeweglichkeit.

Näherten sich Gäste, welche durch die Dienstleistungen der Ehrenjunker als solche bezeichnet waren, der Halle, so ließen die Riesen demüthig ihre Keulen sinken. Die Gäste traten ein und wurden hier von einem Meistersänger und einem Hofnarren, mit Sinnsprüchen und Scherzen begrüßt.

Ein Empfang dieser Art wurde auch dem Stadtschultheißen und seiner Gesellschaft. Der Meistersänger wandte sich sogleich an Amalgundis und brachte in einer mehr schnarrenden als singenden Weise den Spruch vor:

»Geborn rein und säuberlich
Weiß ich ein Weib gar minniglich.
Die ist mit Zuchten wohl bewahrt:
Gegrüßet sei die Rein' und Zart'.«

Der Narr schlug dem Stadtschultheißen ein Schnippchen und rief spöttisch:

»Du bist kein Graf, Du bist kein Ritter,
Machst ein Gesicht, wie ein Leichenbitter!«

Die plumpen Scherze solcher Possenreißer konnten niemand beleidigen. Sie hatten die Freiheit, Alles ungestraft zu sagen, was ihnen einfiel und machten sich diese im vollen Maße zu Nutze. Ihre lächerliche Würde stellte sie außer dem Bereiche der Fähigkeit, jemandes Rache reizen zu können und so kam es, daß oft die größten Monarchen sich bittere Wahrheiten von ihnen sagen lassen mußten. Die Sitte, solche Narren an den Höfen zu unterhalten, war damals noch neu. Sie hatte sich erst, seitdem die Lieder der schwäbischen Minnesänger verstummt waren und das Zunftwesen der Meistersänger begann, an den Fürstenlagern eingeschlichen, und in dieser Zeit des Verfalls der Künste und der kriegerischen Rohheit, schnell Verbreitung gefunden. Mit dem Untergange der Hohenstaufen war das poetische Leben an den Höfen erloschen und bald erstarb es auch im Volke. Nur selten vernahm man noch einen Klang aus jener schönen Zeit und dann war es aus dem Munde eines Ritters oder einer Jungfrau, die einzeln da standen unter denen, welche dem handwerksmäßig getriebenen Singen der Meistersänger lauschten und ihre oft sinnlosen Reime einer Aufmerksamkeit würdigten.

Auch der alte Heinrich von Praunheim hatte sich durch jenen derben Spaß des Narren nicht verletzt gefühlt. Im Gegentheile zeigte sich auf seinem sonst starren Angesichte der Anflug eines Lächelns, das aber schon im nächsten Augenblicke wieder verschwand. So wie er in allen Dingen die strengste Ordnung liebte, so schien es ihm auch ganz der Ordnung gemäß, bei einem Feste, welches der Freude gewidmet war, eine heitere Gemüthsstimmung an den Tag zu legen. Nur wollte ihm dieses nicht wohl gelingen, da immer die Bewährung des äußern Anstandes, welche seine Würde erheischte, ihm das Erste blieb, worauf er halten zu müssen glaubte. Sein Sohn Volrad schien sehr zerstreut. Er sprach öfters leise mit Jutta, die bei den hastig gegebenen Antworten auf Amalgundis deutete. Ihre Blicke waren dabei feurig und es schien ein Unwillen im Innern des Fräuleins zu herrschen, der ihrer Gesellschafterin gelten mochte. Der Name Günthers von Nollingen wurde von ihnen genannt. Amalgundis selbst vernahm ihn, allein sie hatte kein Arg hierbei, denn es war von ihr schon längst bemerkt worden, daß Herr Günther dem Fräulein von Praunheim eine besondere Aufmerksamkeit schenkte, und daß diese wiederum seine Bewerbungen nicht ungern sah. Amalgundis hielt es für ihre Pflicht, den alten Arzt zu unterstützen, der an ihrer Seite seinen Platz genommen hatte.

