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37.

Ein Vogel hat gesungen
Im jung belaubten Wald,
Da ist in's Herz gedrungen
Mir seine Stimme bald.

Justinus Kerner.

Die schlanke Frauengestalt, welche die Sänfte verließ und mit leichtem Tritte den Boden der Anhöhe berührte, war in ein grün seidenes, mit Pelzwerk reich verbrämtes Gewand gekleidet. Dieses schloß knapp an den zartgebaueten Körper und ließ dessen anmuthige Bildung in ihrer ganzen Vollkommenheit erkennen. Auf dem Haupte trug sie ein zierliches Sammetbarett; von diesem fiel ein goldgestickter Schleier herab, der ihr Angesicht verbarg. Indem sie aus der Thüre der Sänfte vortrat, legte sie die eine Hand leise auf den Arm des jungen Ritters, dessen Wangen bei dieser Berührung von einer glühenden Röthe überzogen wurden. Mit der andern Hand schlug sie den Schleier zurück und es zeigte sich nun das Antlitz der schönen Amalgundis in seiner ganzen Lieblichkeit, nur bleicher, als sonst und von einem Zuge getrübt, der das Dasein eines geheimen Kummers verrieth.

Sie sah einige Augenblicke lang mit einem Ausdrucke besonderer Rührung auf Friedmann. Dieser aber schauete zu Boden und veränderte die ehrerbietige Stellung nicht, die er angenommen hatte. Mit einem leichten Seufzer trat Amalgundis von ihm hinweg und wendete nun die leuchtenden Blicke auf die herrliche Naturszene, die sich hier den Reisenden eröffnete. Ihre Seele gab sich dem belebenden Eindrucke hin, ihre Pulse klopften höher, auf ihre Wangen trat eine zarte Röthe. Amalgundis hatte ihre Kinderjahre in ländlicher Einsamkeit verlebt, als erblühende Jungfrau hatte sie ihre Gefühle in dem Genuße der Naturreize genährt, welchen jene Einsamkeit in reichlicher Fülle gewährte. Seit lange war nun von ihr, während ihres Aufenthalts bei dem Reichsschultheißen Heinrich von Praunheim, dieses reine Vergnügen entbehret worden. Manche andere Freude hatte sie wohl gefunden, aber in der letzten Zeit hatte Alles, was ihr angenehm gewesen, sich durch Trennung oder auf sonst eine Weise ihr in Gram und stillen Kummer verwandelt. Jetzt sprach zum erstenmale wieder die Natur mit allgewaltiger Stimme zu ihr und alle schönen Erinnerungen aus ihrer Kinderzeit zogen wie lichte Träume der Gegenwart an ihrem Geiste vorüber. Empfindungen, die seit lange im Schlummer gelegen hatten, wurden wach, neue schöne Bilder der Zukunft reiheten sich an diese und was die Natur Herrliches zeigte, wurde von dem magischen Spiegel der Phantasie in verwandter Gestalt, aber in niederer Bedeutung wiedergegeben.

Von dem Rande des Hügels herab, zu dem Amalgundis vorgeschritten war, sah sie viele Punkte, die ihr durch manches kleine, aber für ihr früheres beschränktes Leben dennoch bedeutende Ereigniß wichtig geblieben waren. Da zeigte sich, von frisch ergrünenden Büschen umgeben, Kloster Clarenthal mit den freundlichen weißen Mauern, wo sie erst im vorigen Jahre einige glückliche Wochen verlebt und unter den frommen Jungfrauen manche Freundin gewonnen hatte. Da lag, von den Wellen des Rheins bespült, das freundliche Dorf Schierstein, mit dem alten Kaiserhofe aus Carls des Großen Zeiten. Durch die Hallen dieses Pallastes war sie als zehnjähriges Kind mit ihrer Wärterin gewandelt, um dem Kaiser Adolph, der damals nur noch Graf von Nassau gewesen, vorgestellt zu werden. Adolph hatte das Kind mit einer Liebe und Güte aufgenommen, die ihm bisher noch von niemand anders gezeigt worden, und seit jenem Augenblicke hatte ihm Amalgundis die innige Neigung gewidmet, die, wie sie fühlte, nur mit ihrem Tode erlöschen konnte. Lange ruhete ihr Blick auf dieser Stelle, ihre Augen wurden dann trüber, sie wandten sich ab und suchten die Gegend von Wiesbaden, die tief unten im Thale und von hier aus nicht sichtbar liegen mußte. Sie fand die Stelle; ein dünn aufsteigender Rauch bezeichnete sie. Ihre Züge wurden ernster, ihre Blicke finster. Hier hatte sie die erste Kränkung ihres Lebens erfahren, hier waren die ersten bittern Thränen der sechszehnjährigen Jungfrau geflossen, als diese der Kaiserin Imagina zum Handkuße zugeführt worden und die stolze Frau, nachdem sie lange das lieblich erblühende Mädchen betrachtet sich plötzlich mit allen Zeichen der Verachtung von ihr abgewandt und ihr die Hand, nach der sie schon das lockige Haupt hinabgebeugt, verweigert hatte. Damals war ihr der Grund dieses Benehmens unerklärlich gewesen; jetzt konnte sie ihn errathen. Sie mußte die kaiserliche Frau entschuldigen, allein ein tiefer Schmerz schnitt an ihre eigene Seele, daß es ihr Schicksal wolle, verkannt von der Gemalin Adolphs und der Welt dazustehn.

Aber im Bewußtsein ihrer Unschuld und ihres innern Werthes erhob sie plötzlich das liebliche Haupt und schauete mit freien Blicken von der Gegend, die so trübe Gedanken in ihr aufgeregt, hinweg, rechts hinüber nach den grünen Waldhöhen und in den anmuthigen Thalgrund, aus dem sich die Thürme von Sonnenberg erhoben. Ihr Auge erheiterte sich mehr und mehr, ein Lächeln schwebte um ihre Lippen und sie unterbrach mit einemmale das herrschende Schweigen, indem sie sich in einer frohen Bewegung zu Friedmann, der seinen Platz seitwärts hinter ihr genommen hatte und in seiner ehrerbietigen Zurückhaltung beharrte, mit den Worten wandte:

»Habt Ihr schon Euere väterliche Burg begrüßt? Da liegt sie und die Zinnen strahlen im Sonnenglanze und das Panier breitet sich lustig aus in seiner bunten Farbenpracht. O welches süße Gefühl muß es für Euch sein, die Heimathsstätte wiederzusehn. Dort lebt Euer ehrwürdiger Vater, dort die Freunde Euerer Kindheit, dort die Erinnerung glücklicher Tage, das Gedächtniß Euerer Mutter. Ich bin eine Verlassene, seit ich zu denken vermag,« fuhr sie schwermüthig fort, »ich habe die Seligkeit nicht kennen gelernt, in den Armen einer Mutter zu ruhen und mein Vater« – Hier brach sie plötzlich ab und versank in ein stilles Nachdenken. Ihre Blicke blieben auf Sonnenberg gerichtet, ihre Seele schien noch ferner den wehemüthigen Empfindungen hingegeben, welche sie einmal in Anregung gebracht hatte.

Der Klang ihrer lieblichen Stimme übte eine wunderbare Macht an den jungen Ritter. Der erste Ton war sogleich tief in sein Herz gedrungen und hatte das Eis geschmolzen, unter das er seine Liebe zu begraben bemüht war. Wie eine zauberische Musik klang es, so lange sie sprach, fort in seinem Innern. Der holde Klang umfing so ganz seine Sinne, daß ihm die Bedeutung ihrer Worte entging. Er mußte sich abwenden, um durch die Veränderung in seinen Gesichtszügen sich nicht zu verrathen. Aber in seinem Herzen war die alte Liebe, die er vergessen wollte, plötzlich wieder jung geworden. Mit ihr, so dünkte es ihm, war nun auch der Frühling für ihn gekommen und der Glanz des jungen Landes schillerte lieblicher und die Lerche sang herrlicher in den hohen Lüften. Aber diese glückliche Stimmung dauerte nur kurze Zeit. Friedmann war von seinen Gefühlen überwältigt worden. Als jetzt seine Blicke auf Amalgundis fielen, da stand auch wieder die ungeheuere Kluft vor seiner Seele offen, die ihn für immer von ihr trennte, da durchfeuerte ihn die Erinnerung an das Entsetzen jener Nacht, wo er die Ritterwache in der Capelle gehabt, da durchbohrte wiederum die grausame Enttäuschung sein Herz, die ihm damals geworden und nun sein junges Leben vergiftete.