Man war durch den großen Gang, den mehrere phantastisch gekleidete Knaben, in den Costüms von Liebesgöttern, Waldnymphen und jungen Faunen, durchschwärmten und mit hochaufflammenden Fackeln erleuchteten, in die große Festhalle gelangt. Hier mußte zuerst das Schauspiel der vielen gerüsteten Krieger, die in unerschütterlicher Ordnung zu Pferde an beiden Seiten der Halle hielten, die Blicke auf sich ziehen. Das Roß des Kriegers war damals fast unzertrennbar von seinem Herrn und er brachte den größten Theil seines Lebens darauf zu. Oft aßen sogar die Ritter und Herrn an ihren Tafeln zu Pferde und die Junker mußten ihnen die Speisen hinaufreichen. Bei großen und festlichen Gelegenheiten aber hielt man dieses doch nicht für anständig, obschon man immer wenigstens sechs reisige und wohlberittene Männer mitbrachte, die mit den übrigen, soviel als möglich in der Nähe ihres Herrn, die Reihen längst den Wänden bildeten. So kam es, daß man hier die Farben der edelsten Ritter, welche den Kaiser begleiteten, vereinigt sah. Nur war jedermann verwundert, in der Farbe des Herrn Schelm vom Berge eine weit größere Anzahl Reisiger anwesend zu finden, als irgend ein Ritter bei einer solchen Gelegenheit mit sich zu führen pflegte. Vor den Reisigen waren lange schmale Tafeln aufgestellt, bei denen viele Diener sich geschäftig zeigten, die mit den gewürzten Weinen Hypocras und Claret, gefüllten silbernen Kannen zu ordnen und aus einem ziemlich großen Fasse von dem nämlichen Metalle in die seltsam und verschiedenartig gestalteten Deckelpokale Firnewein strömen zu lassen. Dazwischen standen große von durchbrochenem Silber gearbeitete Schüsseln, welche mannichfaltige Leckereien der Zuckerbäcker, in den sonderbarsten, oft sehr anstößigen Gebilden trugen. Andere Schüsseln enthielten in hohen Aufschichtungen viele Gattungen geräucherten und gesalzenen Fleisches. Mit jenen Leckereien wurden von den umherschwärmenden Junkern die Frauen, die auf den wollenen Teppichen zwischen diesen Tischen und der großen Speisetafel hin und her wandelten, bedient; den Fleischschnitten wurde zur Kurzweil, bis die Tafel beginnen möchte, von den Rittern und Herrn zugesprochen, auch wohl ein Schluck Wermuthwein, den man in kleinen silbernen Bechern kredenzte, zur Schärfung des Hungers genommen.

Auf der großen Tafel zeigte sich, außer den künstlichen Aufsätzen, deren Inhalt noch verborgen war und während des Mahls die Gäste unterhalten sollte, noch nichts, was einer besondern Aufmerksamkeit werth gewesen wäre. Diese Tafel hatte vor den übrigen den Vorzug, mit einem Tischtuche bekleidet zu sein. Es, war, nach einem Gebrauche, der sich noch in spätern Jahrhunderten erhielt, auf den Tisch festgenagelt und mit rothen Bändern zu Plätzen für die Tafelnden abgetheilt. Schwerlich würde eine nur einigermaßen bemittelte Bürgersfrau in unsern Tagen ihren Haustisch mit einem Tuche von so grobem Gespinnste bedecken, als dasjenige war, welches die Tafel im kaiserlichen Palatium verhüllte; noch weniger würde sie mit der Gleichgiltigkeit, wie hier jedermann that, die trübe Farbe des Gedeckes angesehen haben, das hier nun schon seit Adolphs Ankunft befestigt und vielleicht bis zu seiner Abreise so zu bleiben, bestimmt war. Aber die Sitte entschuldigt Alles und heiligt sogar manchen Mißbrauch in den Augen der Mitwelt. Was würden z. B. unsere Schönen dazu gesagt haben, wenn sie auf dem Speisetische des mächtigsten Kaisers weder Messer noch Gabel gefunden hatten, wenn sie ein zierliches Messerlein hätten mitbringen und sich, statt der Gabeln, von denen man damals noch nichts wußte, der eigenen zarten Finger hätten bedienen müssen? So unglaublich ihnen das auch scheinen möchte, so geschah es dennoch und manche reizende Frau und manches liebliche Fräulein wußte bei diesem Gebrauche eine Anmuth zu entfalten, wie sie heute zu Tage bei manchen Virtuosinnen auf dem Pianoforte oder der Harfe bewundert wird.