Amalgundis hatte indessen sich von jenen drückenden Empfindungen frei gemacht. Sie sah den jungen Mann mit einem trüben Lächeln an und führte ihn, indem sie seine Hand ergriff, seitwärts, auf einen Vorsprung des Hügels, von der Dienerschaft hinweg.

»Was habe ich Euch gethan, Ritter Sonnenberg,« sagte sie mit einem Tone, in dem sich die Bestimmtheit eines eben genommenen, festen Entschlußes an den Tag legte, »womit habe ich Euch beleidigt, daß Ihr mir so kalt und fremd begegnet? Als Ihr noch ein bloßer Edeljunker waret, da zeigtet Ihr eine freundliche Theilnahme an mir, die mir wohl that, denn Ihr hattet mir ja früher einen großen Dienst erwiesen, und es konnte mir nicht gleichgültig sein, welche Gedanken derjenige von mir hegte, dem ich so sehr zu Dank verpflichtet war. Aber das hat sich Alles verändert, seitdem Ihr von Kaiserhand den Ritterschlag empfangen habt!«

»Ich glaube nicht,« erwiederte Friedmann mit bebender Stimme und ohne die Augen vom Boden zu erheben, »in irgend Etwas gegen die Ehrfurcht verstoßen zu haben, welche ich einem Edelfräulein schuldig bin, mit dessen Geleit und Beschützung mein kaiserlicher Herr selbst mich beauftragt hat.«

»O nein!« versetzte Amalgundis mit einem Anfluge von Unwillen. »Ihr beobachtet genau jede Pflicht der Courtoise, die Eueres Vaters Ceremonienmeister auf Schloß Sonnenberg Euch gelehrt haben mag. Ihr steht am Schlage der Sänfte bereit, um mir beim Ein- oder Aussteigen behülflich zu sein, Ihr begegnet jedem kleinen Verlangen, das die Reise veranlassen kann, mit Erfüllung, oft noch ehe ich es äußere, Ihr folgt mir, wenn ich mich im Freien ergehe, in geziemender Entfernung und hütet Euch wohl, die schuldige Ehrfurcht durch ein lautes Wort zu verletzen, ehe ich Euch anrede, und dann auch geht nicht mehr über Euere Lippen, als Ihr, um nicht gegen die ritterliche Sitte zu verstoßen, gerade erwiedern müßt. Aber habt Ihr nicht andere und wichtigere Dinge beschworen, als Ihr die goldenen Spornen empfinget und niederknietet vor dem, der Euch aus dem Stande eines Dienenden in den eines Gebietenden erhob? Habt Ihr nicht einen heiligen Eid geleistet, die Frauen zu ehren, sie zu schützen und ihre Rechte zu bewahren? Nun dann, Ritter von Sonnenberg, ich mahne Euch an diesen Eid. Ihr sollt die Frauen ehren auch durch Wahrheit, und ich fordere Wahrheit von Euch; Ihr sollt sie schützen auch gegen Verläumdung und ungerechten Verdacht, und ich verlange diesen Schutz gegen Euch selbst. Ihr sollt ihre Rechte bewahren, auch das, welches sie im Bewußtsein ihrer Unschuld auf Euere eigene Achtung haben, und dieses mache ich jetzt geltend. Es mag Euch vielleicht sonderbar scheinen, daß ich auf eine so dringende Weise eine Erklärung von Euch verlange; aber meine heiligsten Gefühle sind verletzt und die Kränkung, die ich empfinde, versetzt mich in eine Reizbarkeit, die mir sonst nicht eigen ist. Sprecht, Ritter von Sonnenberg! Ihr müßt mir Aufschluß geben über dieses veränderte Betragen, Euer Eid, Euere eigene Ehre fordern es.«

»In der That,« antwortete unentschlossen und verlegen der junge Mann, »ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll, edles Fräulein. Ihr setzt Gedanken und Empfindungen in mir voraus, die mir fremd sind. Ihr verkennt mich, denn ich bin mir bewußt, jeder Pflicht zu genügen, die mir mein gegenwärtiges Verhältniß zu Euch auferlegt.«

»Ihr scheint Euch sehr gern hinter dieses Verhältniß zurückzuziehn,« entgegnete mit einiger Bitterkeit die Jungfrau. Dann aber fuhr sie in dem süßen herzgewinnenden Tone, dem Friedmann nicht zu widerstehn vermochte, fort: »O, Friedmann, wollt Ihr Euch denn gar nicht an jene Stunde erinnern, wo uns der Zufall in dem Garten des alten Herrn von Praunheim zusammenführte? Ist in Euerem Gedächtnisse jede Erinnerung an das erloschen, was Ihr damals sagtet und was doch wie die Stimme der Wahrheit klang, der Wahrheit, die, wenn sie einmal lebendig geworden ist, unsterblich bleibt für alle Zeiten? Ihr könnt sie nicht verläugnen, wie Ihr Euch auch Zwang anthut. Ihr vermögt sie nicht in Fesseln zu legen, denn Ihr seid zu redlich und edelgesinnt dazu. Seid offen gegen mich, Friedmann! O Ihr glaubt nicht, wie sehr Ihr mich betrübt durch irgend einen häßlichen Argwohn, aus dem allein diese Kälte und dieses Fremdthun entstanden sein kann.«

»Ihr habt eine Zeit wieder vor meine Seele heraufgeführt, die mir Süßes und Schmerzliches zugleich brachte;« sagte mit bewegter Stimme der Ritter. »Ich werde jene seligen Augenblicke nie vergessen, aber wenn ich mich immer ihrer erinnere, so mahnen sie mich auch dann, daß Ihr mir damals auf meine Frage eine Antwort schuldig bliebt, an der mir Glück oder Unglück meines Lebens abzuhängen schien.«

Amalgundis erblaßte und trat bestürzt einige Schritte zurück. Dann faßte sie sich aber bald wieder, sah offenen Blicks zu dem Ritter auf und sprach:

»Wie? Ist es das? Stammt noch aus jener Zeit Euer Groll her?«

»O nein, Amalgundis!« versetzte der junge Ritter mit einem Feuer, das ihre sanfte Hingebung erweckt und belebt hatte. »Ich verlange keine Antwort mehr auf jene Frage, ich will die Frage selbst gar nicht gethan haben. Nur der Freuden jener schönen Stunde, die so grausam zerstört wurde, will ich eingedenk sein und mich bemühn Alles zu vergessen, was dieser Erinnerung Bitterkeit beimischen könnte. Euer Bild steht ewig vor meiner Seele, wie Ihr damals aus dem grünen Laubengange hervorschwebtet, ich höre Euch fort und fort das schöne Lied vom König Kunrad singen, und der Augenblick ist mir für alle Zeiten gegenwärtig, in dem Ihr beglückende und beseligende Worte zu mir spracht. So sahe ich blos die Sonne, die mir damals leuchtete und nicht das schwarze Wölkchen, das sie trübte. Aber Amalgundis, ich habe eine andere Bitte an Euch. Ich habe einen Traum gehabt, einen schweren bösen Traum: den sollt Ihr mir deuten!«

»Wie kommt Ihr auf einen solchen Gedanken, Ritter Friedmann?« fragte mit Befremdung das Fräulein. »Ich besitze nicht Klugheit und Wissenschaft, um geheimnißvolle Dinge zu erklären, um die wunderbaren Winke der Zukunft zu entziffern, und zu enthüllen, was hinter den oft vieldeutigen Bildern eines Traumes verborgen ist. Da müßt Ihr Euch an den weisen Meister Alessandro oder an irgend einen andern in wunderbarer Kunst erfahrenen Mann wenden. Ich bin still und einfach erzogen worden und vermag mir oft kaum zu erklären, was vor Aller Augen im Getümmel der Welt vorgeht und sonst niemanden räthselhaft zu sein scheint. Ich habe auch nie daran gedacht meine eigenen Träume zu deuten und habe sie eben hingenommen, wie sie waren, und sie vergessen in kurzer Zeit.«

»Diesen Traum vermögt nur Ihr allein zu erklären auf der weiten Erde;« nahm Friedmann ernster werdend wiederum das Wort. »Ich träumte ihn in jener Nacht, als ich am Altare der Capelle in der Kaiserpfalz die Ritterwache hielt.«

»Da träumtet Ihr?« fiel erstaunt Amalgundis ein. »Durftet Ihr denn schlafen? Euere Pflicht gebot Euch zu wachen in der Nacht der Prüfung,« setzte sie bedeutungsvoll hinzu, »und ich kann mir nicht deuten, daß Friedmann von Sonnenberg zu einer solchen Zeit sich dem Schlafe überlassen habe!«