Nach dieser kleinen Abschweifung halten wir es für unsere Pflicht, zu der schönen Amalgundis zurückzukehren, die, gleich nachdem sie in das Innere der Halle eingetreten war, sich bemühete, den Greis an ihrer Hand, durch das Gedränge der Ritter und Frauen, nach einem abgelegenen, ruhigen Sitze zu führen. Man machte ihr gern Platz, denn die meisten Anwesenden wußten, in welcher Gunst sie bei dem Monarchen stand, und viele neue Gäste, die heute zum erstenmale am Kaiserhofe erschienen, traten ehrerbietig zurück, nur die berühmte Schönheit zu bewundern. Sie schien hiervon nichts zu ahnen. Blöde und schüchtern, mit niedergeschlagenen Blicken schritt sie durch die Reihen hin. Sie hörte nicht, wie hier eine stolze Reichsfürstin überrascht ausrief: »Beim Himmel! sie ist das reizendste Wesen, das ich jemals erblickte;« sie vernahm nicht, wie dort junge Ritter, die sie zum erstenmale sahen, in Ausrufungen des Staunens und des Entzückens ausbrachen. Sie war nur besorgt, den hundertjährigen Arzt, ohne Aufenthalt und Störung, an einen stillen Platz zu bringen. Als sie in den Hintergrund der Halle gelangte, wo die weiten Bogenfenster nach dem Main hinausgingen, war das Gedränge größer, als bisher. Amalgundis konnte nur mit Mühe einen schmalen Weg für sich und den Greis, hinter den Männern her, finden, die hier in den hochgewölbten Fensternischen versammelt waren. Da vernahm sie plötzlich dicht neben sich die bekannten Stimmen des Herrn von Nollingen und des Schöffen Volrad. Beide flüsterten mit einander, aber Amalgundis, die ein sehr scharfes Gehör besaß, konnte doch verstehen, was sie sagten.

»Und er wollte nicht entdecken, wo sich die Pergamente befinden?« fragte der Schöff in einem ängstlichen Tone.

»Weder List noch Gewalt konnte ihm das Geständniß entreißen;« erwiederte Nollingen. » Par ma foi! Dieser Junker von Sonnenberg hat eine Stirne von Eisen und kennt Dinge, die ihm nur der Böse verrathen haben kann. Aber diese Kenntniß soll ihm nicht nützen und uns nicht schaden. Ich habe seine Gefangenkost mit einem Pulver gewürzt, das aus einem Dutzend solcher Babillards stille Leute machen kann. Und ist er zu klug und vorsichtig, um das Meisterstück meiner Kochkunst zu versuchen, so habe ich einige tüchtige Spadassins die ihn noch in dieser Nacht« –

Amalgundis wurde vorwärts gedrängt und konnte weiter nichts mehr hören. Aber was sie vernommen hatte, war genug, um ihre Seele mit neuen quälenden Besorgnissen zu erfüllen. Sie mußte sich auf den Arm des Greises lehnen, dem sie zur Stütze dienen wollte, sie sah sich ängstlich um, ob sie nicht den einzigen Freund, den Friedmann am Hofe hatte, Herrn Schelm vom Berge wahrnehmen konnte, um diesen zu bitten, den bedroheten Jüngling warnen zu lassen. Ihr Bemühen war vergebens. Nirgends zeigte sich der edle Ritter und wie im Taumel war jetzt Amalgundis zu der letzten Fensterwölbung gekommen, in der sich Alessandro niederließ, während er sie mit wenigen Worten bewog, den Sitz ihm gegenüber einzunehmen. Hier waren sie so einsam, als sie in der Halle irgendwo sein konnten. Alles drängte sich nach dem Eingange hin, in dem man die Erscheinung des Kaisers bald erwartete.

Der salernitanische Arzt blickte theilnehmend auf seine junge Freundin, die bleich und zitternd da saß und deren Augen noch immer forschend in dem weiten Raume umherschweiften, um den Ritter vom Berge irgendwo zu entdecken.