»Ihr habt Recht, ich schlief nicht;« erwiederte der Ritter, ohne durch diese Einwendungen sich verwirren zu lassen. »Es mag also wohl kein Traum, sondern eine wunderbare Erscheinung gewesen sein, die an mir vorüberging, aber nichtsdestoweniger einer Erklärung bedarf. Noch einmal! Diese Erklärung könnt nur Ihr geben und sie wird Licht oder Nacht in meine Zukunft bringen. Ich lag knieend vor dem Hauptaltare und meine ganze Seele war den frommen Empfindungen hingegeben, welche meine Lage und der Heiligkeit des Ortes, an dem ich mich befand, mit sich bringen mußten. Da rauschte etwas mit wildem Flügelschlage an meinem Haupte vorüber, so nahe, daß dieses berührt wurde. Ich fuhr auf aus meiner knieenden Stellung, meine Andacht war gestört. Da gewahrte ich eine ungeheuere Eule, die sich auf meine Schultern niederließ und mich mit funkelnden Augen anstarrte. Und die Eule trug das Antlitz der Jutta von Praunheim und war bemüht, mich mit den Krallen und dem Schnabel, der den Kragen meines Gewandes gepackt hatte, von dem Altare fortzuzerren, indem sie unruhig mit den dunkeln Fittichen in die Luft schlug. Ich widerstand ihr lange und bemühete mich, sie von mir loszumachen. Aber das wollte mir nicht gelingen und ich folgte ihr endlich dahin, wohin sie mich haben wollte. Sie zerrte mich einen langen Gang hinab, in einen verborgenen Winkel, wo ein Steinbild des heiligen Nikolas stand. Jetzt ließ sie mich frei und setzte sich auf das Haupt des Heiligen. Ich konnte sie nun genau betrachten und, obschon nur ein dämmerndes Licht zu dieser entfernten Stelle drang, so nahm ich doch wahr, daß ihr Kopf sich ganz und gar in ein Menschenhaupt verwandelt hatte, das die Züge der wahnsinnigen Jutta zeigte, ihr höhnisches Lächeln und das reich herabfallende Rabenhaar. Sie begann zu sprechen und Entsetzen ergriff mich nicht darüber, daß eine Eule sprach, sondern über den Inhalt ihrer Worte. »Seht den Sankt Nikolas!« krächzte sie: »Seht, hinter ihm steht der Weg zu Sünde und Thorheit offen, und Ihr werdet bald diejenige erblicken, die Euch die Liebste ist in dieser Welt, wie sie den Weg des Verbrechens wandelt. Habt nur Acht! Alles geschieht, wie ich es gesagt habe, denn die Eule ist der Vogel der Weisheit und die Weisheit kann nicht irren.« Und mit einemmale war die Eule verschwunden und das Bild des Heiligen ebenfalls und ich sah in einen dunkeln Gang hinab, der sich da eröffnete, wo der Sankt Nikolas gestanden hatte, und es war mir, als klängen aus der Finsternis herauf mir die Stimmen der Reuigen und Verdammten entgegen. Ich trat schaudernd zurück. Da hörte ich die Thüre der Capelle knarren. Ich flog hinter einen Pfeiler, meine Blicke waren ängstlich und furchtsam auf die Thüre geheftet. Da trat sie herein, die mir die Liebste war in der Welt und vor ihr her schritt eine düstere, geheimnißvolle Gestalt. Ich kannte sie nicht, aber eine innere Stimme flüsterte mir zu, es sei der Versucher. Und der Versucher ging schweigend vor der Liebsten her und sie trat, ohne zu zögern, in seine Fußtapfen. Und er beschritt den Weg zum Verderben und sie folgte ihm mit dem Anscheine, als sei sie gewohnt, diese Bahn zu wandeln. Entsetzen hatte mein Haar emporgesträubt, Fieberfrost durchschauerte mich. Da stand der Sankt Nikolas plötzlich wiederum an seiner Stelle und die Eule saß wieder auf seinem Kopfe und rief mit schnarrender Stimme herunter: »Ich bin die Weisheit und die Weisheit kann nicht irren!« Dann flog sie mit wildem Krächzen, das wie ein höllisches Gelächter klang, durch ein offenes Fenster fort, aber sie zerschlug sich die Flügel an den Eisenstäben der schmalen Oeffnung und stürzte mit einem schmerzhaften, Menschenstimmen ähnlichen Heulen außerhalb zur Erde. Ich floh an den Altar zurück. Hier flehete ich zum Himmel, daß er wieder Ruhe und Frieden in mein Herz herabsenden möge. Ich brachte eine furchtbare Nacht hin bis zum Morgen. Aber der Morgen gab mir nicht zurück, was mir diese eine Nacht geraubt hatte. Der Friede meines Innern war zerstört, ich blieb dem nagenden Schmerze um das verlorene liebste Gut hingegeben. Ihr, Amalgundis, vermögt allein diesem quälenden Zustande ein Ende zu machen. Deutet mir jene seltsame Erscheinung. Ich beschwöre Euch um meinetwillen, um Eurer selbst willen! Oder – sagt mir, daß Alles ein Trugbild, eine Täuschung meiner aufgeregten Sinne gewesen sei. Ich will es ja gern glauben, wenn Ihr es versichert. Ich will auch nie wieder darüber grübeln, nie wieder darum fragen, das schwöre ich Euch. Aber laßt mich diese Eule nicht immer vor mir erblicken, wie ein Bild der Wirklichkeit, laßt mich nicht fort und fort ihre krächzende Stimme hören, wie sie mir Urtheil und Elend verkündet auf alle Zeit, laßt nicht im endlosen Gange zur Sünde mich das Theuerste schauen – ein Wort von Euch vernichtet den gräßlichen Spuck!«

Das Fräulein hatte Anfangs mit großer Ruhe und Unbefangenheit der Erzählung des jungen Mannes zugehört. In dem Maße aber, wie diese vorschritt, war eine zunehmende Röthe auf ihre Wangen gestiegen, ihre sonst sanften und freundlichen Blicke wurden lebhafter und feuriger, ihre Haltung stolzer und Ehrfurcht einflößend und als der Ritter geendet hatte, stand sie vor ihm mit dem Anstande einer Königin, deren hohe Würde durch die dreiste Rede eines Unterthanen verletzt worden.

»Ich bin Euch immer fremd gewesen und werde Euch nun ewig fremd bleiben, Herr Friedmann von Sonnenberg;« erwiederte sie nach einer Pause, in einem sehr kalten und ernsten Tone. Eine Thräne schlich in ihr Auge. Sie schien sie nicht zu bemerken oder wollte sie nicht wahrnehmen. Indem sie sich stolz umwandte, sprach sie mit fast geringschätzigem Ausdrucke weiter: »Laßt uns unsere Reise fortsetzen, Ritter! Ich sehne mich nach Ruhe in einer abgelegenen Einsamkeit, wohin mir die Thorheit und die Bosheit der Welt nicht folgt.«

»O nicht diese Verachtung, diese Erniedrigung, Amalgundis!« flehete stürmisch der junge Mann. »Sagt, ich sei ein Narr gewesen, ein hirnloser, sinnverwirrter Narr, als ich jene tollen Dinge zu hören und zu sehen geglaubt! Ich beschwöre Euch, Amalgundis, nennt mich einen aberwitzigen Thoren! Sprecht dieses Wort und Alles ist vergessen, vernichtet, nie geschehen!«

»Ich muß Euch an die Gesetze der Courtoisie erinnern, deren Befolgung Ihr Euch selbst zu Anfang unserer Reise in einer strengen Beschränkung zur Pflicht gemacht hattet;« versetzte mit scharfer Betonung die Jungfrau, indem sie sich noch einmal, doch ohne den Ritter anzublicken, umwandte. »Jetzt verlange ich, daß Ihr nicht mehr und nicht minder thut, als was Ihr Euch damals vorgesetzt hattet zu leisten, nicht mehr, als das Vertrauen, mit dem Euch des Kaisers allzugroße Güte beehrt, erheischt.«

»Es ist vorbei!« sprach Friedmann düster bei sich selbst. »Alles ist gestorben in meinem Herzen, selbst die Hoffnung. Sie kann sich nicht rechtfertigen, ihre Schuld spricht zu laut.«

Indessen war Amalgundis einige Schritte zurückgetreten. Sie winkte ihrem Pagen und dieser führte sogleich das zierliche Pferd vor, das die Jungfrau, ohne des herbeieilenden Ritters Hülfleistung anzunehmen, mit einem leichten Schwunge bestieg. Der ganze Zug setzte sich nun wieder in Bewegung und war bald in dem waldigten Thalgrunde, der am Fuße der Anhöhe lag, verschwunden.



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