»Was ist Dir, mein Kind?« sagte er endlich mit jenem sanften und wohltönenden Tone der Stimme, der auf jedes Gemüth einen lieblichen beruhigenden Eindruck machte. »Du hast die Schlange zischen hören und fürchtest jetzt ihren giftigen Biß? Sei getrost, Amalgundis! Der Liebling Deiner Seele ruht in den Mauern seines Kerkers so sicher, als schlummerte er, noch ein Säugling, am Busen seiner Mutter. Seine Freunde wachen über ihm: er ist gewarnt, der Schlange Gift wird ihn nicht verderben!«

Die Blässe auf dem Angesichte des Mädchens wich einer hohen Röthe. Sie sah das Geheimnis ihrer Liebe von dem scharfblickenden Greise entdeckt, ein Fremder war in ihr stilles Heiligthum gedrungen und hatte sie in ihren verborgen gehaltenen Empfindungen aufgefunden! Sie sah beschämt vor sich nieder, aber dennoch fühlte sie sich ruhiger, als vorher.

Die Versicherung des wunderbaren Greises hatte jede Besorgniß um Friedmann aus ihrer Brust verbannt. Sie erkannte, daß er nicht so verlassen und der Willkühr seiner Feinde preisgegeben sei, als sie früher geglaubt hatte. Ihr, von den Vorurtheilen jener Zeit nicht frei gebliebener Geist trauete dem hundertjährigen Doctor übernatürliche Kräfte zu, die selbst in die Ferne zu wirken vermöchten und den Gefangenen gegen jede Gefahr schützen würden. Bei diesem Gedanken wurde sie wieder heiter. Es konnte sie nicht verstimmen, den Salernitaner als Mitwisser ihrer Liebe zu kennen. Sie ehrte ihn, wie einen ältern Verwandten, und hatte Beweise, daß er es freundlich und gut mit ihr meine.

Da stand, als sie die Blicke erhob, plötzlich der Ritter von Nollingen und der Schöff von Praunheim vor ihr. Ein höhnisches Lächeln, das auf dem Antlitze des Ritters geschwebt hatte, verschwand, als sie zu ihm aufsah. Mit höfischem Anstande beugte er sich zu der Sitzenden nieder, allein in seinen Blicken zeigte sich eine seltsame Unruhe. Sie waren bald auf Amalgundis, bald auf ihren greisen Begleiter gerichtet, als wollten sie diese beiden durchbohren und ihre geheimsten Gefühle ausforschen. Der salernitanische Arzt achtete wenig auf ihn. Sein blitzendes Auge flog über Günther und seinen Begleiter hinweg hoch an die Decke des Gewölbes und heftete an dem Wappen der Nollingen, das hier in der Reihe der Wappen aller dem Kaiser ergebenen Ritter und Herrn aufgehängt war. Amalgundis hatte mechanisch die Hand ihres alten Freundes ergriffen. Sie fühlte sich in der Nähe des Bösewichts, der eine ihr so furchtbare Drohung ausgesprochen hatte, auf das heftigste bewegt.

Aber mit dem süßesten Laute, den Ritter Günther in seine Stimme zu legen vermochte, redete er sie jetzt an:

»Edle Dame, erlaubt mir, die Sentiments Euerer Güte mehr in Anspruch zu nehmen, als es bisher geschehen! Es ist mir gelungen, die bonnes graces Euerer Herzensfreundin, Fräulein Jutta zu gewinnen und ich flattire mir mit der Hoffnung, noch am heutigen Abende die feierliche Verlobung mit ihr zu begehen. Dann werdet Ihr Euere Freundschaft auch auf mich ausdehnen und mir um Jutta's Willen Euere Faveur schenken.«

Amalgundis antwortete nichts. Ihre Brust war wie zugeschnürt und ihre Hand klammerte sich fester an Alessandro. Das Wort: »Giftmischer!« schwebte auf ihren Lippen und sie würde es ausgesprochen haben, wenn sie in diesem Augenblicke Kraft dazu gehabt hätte. Die Blicke des alten Arztes blieben fort und fort auf den Gegenstand gerichtet, den sie einmal ergriffen hatten.

Lauernd und argwöhnisch sah der Herr von Nollingen auf das Fräulein herab. Er schien eine Antwort zu erwarten. Als diese aber nicht erfolgte, fuhr er in einem leichten Tone fort.

»Ein andersmal, edle Dame, beliebt es Euch vielleicht, mir eine freundliche Antwort zu schenken. Ich will diesen moment de fortune in Geduld erwarten und rekommandire mich bis dahin Euerer Geneigtheit. Aber Maestro Alessandro, was treibt Ihr für seltsame Dinge?« wandte sich der Ritter zu dem Greise. » Par ma foi! Ich glaube, Ihr seht nach den Sternen am hellen Tage und wollt sie am Deckengewölbe der kaiserlichen Speisehalle auffinden? Doch, nein!« rief er plötzlich, indem er die Richtung verfolgte, welche Alessandro's Blicke nahmen. »Es ist das Wappen der Nollingen, das Ihr mit Euerer Aufmerksamkeit honorirt. Sprecht! Bemerkt Ihr etwas Absonderliches daran: einen Mackel oder sonstige Beschädigung?«

»Wohl ist es beschädigt und befleckt, das Wappen des alten Geschlechts:« entgegnete finster der Greis, indem er mit Amalgundis, die noch immer seine Hand hielt, aufstand. »Es ist befleckt durch Hochverrath, es ist beschädigt durch Meuchelmord und wird nimmer wieder hergestellt werden, denn ehe die Strahlen der Sonne den Morgen des nächsten Tages begrüßen, ist es herabgestürzt von jener hohen Stelle, zertrümmert unter den Füßen der Troßbuben.«

Eine wilde Gluth flammte im Angesichte des Ritters auf; seine Hand zuckte mit einer krampfhaften Bewegung nach dem Schwerte. Da erklangen plötzlich Trompeten, Posaunen und Cymbeln von der Seite des Eingangs her und zeigten die Ankunft des Monarchen an. Alles drängte sich diesem entgegen, Alessandro und Amalgundis wurden von einer vorbeitreibenden Menschenmasse fortgerissen und Günther sah mit einemmale den Gegenstand seiner Wuth und seines Zorns entfernt, ohne ihn verfolgen zu können. Seine Besonnenheit kehrte zurück. Er nahm die Hand vom Schwerte und sagte in einem scherzhaften Ton, der jedoch sehr erzwungen klang, zu seinem Begleiter:

»War ich nicht ein Thor Messire Volrad, mit diesem kindischen Greise rechten zu wollen? Kommt, Freund! Laßt uns noch einen Becher Hypocras hinunterstürzen vor der Mahlzeit. Morbleu! Ich weiß nicht was ich davon denken soll, aber es gehn mir kuriose Dinge im Kopf herum. Kommt, Messire! Ich will nichts fürchten. Vive le courage et mort à la peur! Laßt uns trinken! Auf gute Schwägerschaft und – auf eine glückliche Zukunft!«

Mit wilder Hast drängte er den zögernden Volrad nach dem Schenktische hin. Hier leerte er rasch zwei hohe, mit jenem stark gewürzten Weine gefüllte Pokale, und sagte dann mit ruhiger und triumphirender Miene, indem sein Blick nach dem Eingange der Halle flog:

»Beruhigt Euch, beau frère! Es kann mir niemand etwas anhaben und wenn Alle sich gegen mich verschworen hätten. Der Zeuge ist todt, den sie gegen mich sistiren könnten. Seht Ihr den Spadassin dort am Eingange und bemerkt Ihr, wie er ein gelbes Tüchlein leise hin und her schwenkt? Das ist ein Signal, daß der Sonnenberger sein Gutes genossen hat. Paix, mon beau page! Du störst den Nollingen nicht mehr.«

Der Schöff wurde bleich und schauderte zusammen. Er war ein Verleiteter aber kein Verbrecher aus Grundsätzen, wie Günther von Nollingen.

Die Marschälle erhoben jetzt ihre Stimmen und riefen zur Tafel. Sämmtliche Gäste eilten zu den Sitzen, die ihnen, ihrem Stande und Range nach, von den Kämmerern und Ehrenjunkern angewiesen wurden. Eine tiefe Stille, in der nur eine einzige sonore Stimme hörbar wurde, folgte dem lebhaften Geräusche: der Prior des Dominikanerklosters sprach das Gebet.



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